Nikolaus Klammer, Büchermensch - Kaltnadelradierung, 1996
WAS ICH GERADE MACHE
ich schreibe ein buch/
in dem ich beschreibe/
wie ich das buch/
das ich schreibe/
schreibe/
indem ich beschreibe/
wie ich das buch/
das ich schreibe/
beschreibe/
wie ich das buch/
das ich beschreibe/
schreibe/
schreibe/
beschreibe/
kurz gesagt : nichts neues/
und das nicht einmal gut.
2. KAPITEL
ÜBER LITERATUR
MEIN LEID MIT DER LYRIK
Eine erschöpfte Träne der Schattenblume deiner Gedanken bittert meine schlaflose Nacht. Eine Gedankenblume meiner erschöpften Nacht tränt den Schatten deiner schlaflosen Bitternis. Meine bitteren Nachtgedanken beschatten eine schlaflose Träne deiner blumenen Erschöpfung. Deine losen Schatten erschöpfen die Gedankentränen meiner schlafverbitterten Blumennacht. Nächtens denkst Du mit einer losen Träne die erschöpften Traumblumen meines bitteren Schlafes. Eine schlaflose Tränennacht gedenken die bitteren Schatten meines Traumes deiner erschöpften Blumen. Schattene Gedanken einer bitteren Blume schöpfen in den Tränen einer Nacht des Traumes Schlaflosigkeit. Schlaflose Blumen träumen im Schatten der tränenden Nacht voller Erschöpfung Gedanken der Bitternis. Blumiger Schlafbitter träumschattet tränengedanken nachtlose Erschöpflosigkeit. Traumblumige tränenverschlafene gedankenschöpfende schattenlose Bitternis. Tränenbittere schattenschöpfende traumgedankenlose Schlafblumenschöpfungsnacht.
Auszug aus: »Ein kleines Licht«, Kurzroman
Als regelmäßiger Leser meiner literarischen und anderweitigen Ergüsse hast du vielleicht bemerkt, dass ich nur selten und wenn dann gut abgelagerte Gedichtzeilen veröffentliche. Ich habe diese meist meinem »Berlin-Zyklus« entnommen, den ich in der unteren Schublade meines Textarchivs fand, wo ich ihn unter einer Vielzahl von inzwischen vergilbten Romananfängen hervorzog, vorsichtig entstaubte und anschließend mit ein paar passenden Fotografien in meinen Blog einstellte. Denn ich schreibe schon lange keine Gedichte mehr.
Ohne mein Blog-Projekt wäre der Berliner Lyrik-Zyklus wahrscheinlich in meinem Manuskript-Mausoleum verschimmelt und von meinen achselzuckenden Erben im Papiermüll entsorgt worden. Das wäre vielleicht nicht die schlechteste Lösung gewesen. Nun stehen die Strophen aber im Internet, wurden von Suchmaschinen katalogisiert und sind dadurch unsterblich. Ist das jetzt beruhigend oder beunruhigend? Heute kann keiner mehr Geschriebenes vernichten, kein Pogrom kann sie aus der Welt schaffen, dieses viel gescholtene neue Medium vervielfältigt und konserviert, übergibt die Texte der 'Ewigkeit' - auch wenn sie niemand dort jemals lesen wird.
Die Berlin-Lyrik entstand im Februar 1987 anlässlich eines Besuchs zum 90. Geburtstag meines Großvaters. Über ihn habe ich bereits oben ausführlich berichtet. Es waren die letzten Gedichte, die ich schrieb. Danach brachte ich nur noch Prosa aufs Papier und habe mich nie wieder als Lyriker versucht. Es sei denn, ich benötigte ein paar lyrischen Zeilen in einer Geschichte wie z. B. in dem Kurzroman »Ein kleines Licht«. Ich war damals, 1987, - und es war tatsächlich eine andere Zeit -, eben vierundzwanzig geworden, wollte bald heiraten, hatte mithilfe meines ersten Romans »Das Spiel« eine heftige Schreib- und Lebenskrise überwunden bzw. bewältigt und entwickelte schneller Ideen für Texte, als ich sie aufschreiben konnte. Von dieser enorm schöpferischen Phase zehre ich zum Teil noch heute. Daher fühle ich mich beim Posten dieser von jeder Gedichttheorie unberührten - in der Hauptsache von Celan, Fried und Rose Ausländer beeinflussten Strophen - schon ein wenig wie ein Schwindler, der sich für einen anderen ausgibt. Auch wenn dieser Andere nur mein eigenes in der Vergangenheit verlorenes ICH ist, schmücke ich mich mit Lorbeeren, die mir im eigentlichen Sinn nicht zustehen. Denn mein lyrisches Ich gibt es nicht mehr, es ging irgendwann kurz nach dem Berlin-Zyklus verloren.
Wenn ich nun schon beim Gestehen bin: Das Posten meiner Lyrik auf dem Blog war auch noch aus einem anderen Grund zweifelhaft: Ich habe heute keinen Bezug mehr zur Dichtkunst, sie ist mir fern. Ich lese sie nicht und zweifle grundsätzlich an ihrer Existenzberechtigung in der Moderne. Sie zählt für mich zu den aussterbenden oder schon toten Literaturformen wie der Heldenepos, das Hörspiel oder der Briefroman - vielleicht sogar der Roman selbst. Wenn ich durch das Internet und die Seiten meiner Blog-Kollegen bummle, habe ich zwar oft den Eindruck, es entstünde mehr Lyrik als Prosa, aber ich denke trotzdem, dass nur mehr eine Nische bedient wird, Lyriker für Lyriker schreiben. So fangen viele an.
Ich glaube auch nicht an das Funktionieren von politischen Gedichten: Dichtung ist für mich in erster Linie die Wiedergabe eines Gefühls, einer Empfindung. Sie spricht direkt die Seele des Hörers an und setzt sie in Schwingungen wie die Musik, mit der sie wesentlich verwandter ist als mit der Prosa. Wie ein Theaterstück gehört auch ein Gedicht fürs Publikum vorgetragen, um seine Melodie erfahrbar, erfühlbar zu machen; eine lyrische Strophe in einem Buch oder auf einem Monitor bleibt ebenso verborgen und seelenlos wie ein Lied, wenn ich es nur auf dem Notenblatt sehe. Nun sind aber jene Emotionen, die mir der Dichter mit der Kraft seiner Worte mitteilt, im Zeitalter des Massenmenschen und der alltäglichen Berieselung durch die Medien beliebig austauschbar, stumpf und häufig ein geradezu peinliches Klischee geworden. »Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.« (Karl Valentin). Für mich persönlich bin ich deshalb zu dem Entschluss gekommen, dass ich darauf verzichte, mit den gleichen Wörtern und Worten von Herzeleid und -freud zu dichten wie tausende vor mir. Ich denke, dem Gedicht kann heute nichts mehr hinzugefügt werden, was nicht schon formuliert wurde und dies von besseren Dichtern als mir in einer besseren und endgültigeren Form, als ich es je zustande bringen würde.
Noch eine Anmerkung: Ich bin kein Dichter oder Philosoph und habe weder Literatur studiert noch eine eigene Theorie entwickelt. Ich haben keine neuen Ideen, ich popularisiere sie höchstens. Naiv gesagt: Ich schreibe ohne groß nachzudenken; einfach so gebe ich die Wirklichkeit durch das Sieb meiner Persönlichkeit weiter. Dann kommt die Kritik. Wir kennen es aus der Schule: Da wird so lange interpretiert, bis der Text ermordet wurde und anschließend wird auch noch Leichenfledderei betrieben. Dabei denke ich, dass Louis Begley recht hat: »Ein Buch will das sagen, was darin steht.« Nicht mehr, nicht weniger. Das gilt auch für Gedichte. Ich kenne verblüffende, einander widersprechende Interpretationen meiner eigenen Werke, die Dinge hineingeheimnissen, die ich nie in das Buch geschrieben hatte. Es geht mir ein wenig wie einem konkreten Maler: Irgendeiner sieht immer etwas Gegenständliches. Ich habe gelernt, dass ich ein Werk, wenn ich es der Öffentlichkeit übergeben habe, loslassen muss, dass es nicht mehr mein Eigentum ist. Kann es eine allein gültige, «richtige" Interpretation geben? Ist sie nicht zumindest dem Zeitgeschmack unterworfen?
Mir fällt da gerade Bruckner ein. Kann es - als letzte Frage - sein, dass ein Dichter dumm ist, sein Werk aber genial?
Zeitungsanzeige aus dem Jahr 1899
DER DICHTER ALS DENKER
I.
Ein philosophierender Freund, der manchmal ... na ja, eher selten ... ich bin ehrlich: fast nie meine Texte liest, hat mir recht glaubhaft dargelegt, dass Literatur - Kunst im Allgemeinen - nur dann wirklich wahr, schön und gut sei, wenn sie eine ausformulierte Theorie habe, sozusagen einen Unterbau, auf dem er das Gerüst seiner Imagination errichtet.
Das sehe ich etwas anders, denn ich denke, um die theoretische Tiefe und die gedankliche Tiefe der meisten Autoren (ich bin da nun wirklich keine Ausnahme) ist es nicht so gut bestellt: Ich kann entweder Philosoph oder Dichter sein - einen »schöngeistigen« Denker wie Nietzsche oder Kierkegaard gibt es heute nicht mehr. Ich glaube eher, man muss nicht einmal auf klassische Weise intelligent sein, um gut schreiben zu können. Wichtiger als der IQ ist die »soziale Intelligenz« des Schriftstellers; der Rest sein Handwerk. Er definiert die Welt nicht neu, sondern er popularisiert avantgardistische Ideen seiner Umgebung. Er ist nicht der revolutionäre Denker - er kennt nur welche, mit denen er sich ausgetauscht hat. Der Autor ist ein engmaschiges Sieb, durch das das Zeitgenössische gepresst wird; aus den Brocken, die hängenbleiben, schafft er dann sein Werk.
Wenn ich - trotzdem - jemals etwas Theoretisches über mein Werk geschrieben habe, dann ist es wahrscheinlich im folgenden Abschnitt meines Romans »Die Wahrheit über Jürgen« enthalten. Es ist eine Rede, die eine Künstlerin anlässlich einer Vernissage hält:
»Der Mensch durstet nach dem Bösen, ihn dürstet danach, schuldig zu werden, aber er wagt (oder vermag) es nicht, dem Bösen seine Seele zu verschreiben, er...