Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Damals kam es mir wie eine noble Geste vor, außerdem hatte ich Lust auf ein Abenteuer. In jenem Sommer, in dem meine Frau mit unserem ersten Kind schwanger war und Präsident Clinton nur knapp der Amtsenthebung entging, bot ich mich freiwillig an, einen verkrüppelten Hund von Montana, wo wir lebten und er von Angehörigen der Humane Society gepflegt wurde, zu einem reichen jungen Mann nach New York City zu bringen, einem Rockefeller, der den Hund über das Internet adoptiert hatte.
Sein Vorname war Clark. Wir hatten miteinander telefoniert. Ich hatte ihn meiner Frau zuliebe angerufen, der ersten Vorsitzenden der Humane Society, da sie unseren Bekannten Harry und Mary Piper helfen wollte, die das arme, von einem Auto überfahrene Tier zu sich genommen hatten. Sie waren für die lebensrettende Operation der Hündin aufgekommen, hatten sie mit Reiki-Massagen behandeln lassen und ihr beigebracht, einen Hunderollstuhl zu benutzen, dessen Reifen die Funktion ihrer gelähmten Hinterbeine übernahmen. Die Pipers, Erben eines Bankenvermögens aus Minnesota und gläubige Episkopalen (Mary ließ sich gerade zur Priesterin ausbilden), hatten Maggie und mich kürzlich zum Essen eingeladen und geklagt, wie schwierig es sei, den Transport der Hündin an die Ostküste zu organisieren. Aufgrund des heiklen Gesundheitszustands ihres Schützlings wollten sie ihn keiner kommerziellen Fluggesellschaft anvertrauen. Clark hatte zwar erklärt, er besitze ein Flugzeug, dieses befinde sich jedoch in China bei seiner Frau, einer international tätigen Unternehmensberaterin und stünde daher nicht zur Verfügung. Als ich davon hörte, bot ich mich als Mittelsmann an, teilweise auch um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, da ich wenige Monate zuvor einen von Maggies Pflegehunden mit meinem Pick-up überfahren hatte. Aber es gab noch einen anderen Grund, weshalb ich mit Clark sprechen wollte: Als Autor und, was noch entscheidender ist, als Autor zwischen zwei Büchern, trieb mich die Vorahnung, dass ich auf eine ganz besondere Persönlichkeit treffen würde.
Clark eröffnete unser erstes Telefonat mit der Geschichte der Adoption. Er erzählte, er habe von der Hündin, die Shelby hieß, über eine Website erfahren, auf der heimatlose Gordon Setter – eine Rasse, die er wegen ihrer Affinität zum britischen Adel und ihres lebhaften, enthusiastischen Temperaments sehr schätzte – an neue Besitzer vermittelt wurden. Er habe sofort gewusst, dass er sie haben wolle und per E-Mail Kontakt zu den Pipers aufgenommen, um sie zu überzeugen, dass er der Richtige sei. Er wohne nur eine Straßenecke weit vom Central Park entfernt, sodass Shelby ausreichend Auslauf haben und «sich der morgendlichen Eichhörnchenjagd» widmen könne. Außerdem lebe in dem Apartment unter seinem der «beste tiermedizinische Akupunkteur» Manhattans. Er habe bereits mit ihm gesprochen und sei sehr zuversichtlich, dass Shelby mit seiner Hilfe eines Tages vollständig genesen würde.
«Ich fürchte, das ist sehr unwahrscheinlich», sagte ich. «Ihre Wirbelsäule wurde zertrümmert. Ich weiß nicht, ob man Ihnen das gesagt hat, aber möglicherweise wurde sogar auf sie geschossen, bevor das Auto sie überrollte.»
«Haben Sie Erfahrung mit Akupunktur?»
«Äh, nein», stammelte ich.
«Dann wissen Sie nichts über deren Magie.»
Das Gespräch dauerte über eine Stunde und brachte meinen ganzen Tag durcheinander. Ich hatte einen Abgabetermin beim Time Magazine noch am selben Vormittag, arbeitete in meinem kleinen Büro über einem Bekleidungsgeschäft für Western-Klamotten und sollte einen Stapel grob skizzierter Berichte von verschiedenen, im ganzen Land verteilten freien Mitarbeitern zu einem allgemein verständlichen Artikel über ein populärsoziologisches Thema – Gewalt im Fernsehen, Scheidungskinder – auf vier Seiten zusammenfassen. Der Auftrag gefiel mir nicht besonders, aber da ich mir kürzlich erst eine halbe Million Dollar geliehen hatte, um eine 200 Hektar große Ranch zehn Meilen nördlich von Livingston («im Schatten der Crazy Mountains» wie mein poetisch veranlagter Makler meinte) zu kaufen, brauchte ich dringend Geld. Das Haus war eine malerische Ruine umgeben von kaputten Zäunen, überwucherten Weiden und reparaturbedürftigen Gehegen, die Heufelder waren mit Wasserrinnen durchsetzt, in denen es vor Klapperschlangenhöhlen und Dachsbauten nur so wimmelte. Es gab eine Küche mit einer freistehenden Toilette, nicht weit von der Spüle, und der erste Stock war völlig verfallen und verbarrikadiert. Ich hatte das Grundstück gekauft, um mir meinen Traum von einem unabhängigen Landleben zu erfüllen, aber allmählich wurde mir klar, dass ich, um alles abzubezahlen, härter als je zuvor würde arbeiten müssen, und zwar an unerträglich langweiligen Aufträgen. Das Erschreckendste aber war, dass der Darlehensvertrag vorsah –, ein privates Abkommen mit dem Vorbesitzer der Ranch, einem Podologen aus Billings – dass ich das Grundstück wieder verlieren würde, sollte ich die Zahlung auch nur einer einzigen Monatsrate versäumen.
Während des Telefonats redete hauptsächlich Clark. Er erzählte mir viel von sich, und einiges davon war schwer zu verarbeiten, wenn man sein Gesicht nicht sah und einschätzen konnte, ob er scherzte oder übertrieb. Beispielsweise habe er nie eine Highschool besucht. Und sammle moderne Kunst, obwohl er sie hässlich fand: «Wie auf die Leinwand gekotzt.» Er behauptete, er esse ausschließlich Brot, das er selbst gebacken habe. Und besitze bereits einen Gordon Setter namens Yates, dem er Drei-Gänge-Menüs vorsetze, zubereitet von seinem Privatkoch unter Verwendung ausschließlich frischester Zutaten. Er ließ sich meine Faxnummer geben, um mir die Rezepte zu schicken.
«Sie schreiben die Rezepte auf?», fragte ich.
«Meine Leute machen das für mich», erwiderte er.
Während ich auf das Fax wartete, kalten Kaffee an meinem unaufgeräumten Schreibtisch trank und das Tuten meines Telefons ignorierte (meine Redakteure bei Time, die mich dringend erreichen wollten), fragte ich Clark, welcher Tätigkeit er nachging. Ich hatte das Gefühl, dass er gar nichts machte.
«Zur Zeit», sagte er, «bin ich freiberuflicher Notenbanker.»
Ich bat ihn, mir das näher zu erklären.
«Stellen Sie sich den Geldvorrat eines Landes als See oder gestauten Fluss vor», sagte er. «Dann bin ich derjenige, der sich um den Staudamm kümmert. Ich entscheide, wieviel Wasser mit welcher Geschwindigkeit über die Turbinen fließt und wie lange. Man muss genug Wasser durchlassen, damit das Getreide auf den Feldern wächst, aber nicht zu viel, sonst überschwemmen sie und die Ernte ersäuft.»
«Für welche Länder arbeiten Sie?», fragte ich Clark.
«Derzeit? Für Thailand.»
«Das ist eine große Verantwortung.»
«Macht aber auch Spaß.»
«Und für welche Länder haben Sie davor gearbeitet?»
«Das ist vertraulich.»
«Sicherlich ist das kein weit verbreiteter Beruf.»
«Ich habe ihn erfunden. Oder vielmehr mein Unternehmen. Asterisk LLC.»
Er sprach mit Akzent, abgehackt und international, ließ gelegentlich Wörter wie «ehedem» oder «ungebührlich» einfließen, die den jeweiligen Satz mit einem Schleifchen versahen. Ich hielt seine Eigenart für das Produkt einer isolierten Kindheit und Jugend. In Princeton auf dem College hatte ich einige wie ihn kennengelernt –, reinrassige, prahlerische, verzogene Exzentriker, die wie Vettern von Katharine Hepburn sprachen – ich dagegen war im ländlichen Minnesota aufgewachsen, im tiefsten Herzen der nach Gülle stinkenden Milchwirtschaft und es war mir nie gelungen, diesen Leuten wirklich näher zu kommen. Der Zutritt zu ihren Clubs blieb mir verwehrt, ich trieb nicht ihre Sportarten und fand sie wegen ihres schon in jungen Jahren schütteren Haars und ihrer zarten darmfarbenen Haut schon rein körperlich ein bisschen abstoßend. Nach dem College, als ich dank eines Stipendiums in Oxford studierte, bekam ich es mit einigen ihrer britischen Entsprechungen zu tun – unter anderem dem jüngeren Bruder von Prinzessin Diana – und blieb auch für sie ein Kuriosum, ein vulgärer Zeitvertreib aus der neuen Welt. Nach dem Studium in Oxford blieb ich mehrere Monate in London, arbeitete in einer kleinen Anwaltskanzlei und zog mit einer Bande adliger Party-Boys umher. In Wirklichkeit aber konnte ich gar nicht mit ihnen mithalten. Die Taxis. Die Getränkerechnungen. Schließlich flog ich nach Amerika zurück und ergatterte einen Job bei Vanity Fair, versah oberflächliche Artikel über Nancy Reagans italienischen Designer und die Wohltätigkeitsarbeit der Ehefrau von Sting mit witzigen Überschriften und wurde noch vor Ablauf eines Jahres gefeuert, weil meinem Chef nicht gefiel, dass ich abends zu Hause hockte, anstatt mich ins soziale Getümmel zu stürzen.
Clark dagegen schien mich zu mögen, und ich wollte ihn auch mögen. Als das Hundemenü aus dem Faxgerät kroch, war...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.