Schweitzer Fachinformationen
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PROLOG
Es war Lulus vierzehnter Wurf. Und so klein, wie er geraten war, würde es wohl auch ihr letzter sein. Sie war eine gute Hündin gewesen, aber nun wirkte sie müde und ausgelaugt. Lulu hatte als Lesters Goldgrube in neun langen Jahren Welpen im Wert von rund zwanzigtausend Dollar zur Welt gebracht. Mit dem, was seine Farm abwarf, schaffte er es kaum, über die Runden zu kommen; das Welpengeschäft war also ein äußerst willkommenes Zubrot.
Lulus große, gleichförmige Würfe hatten ihm bislang zufriedene Kunden und einen guten Profit beschert, vor allem um Weihnachten herum, wenn das Geschäft mit den niedlichen Hundekindern zuverlässig boomte. Ein mickriger Wurf von vier, wie diese Brut, lohnte die ganze Mühe dagegen kaum. Nächstes Jahr würde Lulu durch eine jüngere Hündin ersetzt werden müssen.
Der Markt für Sojabohnen, Mais, Hafer, Hirse, Rinder und Schweine schwankte ständig. Deshalb verließ sich Lester Donaldson gerade im Winter, wenn sonst nichts auf seiner einhundertsechzig Morgen umfassenden Farm im Norden von Zentral-Kansas wuchs, auf die Kleinen. Jetzt war es erst Anfang November, doch in fünf Wochen würde Lulus letzter Wurf so weit sein, dass er verkauft werden konnte.
Lester besaß sieben Hündinnen: vier Golden Retriever, zwei Labradore und einen Pudel. Staatliche Vorschriften, an die sich gewerbliche Hundezüchter halten mussten, galten nur, wenn man mehr als vier Hündinnen auf seinem Grundstück hielt. Um Überprüfungen vorzubeugen, hielt Lester drei der Tiere auf seinem eigenen Grund und pachtete bei Nachbarn Flächen für behelfsmäßige Zwinger, in denen er die anderen Muttertiere und deren Junge unterbrachte. Er suchte sich verschwiegene Partner wie seinen klammen Nachbarn Ralph Williams. Diese Leute wussten, dass es besser war, nicht zu viele Fragen zu stellen, und begnügten sich damit wegzuschauen, die Hunde in Ruhe zu lassen und Lesters Pacht einzustecken.
Mit der Zeit wurde Lester immer gieriger. Gerade war er auf der Suche nach weiteren Nachbarn und errichtete weitere Zwinger, damit er sein Geschäft mit den Hunden in der nächsten Saison ausbauen konnte. Im Moment wuchs die Nachfrage nach großen Rassen - Mastiffs, Dänische Doggen und Irische Wolfshunde -, und das wollte er sich nicht entgehen lassen.
Die gewerblichen Züchter mit weit über hundert Hunden waren wie Fabriken. Lester freute sich über das Geld, aber er unterhielt einen Kleinbetrieb und wollte es auch so belassen, um nicht aufzufallen. Er brauchte keine Leute von der Regierung, die ihm Hygienevorschriften machten oder sagten, wann er den Tierarzt rufen sollte. Ohne Überprüfungen lief alles bestens. Er verkaufte seine Ware übers Internet und durch Kleinanzeigen. Er kam der Nachfrage kaum nach. Auf einer Website präsentierte er Fotos von Frühlingswiesen, auf denen die Hunde und ihr knuddeliger Nachwuchs sorglos miteinander herumtollten. Für hundert Dollar, online bezahlt mit einer Kreditkarte, konnte man sich schon etliche Monate vor dem Feiertagsansturm einen Welpen reservieren lassen. Lester hatte sein Geschäft »Traumhunde« genannt. Wenn er Bilder von seinen Hunden einstellte, fügte er Beschreibungen hinzu, die er von anderen Webseiten und Tierheimen geklaut hatte: »Wir haben diesen kleinen Burschen Zorro getauft. Wenn die Rasselbande sich zu heftig balgt, kommt er und rettet seine kleine Schwester. So lieb mit Kindern. Beeilt euch, dieser kleine Kerl wird schnell weg sein.«
Für Lester war die Hundezucht ein ehrbares Geschäft. Welpen machen die Leute glücklich und verleihen dem Bild einer perfekten Familie den letzten Schliff. Natürlich wusste er, dass sich einigen Leuten mächtig die Nackenhaare sträuben würden, wenn sie die Wahrheit über die Lebensbedingungen seiner Hunde wüssten. Aber Hundebabys werden wie Hamburger oder Milch als Ware verkauft. Bald kam der Weihnachtsmann, und davor kümmerte es keinen, wie seine Tiere aufwuchsen oder wie sauber ihre Zwinger waren. Jetzt interessierten nur Aussehen, Preis und Verfügbarkeit. Wenn eine Mom oder ein Dad sich mit Lester an der vereinbarten Stelle auf halber Strecke traf, hielt er oder sie den ausgesuchten Welpen freudig erregt hoch, sagte irgendwas Vorhersehbares, etwa: »Er ist echt süß«, wandte sich an Lester und fragte: »Wären Sie mit vierhundertfünfzig Dollar zufrieden?«
Dann kratzte sich Lester am Kinn und erwiderte: »Er ist seine sechshundert wirklich wert.« Danach legte er eine kurze Pause ein, bevor er fragte: »Bar?« Und wenn der Käufer nickte, sagte er: »Mir ist es wichtiger, dass der kleine Zorro ein gutes Zuhause findet, als dass ich jeden Dollar für ihn bekomme, den er wert ist. Wie wär's mit fünfhundert?« Sie schüttelten sich die Hände, und damit war das Geschäft besiegelt. Für ein frohes Weihnachtsfest scheute man keine Kosten, und Lester fuhr mit einem dicken Bündel knisternder Zwanziger, frisch gezogen aus dem nächstgelegenen Geldautomaten, nach Hause.
Lester gab die Zahlen für die winzigen Welpen aus Lulus letztem Wurf in die Liste auf seinem iPad ein: Nr. 4118 bis 4120, mit einer Abweichung, Nr. 4121. Er wog jeden Welpen auf einer kleinen Waage und trug die Daten in die Spalte rechts neben jeder Nummer ein. Die Abweichung wog fünfundachtzig Gramm weniger. So etwas konnte schon mal vorkommen. Die Natur bietet nicht durchweg die Gleichförmigkeit, die man sich als Züchter wünscht. Es war ganz einfach: Golden Retriever haben ein bestimmtes Aussehen. Dasselbe galt für Ford Mustangs und BMW 325i. Ohne dieses Aussehen - na ja, dann adieu, du schöner Traum!
Das erklärte er auch seinem Nachbarn Ralph Williams - in gewisser Weise seinem Vermieter, was die Hunde anging - und dessen zwölfjähriger Tochter Samantha, als diese an jenem Morgen durch den Maschendrahtzaun den neuen Wurf betrachteten. »Wenn sie nicht so aussehen, wie ein Golden Retriever aussehen soll, kann man sie einfach nicht verkaufen.« In diesem besonderen Fall, dachte Lester, ging die Abweichung über das Gewicht hinaus. Der Welpe hatte nicht einmal den Körperbau eines Golden Retriever. Die Farbe der Kleinen wich zwar nicht allzu weit von der Norm ab, aber ihre winzigen, viel zu kurzen Beine wiesen darauf hin, dass die Proportionen einfach nicht stimmten.
Lester hegte einen gewissen Verdacht, der das Aussehen des Winzlings erklären würde. Als er bemerkte, wie ruhig Ralphs normalerweise sehr gesprächige Tochter war, wusste er ziemlich sicher: Samantha musste Lulu aus dem Zwinger gelassen haben - etwas, das Lester ihr ausdrücklich verboten hatte -, sodass die Hündin unbeaufsichtigt herumgestreunt war. Er war selbst daran schuld. Er hätte die Zwingertür mit einem Vorhängeschloss versehen müssen. Die kleine Außenseiterin sah ganz anders aus als ihre Geschwister, und selbst in diesem frühen Stadium konnte Lester erkennen, dass ihr die eleganten Proportionen ihrer Mutter fehlen würden, wenn sie ausgewachsen war, und dass sie wohl eher ihrem Vater ähneln würde. Während seiner Zeit als Züchter war Lester das nicht zum ersten Mal passiert - derselbe Wurf, verschiedene Väter. Irgendein Köter war auf Williams' Grundstück herumgestreunt, als Lulu läufig gewesen war, und Samantha hatte Lulu aus dem Zwinger gelassen oder zumindest versäumt, die Tür ordentlich zu schließen. Anders konnte er sich das nicht erklären.
Er hielt den seltsam aussehenden Welpen hoch und inspizierte ihn näher, dann fragte er Samantha: »Du hast Lulu doch nicht etwa frei herumlaufen lassen?«
Samanthas Vater betrachtete seine Tochter nachdenklich. Ihm kam das zusätzliche Einkommen, das er sich mit der Unterbringung von Lesters Hunden verdiente, sehr gelegen, aber es gefiel ihm nicht, dass das Mädchen mit den Schattenseiten des Geschäfts konfrontiert wurde. Er hatte ihr gesagt, dass sie sich von den Zwingern fernhalten sollte. Um ehrlich zu sein, taten auch ihm die Hunde leid, und deshalb mied er sie selbst. Das Ganze war Lesters Unternehmen und nicht seines, und ganz bestimmt nicht Samanthas.
Samantha selbst ahnte nicht, wie Lester hinter ihr Geheimnis gekommen war. Sie war immer davon überzeugt gewesen, bestens aufgepasst zu haben. Nun schüttelte sie heftig den Kopf und erwiderte: »Nein, Sir. Vielleicht ist sie selber ausgebrochen.«
Lester wusste, dass die Kleine schwindelte, aber es änderte nichts an den Tatsachen. Was passiert war, war passiert.
Williams dachte an den Traktor, der vor dem Frühjahr repariert werden musste, die Einbußen, die seine Ernte durch die letzte Dürre erlitten hatte, und die üblichen Rechnungen, die sich stapelten. Es lastete viel auf ihm, doch auch wenn er auf Samanthas Seite war, musste er Lester zeigen, dass ihm ihre Partnerschaft nach wie vor wichtig war. Deshalb sagte er jetzt: »Samantha, du musst die Hunde in Ruhe lassen. Sie sind Mr Donaldsons Geschäft, nicht unseres.«
Samanthas Miene verriet ihr schlechtes Gewissen. »Ja, Dad.«
Lester lächelte zufrieden. Er hatte sich durchgesetzt. »Wir machen uns jetzt mal keine Sorgen und warten ab, wie sie wächst. Man kann nie wissen - vielleicht findet sich ja ein Käufer, wenn ich einen gewissen Nachlass einräume.« Er klopfte Ralph auf die Schulter, dann wandte er sich ab und ging. »Kinder!«, murmelte er halblaut.
Samantha bemühte sich, die Welpen, wie ihr aufgetragen worden war, zu ignorieren, doch als sie nach ein paar Tagen die Augen aufschlugen und agiler wurden, fiel ihr das zunehmend schwerer. Immer wieder beugte sie sich am Rand des Zwingers nach unten, und die Welpen stürzten sich auf sie, winselten aufgeregt und schleckten und bissen in ihre Finger, wenn sie sie durch den Maschendrahtzaun steckte. Dem hätte sie widerstehen...
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