Schweitzer Fachinformationen
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WIR LIEFEN UNS ÜBER DEN WEG4
Die Typenhebel der Schreibmaschine sind wie die Beine einer Mücke. Oder so, als hätte man Weberknechte in mehreren Reihen festgeklebt und jeder von ihnen würde abwechselnd ein Bein heben und mit den Zehen sein eigenes Bild auf dem Papier hinterlassen. Tuomas schaut zu, während Mutter Tasten herunterdrückt, manche öfter als andere, und zwischendurch gegen den metallisch glänzenden Hebel schlägt, der die schwarze Walze und das Papier ans andere Ende zurückschiebt. Auf dem Briefbogen ist das Bild einer Regenwolke abgedruckt, aus der die Tropfen wie Tränen herablaufen. Diese Briefe gehen an diejenigen, denen Vater Kameras oder Fotos umsonst mitgegeben hat, weil sie gerade kein Geld dabeihatten. Dann gibt es noch ein anderes Briefpapier, auf dem es gewittert und blitzt, aber das wird nur an Leute geschickt, die Vater vorher angerufen hat, und dann Mutter, und später Mutter noch einmal ohne Vaters Wissen.
Tuomas lässt den Deckel der Filmdose auf und zu klicken. Die Dose ist aus Metall. Mal öffnet er sie und nimmt den stechenden Plastikgeruch wahr, mal presst er sie in der Hand. Seitlich lässt sie sich leicht eindrücken, aber wenn man gleichzeitig am oberen Ende und am Boden drückt, passiert nichts. Einmal hat er mehrere Dosen auf den Asphalt im Innenhof gelegt und die an der Garagenwand aufgestapelten Ziegelsteine vom abgerissenen Backofen darüber gehäuft, doch die Ziegel sind heruntergerutscht und keine einzige Dose wurde zerdrückt.
Im Laden sind Vaters Schritte zu hören. Er ruft nach Mutter.
»Hast du kurz Zeit, Kaarina? Komm bitte mal nach vorn und sag guten Tag.«
Mutter stößt die Luft aus, so wie sie es auch tut, wenn Oma Lahja am Esstisch sagt, die Kartoffeln wären schlecht geschält oder die Soße wäre zu dünn. Dann schreibt sie die Zeile zu Ende und schiebt die Walze auf die nächste Zeile. Steht auf und geht zu Vater.
Tuomas weiß, was das bedeutet. Vater erinnert sich nicht an den Namen oder die Adresse des Kunden. Er kann die Gesichter nicht sofort zuordnen. Tag für Tag stehen Leute am Ladentisch, die überzeugt sind, dass der Fotograf sie kennt, weil er vor Urzeiten das Foto zu ihrer Konfirmation und Oma Lahja das Hochzeitsfoto der Großeltern gemacht hat. Jedes Mal nickt Vater wissend, erkundigt sich nach zurückliegenden und bevorstehenden Ereignissen, durchforstet in seinem Kopf Dörfer, Kreuzungen und gemeinsame Bekannte, Berufe und Verwandte. Die Kunden antworten, erzählen von kalbenden Kühen, von den Ergebnissen der Rentierwettläufe und den ständigen Ohrenentzündungen ihrer Kinder. Schließlich fallen Vater der Familien- und der Vorname seines Kunden ein, und er schreibt sie auf die Filmtüte. Die Kunden mögen es, wenn der Fotograf sich an ihren Namen erinnert. Sie finden Johannes Löytövaara nett und zuvorkommend.
Aber gelegentlich kommt es vor, dass Vater aus der Geschichte nicht schlau wird. Dann unterbricht er den Kunden und wendet sich zum Hinterzimmer.
»Einen Augenblick, ich hole Kaarina, damit sie auch guten Tag sagen kann.«
Mutter sitzt jedoch nicht immer im Hinterzimmer, um Rechnungen zu schreiben oder Fotos auf Danksagungskarten zu kleben. Dann muss Vater sich sputen.
»Einen Moment, ich sehe in der Küche nach«, sagt er zu dem Kunden und läuft aus dem neuen Anbau mit dem Fotostudio außen herum zum Wohnhaus, ruft schon unten in der Diele Mutters Namen und nimmt auf dem Weg nach oben zwei Stufen auf einmal.
»Ich komme einfach nicht auf seinen Namen! Es ist der Mann, der in den Fünfzigern jahrelang mit Kaisa Nevala gegangen ist, bevor er das hübsche Mädchen aus Salla geheiratet hat.«
Dann seufzt Mutter jedes Mal, nimmt den Topf vom Herd, legt den Staubsauger aus der Hand, stellt den Rasenmäher aus, hört auf, mit Oma zu zanken, legt die halb geschälte Kartoffel in die Waschschüssel zurück und eilt in das Fotogeschäft. Sobald sie den wartenden Kunden erblickt, lächelt sie.
»Guten Tag, Jaska Määttä, wie geht's?«, fragt sie und sieht Vater wissend an.
Vater schnappt sich den Stift vom Ladentisch und schreibt den Namen auf die Filmtüte. Er will wissen, ob der Kunde die Abzüge lieber im Format neun mal neun oder zehn mal zehn hätte. So oder so wären die Bilder am Dienstag der folgenden Woche fertig.
Jetzt steht Mutter vom Schreibtisch auf und geht ins Geschäft. Tuomas setzt sich auf ihren Stuhl und schlägt einige Tasten an, allerdings nicht so fest, dass die Mückenbeine Zeichen auf dem Papier hinterlassen. Das hat er ein paarmal getan, aber da ist Mutter böse geworden. Sie hat mit Tuomas an der Maschine gesessen und ihn die Rechnung neu schreiben lassen. Geduldig hat sie ihm erklärt, was er als Nächstes tun musste.
»Dann schlägst du die Taste an, auf der ein gerader Strich von oben nach unten verläuft. Such nur, so einen gibt es. Such, such. Gut.«
Tuomas rutscht von Mutters Stuhl und geht zum Laden. Er blickt auf die Uhr und sieht, dass der kleine Zeiger schon fast an der Stelle steht, wo Tapio aus der Schule kommt. Tuomas möchte zur Schule gehen wie Tapio, aber er muss noch viele Portionen Haferbrei essen, bevor man ihn dort aufnimmt. Er schlüpft in den Laden und unter den Verkaufstisch. Früher war dort reichlich Platz, aber jetzt wird es zwischen Fußboden und Theke allmählich eng. Über ihm ist die Registrierkasse, an der Mutter zuerst auf die graue Taste mit der Zwei drückt, dann auf die schwarzen mit der Null und der Sechs und zum Schluss auf die große rote, woraufhin die Kasse klingelt und die Lade aufspringt. Tuomas würde die Kasse gern ausprobieren, aber das ist verboten. Vater lässt ihn ab und zu abends die Fünf-Penni-Stücke zählen, Mutter nie.
Vater zeigt irgendwem eine teure Kamera, und Tuomas weiß, dass man ihn dabei nicht stören darf. Mutter erzählt oft, dass Vater gerade dabei war, einem deutschen Touristen eine Systemkamera zu verkaufen, als Tuomas beschloss, zur Welt zu kommen. Mutter hatte auf der Leiter am Regal mit den Bilderrahmen gestanden, um das obere Brett abzuwischen, und plötzlich gesagt, sie wolle jetzt ins Krankenhaus. Sie lacht immer, wenn sie Gästen die Geschichte erzählt.
»Ich werde nie vergessen, wie Johannes mich gebeten hat, noch ein bisschen durchzuhalten, weil er erst die Kamera verkaufen wollte. Und er hat sie verkauft.«
Mutter sucht in der Schublade nach Raatikainens Bildern. Von seinem Platz unter der Theke sieht Tuomas nur die Schuhe der Kunden. Braune Halbschuhe. Gummistiefel. Die Ladenglocke bimmelt, und rote Pumps betreten das Geschäft. Die Gummistiefel drehen sich um. Die Halbschuhe machen einen Schritt zur Seite. Tuomas hört die Fragen der Mutter und die Antworten der Schuhe. Die Halbschuhe möchten einen Termin für das Konfirmationsfoto des Sohnes. Mutter fragt, ob der Junge die Rosen selbst mitbringt. Die Gummistiefel wollen einen billigen Bilderrahmen mit Rosen an den Ecken für die Gedenkfeier der Schwiegermutter. Mutter geht ans Regal und holt zwei Modelle, eines aus Kupfer und eines aus Silber. Das silberne ist teurer. Die Gummistiefel möchten sich die Rahmen in Ruhe ansehen und sagen: »Bedienen Sie so lange den Kunden da drüben.« Die roten Pumps kommen näher an den Ladentisch und bitten um zwei Rollfilme, vierhundert ASA. Die Gummistiefel beschließen, dass für die Schwiegermutter Kupfer gut genug ist, legen das abgezählte Geld auf den Tisch und gehen.
Irgendetwas an der Art, wie die roten Pumps sprechen, irritiert Tuomas, doch er kommt nicht darauf, was daran seltsam ist. Er kriecht aus seinem Versteck und bleibt mit dem Rücken zur Theke auf dem Boden sitzen. Mutter holt Filmpackungen aus dem Regal. Als sie Tuomas bemerkt, runzelt sie die Stirn. Schüttelt sie sachte den Kopf? Tuomas klickt den Deckel seiner Filmdose auf und wieder zu, dreht sich um und hebt den Kopf auf die Höhe der Registrierkasse. Mutter reicht einem großen Mann in einem schmierigen blauen Overall die Filme. Der Mann bedankt sich, nimmt die Filme in die eine Hand und greift mit der anderen in die Gesäßtasche seines Overalls, findet aber nicht, was er sucht.
»Wo habe ich sie nur hingetan?«
Tuomas bückt sich und späht unter dem Ladentisch hindurch. Die roten Pumps verlagern das Gewicht erst auf das eine, dann auf das andere Bein. Tuomas erhebt sich wieder auf die Höhe der Theke. Der Mann im Overall legt die Filme auf den Ladentisch und daneben eine schöne, dünne Geldbörse mit orangefarbenen Pailletten und einer violetten Metallrosette als Verschluss. Er öffnet die Rosette, holt einen sorgfältig gefalteten Geldschein heraus und reicht ihn der Mutter.
Tuomas krabbelt ans Ende der Theke, zu dem großen orangefarbenen Plastikpapierkorb. Dort holt Mutter immer die leeren Filmdosen heraus, die Vater weggeworfen hat, sammelt sie in einer Plastiktüte und schenkt sie der Spielgruppe der Gemeinde. Tapio und Minna bekommen ihr wöchentliches Taschengeld in Filmdosen. Drei Mark in Fünf- und Zehn-Penni-Münzen. Maarit ist schon so groß, dass sie einen Fünf-Mark-Schein bekommt. Tuomas späht über den Rand des Papierkorbs, als der Mann die Hand ausstreckt, um das Wechselgeld in Empfang zu nehmen. Er hat einen ähnlichen Overall wie der Mechaniker an der Tankstelle, bei dem Vater das Auto und den Rasenmäher reparieren lässt. Aus der Seitentasche hängt Putzwolle. Der Mann faltet die Geldscheine ordentlich auf die Hälfte und noch einmal auf die Hälfte, steckt sie in seine Geldbörse und drückt die Rosette zu. Die Pailletten glitzern, dann verschwindet die Geldbörse in der tiefen Tasche des blauen Overalls.
Der Kamerakäufer will vorsichtshalber noch seine Frau nach ihrer Meinung fragen. Vater schraubt das Objektiv von der Kamera und nickt zum...
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