Schweitzer Fachinformationen
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Um Himmels willen!«, rief Lady Hardcastle, als wir aus der Kutsche stiegen. »Es ist viel größer, als ich erwartet habe.«
Der Lenker des leicht heruntergekommenen Gefährts reichte mir Lady Hardcastles Gladstone-Koffer herab, während sie in ihrer Handtasche nach einem, wie üblich, großzügigen Trinkgeld kramte. Mit einem erstaunten »Danke, Mylady« ließ er seine Peitsche knallen, und die Kutsche setzte sich klappernd wieder in Bewegung zum Bahnhof von Chipping Bevington, wo wir eingestiegen waren.
Ich stand neben ihr im hellen Sommersonnenschein und blickte auf unser neues Zuhause. Sie hatte recht, es war ziemlich groß.
»Als Sie vorgeschlagen haben, wir sollten aufs Land ziehen, Mylady«, begann ich vorsichtig, »habe ich mir zugegebenermaßen ein von Rosen überwuchertes Landhaus vorgestellt, vielleicht mit einem kleinen Küchengarten und einem Apfelbaum - idyllisch und altmodisch, mit niedrigen Türen, an denen Sie sich den Kopf anstoßen, während ich problemlos hindurchgehe. Bezaubernd wäre, glaube ich, das passende Wort dafür.«
»Aber das hier ist doch auch bezaubernd, Flo«, erwiderte sie. »Außerdem ist es neu und sauber und aufregend modern. Und wir haben genug Platz.«
Da konnte ich nicht widersprechen. All das und noch mehr traf zu; ich hatte einfach nur etwas anderes erwartet. Unser neues Heim bestand aus roten Ziegeln und sah ganz anders aus als die Häuser, an denen wir auf dem Weg vom Bahnhof nach Littleton Cotterell vorbeigekommen waren. Die freundliche Bevölkerung von Gloucestershire bevorzugte als Baumaterial für ihre Häuser große, unbehauene Quader, versehen mit andersfarbigen Ecksteinen und Türzargen. Bisher war uns hier nichts begegnet, was diesem beeindruckenden Landhaus aus roten Ziegeln, mit seiner überdachten Veranda und den Panoramafenstern, geglichen hätte.
Das Haus lag ein wenig nach hinten versetzt von der Straße, die zurück ins Dorf führte, eine niedrige Mauer, auch diese aus Ziegelsteinen, fasste das Grundstück ein. In den gepflegten Vorgarten gelangte man durch ein verziertes schmiedeeisernes Tor, das genauso grün angestrichen worden war wie die stabil wirkende Eingangstür des Hauses. Beim Öffnen quietschte es.
»Vielleicht müssen wir jemanden aus dem Dorf kommen lassen, der die Angeln ölt«, überlegte Lady Hardcastle, als wir über den Pfad zur Tür gingen. »Wenn dieses Ding jedes Mal quietscht, sobald jemand zum Haus kommt, werden wir ja verrückt.«
»Verrückt ist ja nun beileibe nichts, was Sie schrecken könnte, Mylady«, scherzte ich. »Und ob die Besucher bei uns tatsächlich in Scharen ein und aus gehen? Sie kennen hier doch niemanden. Außerdem dachte ich, Sie wollten in Ruhe das Landleben genießen.«
»Oh, das will ich auch, aber wir werden sicherlich Besuch bekommen. Wenigstens hoffe ich das. Ich möchte zwar ein ruhiges Leben, aber keins wie im Kloster.«
Sie drückte die Klinke herunter, die Tür war unverschlossen, und wir traten ein.
Während wir die neue Umgebung auf uns wirken ließen, hallten unsere Schritte auf dem Holzfußboden wider. Die Eingangshalle war mit dunklem Holz vertäfelt, sodass der kleine Garderobentisch und der Hutständer aus der Londoner Wohnung überhaupt nicht deplatziert wirkten.
»Das sieht doch gut aus«, sagte sie. »Wirklich sehr gut.«
»Im Elend müssen wir nicht leben, so viel ist sicher«, bestätigte ich lächelnd. »Wenn ich den Herd anbekomme, kann er sich schon mal aufheizen, während wir uns im Haus umsehen, und dann mache ich uns eine schöne Tasse Tee, bevor wir uns hier einrichten.«
»Ein ausgezeichneter Plan, Flo. Ich würde gern überprüfen, ob die Umzugsleute meine Anweisungen befolgt haben. Du weißt ja, wie diese Männer sein können. Erst versprechen sie, alles an seinen Platz zu stellen, und dann haben sie doch die Schusterpalme ins Schlafzimmer und das Klavier in die Küche geräumt.«
»Sie hatten doch noch nie eine Schusterpalme«, rief ich ihr aus der Küche zu.
»Und das ist auch gut so«, erwiderte sie, »wenn die Umzugsmänner sie so stiefmütterlich behandeln.«
Neben dem Herd waren Holzscheite aufgestapelt, sodass ich ihn im Handumdrehen angefacht hatte.
»Außerdem dachte ich, dass wir das Klavier gar nicht mitgenommen hätten«, fügte ich hinzu, als ich die Küche wieder verließ. Doch Lady Hardcastle war nicht zu sehen, also versuchte ich die Tür, die rechts von der Eingangshalle abging. Dahinter lag das Malzimmer, in dem sie mit dem Aufstellen der Stühle und dem kleinen Tisch dazwischen kämpfte.
»Was hast du gerade gesagt, meine Liebe?«, fragte sie.
»Ich sagte: Haben wir das Klavier nicht in London gelassen?«
»Oh gewiss, das haben wir«, antwortete sie mit einem verwirrten Stirnrunzeln.
»Gerade haben Sie doch gesagt, dass Sie erwarten würden, es in der Küche vorzufinden«, fragte ich nach.
»Habe ich das? Aber wir haben es ganz sicher zurückgelassen. Ich konnte es noch nie leiden - es hatte einen ganz furchtbaren Klang. Ich habe ein neues bestellt.«
»Verstehe, Mylady.«
»So weit, so gut«, sagte sie dann und zeigte auf ihre alten Stühle und das kleine Tischchen, die den riesigen Raum nicht annähernd ausfüllten. »Sogar die Bücher haben sie in die Regale geräumt. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich Charles Dickens neben Isaac Newton platziert hätte, außer vielleicht bei einer Soirée, aber dann auch nur, wenn Nellie Melba nicht aufgetaucht wäre. Na ja, die Männer haben ihr Bestes gegeben.«
»Was ist denn mit den schönen Sesseln passiert?«, fragte ich.
»Die sollten im Salon stehen.«
»Grundgütiger, einen Salon haben wir auch? Wie unfassbar dekadent.«
»Außerdem ein Frühstückszimmer. Jasper und seine Frau haben vier Kinder, also brauchen sie sehr viel Platz, falls sie jemals aus Indien zurückkehren.«
»Hat er denn angedeutet, wann das der Fall sein könnte?«
»Nein«, entgegnete sie. »Diesbezüglich war er leider nicht sehr präzise. >Das Geschäft, bla, bla, ich muss ein Weilchen dableiben, bla, bla, großes Pech, bla, bla, du möchtest nicht vielleicht ein Landhaus mieten, altes Mädchen? Ich hätte da eins.< Du kennst ihn ja.«
Wir durchquerten die Eingangshalle und traten durch die gegenüberliegende Tür ins Speisezimmer. Am Esstisch aus Walnussholz hatten acht Personen Platz, sodass er für die Wohnung stets ein bisschen zu groß gewesen war, doch hier, in diesem großzügigen Raum mit der hohen Decke, wirkte er deutlich weniger fehl am Platz. Lady Hardcastle sah sich im Raum um, ob sich wohl alles an der richtigen Stelle befand.
»Sie haben deutlich bessere Arbeit geleistet, als ich befürchtet hatte«, erklärte sie dann und öffnete eine der Türen des Sideboards. »Sieh nur, sie haben sogar daran gedacht, das Geschirr wegzuräumen.«
Bevor ich einen Blick auf das weggeräumte Geschirr werfen konnte, war sie schon nach draußen gefegt, in Richtung der Hausrückseite und in Richtung Küche. Statt jedoch links abzubiegen wie ich vorher, als ich den Herd gesucht hatte, wandte sie sich nach rechts und betrat einen kleinen quadratischen Raum. Dort stand ihr Schreibtisch, von dem aus sie in den großen Garten sowie auf die dahinterliegenden Felder und Hügel blicken konnte.
»Das sieht doch wirklich alles sehr gut aus«, bekräftigte sie noch einmal und legte die Hand auf die Rückenlehne ihres Schreibtischstuhls. »Irgendwann müssen wir vielleicht umdekorieren - diese Pastelltöne finde ich doch ein bisschen fad - , aber für den Moment wird es so gehen. Als Nächstes sollten wir uns oben umsehen.«
»Nur eins noch, Mylady«, sagte ich, als wir unseren Rundgang durchs obere Stockwerk beendeten und uns wieder auf den Weg in die Küche machten.
»Nur eins?«, fragte sie.
»Für den Moment. Sie haben doch sicher vor, weiteres Personal einzustellen, nicht wahr? Allein werde ich mich nicht um dieses ganze Haus kümmern können. Die Wohnung in London, das war kein Problem, vor allem, da wir die Wäsche auswärts erledigen lassen konnten, aber hier .«
»Keine Angst, meine kleine Dienerin«, erwiderte sie. »Als Jasper mir das Haus vermietet hat, hat er gleich den hiesigen Grundbesitzern Bescheid gegeben, und die haben ein paar Leute herausgesucht, die sich bei uns vorstellen werden. Ich habe alles unter Kontrolle.«
»Nun, das ist eine Erleichterung«, sagte ich und setzte den Wasserkessel auf.
»Viel drängender ist die Frage«, fuhr sie fort und sah sich dabei um, »was wir essen werden. Die Eisenbahngesellschaft transportiert einen zwar zuverlässig von A nach B, aber das Mittagessen war doch eher lieblos. Bis zum Abendessen werde ich bestimmt schon verhungert sein.«
»Keine Angst, meine alternde Arbeitgeberin«, erwiderte ich. »Ich habe ein paar Vorräte bestellt, bevor wir aus London aufgebrochen sind. Falls alles geklappt hat, sollte die Speisekammer gut gefüllt sein.«
Ich öffnete die Tür und zeigte auf die Regale, die sich unter den Lebensmitteln förmlich bogen.
»Das hast du gut gemacht«, lobte sie. »Lass uns also erst einmal Tee trinken, dann darfst du deine kulinarischen Zauberkräfte anwenden, während ich mich davon überzeuge, dass meine Ausrüstung sicher in der Orangerie verstaut worden ist.« Sie zeigte auf die Tür neben dem großen Spülbecken. »Geht es dort hinaus in den Garten?«
»Durchs Schuhzimmer, jawohl«, entgegnete ich.
Bald kochte das Wasser, ich goss den Tee auf und setzte mich zu ihr an den...
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