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Es war das schnelle Ende von Beatrices erster Romanze, die ohnehin nur in ihrer Phantasie bestanden hatte. Seither beschränkten sich ihre Schwärmereien auf ?ktive Helden; sie sagte sich, dass eine reale Bindung sie ohnehin nur stören würde. Welcher Mann will schon eine Freundin, die das Haus nicht verlassen darf?
Im Netz spielte dergleichen keine Rolle.
Am dankbarsten war sie für das Internet in den Wochen nach dem 11. September. Die Telefonleitungen funktionierten nicht. Kollegen versuchten vergeblich, ihre Familien in Washington oder New York zu erreichen. Sie hatte selbst zwei Freunde in New York und vier in Washington. Das Netz funktionierte. Da Alaska in einer anderen Zeitzone lag, wachte sie mit den Nachrichten über den Anschlag auf, hörte sie mit den Frühstücksneuigkeiten. An diesem Tag wurde im Labor nicht gearbeitet; ihr Vater und viele andere Laborangehörige, ganz gleich, ob Mann oder Frau, brachen immer wieder in Tränen aus. Beatrice selbst war entsetzt, aber sie konnte nicht weinen. Es erschien zu unwirklich, zu sehr Teil eines Katastrophen?lms, wie sie ihn vom Fernsehen her kannte. Sie war in erster Linie um ihre gesichtslosen Freunde besorgt, ihre Freunde aus dem Netz, deren richtige Namen sie noch nicht einmal hätte nennen können.
Dedalus, ein Bewohner Manhattans, meldete sich endlich am Abend. Es sei wie ein Kriegsgebiet, berichtete er, Staub und Asche überall und Unmengen verzweifelter Menschen. LittleW, ihre andere New Yorker Freundin, meldete sich nie mehr. Ob sie nun in einem der zerstörten Wolkenkratzer gewesen war oder nicht, für Beatrice war sie ein Opfer des Anschlags, und ihr Verlust machte das Geschehene für sie wirklich.
»Wir werden es den Mistkerlen zeigen, Dad, nicht wahr?«, sagte sie zu ihrem Vater, und er nickte. Zu diesem Zeitpunkt schwirrten zwar schon Vermutungen umher, aber noch niemand konnte mit Sicherheit sagen, wer die Mistkerle überhaupt gewesen waren. Es machte Beatrice nichts aus, dass die Sicherheitsbestimmungen für das Labor danach noch strenger wurden; was änderte das für sie persönlich? Und sie hatte auch nichts zu verbergen.
Der April, der gewöhnlich die Schneeschmelze mit sich brachte, ließ noch auf sich warten, und die kalte Märzluft gestattete es ihr nur kurz, nachts nach draußen zu gehen, also verbrachte sie die Abende, an denen ihre Freunde unter den Laborkollegen in Seward ausgingen, für gewöhnlich vor dem Computer.
Es war erst gegen sechs Uhr, und Beatrice befand sich noch im Labor. Sie besuchte gerade einen der medizinisch orientierten Chaträume und unterhielt sich mit ein paar Online-Bekannten, als sich ein neuer Teilnehmer einloggte. Der Name ?el ihr auf, weil er ihr bekannt vorkam und im Gegensatz zu den meist phantasievollen Netz-Namen nicht nach einem Pseudonym klang.
<Neil LaHaye ist soeben diesem Chat beigetreten.>
Sie ging rasch die Namen durch, an die sie sich erinnern konnte, aber er gehörte nicht zu den Fachgrößen, mit denen sie sich auskannte. Trotzdem, der Name zerrte irgendetwas aus einem Winkel ihres Gedächtnisses hervor, das sich noch nicht zeigen wollte. Andere Teilnehmer waren schneller.
<He>, tippte einer von ihnen, <verwandt oder verschwägert mit Liebesgrüße aus Los Alamos?>
<Bekenne mich schuldig.>
Natürlich. Sie hatte Liebesgrüße aus Los Alamos gelesen, vor Jahren; es stand auf dem Lektüreplan eines ihrer Fernkurse. Was ihr am stärksten in Erinnerung geblieben war, war der bittere Geschmack von Zorn, als sie das Memorandum der staatlichen Atom-Energie-Kommission aus den Fünfzigern las, das tatsächlich die Mormonen von Utah als »entbehrlichen Teil der Bevölkerung« beschrieb und von den Autoren, Neil LaHaye und Matthew Pryce, in voller Länge zitiert worden war. In dem Kommentar dazu war vom Krieg gegen das eigene Volk die Rede gewesen. Auch ihre aus Nevada stammende Mutter war an Krebs gestorben, kurz vor Beatrices viertem Geburtstag, und sie bewahrte nur wenige Erinnerungen an Elaine Sanchez.
Nach der Lektüre hatte sie seinerzeit ihren Vater aufgesucht und ihn wütend gefragt, ob er die Regierung nicht verklagen könne, das Buch sei Beweis genug.
»Nein«, hatte er knapp erwidert. »Selbst dann nicht, wenn ich wollte, und ich will nicht. Ich werde jeden Tag meines Lebens um deine Mutter trauern, aber die Tatsache allein, dass sie aus Nevada stammt, bedeutet noch lange nicht, dass diese oberirdischen Atomtests schuld sind an ihrem Krebs. Im Übrigen wurden die Tests schon vor vielen Jahren eingestellt.«
»Aber wenn doch? Ich meine, wenn du ganz sicher wüsstest, dass Atomexplosionen an ihrem Krebs schuld waren?«
Ihr Vater hatte geseufzt.
»Es waren andere Zeiten damals, als die Tests durchgeführt wurden; die verdammten Kommunisten saßen uns im Genick, und in jedem Krieg gibt es Opfer. Wer bin ich, um den ersten Stein zu werfen und über die Regierungen von damals zu richten, wenn . nein, ich würde nicht klagen.«
»Aber die Verantwortlichen wurden nie bestraft!«
Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihren Vater in einer ernsten Sache nicht verstanden hatte.
Neil LaHaye also. Oder jemand, der behauptete, Neil La-Haye zu sein; im Internet ließ sich so etwas einfach nicht nachprüfen. In einem Chatraum zu medizinischen Themen allerdings eine ungewöhnlichere Wahl als »Robert Koch« oder, von Teilnehmern mit schwärzerem Humor gewählt, »Epstein-Barr« oder »Lymphozyten-Man«.
<Hallo, Neil>, tippte sie, nachdem die meisten anderen ihn bereits begrüßt hatten. <An Kaposi-Sarkom interessiert?>
Dieser seltene Hautkrebs war das Gesprächsthema gewesen, ehe er sich eingeloggt hatte.
<Indirekt>, schrieb er zurück. <Ich kämpfe mich gerade durch sämtliche Mediziner-Chats, die ich ?nden kann. Ihr seid mein 32. Versuch diese Woche. Eigentlich suche ich nach Informationen über Dr. Victor Sanchez, der 1980 an der New Yorker Universitätsklinik zwei der allerersten AIDS-Patienten mit Kaposi-Sarkom untersucht hat. Nicht der ursprünglich behandelnde Arzt, aber er hat da eine gewisse Rolle gespielt.>
Nun ja, dachte sie. Er war nicht der erste Reporter, der mit ihrem Vater in Kontakt treten wollte. Es kamen regelmäßig Anfragen von Studenten, von Fachjournalisten, die wissen wollten, was Dr. Sanchez, als einer der Pioniere der Genetik, von der Debatte um die Stammzellenforschung hielt. Einer der vielen Vorzüge der Anonymität des Netzes war, dass sie nicht darauf einzugehen brauchte, wenn sie es nicht wollte. Sie war nicht als Beatrice Sanchez hier, sondern als Morgan, ein geschlechtsneutrales Pseudonym, das niemandem etwas verriet.
<Victor Sanchez hat doch schon seit Ewigkeiten nichts mehr von sich hören lassen>, schrieb Rochefort, ein weiterer Chatteilnehmer. < Und auch weder zum Thema Kaposi-Sarkom noch zu AIDS veröffentlicht, soweit ich weiß.>
<Ja>, schrieb Neil zurück. <Deswegen wunderte es mich, dass er in so einem Fall aktenkundig geworden ist.>
Sie konnte sich nicht erklären, warum ihr Vater 1980 in New York Kaposi-Sarkom-Patienten behandelt haben sollte, ganz gleich wie kurz oder lang. Seltsam. Hinsichtlich ihrer eigenen Gefährdung hatte er oft genug bedauert, dass Hautkrebs nicht sein Fachgebiet war. Warum sollte LaHaye, oder um wen auch immer es sich in Wirklichkeit handelte, so etwas er?nden?
<Warum nicht einen der anderen behandelnden Ärzte fragen?>, tippte sie. <Oder sind sie schwer zu ?nden?>
<Nein, im Gegenteil. Diese Fälle wurden schließlich ziemlich prominent. Aber sie weigern sich bisher alle, einen Kommentar über Sanchez abzugeben.>
<Oh>, schrieb Dedalus, <natürlich. 1980/81. Das waren wirklich die allerersten AIDS-Verdächtigen, nicht wahr?>
<Genau.>
<Das könnte Sanchez erklären>, tippte sie. <In den frühen Tagen der AIDS-Forschung konnte man sich ja nicht sicher sein, ob die Immunschwäche nun erworben oder angeboren war.>
Neil LaHayes Antwort erschien in den roten Lettern, die der Chatraum ihm zugeteilt hatte, noch ehe Dedalus und Rochefort mit ihren Kommentaren fertig waren.
<Im Winter 1980 war von Immunschwäche noch überhaupt nicht die Rede. Da rätselte man gerade erst herum, warum gleich mehrere junge Männer einen äußerst seltenen Hautkrebs hatten, der sonst angeblich nur in Zentralafrika vorkam. Also wieso Sanchez hinzuziehen?>
<Eine neue Verschwörungstheorie, Neil?>, fragte Rochefort in grünen Lettern. < Schreibst du an einem neuen Buch?>
<Keine Verschwörung. Mich interessiert erst einmal dieser Sanchez. Der Mann schien geradewegs auf den Nobelpreis zuzusteuern, untersucht ein paar der ersten AIDS-Fälle, und dann verschwindet er einfach. Ich bin kein Wissenschaftler, Leute, ich bin Autor. Da scheint mir ein gewisses Drama vorzuliegen.>
<Vielleicht legt Sanchez aber gar keinen Wert darauf, sein Leben dramatisiert zu sehen>, schrieb Beatrice, ehe sie sich zurückhalten konnte. <Auch Wissenschaftler haben ein Recht auf ihre Privatsphäre.>
<Nein>, erwiderte er. <Lies in unseren Gesetzbüchern nach, Morgan. Das Recht der Öffentlichkeit auf Information geht vor, wenn die Person eine des öffentlichen Lebens ist, und in seinen jüngeren Jahren hat Dr. Sanchez sein Möglichstes getan, um eine Person des öffentlichen Lebens zu werden.>
Was für ein Unsinn, dachte sie und schrieb: <Was ist mit dir, Neil? Wenn du wirklich Neil LaHaye bist, dann hast du ebenfalls das Deine getan, um zu einer Person des öffentlichen Lebens zu werden. Würdest du dein Leben gerne dramatisiert sehen?>
<Morgan, natürlich würde ich das. Ich fand schon immer, dass Liebesgrüße aus...
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