Schweitzer Fachinformationen
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Cleveland, Ohio, Sommer 1980: Phoebe bereitet sich auf eine trostlose Zukunft vor. Die High School ist zu Ende und mit ihr auch die Illusion eines schönen Lebens. Doch plötzlich verändert sich etwas. Ehemalige Mitschülerinnen durchleben eine erschreckende Metamorphose: Ihre Fußabdrücke hinterlassen Pfützen aus schwarzem Wasser. Ihr Fleisch wird spröde, die Körper wandeln sich zu Glas und offenbaren metallische Knochen, die schnell verrosten. Das unheimliche Phänomen breitet sich aus und die deformierten Mädchen werden zur traurigen Sensation. Auch Phoebe ist dabei ihren Körper zu verlieren - in Vergangenheit wie auch Gegenwart . Packende Coming-of-Age-Geschichte, die in den USA für Furore sorgte und mit dem Bram-Stoker-Award ausgezeichnet wurde. Der große amerikanische Traum beginnt zu rosten.
ladiesofhorrorfiction.com: »Eine Geschichte, schön und erschreckend zugleich.«
hellnotes.com: »Ein bitteres Stück American Gothic.«
hellnotes.com: »Radioaktive Erzählkunst . Plutonisch. . Gwendolyn Kistes Roman ist ein phantasmagorisches Stück über den Niedergang des modernen Amerika.«
1
Betet für die Rostjungfern.
Selbst nach all diesen Jahren rauben mir diese Worte augenblicklich den Atem.
Auf der Straße in der Nähe des alten Stahlwerks erschauere ich, als ich das Graffiti auf dem bröckelnden Asphalt lese und wieder lese. Die rot gesprühten Buchstaben sind verblasst, aber die Zeit hat sie nicht völlig ausradiert, nicht so, wie sie sollte.
Stattdessen erwarten mich hier meine Erinnerungen, heißen mich willkommen.
Vor mir erheben sich ein verrosteter Maschendrahtzaun und dahinter die gigantischen Schornsteine, die den Himmel berühren. Aber die sehe ich gar nicht. Mein Blick bleibt an diesen Worten kleben.
Kein Segen, kein Gebet dieser Welt hätte den Mädchen helfen können.
Mein Atem dampft und die Dezemberkälte dringt bis tief in meine Knochen, setzt sich dort fest. Cleveland. Es ist noch genau so, wie ich es verließ: kalt wie ein gebrochenes Versprechen und ebenso grausam. Es ist eine Stadt, die sich an alles erinnert, selbst an jene Dinge, die besser vergessen wären.
Ich zittere in der Dunkelheit, trage mein gesamtes Leben in einer Reisetasche eng an mich gedrückt. Ich hätte meine Mutter von der Greyhound-Station in der Chester Avenue am anderen Ende der Stadt aus anrufen können, als ich vor einer halben Stunde ankam. Aber das habe ich nicht getan. Ich wollte zuerst hierherkommen, und zwar allein. Irgendwie hatte ich geglaubt, dass es etwas ändern würde, wenn ich diesen Ort nach all den Jahren wiedersah. Aber nun, da ich hier bin, fühle ich mich noch schlechter als zuvor.
Ich wende mich von dem Graffiti ab und betrachte die Überreste der Skyline. Das Stahlwerk liegt fast eine Meile vom Haus meiner Eltern entfernt. Das wird eine lange Meile werden, wenn der Wind seine dunklen Lügen über den See hinwegflüstert.
Ich schlage den Kragen meiner Jacke hoch. Wenn ich mich noch eine Weile länger draußen in der Kälte aufhalte, riskiere ich eine Lungenentzündung, und das geht gar nicht. Cleveland hat es damals nicht geschafft, mich umzubringen, und ich werde verdammt noch mal nicht zulassen, dass die Stadt mich gleich in der Nacht meiner Rückkehr ermordet.
Es ist noch nicht Mitternacht; meine Mutter würde mich immer noch abholen, wenn ich sie anriefe. Ich verziehe das Gesicht bei dem Gedanken. Hier stehe ich, 46 Jahre alt, und brauche immer noch eine Mitfahrgelegenheit. Für mich hat sich gar nichts verbessert, seit ich von hier weg bin. Ich bin älter geworden, weiser aber nicht.
Also mache ich mich allein auf den Weg, vorbei an all den Orten, die ich einst kannte.
Da ist die presbyterianische Kirche mit den Mauern voller Pockennarben, den fehlenden Dachschindeln und dem Buntglasfenster mit dem Riss mitten hindurch. Ich muss automatisch lächeln. Nach allem, was diese Kirchengemeinde uns angetan hat, ist dieser Verfall genau das, was die Kirche verdient.
Da ist der Eckladen, der früher 24 Stunden geöffnet hatte, stets Kaffee auf der Heizplatte und eine kleine goldene Klingel über der Tür, um jeden Kunden anzukündigen, der den Laden betrat oder verließ. Das gesamte Gebäude ist mit Brettern vernagelt, auch wenn man die alten Werbeplakate noch sehen kann, die aus den halb zerbrochenen Fenstern winken. Die Preise stimmen längst nicht mehr. Es ist 2008; Zigaretten kosten mindestens einen Dollar mehr als das, was dort steht. Der Laden muss schon vor zehn Jahren zugemacht haben, aber die Preise im Fenster sind geblieben. Gefangen zwischen den Zeiten. Gefangen, so wie ich.
Vorbei am Gerippe einer alten Telefonzelle von Bell Atlantic. Der Hörer ist schon lange nicht mehr da, aber ich bin mir fast sicher, dass ich ein Kichern aus dem Ende des abgerissenen Kabels knistern höre. Ich schüttle den Kopf und rede mir ein, dass es der Wind ist.
Ich bin jetzt nur noch einen Block entfernt, was bedeutet, dass ich es nicht länger vermeiden kann. Denton Street ist eine Sackgasse, daher führt der einzige Weg zu meinen Eltern an dem einen Haus vorbei, das ich nicht wiedersehen will.
Das Haus, in dem meine Cousine Jacqueline aufwuchs.
Ich senke den Kopf und blicke auf den Gehweg hinab, meine Stiefel schieben sich zwischen den gezackten Rissen im Zement vorwärts. Als ich näher komme, verspreche ich mir selbst drei Dinge.
Ich werde nicht hinaufschauen zu ihrem terrassierten Haus.
Ich werde mir nicht vorstellen, sie wäre dort drin, würde barfuß den Flur entlangtanzen, mit Schritten, die leiser als die eines Gespensts waren.
Ich werde nicht auf ihr Lachen lauschen, gläsern und süß wie ein Sommertag.
Ich werde nichts von alledem tun, werde ich nicht, werde ich nicht.
Aber es spielt gar keine Rolle. Als ich die Stufen zum Haus meiner Eltern erklimme, habe ich bereits alle drei Versprechen gebrochen.
Ich klopfe an die Tür meines Zuhauses, und meine Mutter macht auf.
»Wieso hast du mich nicht angerufen?« Sie seufzt mich an. »Ich hätte dich doch abgeholt, Phoebe.«
Ich erschrecke beim Klang meines eigenen Namens, hier an diesem Ort. Es fühlt sich an wie eine Spinne, die mir den Rücken hinaufkrabbelt. »Passt schon«, murmle ich. »Es war ja nicht so weit.«
Das ist nicht wahr, und wir wissen es beide, aber meine Mutter widerspricht mir nicht. Sie tut gar nichts. Sie kommt nicht auf mich zu, um mich zu umarmen, sie bittet mich auch nicht herein. Wir stehen einen Moment lang zu beiden Seiten der Schwelle, betrachten einander. Ihr Gesicht hat sich nicht so sehr verändert, wie es sollte. Es ist so lange her, und doch sieht sie immer noch aus wie meine Mutter. Ich frage mich, ob ich immer noch aussehe wie ihre Tochter.
Drinnen klingelt das Telefon, ein altmodisches Ding, das an der Wand befestigt und eingesteckt ist. Sie geht, um den Anruf anzunehmen, lässt die Tür dabei offen. Ich bleibe stehen, bin nicht sicher, was ich tun soll. Ich hätte nicht mehr von ihr erwarten sollen. Meine Mutter und ich waren nie groß darin, Zuneigung zu zeigen. Und das ist auch gut so. Der Gedanke, dass mich jetzt jemand anfassen könnte - hier in dieser Stadt, in dieser Straße -, verursacht mir eine solche Übelkeit, dass ich fast nicht mehr stehen kann.
Mit einem tiefen Atemzug husche ich ins Haus und lasse die Tür hinter mir einrasten.
»Danke«, höre ich sie in der Küche sagen. »Bitte sagen Sie ihm, dass ich ihn liebe.«
Der Hörer klappert auf die Gabel, und sie kehrt ins vordere Zimmer zurück, die Falten tiefer ins Gesicht gegraben als zuvor.
Ich frage nicht nach, wer dran gewesen ist. Das ist leicht zu erraten. Jemand vom Sweet-Evergreen-Pflegeheim zweifellos. Diese heiteren Namen für Orte, wo die Menschen zum Sterben hinziehen, habe ich schon immer verabscheut. Als würde es ausreichen, der letzten Zuflucht, dem letzten Willen meines Vaters einen optimistischen Namen zu geben, um ihn davor zu bewahren, dass sein Verstand in sich zusammenschrumpft. Ganz gleich wohin er geht oder was die Ärzte dort mit ihm anstellen, seine Vergangenheit wird ihm mit jedem Tag weiter entrissen, wie Treibholz in den vergessenen Untiefen des Lake Erie. Als ich das letzte Mal mit ihm am Telefon sprach, konnte er sich keinen Reim auf mich machen, erkannte nicht einmal die Stimme seines einzigen Kindes. Im Hintergrund schluchzte meine Mutter so heftig, dass sie ihm den Hörer nicht wegnehmen konnte, weswegen ich in der Endlosschleife seiner Fragen gefangen blieb.
»Wer ist da? Kenne ich Sie? Woher kommen Sie? Wer ist da?«
Ich war zu betäubt, um zu antworten. In der darauffolgenden Woche brachte meine Mutter ihn nach Sweet Evergreen, eine lange Fahrt hinüber auf die East Side von Cleveland. Und nun bin ich an seiner statt hier. Zurückgekehrt, um ihr zu helfen, das aufzuräumen, was von ihrer beider Leben übrig ist. Das war es mit den goldenen Jahren meiner Eltern.
»Es ist zu spät, um Essen zu bestellen«, stellt sie fest. »Aber im Kühlschrank ist noch Pizza.«
Ich schüttle den Kopf. »Ich habe keinen Hunger.«
Ich hätte mir gar nicht die Mühe machen müssen zu antworten, denn meine Mutter kehrt in die Küche zurück, wo sie zwei schleimige Stücke des gestrigen Abendessens aufwärmt und sie mir auf einem vergilbten Pappteller serviert. Ich setze mich an den wackligen Kartentisch in der Ecke und beklage mich nicht. Die Esszimmermöbel haben sich bereits in eine Lagereinheit verabschiedet, ebenso wie die Couch, auf der ich mich als Teenager jeden Sommer breitgemacht habe, und die Stereoanlage von Montgomery Ward, die ich so laut aufdrehte, dass Bob Seger beinahe die Boxen platzen ließ. Im Haus hallt ein Echo nach, wo einst meine Kindheit stattgefunden hat.
Nachdem ich zähen Käse und fettigen Teig hinuntergewürgt habe, sitzen wir schweigend beisammen. Es gäbe eine Menge zu bereden, aber es gibt keine Möglichkeit, durch die Schichten der Jahre zu dringen, um an das weiche Mark zu gelangen. Ganz sicher wollen wir nicht über sie reden, diese fünf Mädchen, die sogenannten Rostjungfern. Als meine Mutter den Teller in den Müll wirft, schleiche ich mich nach oben davon, in mein Zimmer. Ich rechne damit, dass es ebenfalls leer steht, aber ich habe mich geirrt. Alles ist noch genau so, wie ich es mit 18 verlassen habe, jeder staubige Nippes an seinem Platz. Von der hinteren Wand starrt mir ein Poster vom Weißen Hai entgegen. Die Klebstreifen an den Ecken lösen sich zwar, aber sonst ist das Ding intakt. Als ich 13 war, habe ich den Platzanweiser des alten Kinos an der Kamms Plaza mit meinem Taschengeld für den gesamten Monat...
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