Schweitzer Fachinformationen
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K. Klas
In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, ob für jede pflegerische Handlung auch eine Pflegediagnose gestellt werden muss bzw. sollte. Weiters wird thematisiert, wann die Erstellung eines Pflegeplans im Akutpflegesetting sinnvoll ist und wann mittels anderer Tools gearbeitet werden kann.
Im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) ist definiert, dass Pflegepersonen des gehobenen Dienstes verpflichtet sind, nach dem Pflegeprozess zu handeln.
In § 5 des GuKG - Pflegedokumentation ist unter Ziffer (1) angeführt, dass alle gesundheits- und krankenpflegerisch gesetzten Maßnahmen zu dokumentieren sind. Ziffer (2) weist diese zu dokumentierenden Handlungen genau aus: Pflegeanamnese, Pflegediagnose, Pflegeplanung und Pflegemaßnahmen.
In § 14 des GuKG - pflegerische Kernkompetenzen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege, also der Bereich, in dem eine DGKP (diplomierte Pflegeperson des gehobenen Dienstes) eigenverantwortlich und selbstständig tätig werden darf, wird unter Ziffer (1) der eigenverantwortliche Bereich der Pflege dargelegt. Er beinhaltet die eigenverantwortliche Erhebung des Pflegebedarfs, die Beurteilung der Pflegeabhängigkeit, die Diagnostik, Planung, Organisation, Durchführung, Kontrolle und Evaluation aller pflegerischen Maßnahmen (kurz: den Einsatz des Pflegeprozesses) in allen Versorgungsformen und -stufen. Unter Ziffer (2) werden dann die pflegerischen Kernkompetenzen wie folgt dargelegt:
1.Gesamtverantwortung für den Pflegeprozess;
2.Planung und Durchführung von Pflegeinterventionen bzw. -maßnahmen;
3.Unterstützung und Förderung der Aktivitäten des täglichen Lebens;
4.Beobachtung und Überwachung des Gesundheitszustandes;
5.theorie- und konzeptgeleitete Gesprächsführung und Kommunikation;
6.Beratung zur Gesundheits- und Krankenpflege sowie die Organisation und Durchführung von Schulungen;
7.Förderung der Gesundheitskompetenz, Gesundheitsförderung und Prävention;
8.Erstellen von Pflegegutachten;
9.Delegation, Subdelegation und Aufsicht entsprechend dem Komplexitäts-, Stabilitäts- und Spezialisierungsgrad der Pflegesituation;
10.Anleitung und Überwachung von Unterstützungskräften sowie Anleitung, Unterweisung und begleitende Kontrolle von Personen gemäß §§ 3a bis 3d;
11.Anleitung, Begleitung und Beurteilung von Auszubildenden;
12.ethisches, evidenz- und forschungsbasiertes Handeln einschließlich Wissensmanagement;
13.Weiterentwicklung der beruflichen Handlungskompetenz;
14.Mitwirkung an fachspezifischen Forschungsprojekten und Umsetzung von fachspezifischen Forschungsergebnissen;
15.Anwendung komplementärer Pflegemethoden;
16.Mitwirkung im Rahmen von Qualitäts- und Risikomanagement;
17.psychosoziale Betreuung in der Gesundheits- und Krankenpflege.
Bereiche, die in den § 15 des GuKG fallen, sind hier nicht relevant. Also ist zu hinterfragen, ob diese Tätigkeiten in den Pflegeprozess integriert werden müssen oder sollten, und zwar deshalb, weil Pflegepersonen in diesen Bereichen nicht eigenverantwortlich tätig werden dürfen, sondern nur auf Delegation eines Arztes/einer Ärztin. Sprechen wir hier also noch von Pflegetätigkeiten im Sinne der österreichischen Gesetzgebung?
Aus Sicht der Autorin muss nicht für jede Tätigkeit, die von einer Pflegeperson durchgeführt wird, immer auch eine Pflegediagnose gestellt werden, vor allem wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die in den § 15 des GuKG fallen. Betrachtet man die Pflegediagnosen lt. NANDA I, lassen sich aber für viele dieser Tätigkeiten passende Pflegediagnosen finden. Dies liegt daran, dass in der NANDA-Klassifikation die amerikanischen Rahmenbedingungen abgedeckt werden, in denen die RN (= registered nurse) einen weit umfangreicheren eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich hat als eine DGKP derzeit in Österreich. Im Akutpflegesetting werden gegenwärtig aber gerade für Tätigkeiten, die in den § 15 fallen, die meisten Pflegediagnosen gestellt. Warum dies der Fall sein könnte, wird in den nachfolgenden Kapiteln thematisiert.
Der Pflegeprozess und seine Dokumentation dienen aber nicht nur der Erfüllung der gesetzlichen Pflichten, sondern stellen die beruflichen Leistungen von Pflegenden dar. Weiters ist die Pflegedokumentation ein Handwerkszeug für eine systematische, vergleichbare und zielorientierte professionelle Pflege, die auf der Basis des neuesten Wissensstandes arbeitet. Letztendlich soll damit sichergestellt werden, dass die Patient*innen durch Anwendung und Einsatz des Pflegeprozesses pflegerisch bestmöglich versorgt werden.
Zum besseren Verständnis wird dies in einem erläuternden Fallbeispiel dargelegt.
Fallbeispiel
Ein 22-jähriger Mann kommt vier Wochen nach einem Sportunfall (Verletzung des lateralen Meniskus am linken Knie) am Tag vor der geplanten Arthroskopie (ASK) zur Aufnahme ins Krankenhaus. Der Aufenthalt wird für zwei bis drei Tage geplant. Der Patient erhält vor der Operation eine periphere venöse Verweilkanüle (PVK). Routinemäßig wird sehr häufig die Risikodiagnose "Infektionsgefahr" - Risk for infection (00004) gestellt. Hat das einen Sinn?
Sehen wir uns diesen Fall einmal genauer an. Bei elektiven Eingriffen, die mit sehr kurzen Krankenhausaufenthalten verbunden sind, werden in der Regel Patient*innen operiert, die ansonsten gesund sind; folglich ist das perioperative Risiko, eine Infektion zu bekommen, gering. Intraoperativ erhält der Patient meist eine einmalige Gabe eines Antibiotikum als Infektionsprophylaxe. Die PVK wird am Tag der Operation (OP) gelegt und am Tag nach der OP entfernt. PVK und die ASK-Wunden werden standardisiert laut einer Richtlinie oder eines Standards versorgt. Vorauszusetzen ist, dass hygienische Standards und Richtlinien konsequent eingehalten und befolgt werden. Es ist folglich nicht sinnvoll, die Diagnose "Infektionsrisiko" zu stellen, da die damit verbundenen Handlungen genau festgelegt, also standardisiert sind und nicht in den Bereich der pflegerischen Kernkompetenzen lt. § 14 GuKG fallen. Jede Person (z. B. DGKP, Mediziner*in), die am Handling mit der PVK beteiligt ist, muss sich an diese Standards/Richtlinien halten. Ebenso verhält es sich bei der Versorgung der ASK-Wunden. Die Versorgung der PVK und der Wunden kann also wie folgt dokumentiert werden: "PVK lt. Standard XY/Richtlinie XY versorgt. PVK und Wunden zeigen sich frei von Entzündungszeichen. Funktion der PVK aufrecht/erhalten." Verändert sich etwas, zeigen sich z. B. Zeichen einer Infektion, dann muss gehandelt werden. Im Falle der PVK wäre dies die Entfernung und eventuell Neuanlage (falls noch i. v. Therapie erforderlich wäre). Im Falle der ASK-Wunden müsste der behandelnde Arzt/die Ärztin informiert werden, die dann das weitere Prozedere vorgibt (z. B. Anlegen einer Wunddokumentation, Antibiotikagabe, Wundabstrich, spezielle Versorgung der Wunden).
Auch hier handelt es sich nicht um pflegerische Tätigkeiten lt. § 14 und es stellt sich die Frage, warum hier eine Pflegeplanung durchgeführt werden sollte.
Bei unserem Patienten mit sehr kurzer Aufenthaltsdauer im Krankenhaus steht im Vordergrund, dafür zu sorgen, dass der Betroffene sich mit der Wundversorgung, dem Verhalten daheim (z. B. Ernährung post OP, Körperpflege), dem Gehen mit Krücken und der Thromboseprophylaxe gut auskennt. All diese Bereiche fallen in den Bereich des § 14 GuKG (Beratung/Schulung/Anleitung), und die DGKP haben nur sehr wenig Zeit, um das Wissensdefizit des Patienten auszugleichen. Darauf sollte der Schwerpunkt gelegt werden, damit der Patient mit der zu verabreichenden Thromboseprophylaxespritze, der Wundversorgung, den MTPS (medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe) und dem Verhalten nach der OP daheim zurechtkommt. Die Pflegediagnose "Wissensdefizit" - deficient knowledge (00126) wäre hier deutlich besser geeignet, um all die notwendigen Informationen und Fertigkeiten für das Krankheitsmanagement zu vermitteln. Natürlich ist es hier wichtig - das wäre eine der ersten Pflegemaßnahmen -, zu ermitteln, wie viel der Patient über seine Situation bereits weiß und vor allem, ob das Wissen aktuell und korrekt ist. Bei dieser Diagnose kann die Infektionsgefahr ebenso thematisiert werden, aber sie deckt einen weit größeren Bereich ab.
Im vorangegangenen Beispiel wurden Begrifflichkeiten erwähnt, die der besseren Verständlichkeit wegen genauer beschrieben werden sollten. Gibt es festgelegte Standards/Richtlinien/Leitlinien oder SOPs zu bestimmten (Pflege-)Handlungen, so ist zu überdenken, ob diese Inhalte immer mittels einer Pflegediagnose abzudecken sind, weil dies sehr häufig Tätigkeiten betrifft, die in den § 15 des GuKG fallen und nicht in den eigenverantwortlichen Kompetenzbereich der Pflege lt. § 14 des GuKG. Für eine individuelle Planung der Maßnahmen ist hier kein Spielraum gegeben. Das Personal hat sich an die Vorgaben im Standard, der Richtlinie oder der SOP zu halten und diese gemäß den Vorgaben auch durchzuführen.
Pflegediagnosen zu stellen, hat...
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