Schweitzer Fachinformationen
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»Du kannst nicht immer nur backen! Leg sofort dieses Kuchenepiliergerät weg!«
Mel kommt mit einem Schwung kalter Luft zur Hintertür herein und stampft mit den Schuhen, um den Schneematsch loszuwerden.
»Das ist ein Gitterschneider, du hohle Nuss«, sage ich lachend und halte den kleinen Roller hoch, mit dem ich gerade dem Teig für den Birnenstrudel ein schönes Muster verpasse.
»Würdest du dich mit derselben Hingabe den Stoppeln auf deinen Beinen widmen«, sagt sie und setzt sich auf die Arbeitsplatte, »würden nicht alle Männer vor dir davonlaufen.«
»Sie laufen weg, wenn sie merken, dass du kleiner Quälgeist im Paket mit enthalten bist«, schieße ich grinsend zurück.
Sie funkelt mich mit ihren blauen Augen amüsiert an und beißt in eine Birne.
»Hey, die sind für den Strudel!«, rufe ich.
»Schmecken mir eh nicht«, sie legt die angebissene Birne wieder zwischen die Packung mit feinem Zucker und die Eierschalen, »viel zu gesund.«
Sie fährt mit dem Finger am Rand der Teigschüssel entlang und leckt ihn ab.
»Schon besser!«, sagt sie grinsend.
Ich schlage ihr auf die Hand und muss gleichzeitig lachen. Mel treibt mich in den Wahnsinn. Und ich liebe sie wie verrückt. Was ja irgendwie auf dasselbe hinausläuft.
Für das, was wir beide sind, gibt es kein Wort. In unseren Adern fließt nicht das gleiche Blut, und doch sind wir enger verbunden als Freundinnen. Wie Schwestern, wie Splitter einer Seele in zwei Körpern. Sie ist der Mensch, der mich sogar dann versteht, wenn ich nichts sage.
»Mit dir zusammenzuwohnen ist, als hätte ich ein aufgedrehtes Kind.«
»Ist doch praktisch, dann kannst du schon mal für später üben«, entgegnet sie und streicht sich den Pony, in dem schmelzende Schneeflocken glitzern, aus dem Gesicht.
Sie ist auf eigenartige Weise schön. Ihre Attraktivität ist kantig, man muss sie sich erst erarbeiten, mit einem zweiten Blick.
Ich lächle nicht. Wann immer die Sprache auf Kinder kommt, sticht es an dieser einen Stelle in meiner Brust, zu der mein Verstand keinen Zugriff hat. Nur das Gefühl. Und dieses Gefühl muss ich dann schnell abschütteln. Es macht mich hilflos, dass ich es nicht einmal benennen kann.
Ich wende mich wortlos ab.
Mel weiß sofort, was los ist, und wechselt das Thema.
»Apropos später«, sagt sie und klopft mit dem Fingernagel auf ihre Armbanduhr, »ich muss dich hoffentlich nicht daran erinnern, dass heute Freitag ist?«
»Musst du nicht«, antworte ich, »ich hab mich ja extra hübsch gemacht.«
Ich deute auf meine fleckige Küchenschürze und meine Wangen, die mit Sicherheit voller Marmeladenschlieren und Mehlspuren sind. In der Backstube gibt es keinen Spiegel, und das ist mir schon oft zum Verhängnis geworden. Manchmal bediene ich stundenlang im Café, bis mich jemand höflich darauf hinweist, dass ich Schokoladentupfen am Kinn habe. Und wenn mich niemand darauf hinweist, merke ich es erst abends im Badezimmer. Dann rede ich mir ein, dass das eben zu meinem besonders authentischen Charme gehört, geniere mich aber trotzdem jedes Mal aufs Neue.
»Bezaubernd, wie du bist«, sagt Mel spöttisch, »ist es wirklich ein Rätsel, dass die Männer hier nicht jeden Tag Schlange stehen.«
Sie ist also offenbar doch noch nicht fertig mit dem Thema. Ich verdrehe die Augen. Mel greift an meine Nase und kratzt vorsichtig etwas ab. Vermutlich einen kleinen Teigbatzen.
»Wieso sprichst du heute ständig vom Kinderkriegen und Heiraten?«, frage ich schnippisch. »Spürst du deine Eierstöcke schrumpeln?«
Sie macht den Mund auf, und in diesem Moment, in dem sie nicht antwortet, ist es sehr still. Sie schweigt und lächelt, und in ihren Augen sehe ich, was sie denkt. Dass wir irgendwann ernsthaft darüber reden müssen. Aber nicht jetzt. Ich lächle zurück, dann wende ich mich ab und lege das Teiggitter auf eine Platte mit Backpapier. Ich schiebe es in die Kühlung, wo bereits der Mürbeteig für die Zitronentartelettes, das Lemon Curd und der fertige Zwetschkenkuchen auf die morgigen Gäste warten.
»Die Buttercreme für die Schokotorte muss ich noch vorbereiten. Geh schon mal rauf, ich komm in einer halben Stunde. Unsere Muffins sind auch gleich fertig.«
Ich zeige auf einen der drei Öfen, in dem die kleinen Gupfe mit weißer Schokolade und Cranberrys langsam eine goldgelbe Farbe annehmen.
»Ist das meine Lieblingssorte?«, fragt Mel und bricht ein Stück von der Zartbitterschokolade ab, die ich für die Torte brauche.
»Ja, und jetzt verschwinde! Ich liege super im Zeitplan und wäre pünktlich, würde ein gewisser gefräßiger Quälgeist mich nicht dauernd stören!«
Sie leckt sich die schokoladigen Lippen und hüpft von der Arbeitsfläche. Ihre schwarze Hose ist am Hintern voller Mehl. Ich schmunzle und sage nichts. Geschieht ihr nur recht.
Wir gehen sowieso nicht aus, niemand wird das sehen. Die Zeiten, in denen wir uns freitags in Salzburgs Kneipen Drinks zahlen ließen, sind vorbei. Die einzige Verabredung, die wir heute haben, ist mit unserer Oma Gertraud. Und unserer Couch. Wir machen einen Fernsehabend, oder um es zeitgemäß zu sagen: Netflix and chill. Mel bringt einen salzigen Snack mit, ich sorge für etwas Süßes. Das ist ein festes Freitagsritual, auf das wir uns freuen, obwohl wir uns sowieso fast jeden Abend sehen. Unsere Wohnungen liegen nebeneinander, im ersten Stock über dem Café Sonnigsüß, und bräuchten eigentlich keine Türen, weil wir die nie schließen. Es ist, als hätten wir gemeinsam viele Zimmer zur Verfügung, zwischen denen zufällig ein Hausflur liegt. Ich habe Sachen in meinem und in Mels Kleiderschrank und umgekehrt, jeder schläft, wo er mag, und sucht sich die Dusche aus, in der das Shampoo noch nicht leer ist. Wir wohnen allein, doch wir sind nie allein.
Im obersten Stockwerk des schmalen Hauses in der Priesterhausgasse, das mir gehört, befinden sich außerdem noch zwei weitere Wohnungen, vermietet an rüstige alte Damen, die mit Oma Gertraud seit Jahrzehnten befreundet sind. Als wir Kinder waren, haben Mel und ich die beiden regelmäßig besucht, weil es dort oben ein bisschen unheimlich war und wir das spannend fanden. Und weil sie uns jedes Mal zwanzig Schilling geschenkt haben. Damit konnten wir uns beim Kramerladen grüne Gummischlangen kaufen und das neue Wendy-Heft, in das wir uns gemeinsam, die Köpfe zusammengesteckt, vertieft haben. Auch jetzt gehen wir regelmäßig zu Waltraud und Margarethe hinauf, bringen ihnen Kuchen und fragen, ob sie etwas brauchen. Oder, wie Mel es ausdrückt: »Wir schauen nach, ob sie noch nicht gestorben sind.« Niemand hat eine größere Klappe als Mel. Doch dass dahinter ein großes Herz steckt, erkennt man daran, dass sie jedes Mal eine Stunde bei den zwei Alten sitzen bleibt und sich bei wässrigem Tee Geschichten erzählen lässt von Rattenschwänzchen, strengen Lehrern mit Rohrstock und Männern, die nicht aus dem Krieg heimgekommen sind. Geschichten, die Mel bereits siebenundzwanzigtausendmal gehört hat, genau wie ich. »Das sind wir beide in fünfzig Jahren«, sagt sie zu mir, »merk dir meine Worte!«
Wenn wir Anfang achtzig sind, werden auch wir Kekse in den Tee tunken, um sie aufzuweichen, und froh sein, dass jemand nach uns sieht. Wir werden unsere Erinnerungen ausbreiten, uns kichernd gegenseitig mit den Ellbogen anstoßen und sagen: »Weißt du noch?« Und vor allem werden wir immer noch zusammen sein, sie und ich. Jetzt kommt es mir vor, als wäre das noch lange hin, als hätten wir ewig Zeit, aber waren wir nicht gerade erst zwei kleine Mädchen, die sich im Wald auf dem Kapuzinerberg die Hände beim Klettern aufschürften und dann nach Hause zu Oma liefen, um mit Wolfshunger frische Buchteln zu verputzen? Die Jahre sind so flüchtig wie der eine Augenblick, in dem man das perfekte Soufflé aus dem Ofen holen muss.
Ich löse die Muffins aus der Form und richte sie auf einem großen Teller an. Hoffentlich hat Mel wie versprochen Pastrami-Sandwiches geholt, ich habe Hunger. Auch eine Kuchenfee braucht zur Abwechslung mal etwas Saures. Weshalb ich stets Essiggurken, Salami und Käse im Kühlschrank der Backstube aufbewahre. Okay, nicht nur aufbewahre, sondern auch aufesse. Das ist wie mit den Kaffeebohnen in der Parfümerie: Sind meine Geschmacksnerven durch etwas Salziges neutralisiert, sind sie wieder viel empfänglicher für das Süße. Schließlich verliert alles, was eintönig ist, auf Dauer seinen Reiz.
Genau wie in Beziehungen. Wobei ich da längst weg bin, bevor sich Routine einstellen könnte. Dass ich weder verheiratet noch vergeben bin, ist deshalb nicht so rätselhaft, wie Mel gesagt hat, und das weiß sie auch. Sie zieht mich nur gern auf mit meiner Unfähigkeit, mich auf einen Mann einzulassen. Wobei sie, wenn sie mit diesen Steinen wirft, definitiv im Glashaus sitzt.
Ich rühre die Schokolade und die Butter, während beides schmilzt, und atme tief ein. Ich liebe diesen Geruch. Meine Hände sind so geübt darin, Teig zu kneten, Zucker in Schüsseln rieseln zu lassen, eine Prise Zimt aus dem Streuer zu klopfen und die Schale von frischen Bio-Zitronen...
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