Schweitzer Fachinformationen
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Lottie
Zwanzig Tage vorher
Ich habe ihm einen Verlobungsring gekauft. War das ein Fehler?
Ich meine, es ist ja kein Mädchenring. Er ist ganz schlicht, mit einem winzig kleinen Diamanten, den mir der Typ im Laden aufgeschwatzt hat. Falls Richard den Diamanten nicht mag, kann er den Ring ja umdrehen.
Oder gar nicht erst tragen. Ihn auf sein Nachtschränkchen legen oder in eine Schachtel oder sonst wohin.
Oder ich könnte ihn zurücknehmen und nie wieder ein Wort darüber verlieren. Im Grunde bin ich mir mit diesem Ring sowieso nicht mehr sicher, aber es kam mir so ungerecht vor, dass er gar nichts kriegen soll. Männer haben ja nicht viel von einem Heiratsantrag. Sie müssen den Moment einfädeln, sie müssen auf die Knie fallen, sie müssen die Frage stellen, und sie müssen einen Ring kaufen. Und wir? Wir müssen nur »Ja« sagen.
Oder »Nein«, je nachdem.
Ich frage mich, wie viele Heiratsanträge prozentual wohl mit einem »Ja« enden und wie viele mit einem »Nein«. Ich mache den Mund auf, um Richard diesen Gedanken mitzuteilen – dann klappe ich ihn schnell wieder zu. Schwachsinn.
»Bitte?« Richard blickt auf.
»Nichts!«. Ich strahle ihn an. »Nur … hübsche Speisekarte!«
Ich überlege, ob er wohl schon einen Ring gekauft hat. Im Grunde ist es mir egal. Einerseits wäre es wunderbar romantisch, wenn er es getan hätte. Andererseits wäre es aber auch wunderbar romantisch, gemeinsam einen auszusuchen.
Es ist eine klassische Win-win-Situation.
Ich nehme einen Schluck von meinem Wasser und betrachte Richard liebevoll. Wir sitzen an einem Ecktisch mit Blick auf den Fluss. Es ist ein neues Restaurant am Strand, in der Nähe vom Savoy. Schwarzer und weißer Marmor, antike Kronleuchter und Clubsessel in Hellgrau. Elegant, aber nicht protzig. Der perfekte Ort für einen Heiratsantrag um die Mittagszeit. Ich trage eine schlichte brautweiße Bluse, dazu einen gemusterten Rock, und ich habe mir ein paar halterlose Strümpfe geleistet, für den Fall, dass wir unser Verlöbnis später besiegeln wollen. Ich habe noch nie halterlose Strümpfe getragen. Aber ich habe auch noch nie einen Heiratsantrag bekommen.
Vielleicht hat er uns ja ein Zimmer im Savoy gebucht.
Nein, so großspurig ist Richard nicht. Er ist kein Freund übertriebener Gesten. Nettes Mittagessen, ja. Überteuertes Hotelzimmer, nein. Was ich respektiere.
Er wirkt nervös. Er fummelt an seinen Manschetten herum, sieht nach seinem Handy und lässt das Wasser in seinem Glas herumschwappen. Als er merkt, dass ich ihn beobachte, lächelt er zurück.
»Gut.«
Es ist, als sprächen wir in einem Geheimcode, um das eigentliche Thema zu meiden. Ich spiele mit meiner Serviette herum und rücke meinen Stuhl zurecht. Diese Warterei ist unerträglich. Wieso bringt er es nicht einfach hinter sich?
Nein, ich meinte nicht »hinter sich bringen«. Natürlich nicht. Es ist ja keine Impfung. Es ist … nun, was ist es? Es ist ein Anfang. Ein erster Schritt. Wir beide gehen gemeinsam auf ein großes Abenteuer. Weil wir das Leben als Team angehen wollen. Weil es niemand anderen gibt, mit dem wir diese Reise lieber unternehmen wollten. Weil ich ihn liebe, und er mich liebt.
Mir kommen jetzt schon die Tränen. Es ist hoffnungslos. So bin ich seit Tagen, seit mir klar wurde, was er vorhat.
Er ist etwas umständlich, mein Richard. Aber auf liebenswerte Weise. Er ist direkt, kommt gleich auf den Punkt und spielt keine Spielchen (Gott sei Dank). Und er überfällt einen auch nicht mit irgendwelchen Überraschungen. Vor meinem letzten Geburtstag hat er wochenlang angedeutet, dass er mich mit einem kleinen Ausflug überraschen wollte, was genial war, weil ich so vorher wusste, dass ich meinen Kulturbeutel und ein paar Sachen einpacken musste.
Obwohl er mich am Ende doch noch überrascht hat, weil es kein Wochenendausflug war, wie ich erwartet hatte. Per Kurier ließ er mir an meinem Geburtstag – mitten in der Woche – eine Bahnfahrkarte nach Stroud zustellen. Wie sich herausstellte, hatte er mit meinem Chef heimlich vereinbart, dass ich zwei Tage freibekommen sollte, und als ich schließlich in Stroud ankam, holte mich eine Limousine ab und kutschierte mich zu einem schnuckeligen Cottage in den Cotswold Hills, wo er schon auf mich wartete, mit knisterndem Feuer im Kamin, vor dem ein Schaffell ausgebreitet lag. (Mmmh. Sagen wir einfach, dass Sex vor einem knisternden Kamin das absolut Allergrößte ist. Bis auf den Moment, als dieser blöde Funke angeflogen kam und mir den Oberschenkel versengt hat. Aber egal. Nicht der Rede wert.)
Als er also diesmal Andeutungen machte, fielen diese wieder nicht sonderlich subtil aus. Es waren eher massive Zaunpfähle: Ich werde demnächst um deine Hand anhalten. Erst hat er diesen Tisch reserviert und von einem »besonderen Anlass« gesprochen. Dann erwähnte er eine »große Frage«, die er mir stellen müsste, und zwinkerte dabei (woraufhin ich natürlich Ahnungslosigkeit vortäuschte). Dann fing er an zu sticheln und fragte mich, ob ich eigentlich seinen Nachnamen mag – Finch. (Zufälligerweise mag ich ihn. Bestimmt wird mir was fehlen, wenn ich nicht mehr Lottie Graveney bin, aber ich wäre liebend gern Mrs Lottie Finch.)
Fast wünschte ich, er wäre etwas weniger direkt gewesen, denn dann wäre die Überraschung größer. Aber andererseits konnte ich so wenigstens vorher zur Maniküre.
»Also, Lottie, hast du dich entschieden?« Richard sieht mich an, mit seinem warmen Lächeln, und mir wird ganz flau im Magen. Kurz dachte ich, er wollte besonders schlau sein, und das sei schon der Heiratsantrag.
»Mh …« Ich weiche seinem Blick aus, um meine Unsicherheit zu verbergen.
Selbstverständlich ist die Antwort »Ja«. Ein großes, freudiges »Ja«. Ich kann immer noch nicht fassen, dass wir so weit gekommen sind. Wir heiraten. Ich meine: Wir heiraten! In den drei Jahren, die Richard und ich zusammen sind, habe ich die Frage nach der Hochzeit, dem Bekenntnis zueinander und sämtliche dazugehörigen Themen gemieden (Kinder, Häuser, Sofas, Kräutertöpfe). Wir wohnen mehr oder weniger bei ihm, aber ich habe immer noch meine eigene Wohnung. Wir sind ein Paar, doch Weihnachten fährt jeder zu seiner Familie. Da ungefähr stehen wir.
Nach etwa einem Jahr wusste ich, dass wir zusammenpassen. Ich wusste, dass ich ihn liebe. Ich hatte ihn von seiner besten Seite erlebt (der überraschende Geburtstagsausflug und das eine Mal, als ich ihm versehentlich über den Fuß gefahren bin und er mich deshalb nicht angeschrien hat) und auch von seiner schlechtesten (seine sture Weigerung, nach dem Weg zu fragen, bis ganz rauf nach Norfolk, als das Navi kaputt war. Wir brauchten sechs Stunden). Und trotzdem wollte ich bei ihm bleiben. Ich verstand ihn. Er ist kein Aufschneider, mein Richard. Er ist bedächtig und gewissenhaft. Manchmal denkt man, er hört einem gar nicht zu – aber dann wird er plötzlich ganz lebendig, und man merkt, dass er die ganze Zeit hellwach war. Wie ein Löwe, der unter einem Baum döst, aber jederzeit zum Töten bereit ist. Wohingegen ich eher so etwas wie eine herumhüpfende Gazelle bin. Wir ergänzen einander. Wie in der Natur.
(Natürlich nicht im Sinne der Nahrungskette. Eher im übertragenen Sinn.)
Ich wusste also nach einem Jahr, dass er der Richtige war. Aber ich wusste auch, was passieren würde, wenn ich es falsch anginge. Meiner Erfahrung nach wirkt das Wort »Hochzeit« wie ein Enzym. In einer Liebesbeziehung ruft es allerlei Reaktionen hervor, meist destruktiver Art.
Man muss sich nur ansehen, was mit Jamie, meinem ersten langjährigen Freund passiert ist. Vier Jahre lang waren wir ein glückliches Paar, als ich rein zufällig erwähnte, dass meine Eltern bei ihrer Hochzeit genauso alt waren wie wir damals (sechsundzwanzig und dreiundzwanzig). Das war’s dann. Eine kleine Bemerkung. Woraufhin er ausgeflippt ist und meinte, wir bräuchten eine »Pause«. Eine Pause wovon? Bis zu diesem Augenblick war alles gut gewesen. Was wir offensichtlich brauchten, war eine Pause vom Risiko, das Wort »Hochzeit« noch einmal hören zu müssen. Offenbar bereitete ihm diese Vorstellung so große Sorgen, dass er es nicht mehr ertragen konnte, mich wiederzusehen, aus Angst, irgendwann noch mal dieses Wort aus meinem Mund zu hören.
Bevor wir die »Pause« hinter uns hatten, war er mit dieser Rothaarigen zusammen. Es machte mir nichts aus, denn inzwischen hatte ich Seamus kennengelernt. Seamus mit seinem irischen Singsang, den ich so sexy fand. Keine Ahnung, wieso es mit ihm schiefging. Ungefähr ein Jahr lang waren wir ineinander vernarrt – wilder Sex, die ganze Nacht –, bis wir auf einmal jede Nacht stritten. Von einem Tag auf den anderen war es nicht mehr aufregend, sondern aufreibend. Es hat alles vergiftet. Zu viele Grundsatzdiskussionen und Fragen wie »Was soll mal aus uns werden?« und »Was wollen wir von dieser Beziehung?« Es laugte uns aus. Wir schleppten uns noch ein Jahr lang weiter, und wenn ich so zurückblicke, scheint mir dieses zweite Jahr ein großes, schwarzes Loch in meinem Leben zu sein.
Dann kam Julian. Auch das dauerte zwei Jahre, aber es führte zu nichts. Es war wie das Gerippe einer Beziehung. Ich schätze, wir haben wohl beide zu viel gearbeitet. Ich war gerade bei Blay Pharmaceuticals eingestiegen und reiste im ganzen Land herum. Er versuchte, Partner in seiner Steuerkanzlei zu werden. Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir...
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