Schweitzer Fachinformationen
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Damen, die in einem Haus oder einer Wohnung mit zwei oder drei leer stehenden Zimmern wohnten, besonders, wenn es sich um Zimmer mit Meerblick handelte, konnten damit Geld verdienen - die seaside landlady war geboren. Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten war ein idealer Geschäftszweig für Frauen: Es war gesellschaftlich akzeptiert und bot ihnen die Möglichkeit, ihr hauswirtschaftliches Wissen anzuwenden.
Helena Wojtczak, Women of Victorian Sussex
Einen Monat später, in der ersten Maiwoche, legte die sechsundzwanzigjährige Sarah Summers ihren schwarzen Bombasin ab und zog ein schlichtes Kleid aus dunkelblauem Batist an - nicht weil sie nicht mehr trauerte, sondern weil sie wusste, dass Gäste nicht von einer trübseligen Gastgeberin empfangen werden wollten. Sie stand vor ihrem kleinen Spiegel, strich das dunkle, in einem schlichten Knoten zurückgenommene Haar glatt und sah in ihre müden blauen Augen. Peter hatte oft gesagt, dass sie schöne Augen hätte .
Sie blinzelte die Erinnerung an seinen liebevollen Blick und den Schmerz, der dabei in ihr aufstieg, fort. In der geöffneten Truhe am Fuß ihres Bettes lagen das weiße Leinenhemd, das sie in seiner Abwesenheit genäht hatte, und der letzte Brief, den er ihr geschrieben hatte, bevor er in See stach. Sie kannte die wenigen Zeilen auswendig, doch sie faltete den Brief trotzdem auf und las:
Meine liebe Sarah, ich werde dich vermissen. Möge die Zeit, die wir getrennt sind, rasch und fruchtbar vergehen. Ich bete, dass Gott dich beschützt, bis wir wieder vereint sind. Bitte vergiss nicht, das Buch, das ich mir vom Pfarrer geliehen habe, zurückzugeben. Danke. Gott segne dich.
Der Deine, Peter.
Die Mischung aus Zuneigung, Glauben und Sachlichkeit war so typisch für ihn, dass auch jetzt wieder ein bittersüßes Beben ihre Lippen erzittern ließ. Sarah hatte gebetet, dass er gesund zu ihr zurückkehren möge, doch ihre Gebete waren nicht erhört worden.
Sie zwang ihre Gedanken zurück in die Gegenwart und legte noch ein paar ihrer Habseligkeiten in die Truhe, um im Zimmer Platz für Emily zu schaffen. Dann klappte sie entschlossen den Deckel zu.
Danach trat sie hinaus auf den Flur und begann, die Gästezimmer nacheinander zu inspizieren.
Mama, die nicht in der Lage war, Treppen zu steigen, hatte ihr Zimmer im Erdgeschoss behalten. Viola war in das daran angrenzende Ankleidezimmer gezogen.
Emily würde mit in Sarahs kleines Zimmer im Obergeschoss ziehen, doch sie musste ihre persönlichen Besitztümer noch umräumen.
Georgie war in eine der früheren Dienstbotenkammern auf dem Dachboden gezogen und genoss es sehr, nicht nur ein Zimmer, sondern fast ein ganzes Stockwerk für sich allein zu haben.
Viola weigerte sich weiterhin, bei den Vorbereitungen zu helfen., Mama wollte sie auch nicht zu sehr drängen, nicht zuletzt, weil sie ihre Einwände sehr gut verstand. Die Situation war für die einst so stolzen Töchter und die Gattin eines Gentleman mehr als demütigend. Aber was blieben ihnen sonst für Möglichkeiten? Sarah wollte die Familie unbedingt zusammenhalten. Wenn ihr Plan fehlschlug, wären sie und ihre Schwestern gezwungen, sich Stellungen als Gesellschafterinnen oder, schlimmer noch, als Gouvernanten zu suchen, wie der Anwalt es ihnen geraten hatte. Und wer würde sich dann um ihre kränkelnde Mutter kümmern?
Die hübsche Emily, die in der Familie am gewandtesten mit der Feder war, hatte Inserate verfasst und an Zeitungen in Bath und in London sowie an ein paar Blätter im weiteren Umland geschickt. Danach hatten sie ungeduldig auf Antworten gewartet. Sidmouth erfreute sich zwar zunehmender Beliebtheit unter Touristen, doch sie gingen davon aus, dass sie in erster Linie ältere Leute und Kranke beherbergen würden, die sich an der Südküste eine Verbesserung ihres Gesundheitszustands erhofften.
Das erste Schreiben, das sie erhielten, war jedoch ein zorniger Brief von einem Major Hutton, der erst kürzlich in das Westmount-Anwesen direkt neben ihnen eingezogen war. Er hatte gehört, dass sie Sea View für Gäste öffnen wollten, und war alles andere als glücklich darüber, dass sich Fremde in nächster Nähe zu seinem privaten Wohnsitzes aufhalten würden. Er drohte sogar mit seinem Anwalt, falls einer ihrer Gäste je seinen Grund und Boden betreten sollte. Sarah hoffte sehr, dass es nicht dazu kommen würde. Kostspielige Rechtsstreitigkeiten konnten sie nun wirklich nicht gebrauchen. Sie hatte dem Major einen freundlichen Besuch abstatten wollen, doch der Diener, der an die Tür gekommen war, hatte ihr gesagt, dass sein Herr sich nicht wohlfühle und keinen Besuch empfange. Mit dem Bild eines alternden Griesgrams vor Augen, der an irgendwelchen Kriegsverletzungen laborierte, hatte sie es daraufhin bei einer höflichen Antwort bewenden lassen, in der sie versprach, dass ihre Gäste die Grundstücksgrenzen achten und sie alle ihm so wenig Umstände wie möglich bereiten würden.
Wenn sie denn jemals Gäste haben würden, denen sie eine solche Rücksicht ans Herz legen mussten .
Zu ihrem Erstaunen kam die erste Zimmerreservierung von einem Mr Callum Henshall aus Kirkcaldy, Schottland, der mit seiner Tochter kommen wollte. Emily versicherte ihr, dass sie so hoch im Norden keinerlei Anzeige aufgegeben hatte, deshalb war ihnen allen völlig unklar, wie der Mann von Sea View erfahren hatte.
Sarah betete insgeheim, dass ihre ersten Gäste nicht allzu anspruchsvoll sein würden. Sie und ihre Schwestern hatten noch so wenig Erfahrung! Wie Miss Stirling gesagt hatte, hatten sie zwar früher häufig Gäste auch in großer Zahl gehabt, doch das waren keine zahlenden Kunden gewesen. Außerdem hatten damals noch viele Dienstboten einen Großteil der Arbeit übernommen.
Sie hoffte sehr, dass es ihnen trotz aller Unvollkommenheiten gelingen würde, ihre Gäste zufriedenzustellen und sich einen guten Ruf zu erwerben, um weitere Gäste zu gewinnen.
Bitte, Gott, steh uns bei.
Die zweiundzwanzigjährige Emily Summers sog tief die frische, belebende Luft ein. Es war ihr letzter freier Tag, bevor die ersten Gäste eintrafen, und sie war entschlossen, ihn in vollen Zügen zu genießen. Sie stand oben auf dem Salcombe Hill und blickte über die Büsche und windzerzausten Bäume auf das unter ihr liegende Sidmouth.
Sidmouth, ihr neues Zuhause - ob es ihr nun gefiel oder nicht. Sie lebten jetzt seit über sechs Monaten hier, doch für sie fühlte es sich noch immer nicht wie ein Zuhause an. Ob es das je werden würde?
Sie vermisste ihr früheres Heim - Finderlay, in der Nähe von May Hill, Gloucestershire, doch der Blick, der sich ihr hier bot, war überaus lieblich, das musste sie zugeben. Sie überlegte, was Charles wohl zu dieser Gegend sagen würde. Würde ihm bewusst werden, wie sehr er sie vermisste, würde er seine Meinung ändern und zu Besuch kommen? Sie hätte sich nicht so sehr gegen ihren Umzug hierher gewehrt, hätte er nicht bedeutet, Charles zu verlassen und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit ihm aufzugeben.
Georgiana stand ein paar Meter entfernt und warf ein Stöckchen für einen zotteligen Terrier, einen Streuner namens Chips, der ihr nachlief, wann immer sie das Haus verließ. Georgiana wollte ihren letzten freien Tag mit einer Freundin verbringen, hatte sich aber bereit erklärt, zuerst einen langen Spaziergang mit Emily zu machen. Sarah war zu beschäftigt und Viola hatte abgelehnt, sie wollte bei Mama im Haus bleiben.
Mama hatte versucht, sie zu dem Spaziergang zu überreden, doch es war nur ein halbherziger Versuch gewesen. Es war immer dasselbe. Viola tat, was Viola wollte - und nur sehr wenig, was sie nicht wollte. Und wegen ihres . Zustands . übte niemand aus der Familie allzu viel Druck auf sie aus.
Bei der Vorbereitung auf ihren Umzug hatte Emily alles gelesen, was sie über diese Gegend finden konnte, und den Rest wusste sie von ihren vielen Spaziergängen. Sidmouth war an der Mündung des Flusses Sid gelegen, der hier in den Ärmelkanal floss. Das Tal, in dem die Stadt lag, wurde im Westen vom Peak Hill, dessen schroffe Klippen sandsteinrot schimmerten, und im Osten vom Salcombe Hill, auf dem sie gerade standen, begrenzt.
Unter ihr verlief die Strandpromenade, gesäumt von Einrichtungen für die Kurgäste wie dem York Hotel, mehreren Pensionen, medizinischen Badeanstalten und schließlich ihrem allerliebsten Geschäft: Wallis' Buchhandlung.
Hinter diesen Gebäuden führten schmale Sträßchen in die Stadtmitte. Dort gab es strohgedeckte Cottages, etliche kleine Läden, die Markthalle und die Kirche mit ihrem quadratischen, mit Zinnen versehenen Turm.
Östlich vor der Stadt erstreckte sich eine weite, grasbewachsene Fläche, die für Rasenbowling und Kricketspiele genutzt wurde.
Auf der anderen Seite der Grünfläche konnte man ihr Haus erkennen, eines von drei großen, frei stehenden Anwesen. Ihr Vater hatte es vor zwei Jahren als Ferienhaus gekauft, in der Hoffnung, dass die berühmte Seeluft von Sidmouth Mama guttun würde. Doch dann war er nach nur einem einzigen Aufenthalt hier gestorben.
Der Wind blies Emily eine schwarze Haarsträhne in die Augen und behinderte ihre Sicht. Sie wollte sie zurückstreichen und spürte dabei Tränen auf ihren Wangen. Seufzend wischte sie Strähne und Tränen fort. Es wurde Zeit zurückzugehen.
Die beiden Schwestern stiegen den Salcombe Hill hinunter. Auf der Straße traten sie zur Seite, um ein Bauernfuhrwerk vorbeizulassen. Dann überquerten sie auf der Holzbrücke an der Mühle den Fluss, winkten dem Müller zu und gingen die High Street hinauf in die Stadt.
Beim Laden des...
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