Schweitzer Fachinformationen
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»Das ist einfach nichts für mich!« Christian Heldt stützte die Hände auf seine Oberschenkel und schnappte nach Luft. Salzige Schweißperlen, dick wie Rosinen, rollten von der Stirn über den Nasenrücken und tropften hinab. Er wälzte sich über das Gras und streckte Arme und Beine so weit von sich, dass er glaubte, sie würden ihm bald abfallen. Er hatte Baumstämme so schwer wie ein Dutzend Bierkästen in die Höhe gewuchtet. Beim Klimmzug hatte er alles gegeben und sich an den Stangen entlanggehangelt wie ein Orang-Utan auf Brautschau. Die Übungen waren dermaßen anstrengend gewesen und Christian hatte Grimassen geschnitten, für die man in anderen Ecken der Welt kastriert worden wäre. Liegestütze, Kniebeuge - »Und jetzt auf einem Bein« - egal welche Befehle Fabian gerufen hatte, Christian hatte alles gegeben. Ein Todesmuskelkater bis in die Spitze seines linken kleinen Zehs war das Mindeste, was ihm nach dieser Aktion blühen würde. Was für eine Quälerei, nur damit er am ersten Göttinger Herbstlauf teilnehmen und sich an den glotzenden Massen am Straßenrand vorbeischieben konnte, mit einem Gesicht so rot wie eine Kardinalshaube und sehr wahrscheinlich im Feld der Altersgruppe 75 plus. Ihn gruselte der Gedanke.
Er hob den Kopf und wagte einen Blick hinüber zu seinem besten Freund. Der hatte ein Pokerface aufgesetzt. Christian hatte keine Chance, auch nur einen Hauch wohlwollender Bestätigung oder vernichtender Kritik darin zu erkennen. Entnervt warf er die Arme in die Höhe. »Ich bleibe lieber bei meinen Mördern und Totschlägern.«
»Im Jammern bist du schon ganz gut«, sagte Fabian lachend und fuhr sich mit der Hand durch sein gelocktes Haar. »Schalte den perfektionistischen Kriminalbeamten in dir für ein Weilchen ab und setz dich nicht so unter Druck. Du wirst sehen, bis zum Lauf am Wochenende wirst du in Topform sein!« Er hob den Daumen und grinste schelmisch.
Erschöpft von den akrobatischen Übungen setzte Christian sich neben Fabian, seines Zeichens rechte Hand des Landrats und leidenschaftlicher Triathlet, ins Gras. »Wer will mich Fettsack schon durch die Fachwerkschluchten der Stadt hecheln sehen?«
Fabian stand auf und ging quer über den Trimm-dich-Platz am Jahnstadion zu seinem Rucksack, den er an der Barren-Station abgelegt hatte. Mit zwei Flaschen Biolimonade kam er zurück, drehte sie auf und reichte eine davon Christian. »Erstens: Du hast die besten Voraussetzungen, beim Lauf zu glänzen.«
»Das Einzige, was an mir glänzen wird, werden meine völlig durchgeschwitzten Klamotten sein«, entgegnete Christian und trank die Flasche halb aus. Im nächsten Moment prusteten beide los.
»Zweitens«, setzte Fabian immer noch lachend fort, »bist du nur etwas zu klein für dein Gewicht. Und schließlich: Es war deine Idee, dich für den Lauf anzumelden.«
»Das war keine Idee«, protestierte Christian. »Ich bin reingelegt worden!« Gleichzeitig huschte ein Lächeln über seine Lippen, als er an den lauen Abend vor dreieinhalb Monaten zurückdachte. In einem Anflug von jugendlichem Leichtsinn hatte er sich zu einer Wette hinreißen lassen und als Wetteinsatz seine Teilnahme am Stadtlauf eingebracht. »Nicht im Traum hätte ich gedacht, dass ich verlieren würde.«
»Du bist ihr direkt in die Falle getapst, mein Bester.«
Christian dachte an sie. Tanja! Wenn er nicht zugelegt hätte wie Joschka Fischer in seiner postparlamentarischen Phase, wenn sie nicht mit Markus Kratzer verheiratet wäre, wenn er sich nur nicht auf diesen ganzen Humbug eingelassen hätte . Wenn, wenn, wenn! Tanja hatte damals gewettet, dass Fabian und er mindestens ein Jahr brauchen würden, um die Vorkriegselektronik und giftigen Bleirohre aus den Wänden zu reißen und das Gehöft, ein unerwartetes Erbe von Fabians Großtante, bautechnisch ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Das alte Gemäuer gut zehn Autominuten südöstlich von Göttingen hatte zwar mehr Ähnlichkeit mit einem heruntergekommenen Bauernhof und war sanierungsbedürftiger als eine 68-jährige russische Oligarchengattin. Doch in den Wanderkarten der Region war es nach wie vor als Gut Eschenberg markiert. Es lag direkt hinter den Gleichen auf einem Hügel, dem Eschenberg, und bot bei gutem Wetter einen Blick bis zu den Westausläufern des Harzes. Fabian hatte sich vorgenommen, dem Gebäudeensemble wieder Leben einzuhauchen, nachdem die letzten Bewohner zu Wirtschaftswunderzeiten das Landleben als altertümlich kategorisiert hatten und eine Wohnung im noblen Göttinger Ostviertel bevorzugten. Einer an zwischenmenschlicher Nähe desinteressierten Verwandtschaft hatte Fabian es schließlich zu verdanken, als einziger Erbe in Frage zu kommen. Das nötige Kleingeld für den Unterhalt des Erbes hatte die Tante leider nicht hinterlassen. Er hatte es sich daher zur Aufgabe gemacht, an dem Schmuckstück herumzubasteln, es zu renovieren und Schritt für Schritt wieder bewohnbar zu machen. Christian half dabei, so gut er konnte. Voller Eifer hatten sie sich in ihre nagelneuen Latzhosen gezwängt, Gemäuer freigelegt und Fußböden geschliffen. Tanja würde schon sehen, wie alles bald blitzen und glänzen und wunderschön werden würde. Überschwänglich hatten sie eine gruselige Halloween-Einweihungsparty im Herbst in Aussicht gestellt. Tanja hatte sich gekringelt vor Lachen, was Christian letztlich zu dem wagemutigen Wetteinsatz hatte hinreißen lassen. Tanja hatte natürlich sofort eingeschlagen. Es sah aus, als sollte sie Recht behalten - bis Halloween waren es keine drei Wochen mehr und das Haus war nach wie vor eine einzige Baustelle. Der Strom floss inzwischen zwar aus den richtigen Steckdosen und das Leitungswasser hinterließ keinen metallischen Geschmack mehr auf der Zunge. Doch eine Übernachtung auf Gut Eschenberg war eher abenteuerlich als angenehm. Nun galt es, sich irgendwie mit dem Schicksal zu arrangieren und diesen Lauf zu bewältigen, koste es, was es wolle.
»Hey, du Tagträumer«, holte Fabian ihn wieder auf den Planeten.
»Als weltbester Triathlet hättest du mich vor diesem Blödsinn doch schützen müssen«, maulte Christian, bevor Fabian dumme Fragen über seine Gedanken stellen konnte.
»Du bist der cleverste Kriminalhauptkommissar, den ich kenne. Du brauchst keinen Beschützer.« Er klatschte zweimal. »Zeit für ein paar Extraeinheiten Crunches!«
Christian stöhnte auf. Sein Handy brummte.
»Was für ein Pech, Joshuas Basketballtraining ist wohl vorbei«, murmelte er halb erleichtert, stemmte sich in die Höhe und kramte sein Handy aus der Jacke hervor. »Verdammt«, Christian drehte die Augen gen Himmel, »es ist Bauschke.«
»Lass es einfach klingeln«, sagte Fabian, doch Christian lief bereits mit Telefon am Ohr zwischen den Holzgeräten hin und her.
»Sie sollten sich angewöhnen, schneller ans Telefon zu gehen, Heldt. Schon mal was von Notfällen gehört?«, bellte es ihm am anderen Ende der Leitung entgegen.
Es war typisch für Hubert Bauschke, seine Gespräche mit einer Kritik zu beginnen. Am Anfang hatte Christian diese Seitenhiebe seines Chefs noch ernst genommen und war davon verunsichert gewesen. Mittlerweile wusste er, dass es nur eine Marotte war, von der Bauschke glaubte, damit seine trübe und humorlose Art zu übertünchen. Seit sein eigentlicher Vorgesetzter Paul Stern vor etwas mehr als einem halben Jahr eine längere »Auszeit« genommen hatte, war dessen Team direkt Bauschke unterstellt worden, der den Zentralen Kriminaldienst der Polizeiinspektion Göttingen unter seinen Fittichen hatte. Christian wäre das letztlich egal gewesen - seine Arbeit wurde dadurch nicht weniger. Nervig war der Umstand, dass Bauschke und Stern in etwa so gut miteinander auskamen wie Tom und Jerry. Wegen seiner guten Kontakte bis ins Innenministerium in Hannover - böse Zungen behaupteten, nur deswegen - hatte es Bauschke seinerzeit geschafft, sich den Posten und damit die Aussicht auf höhere Sphären unter den Nagel zu reißen. Stern hatte sich schon lange zuvor für diese Position bewährt, doch das hatte nicht gezählt. Seither kämpfte Stern einen ungleichen Kampf. Es war, als gäbe es eine gläserne Decke, die es ihm unmöglich machte aufzusteigen. Christian vermutete, dass sein Burn-out - er war eines Nachmittags einfach im Büro zusammengeklappt - unter anderem diesem Machtspiel geschuldet war.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Christian, ohne auf Bauschkes Stichelei einzugehen. Er schaute zu Fabian und zuckte mit den Schultern.
Bauschke räusperte sich und schluckte den Schleim geräuschvoll hinunter. »Ich brauche Sie hier. In 20 Minuten!«
Wenn Bauschke ihn aus dem Urlaub zurück in den Dienst pfiff, musste es dringend sein. Christian wurde flau im Magen. Er hatte sich ein paar Tage freigenommen, um die Herbstferien mit Joshua verbringen zu können. Im Sommer hatten sie die einzige Regenwoche der Saison erwischt und sich in ihrem Zelt auf einem Fehmarner Campingplatz angeödet. Die Herbstferien sollten das ausgleichen. Einen kurzfristigen Konferenztermin konnte er gerade als Letztes gebrauchen. Denn meistens war der nur der Auftakt für eine viel langwierigere Angelegenheit. Außerdem war er völlig durchgeschwitzt. Er presste Daumen und Zeigefinger auf die Augen und suchte fieberhaft nach einer Ausrede.
»Ich muss meinen Sohn gleich vom Basketballtraining abholen. Danach könnte ich .«
»Der müsste in seinem Alter doch selbstständiger sein!«, unterbrach Bauschke.
Seitdem Ellen kurz nach Joshuas Geburt sie beide allein gelassen und die Stadt verlassen hatte, als wütete dort die Pest, sorgte Christian für seinen Sohn. Er kümmerte sich darum, dass...
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