Schweitzer Fachinformationen
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EINE IRRITIERENDE WAHL, dieser riesige Laden im Financial District, also blieb ich draußen stehen, überprüfte Adresse und Namen des Restaurants, vielleicht hatte ich mich vertan. Dann entdeckte ich ihn an einem Tisch, ganz hinten im Raum. Mein Blick, gerahmt von meinem Gesicht, durchdrang die Schichten des Glases und der Spiegelungen. Ich beschloss zu verschwinden, gar nicht erst zu ihm hineinzugehen, und merkte, wie sich mein Magen Schritt für Schritt entkrampfte, ein wohliges Gefühl.
Da trat ein Mann aus dem Restaurant, er neigte den Kopf und hielt mir die Eingangstür auf, und diese Höflichkeitsgeste - eine Einladung oder Aufforderung - veranlasste mich einzutreten. Im Foyer war viel los, Gäste holten ihre Mäntel, sie drängten in den Gang zur Tür und ins Freie, ihr Ansturm warf mich kurz zurück. Dann lichtete sich die Menge, und ich konnte wieder quer durch den Raum blicken, er hatte sich über die Speisekarte gebeugt, studierte sie angespannt. Sein Tisch stand zwischen Küche und Toiletten, gefangen in einem ständigen Kommen und Gehen. Zwei Geschäftsmänner stießen dagegen, und er richtete sich gereizt auf, ich sah ihn tief durchatmen, als wollte er seine Gedanken sammeln oder ordnen.
Der Empfangskellner erkundigte sich nach meiner Reservierung. Ich erklärte, ich sei verabredet, und zeigte auf den jungen Mann hinten im Restaurant. Xavier. Dieser Empfangskellner, ging mir auf, hatte ihn vermutlich an dem ungastlichen Tisch platziert, und noch während ich hinzeigte, bemerkte ich seine Verblüffung. Sein Blick glitt von meinem Gesicht zu meinem Mantel, zum Schmuck. Es war vor allem mein Alter. Das war es, was ihn verwirrte. Er lächelte knapp und bat mich, ihm zu folgen. Dazu war ich in keiner Weise gezwungen, ich hätte einen Irrtum oder eine Verpflichtung vorschützen, kehrtmachen und mich hinausstehlen können. Nur schien es inzwischen zu spät zu sein, also folgte ich dem Empfangskellner durch das Gewirr der Tische, alle besetzt, ganz wie ich mich, der Höflichkeit gehorchend, von dem aufbrechenden Gast durch eine Geste hatte hineinbitten lassen. Ich fragte mich ein weiteres Mal, warum Xavier diese hektische Stunde und dieses überlaufene Restaurant ausgewählt hatte, wir hätten uns genauso gut an einem anderen, stilleren Ort auf einen Kaffee oder Drink treffen können, nachmittags oder morgens oder am frühen Abend. Der Lärm bedrängte mich, er ballte sich in meinem Kopf, ich konnte nur mit Mühe denken, kaum einen klaren Gedanken fassen.
Xavier blickte auf, als wir uns näherten. Er legte die Speisekarte weg und erhob sich, ich erinnerte mich, dass er ungewöhnlich groß war. Ich fühlte mich vorübergehend eingeschüchtert, schwer zu sagen, ob es an ihm lag oder an der Situation. Er lächelte und sagte, er habe sich gefragt, ob ich kommen würde, und die Hoffnung schon aufgeben wollen, aber da sei ich ja nun.
Der Empfangskellner war gegangen. Wir saßen uns am Tisch gegenüber, ich mit dem Rücken zur Wand. Xavier anschauend, schälte ich den Schal langsam von meinem Hals. Er lächelte noch, sein natürlicher Charme, sein Charisma waren mir schon bei der ersten Begegnung aufgefallen. Nur bemerkte ich jetzt, dass er zu freigiebig damit war. Er ahnte offenbar nicht, wie intensiv die Wirkung war, oder schien sich nicht im Klaren darüber zu sein, dass es in der Welt, in der er sich bewegte, noch weitere Menschen gab. Vor allem Letzteres zeugte davon, wie jung er noch war.
Ich legte den Schal ab, bat um Entschuldigung und erklärte, für gewöhnlich sei ich pünktlich. Er schüttelte den Kopf, viel zu beflissen, er sagte, eine Entschuldigung sei unnötig, er sei schlicht nervös gewesen, er habe schlicht befürchtet, ich könnte es mir doch noch anders überlegen, nur deshalb seien ihm derlei Gedanken gekommen, normalerweise hätte er eine fünfminütige Verspätung gar nicht bemerkt, er sei selbst gern spät dran.
Ein verlegenes Schweigen trat ein, dann begannen wir gleichzeitig zu sprechen - ich erkundigte mich nach seinem Unterricht, und er entschuldigte sich für sein Verhalten bei unserer letzten Begegnung. Mir ist bewusst, wie ich geklungen haben muss, sagte er. Du hast dich bestimmt gefragt, ob ich noch bei Trost bin, ob es einen Grund zur Beunruhigung gibt. Seine Worte ertränkten meine Frage, die Küste gewöhnlicher Konversation entrückte rasant. Er hatte mir das Wort abgeschnitten - nicht, weil er chauvinistisch gewesen wäre, das sicher nicht, sondern weil ihn etwas übermäßig stark drängte oder belastete, er sprach wie jemand, der keine Zeit zu verlieren hatte.
Ich schaute auf die Speisekarte und schlug vor zu bestellen, ich wollte möglichst rasch etwas essen und einen Drink nehmen. Er verstummte, beugte sich wieder über die Karte. Ich fragte, ob er sich schon entschieden habe, und er erklärte, er sei nicht besonders hungrig. Als der Kellner erschien, bestellte er dennoch Hamburger und Pommes frites, ein Kindermenü. Ich musste unwillkürlich lächeln. Ich wählte mein Gericht und bat den Kellner um einen Wodka Tonic, Mittag war vorüber, und ich sah keinen Grund, nicht zu trinken.
Sobald der Kellner weg war, sah ich Xavier an und erkundigte mich erneut nach seinem Unterricht. Ich war entschlossen, das Gespräch in neutralere Bahnen zu lenken, was ihn zu erbosen schien, ich sah ihm an, dass er diesen Mangel an Interesse als beleidigend empfand. Er blieb stumm und antwortete dann etwas mürrisch, sein Unterricht laufe prima. Prima, sagte er, mehr nicht. Ich hakte nach, wollte wissen, wer die Kurse leite, ich würde sicher manchen kennen, doch er schüttelte den Kopf und erwiderte, in diesem Semester habe er vor allem praktische Kurse belegt, sehr unwahrscheinlich, dass mir die Lehrenden bekannt seien.
Ich ließ mich nicht entmutigen. Mich interessiert, was du gerade lernst, sagte ich. Welche Aufgaben du dir stellen willst. Wen du bewunderst.
Ich bewundere Murata, sagte er nach einer listigen Pause. Ich liebe seine Arbeit.
Ich nickte bedächtig.
Du hast ihn sicher gut gekannt.
Sehr flüchtig. Ich habe nur kurz mit ihm zusammengearbeitet, ein einziges Mal. Er ist bald danach gestorben. Außerdem gab es die Sprachbarriere. Ich habe eine phonetische Umschrift benutzt, wir haben mit Hilfe von Dolmetschern gearbeitet. Deshalb war es mit der Interaktion nicht weit her.
Und wie war er?
Er war brillant, sagte ich bedächtig. Mir war bewusst, dass Xavier mich eindringlich und viel zu erwartungsvoll ansah. Damals war er schon schwer krank, sagte ich. Er ermüdete rasch, und es kostete ihn unfassbar viel Willenskraft, die Produktion zu Ende zu bringen. Wir ahnten nicht, dass er Krebs hatte.
Splitterreden ist ein Meisterwerk.
Ja.
Ich habe es mir vor kurzem nochmal angeschaut. Du warst noch so jung.
War ich. Und nun sieh mich an.
Ich sagte das ein wenig kokett, vielleicht, um Xavier abzulenken, es behagte mir nicht, über Murata zu sprechen. Ich flirtete aus Gewohnheit, ein Impuls, der mit den Jahren schwächer geworden war, aber nach wie vor existierte. Ein Fehler, wie sich zeigte. Xavier neigte sich sofort zu mir hin, als witterte er eine offene Flanke. Ich lehnte mich zurück. Wie alle Frauen war auch ich Expertin darin gewesen, die Balance zwischen dem zu halten, was die Höflichkeit gebot, und dem, was die Erwartung verlangte. Und die Erwartung, das wusste ich sehr wohl, war eine Schuld, die am Ende auf die eine oder andere Art beglichen werden musste.
Xavier sagte mit leiser Stimme: Du solltest wissen, dass ich akzeptiere, was du gesagt hast. Er schien nach meinen Händen greifen zu wollen, presste seine Handflächen jedoch auf den Tisch, eine eigentümliche Haltung, die er zu lange beibehielt, eine sowohl unterwürfige als auch defensive Haltung. Ich wusste so gut wie nichts über die Person, die mir gegenübersaß, ich spürte Hitze aufwallen, als ich mich an die Leidenschaft erinnerte, mit der er damals im Theater zu mir gesprochen hatte, an die Mischung aus Widerwillen und Erregung, die sich in mir geregt hatte. Ich war Menschen gewohnt, die über...
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