Schweitzer Fachinformationen
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Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und es roch nach Herbst, Rauch und Erde. Theresa umklammerte ihren Koffer, sie wollte ihn nicht auf der feuchten, mit Laub bedeckten Treppenstufe abstellen. Die oberen Ecken der Haustür waren voller Spinnweben, wie jedes Jahr, wenn der Altweibersommer sich dem Ende zuneigte.
Das Haus war nicht besonders groß und lag in einer ruhigen Straße, die von Platanen gesäumt war. Das Gestein war kaum noch sichtbar, denn es war über und über mit Efeu überwuchert. Die Regentropfen perlten von den Blättern. Von jeher war das Haus für Theresa ein sicherer Hafen gewesen, ein Ort, an den man immer wieder zurückkommen konnte.
Auf dem Klingelschild, das neu beschriftet worden war, wie ihr schmerzlich auffiel, stand: Adelheid Rehberg. Sie holte tief Luft und läutete.
Nach einer Weile regte sich etwas im Inneren des Hauses, dann wurde die Tür geöffnet und eine Frau Mitte fünfzig blickte sie erstaunt an.
»Hallo . Was für eine Überraschung! Ich habe gar nicht mit dir gerechnet.«
Theresa biss sich auf die Lippen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Adelheid Rehberg, von allen nur Ada genannt, ließ den Blick zu dem großen Koffer schweifen. Dann zog sie Theresa zu sich heran und umarmte sie. Theresa schloss die Augen und atmete das vertraute, altmodische Parfum ihrer Mutter ein. Sie war so froh, endlich zu Hause zu sein.
»Komm erst mal herein, was stehst du denn da draußen im Regen herum. Warum hast du nicht angerufen und gesagt, dass du kommst? Du hast Glück, dass wir freitags früher Schluss machen und ich schon zu Hause bin«, sagte ihre Mutter, nahm ihr den Koffer aus der Hand und stellte ihn im Flur ab. »Mein Gott, ist der schwer - hast du dein ganzes Hab und Gut darin?«
Beinahe hätte Theresa bejaht, aber sie wollte ihre Mutter nicht gleich mit ihren Neuigkeiten überfallen.
»Komm in die Küche. Ich koche uns erst mal einen Kaffee. Du siehst durchgefroren aus.« Ada ging in die Küche voraus, in der sich seit Jahren nichts verändert hatte. Noch immer beherrschte der große runde Tisch mit den vier Holzstühlen den Raum. Hier hatten sie in ihrer Kindheit Mahlzeit um Mahlzeit eingenommen, alle vier Familienmitglieder zusammen. Es war tröstlich, sich auf ihren alten Platz zu setzen und dem Regen zuzuhören, der gegen die Fensterscheiben plätscherte. Es war ein trüber Nachmittag, und Ada machte Licht an, während sie sich um den Kaffee kümmerte.
Theresa betrachtete sie von hinten; ihre Mutter trug eine schwarze Hose und eine weiße Bluse, ihr Standard-Outfit für das Finanzamt, bei dem sie arbeitete. Der konservative Eindruck wurde von der blauen Strähne zunichte gemacht, die in ihr dunkles kurzes Haar gefärbt war. Theresa mochte die blauen Haare nicht besonders, aber sie verliehen ihrer Mutter etwas Rätselhaftes, hoben sie von anderen ab.
Ada stellte zwei dampfende Kaffeebecher auf den Tisch und setze sich ihr gegenüber.
»Nun erzähl mal«, forderte sie sie auf und musterte sie voller Besorgnis. »Du kommst doch nicht einfach ohne Grund an einem Freitagnachmittag mit einem riesigen Koffer und ohne Voranmeldung nach Hause geschneit. Was ist passiert?«
Theresa holte tief Luft. »Matthias hat mich verlassen und ich habe meinen Job verloren.«
Sie senkte den Blick und starrte in ihren Kaffeebecher. Trotzdem spürte sie die entsetzten Augen ihrer Mutter auf sich ruhen.
»Was?«
»Matthias hat gestern Abend mit mir Schluss gemacht, deshalb habe ich heute meine Sachen gepackt und bin hierhergekommen.« Ihre Stimme brachte nur ein Flüstern heraus.
»Aber was ist vorgefallen?«, fragte Ada besorgt.
Theresa hatte sich die Ärmel ihres dunkelgrünen Langarmshirts bis über die Hände gezogen und tupfte sich damit die Tränen weg, die ihr aus den Augen quollen. »Es ging einfach nicht mehr.«
Ihre Mutter schob sich ratlos ihre blaue Haarsträhne aus der Stirn. »Die Trennung ging von ihm aus, oder?«
Theresa nickte unglücklich.
»Hat er eine andere?«
»Nein .«
»Habt ihr gestritten?«
Theresa schüttelte den Kopf.
Ada seufzte. »Vielleicht sieht alles in ein paar Tagen wieder ganz anders aus. Vielleicht überdenkt er alles nochmal und merkt, dass er dich doch noch will. Was meinst du?«
»Das wird nicht passieren«, sagte Theresa mit Nachdruck.
»Und was ist mit deiner Arbeit?«, fragte Ada mit gerunzelter Stirn. »Es hatte doch so gut angefangen bei Schirmer&Söhne. Du warst doch fast am Ende deiner Probezeit.«
Theresa hatte nach Abschluss ihres BWL-Studiums als Treasurer in einem kleinen Unternehmen in Frankfurt, das Autoteile herstellte, gearbeitet. Sie hatte sich dort schnell eingelebt und wurde bald vom Seniorchef Wilhelm Schirmer und seinem Sohn Fridolin als zuverlässige Mitarbeiterin geschätzt.
»Sie waren doch immer so zufrieden mit dir«, fügte Ada eindringlich hinzu und zog Theresa die Hand vom Gesicht weg, um ihr in die Augen sehen zu können. »Das ändert sich doch nicht von einem Tag auf den anderen.«
»Es ist eben passiert«, murmelte Theresa, wich dem Blick ihrer Mutter aus und starrte aus dem Fenster, an dem Rinnsale von Regen herabliefen. »Irgendwann waren sie nicht mehr zufrieden mit mir.«
»Hast du Fehler bei der Arbeit gemacht? Hast du falsch kalkuliert? Haben sie durch dich Geld verloren?«
Ada war lauter geworden, man merkte ihr deutlich ihre Ungeduld an.
Doch Theresa schüttelte nur den Kopf. »Es tut mir leid, Mutti. Wirklich. Ich kann im Moment nicht drüber reden. Es geht nicht. Lass mir etwas Zeit.«
Milder gestimmt nahm ihre Mutter ihre Hand und streichelte sie zärtlich. »Na gut. Dann will ich dich nicht drängen. Du erzählst mir alles, wenn du dich in der Lage dazu fühlst.«
»Danke«, schniefte Theresa. »Kann ich eine Weile hierbleiben?«
Sie glaubte, ein leichtes Zögern wahrzunehmen, doch dann sagte Ada: »Natürlich. Du kannst dich wieder in deinem alten Zimmer einrichten. Was ist jetzt mit eurer Wohnung in Frankfurt?«
»Matthias wird weiterhin darin wohnen. Alleine.«
Theresa stand auf, stellte ihren leeren Kaffeebecher in die Spüle und nahm im Flur ihren Koffer. Als sie am Wohnzimmer vorbeikam, hielt sie einen Moment erschrocken inne. Es befand sich nur noch die kleine Samtcouch darin, die zwei Sessel waren verschwunden und hatten einem Crosstrainer und einem Rudergerät Platz gemacht.
»Was ist das?«
»Wonach sieht es denn aus?«, fragte Ada unwirsch.
»Hast du aus unserem Wohnzimmer einen . Fitnessraum gemacht?«
»Fitnessraum - nun übertreib mal nicht. Es steht immer noch die Couch da und fernsehen kann man auch noch. Ab und an gibt es eben Veränderungen im Leben.« Ein verletzlicher Zug lag um die Lippen ihrer Mutter. »Dein Vater ist vor einem Dreivierteljahr gestorben. Du und dein Bruder denkt wohl, ich würde jetzt nur noch mutterseelenallein in diesem Haus herumsitzen und Däumchen drehen. Aber das tue ich nicht. Man muss vorausschauen und sich andere Aufgaben suchen im Leben.«
»Ja, ich weiß«, murmelte Theresa. »Tut mir leid, so war das nicht gemeint.«
Beide blickten zu dem gerahmten Foto ihres Vaters, das auf dem Bücherregal neben dem Rudergerät stand. Theresa bemerkte aus dem Augenwinkel heraus, dass ihre Mutter rasch eine Träne wegblinzelte, bevor sie sich abwandte und in die Küche zurückging.
Eine enge Treppe mit weißgestrichenem Holzgeländer führte in die oberen Räume. In ihrem alten Kinderzimmer hatte sich nichts geändert. Es empfing sie mit den gelb gemusterten Vorhängen, die sie als Teenie selbst genäht hatte. Der Regen trommelte nun stärker gegen das Fenster, das den Blick auf einen Himmel mit zusammengebauschten grauen Wolken freigab.
Sie stellte ihren Koffer ab und sah sich um. Im Bücherregal standen ihre französischen Bücher, die sie für die Schule hatte lesen müssen - Molière, Camus, Gide, Voltaire, Stendhal und so weiter. Auch der Rest der Dekoration verriet, dass sie als junges Ding eine absolute Frankreichliebhaberin gewesen war. Über dem Bett hingen ein Poster vom nächtlichen Paris, eines vom Eiffelturm und eines von leuchtenden Lavendelfeldern in der Provence. Auf dem Regal stand ein Foto ihrer Brieffreundin Aurore aus La Rochelle, die sie mehrere Jahre hintereinander mit dem deutsch-französischen Schüleraustausch besucht hatte. Sie schloss die Augen, vergaß für einen Moment ihren Kummer und ließ ihre Gedanken zurückschweifen zu endlosen Feldern mit blühenden Sonnenblumen, duftenden Heuballen . Auf einem dieser Heuballen wurde sie vor zwölf Jahren in der Julihitze zum ersten Mal geküsst, von Nicolas, dem Bruder ihrer Austauschpartnerin. Noch heute erinnerte sie sich an den Geschmack seiner Lippen, er schmeckte nach der selbstgemachten Himbeerlimonade seiner Großmutter und ihren Zitronentartelettes.
Sie gab sich einen Ruck und kehrte fast gegen ihren Willen in die Gegenwart zurück. Das alles war lange her, heute war sie siebenundzwanzig Jahre alt, Nicolas hatte sie seit diesem letzten Sommer vor zwölf Jahren nie wieder gesehen, und überhaupt schien es ihr, als wäre dies alles mehr als ein ganzes Menschenleben her.
Sie öffnete ihren Koffer und ging ins angrenzende Bad, das sie während ihrer Jugend mit ihrem kleinen Bruder Friedrich geteilt hatte, um ihren Kulturbeutel auszupacken. Kurz sah sie in den Spiegel über dem Waschbecken, aber ihr Anblick gefiel ihr nicht. Ihre Haut war blass und fleckig vom Weinen, die grauen Augen rotgerändert, und die braunen, welligen Haare hingen ihr zerzaust um die Schultern.
Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und glättete ihre Haare mit den Händen so gut es ging. Zurück in ihrem Zimmer nahm sie ihre...
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