Schweitzer Fachinformationen
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Wie die Gesellschaft uns ausschließt
Das ständige Übergangen- und Außenvorgelassenwerden stört. Ja, es macht wütend. Dabei ist es Teil eines viel größeren Problems: nämlich eines gigantischen Generationenkonfliktes. Dieser Konflikt, der sich durch die Coronakrise nur noch verstärkt hat, wirft nicht nur für uns Junge, sondern für die Gesellschaft im Allgemeinen immense Probleme auf.
Dabei scheint es von den Zahlen her verständlich, ja sogar logisch, dass Ältere in beinahe allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens bevorzugt behandelt werden. Laut des Statistischen Bundesamtes hatte Deutschland im Jahr 2021 eine Bevölkerungszahl von 83,7 Millionen Einwohner*innen.[2] 18,5 Prozent von ihnen waren unter 20 Jahre alt, 24,4 Prozent zwischen 20 und 40. Währenddessen sind 27,7 Prozent zwischen 40 und 60, 22,0 Prozent zwischen 60 und 80 und 7,3 Prozent über 80 Jahre alt (Stand Juni 2022). Menschen unter 40 bilden somit eine klare gesellschaftliche Minderheit, die dazu aber auch noch unterrepräsentiert ist. Lag das Durchschnittsalter aller Fraktionen im Bundestag 2021 doch bei 47 Jahren. Wir fordern daher dringend, dass der Bundestag auch das Durchschnittsalter der Bevölkerung widerspiegelt! Noch schließt dieser jedoch nur Menschen ab mindestens 18 Jahren mit ein. Menschen unter 18 werden dadurch nur noch mehr benachteiligt.
Zusätzlich zu der institutionellen strukturellen Benachteiligung beschert der Generationenkonflikt vor allem der jungen Generation ein zunehmend schlechtes Image. Während die Pandemie immer neue Infektionszahlen mit Rekordhoch fabrizierte, war die Rede von jungen Partymachenden, die die Zahlen mit in die Höhe trieben. Dabei ist es nicht so, dass wir ständig Party machen, dass wir nichts anderes in unseren Köpfen haben. Während der diversen Lockdowns in den ersten anderthalb Jahren Pandemie war ich auf genau einer »Party«. Verbotenerweise waren es statt zweien drei Leute, die bei meinem damaligen Freund auf dem Sofa saßen, Popcorn aßen und zusammen eine Serie schauten. Das Ganze dann Party zu nennen, ist ja fast schon ironisch! Dabei waren wir drei in diesem so lange gemissten Moment einfach nur überglücklich, nicht alleine in unseren Zimmern sitzen zu müssen. Wir waren froh, mal für einen Abend nicht von der erdrückenden Einsamkeit heimgesucht zu werden, uns austauschen zu können und einander aufzumuntern. Und auch die Dinge, die mich sonst eher an meinen Freunden nerven - die Diskussionen übers Klettern und Segeln, bei denen ich nicht mitreden kann, zum Beispiel -, ließen diesen Augenblick so wirken, als ob alles ganz genauso wäre wie vor der Pandemie, und ich war daher unendlich froh, diesen mir fremden Themen zuhören zu dürfen. An diesem einen Abend war die Einsamkeit, die uns sonst durch den Lockdown begleitet hatte, ein wenig in den Hintergrund gerückt, doch erging es anderen, die sich konsistent an die Kontaktbeschränkungen hielten, deutlich schlechter. Unsere Generation kann geschlossen von diesem erdrückenden Gefühl der Einsamkeit berichten, auch weil wir uns an die Regeln gehalten haben. Während unsere Eltern - in der Firma oder im Homeoffice - ihren Jobs nachgingen, starteten wir mit Tablet oder Laptop allein in den Tag; manche am Kinderzimmer-Schreibtisch, manche aber auch vom Bett aus. Nicht jeder schaffte es, sich für den digitalen Schulalltag zu motivieren. Meine Fridays for Future-Ortsgruppe organisierte online Veranstaltungen, bei denen wir uns abends in Videochat-Räumen trafen und uns über unsere Sorgen und Ängste bezüglich der Pandemie und des Klimawandels austauschten, Livestreams auf Instagram schalteten, in denen wir unser übliches Demo-Programm vortrugen oder zukünftige Aktionen planten. Sonst waren wir freitags immer gemeinsam auf die Straße gegangen, jetzt vernetzten wir uns jede*r von seinem Zimmer aus. Diese Hundertachtzig-Grad-Wende zerrte an unserer aller Nerven, auch weil wir die für uns wichtigere Krise, die Klimakrise, hintenanstellen mussten, zum akuten Schutz der Gesellschaft, zum Schutz der älteren Generationen.
Gleichzeitig konnten die älteren Teile der Gesellschaft oft wie gewohnt ihrer Routine nachgehen. Wenn man richtig erwachsen ist, braucht man keinen öffentlich zugänglichen Ort, um sich mit Bekannten und Freund*innen zu treffen. Man hat ein Zuhause, das man nicht mit Eltern teilen muss, die mitbestimmen wollen, wen man nach Hause einlädt, und einen Arbeitsplatz, der völlig anderen Coronaregeln unterliegt als Uni und Schule.
Die Erwachsenen konnten in Ruhe zusammen alt sein, während uns Jüngeren ein Ort fehlte, um einfach gemeinsam jung sein zu können.
Schon vor der Pandemie hatten wir Jungen kaum eigene Orte und Räume, in denen wir uns ungestört treffen und feiern, zusammen arbeiten und uns für unsere Ideale und Werte einsetzen konnten. Durch die Coronakrise wurden uns nun allerdings auch wichtige Rituale genommen, die etwa den Abschluss einer Lebensphase oder den Beginn einer neuen markieren. An meiner Schule fand der allererste Abiball nach zwei Jahren Pandemie in der Sporthalle statt. Zwischen Basketball-AG und Volleyball-Training blieben ein paar hektische Minuten, in denen der Abschlussjahrgang kurze Reden halten, Bilder machen und sich von der Schulzeit verabschieden konnte. Länger durften sie die Halle nicht benutzen. Dabei sind solche Rituale für uns auch mit einer gewissen Euphorie und Nostalgie verbunden. Wir verabschieden uns von unseren ersten Freund*innen, den Lehrer*innen, die für uns zu Mentor*innen und Bezugspersonen geworden waren, und schließen gleichzeitig ab mit Kindheit und Jugend. Um sich von der Schulzeit richtig lösen zu können und einen sauberen Schnitt zwischen Jugend und Erwachsensein zu schaffen, braucht es Dinge wie Abiball und Zeugnisvergabe. Der Händedruck oder die ein oder andere Umarmung am letzten gemeinsamen Abend, darauf fiebert man schon Wochen vor dem Abiball hin. Und plötzlich duzt man seine Lehrer*innen auch, so haben es zumindest die Klassen vor uns berichtet. Im Ambiente des vorherigen Jahrgangs schien es sich allerdings kaum zu lohnen, ein besonderes Kleid oder anderes schickes Outfit zu tragen, Familie und Freund*innen einzuladen und gemeinsam das Erreichte zu feiern. Wer will schon im Abikleid durch die Turnhalle laufen und Bilder vor dem Basketballkorb machen? Das Ergebnis: Die, die dabei waren, fanden es deprimierend. Die Veranstaltung war nichts Halbes und nichts Ganzes. Chaotisch, hektisch, traurig irgendwie, nachdem die letzten Monate in der Schule dank Pandemie sowieso schon ungewohnt trostlos ausgesehen hatten.
In diesem Jahr waren nun ausgerechnet meine Freundesgruppe und ich mit der Aufgabe betraut worden, unseren Abiball zu planen und auszurichten. Aber auch diesmal war es nicht einfach, ein unvergessliches Fest möglich zu machen. Da keiner wusste, was der Sommer so bringt, und wegen der zahlreichen pandemiebedingten Personalausfälle in der Gastronomie hatten uns schon einige Eventlocations vereinbarte Termine wieder abgesagt. So mussten auch wir im dritten Coronajahr bangen, ob wir überhaupt würden feiern können, dass wir mit der Schule fertig waren.
In meinem Alter erlernt man einen großen Teil der sozialen Kompetenzen, die einen später durchs Leben bringen. Auch emotionale Kompetenz ist zumeist ein Produkt der Jugend. Für all das braucht es allerdings Begegnungen. Begegnungen, die die Pandemie uns in den letzten Jahren größtenteils verwehrt hat. Und damit meine ich nicht das Auslandsjahr in Australien oder das Praktikum in der Tierarztpraxis, sondern bereichernde zwischenmenschliche Begegnungen mit unterschiedlichsten Situationen und Menschen. Während viele große Betriebe so durchgearbeitet haben wie vor Corona, blieben die Schulen, Sportclubs und Theatergruppen geschlossen. Meine Freundinnen und Freunde konnten nicht im Sportverein Energie ablassen, meine Schwester ihre Kreativität nicht im Zeichenkurs ausleben. Ich hatte Bratschenunterricht von zu Hause aus, Laptop an Laptop mit schlechter Soundqualität. Das Orchester, in dem ich eigentlich spiele, durfte...
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