Schweitzer Fachinformationen
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Die Fußgängerzone im Zentrum von Forshammar war glatt. Nicht wegen des Eises. Es lag an den Schneemassen, die in den letzten Monaten gefallen waren, und den vielen, schwerfällig stapfenden Füßen, die den Boden hart und glänzend gemacht hatten. Susanne Åkesson versuchte, sich mit Eleganz zu bewegen, obwohl sie auf ihren hochhackigen Stiefeln ins Rutschen geriet. Sie nickte den vorbeieilenden Gesichtern zu, dem ehemaligen Sportlehrer ihrer Söhne, einem Nachbarn, dessen Namen sie sich nie gemerkt hatte, und der unglückseligen Kosmetikerin, die Susannes Augenbrauen einmal so schlecht gefärbt hatte, dass sie ausgesehen hatte wie einer der Marx Brothers.
Am Einrichtungsladen, der noch nicht geöffnet hatte, blieb sie stehen und spiegelte sich in dem mit Kunstschnee dekorierten Schaufenster. Ihr neuer Mantel war vorteilhaft. Ein Gemisch aus Kaschmir und Wolle und ein Schnitt, der ihre Büste hob und den konturlosen Teil ihres Körpers verbarg.
Sie betrachtete die papiernen Weihnachtssterne, die im Laden hingen, die roten Kerzen und grünen Servietten und fragte sich, wie wohl die Geschäftsinhaberin Weihnachten verbrachte. Gerüchten zufolge hatte sie Mann und Kinder einer heißen Liebschaft wegen verlassen, und Susanne fand, dass schöne Einrichtungsgegenstände nicht halfen, wenn man von innen ein Müllhaufen war.
Sie wechselte die Straßenseite und stellte am Eingang zum Hochhaus ihre Tüten in den Schnee. Dann zog sie die Handschuhe aus und tippte den vierstelligen Code ein. Die lädierte Aluminiumtür, deren eingefasste Glasscheibe mit Aushängen zu Bridgeabenden und Nordic-Walking-Touren vollgeklebt war, glitt auf. Susanne stampfte die Schneereste von den Stiefeln und trat ein.
Innen war es still. Neben einem Eimer Sand, der laut Etikett früher Mayonnaise enthalten hatte, standen drei Rollatoren. Susanne fischte eine Weihnachtsmannmütze aus der Manteltasche, setzte sie auf und betrachtete sich in der Kamera ihre Handys. Durch den Schnee war die Wimperntusche verschmiert, und die Kälte ließ ihre Wangen rot leuchten, obwohl sie sorgfältig Foundation aufgetragen hatte. Sie befeuchtete einen Zeigefinger und rubbelte die Mascaraflecken weg. Dann rückte sie die Mütze so zurecht, dass man die Perlenohrringe sah, und versuchte, in die Kamera zu lächeln.
Sie wusste jetzt schon, wie ihre Mutter reagieren würde. Sie würde die Hände zusammenschlagen, ein paar Schritte zurückgehen und so lachen, dass ihre Zahnprothese komplett entblößt würde und sie wie ein junges Fohlen aussähe. Wahrscheinlich würde sie auch sagen, dass Susanne unglaublich sei.
Für mich brauchst du dir doch nicht solche Mühe zu geben. Du verwöhnst mich, Sussie.
Susanne steckte das Handy in die Tasche, betrat den Aufzug und hielt sich den Mantelärmel vor Mund und Nase. Das einzige Hochhaus von Forshammar wurde von Menschen bewohnt, die nicht mehr alle in der Lage waren, ihre Körperöffnungen zu kontrollieren, und vielleicht würde auch ihre Mutter demnächst dazugehören. Windel? Katheter? Künstlicher Darmausgang?
Zwischen dem fünften und dem sechsten Stock schüttelte Susanne diesen Gedanken wieder ab, verließ den Fahrstuhl und stand vor der Tür ihrer Mutter, der einzigen mit einem selbst gemachten Namensschild. Åkesson war unbeholfen in ein Stück lackierte Birke geschnitzt. Susanne erinnerte sich noch daran, dass sie eine Vier dafür bekommen hatte, der Handarbeitslehrer das Schild abfotografiert und das Bild in einen Ordner geklebt hatte.
Sie drückte auf die Klingel. Kurz darauf vernahm sie von innen ein Räuspern, dann Schritte und dass ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Als die Tür aufging, beugte sich Susanne vor und schaute mit ernster Miene durch den Spalt.
»Guten Morgen, Frau Åkesson.«
Ihre Mutter starrte sie verständnislos an, bevor sie die Tür wieder schloss. Susanne hörte sie mit der Sicherheitskette hantieren, dann öffnete sie erneut.
»Ich dachte, es sei wieder die Nachbarin. Diese Opernsängerin.«
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
Susanne betrat die Wohnung.
»Sie ist schrecklich«, erklärte ihre Mutter, während sie zusah, wie Susanne ihren Mantel aufhängte. »Sie klingelt dauernd, um sich irgendetwas auszuleihen, und sie schreit so laut, dass mir die Ohren wehtun. Sogar wenn ich im Schlafzimmer bin.«
»Aber jetzt ist sie ja nicht da«, sagte Susanne und setzte sich im Flur auf die Bank, wo sie ihre Stiefel auszog. Maj-Lis folgte ihren Bewegungen. Gleich würde sie die Weihnachtsmannmütze kommentieren, sagen, dass es schön sei, Susanne dazuhaben, oder wenigstens schimpfen, dass es Unsinn sei, in hochhackigen Stiefeln herumzurennen, sie solle sich lieber ordentliche Schuhe kaufen. Aber ihre Mutter sagte nichts. Schweigend stand sie da, die Strickjacke fest um den Körper gewickelt, und blickte ernst drein.
Susanne richtete sich auf und zog ihre Bluse zurecht, zupfte an dem seidigen Stoff, der an ihrem Rücken klebte. Dann trug sie, gefolgt von ihrer Mutter, die Tüten in die Küche.
»Wunderst du dich nicht, dass ich hier bin?«, fragte Susanne, während sie drei beschlagene Plastikbeutel mit Safrangebäck auf die Arbeitsplatte legte. »Ich hatte die Idee, Lars mit einer Safranschnecke zum Frühstück zu überraschen, deshalb bin ich um fünf aufgestanden und habe einen Hefeteig angesetzt.«
Sie sah ihre Mutter an, wartete auf einen Kommentar. Aber Maj-Lis schwieg weiterhin, sagte nicht einmal etwas im Stil von Der frühe Vogel fängt den Wurm. Also fuhr Susanne fort.
»Aber Lars verträgt kein Gluten mehr, deshalb hat er keine Schnecke gegessen. Und da dachte ich, ich könnte stattdessen dir etwas Gutes tun, immerhin ist heute Sankt Lucia. Und schließlich kann ich nicht alles allein essen.«
Susanne erwartete, dass ihre Mutter nun lächeln, sie vielleicht sogar umarmen würde. Aber Maj-Lis starrte mit leerem Blick auf die Beutel, und erst jetzt fiel Susanne auf, dass sie unter der Strickjacke noch ihr Nachthemd trug. Außerdem hatte sie eine Jogginghose und Pantoffeln an, obwohl es bereits mitten am Vormittag war, und das kurze, dauergewellte Haar war zerzaust. Ihr Gesichtsausdruck wirkte anders als sonst, um ihren Mund lag ein trauriger Zug.
»Was ist los, Mama? Bist du gerade erst aufgestanden?«
Maj-Lis ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken.
»Ich habe heute Nacht so komisch geträumt. Überall war Wald, und plötzlich befand ich mich wieder in unserer Hütte, und alle Kinder wollten gleichzeitig etwas essen.«
Susanne legte die Einkaufsbeutel zusammen, öffnete den Putzschrank und stopfte sie zu den anderen leeren Tüten.
»Waren Tove und ich die Kinder, oder waren das die Kinder aus der Schule?«
»Das weiß ich doch nicht. Es war alles so chaotisch und laut.«
»Aber, sag mal. Bist du gerade erst aufgewacht? Es ist schon fast halb zehn.«
Susannes Mutter schaute sie verständnislos an.
»Bist du schon lange wach?«, fragte Susanne jetzt lauter. »Oder bist du erst vor Kurzem aufgestanden? Du trägst noch dein Nachthemd, Mama.«
Maj-Lis verzog das Gesicht.
»Was schreist du denn so.«
»Entschuldige! Ich dachte, du verstehst akustisch nicht, was ich sage.«
Susanne drehte sich zur Küchenarbeitsplatte um, wischte mit einem Lappen darüber und schrubbte Flecken von den Küchenschränken. In der Wohnung war es ungewöhnlich ruhig. Das Radio, das normalerweise auf den Lokalsender P4 eingestellt war und im Hintergrund lief, war ausgeschaltet. Genauso der Fernseher im Wohnzimmer.
»Soll ich nicht das Radio anmachen?«
Ihre Mutter antwortete nicht.
»Oder den Fernseher? Hast du den Lucia-Umzug heute Morgen verfolgt?«
»Warum sollte ich?«
Susanne lachte auf.
»Solange ich mich erinnern kann, hast du jedes Jahr den Umzug angeschaut.«
Maj-Lis schüttelte den Kopf. Susanne fand, dass sie alt wirkte. Ihre Haut war matt und aufgequollener als sonst.
Susanne hängte den Lappen über den Wasserhahn und griff nach der Kaffeekanne.
»Verstehst du, warum sie die Wege nicht mehr richtig freiräumen?«, fragte Maj-Lis. »An der Schule sind große Schneehaufen. Man kann nirgendwo sein Fahrrad abstellen.«
»Dann ist es ja gut, dass du nicht mehr Fahrrad fährst.«
»Ich vielleicht nicht, aber andere. Man muss sich doch fortbewegen können.«
»Möchtest du Kaffee? Ich nehme auf jeden Fall ein bisschen.«
Maj-Lis zuckte mit den Schultern, während Susanne die Kanne füllte, Kaffee abmaß und die Maschine startete. Bald ging das vertraute Rauschen in ein leises Röcheln über.
»Du wirkst müde«, sagte sie, während sie einen der Küchenschränke öffnete und nach Geschirr suchte. »Vielleicht solltest du ein bisschen raus an die frische Luft gehen. Ich habe unten gelesen, dass Nordic Walking angeboten wird. Wäre das etwas für dich? Dann hättest du auch ein bisschen Gesellschaft.«
Maj-Lis gähnte, und Susanne stellte zwei Tassen und zwei Teller mit einem grünen Blumenmuster auf den Tisch. Dann befühlte sie mit dem Finger ein weihnachtliches Gesteck, das sie selbst gemacht und ihrer Mutter zum ersten Advent geschenkt hatte. Moos, Hyazinthen und kleine Plastikpilze in einem Korb. Sie füllte die Gießkanne, die auf dem Fenstersims stand.
»Bald werden die Hyazinthen blau blühen«, sagte sie und goss das Gesteck. »Siehst du das? Dann wird es hier nach Weihnachten duften.«
Ihre Mutter riss den Blick vom Fenster.
»Lass das. Du brauchst hier nicht herumzuwerkeln. Das kann ich nachher selbst...
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