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Sie erlebte einen Moment der Klarheit, in welchem sie spürte, wie sich der Geist weigerte, ihren Körper zu verlassen.
Die junge Chinesin fühlte sich so unendlich müde. Sie war kaum noch imstande, die Augen weiter offen zu halten.
Xiangmei konnte die Wärme ihres eigenen Atems spüren, als sie den Kopf erschöpft auf der Matratze ablegte. Mit weit aufgerissenen Augen lag sie da und stierte apathisch in die Schwärze.
Seit Tagen hatte sie nichts mehr zu essen bekommen, und nun war es so weit. Der Zeitpunkt, den sie so schmerzhaft herbeigesehnt hatte, war gekommen. Der Gedanke ließ eine einzelne Träne über die schmutzige Wange laufen, hinterließ flüchtig das Gefühl von Wärme. Mit einem kurzen Ruck zog sie den Rotz zurück in die Nase. Unfreiwillig fing sie in der Finsternis an zu lächeln, und ein Gefühl der Dankbarkeit überkam sie. Dankbarkeit darüber, seiner kranken Fantasie nicht länger ausgeliefert zu sein. Dankbarkeit über den nahenden Tod. Nach alldem, was er ihr angetan hatte, und alldem, was er . Unfähig, dem Gedanken ein gutes Ende zu geben, drehte sich die junge Frau stöhnend vor Schmerz auf den Rücken, woraufhin die durchgelegene Matratze ein knatschendes Geräusch von sich gab. Noch im gleichen Augenblick bereute sie die unbedachte Bewegung. Reißend drang das spitze Ende der Feder tief in ihr Fleisch ein. Ruckartig krümmte sich ihr Rücken zu einem Bogen. Heiser keuchte sie auf, und klebrig warme Flüssigkeit quoll aus der entzündeten Wunde. Sie wollte schreien, aber sie besaß einfach nicht genügend Kraft. Der Schmerz brachte sie an den Rand dessen, was sie ertragen konnte.
Die Infektion war wie das Gift des Taipan durch ihre Adern gekrochen. Bis zu dem Punkt, wo der Wundbrand Halluzinationen hervorrief. So stark, dass sie zwischen Realität und Fiktion nicht mehr zu unterscheiden wusste.
Für Stunden lag sie dann da, am ganzen Körper zitternd, gefangen in der selbst entworfenen Hölle.
Nervös fuhr die junge Frau auf und lauschte. Da war es wieder. Nur dieses Mal nicht ganz so laut. Angestrengt versuchte sie, sich auf die Richtung zu konzentrieren, aus der die Geräusche kamen. Xiangmeis Puls begann zu rasen, und Angst stieg in ihr auf. Wenn sie kamen, dann über das Wasser. Meist in kleinen Gruppen, zu dritt oder zu viert. Schützend zog sie das gesunde Bein näher zu sich heran. Während das infizierte zu pochen anfing und ein fürchterliches Reißen einsetzte. Mehr aus Angst als vor Schmerz biss sie in den stinkenden Stoff. Sie durfte keine Schwäche zeigen. Dem Gegner nicht zeigen, wie verwundbar sie geworden war. Rotz lief ihr aus der Nase, den sie mit dem Handrücken achtlos wegwischte.
"All das hier ist nicht real", säuselte eine verführerische Frauenstimme an ihr Ohr.
"Hallo, ist da wer?", hörte sie sich selbst wie durch Watte.
"Für all das hier gibt es eine ganz einfache Erklärung."
Sie kannte die Stimme. "Oma Xiyué, bist du das?"
Ohne darauf einzugehen, sprach die Stimme im ruhigen Tonfall. "Kleine Xiangmei. Alles, was du tun musst, ist aufzuwachen." Raus aus diesem wahr gewordenen Albtraum. Wie oft hatte sie sich das gewünscht. "Tu es!", feuerte die Stimme sie an.
Mit fiebrig zitternder Hand suchte sie nach der Naht ihrer Jeans. Folgte ihr bis hinunter zu der aufgerissenen Stelle, da, wo der süßlich-faulige Geruch seinen Ursprung nahm. Aus dem Reißen im Fleisch wurde schnell ein glühender Schmerz, je mehr Druck sie auf die entzündete Wunde ausübte. Trotz der Grabeskälte, die sie umgab, fühlte sie deutlich die eitrige Hitze. Xiangmei holte hörbar tief Luft. Unter dem steigenden Druck der Kiefer fingen ihre Zähne an zu knirschen. "Nur ein Traum", flüsterte sie sich selbst zu. "Alles, was du tun musst, ist aufwachen." Wie in Trance fing sie mit brüchiger Stimme an zu zählen. "Drei, zwei", nur so würde sie ihr Leben zurückbekommen, "eins!" Wie der Stachel einer Hornisse bohrte sich der Finger tief in das nasse Fleisch. Während ein Farbenmeer aus Rot- und Gelbtönen auf ihrer Netzhaut explodierte, gellte ein markerschütternder Schrei durch die Schwärze des Raums. Noch nie hatte sie einen solch alles verzehrenden Schmerz erfahren. Das Gefühl, bei lebendigem Leib in Flammen zu stehen, brachte die Frau an den Rand der Ohnmacht.
Sie konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wie lange sie so dagelegen hatte, kurzatmig und mit einem Schweiß durchtränkten T-Shirt auf der Haut, das sich bei jedem Atemzug anfühlte wie ein seifiges Leichentuch. Sie wusste nicht, was schlimmer war. Die Erkenntnis, in diesem Albtraum noch immer gefangen zu sein, oder die Gewissheit, dass es für sie kein Entkommen gab. Wieder gellte ein Schrei durch die Dunkelheit. Die junge Frau schrie so laut sie nur konnte. Schrie aus Verzweiflung und gegen die Angst. Angst, immer noch da zu sein, wenn er zurückkam.
Schluchzend lag sie zusammengekrümmt da. Schaute mit wässrigen Augen anklagend in das Nichts. Was hatte sie ihm nur getan, dass er sie so sehr hasste? Rotz lief ihr aus der Nase, tropfte leidenschaftslos auf ihre Hand. Dass er sie mit Verachtung und Ignoranz strafte, während dieses Monster sich an ihr immer und immer wieder verg.? Sie schluchzte. "Warum tust du mir das an? Was habe ich dir nur getan, dass du mich so bestrafst?" In der Stille kam ihr jedes gesprochene Wort wie ein Schrei vor. "Lass mich doch gehen, bitte. Ich kann nicht mehr! Hörst du?" Weinerlich flehte sie um Erlösung, schmeckte, wie das salzige Wasser ihrer Tränen die spröden Lippen benetzte. Das Martyrium hatte sie inzwischen an den Rand der vollkommenen Erschöpfung gebracht.
Abrupt ließ sie ein Chor aus hochfrequentem Fiepen hochschrecken. Die Ratten schienen zu spüren, dass von ihr keine Gefahr mehr ausging. Schon seit Tagen hatte der verführerische Duft von reifem Fleisch die Nager mutiger werden lassen. Bisher konnte Xiangmei die Brut noch auf Abstand halten, aber auch das war nur noch eine Frage der Zeit.
Geschwächt schob sie ihren geschundenen Körper zum Kopfende. Obwohl sie es besser wusste, hoffte sie, so den scharfen Zähnen der Nager zu entkommen. Das Fiepen nahm an Erbarmungslosigkeit zu, steigerte sich bis zu einer animalischen Kakophonie aus Gier und Lust. Inbrünstig betete sie, dass der Teufel so viel Anstand besaß, zu warten, bis sie erlöst war. Mit letzter Kraft bäumte sie sich auf.
"Verschwindet, Teufelsbrut!", brüllte sie in Todesangst den Nagern weinerlich entgegen. Und plötzlich spürte sie, wie etwas auf das gesunde Bein sprang. Ohne darüber nachzudenken, packte sie den pelzigen Körper und drückte erbarmungslos zu, hörte den gequälten Laut einer Kreatur, die Todesqualen litt. Unter dem leisen Knacken der Wirbelsäule verstummte das Tier. Mit einem Mal kehrte Ruhe ein. Der Todesschrei des Artgenossen schien das übrige Rudel nachdenklich gestimmt zu haben. "So einfach werde ich es euch nicht machen. Da, ihr verfluchten Kreaturen", mit diesen Worten schleuderte sie den schlaffen Körper zurück in die Dunkelheit, aus der er gekommen war. "Noch lebe ich!"
Benommen und halb von Sinnen sackte die junge Frau in sich zusammen. Nicht weit von ihr hörte sie ein dünnes kratzendes Geräusch . wie Kreide auf einer Tafel.
Mit einem Mal spürte sie, wie ihre Augenlider schwer wurden. Zu Anfang war es mehr ein Flattern, das aber schnell in eine bleierne Müdigkeit überging. Sie versuchte, dagegen anzukämpfen. "Ruh dich ein wenig aus", flüsterte die Stimme auf die junge Frau ein. "Lass los." Die junge Frau glaubte zu spüren, wie sie ihr sanft über die Stirn streichelte, fühlte die wohltuende Wärme der alten Hand auf ihrer Haut.
Es war kein trauriges Schluchzen, das sie von sich gab, vielmehr überwältigten sie ihre Gefühle. Vor ihr tauchte aus dem Nebel der Erinnerungen das Haus ihrer Familie auf.
"Xiyué?" In diesem Moment konnte Xiangmei ihr Glück kaum fassen, und sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde vor Glück zerspringen. Die ganze Zeit über war sie nicht von ihrer Seite gewichen. "Oma Xiyué! Ich habe dich so sehr vermisst."
"Ach, Kindchen. Was machst du nur für Sachen?" Dann lachte die alte Frau gütig auf.
Auch Lao war da. Der kleine tollpatschige Lao. Der einzige Hund auf der großen weiten Welt, dessen Ohren gefühlt genauso lang waren wie seine tollpatschigen Pfoten. Gerade einmal so groß, dass er mühelos in einer Reisschale Platz fand. Jedoch mit einem Herzen, größer als das Reich der Mitte selbst. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie er an ihr hochgesprungen war. Wie aus dem Nichts saß er plötzlich da, der kleine Racker. Er kippte den pelzigen Kopf unmerklich zur Seite und schaute sie mit seinen Knopfaugen fragend an. So, als versuchte er zu verstehen. Xiangmei fühlte die kleinen tapsigen Pfoten, wie sie unsicher auf dem nassen T-Shirt nach Halt suchten. Spürte, wie sein kleiner dünner Schwanz aufgeregt umherpeitschte.
"Lass das, das kitzelt", lachte sie laut auf. Lao stupste auffordernd mit seiner feucht-warmen Schnauze gegen ihre Brust. "Gott, bist du dünn geworden. Ich spüre dich ja kaum noch." Gierig schnüffelnd tapste der kleine Vierbeiner flink über sie hinweg. Sie hätte schwören können, dass es auf einmal mehr als nur vier Pfoten waren, die da auf ihr Halt suchten.
Sie roch mit einem Mal den Duft von frisch geschlagenem Bambus. Zikaden zirpten in der aufgehenden Morgensonne. Die Frauen des Dorfes waren damit beschäftigt, junge Reisstecklinge in den Feldern auszubringen. Sie atmete tief ein, spürte, wie sich ihr Brustkorb wohltuend spannte. Als sie ausatmete, war sie endlich zu Hause.
Wie auf Kommando stürzten sich die Nager...
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