Schweitzer Fachinformationen
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Eins
Die Stichflammen, die immer wieder am sonst leeren schwarzen Horizont auftauchten, heiterten mich nicht unbedingt auf. Ich hatte auf dem Rücksitz des Wagens gedöst, den Kopf an Brynns Schulter gelehnt, aber das Stakkato stummer Ausbrüche war zu unheimlich, um es einfach zu verschlafen.
»Wo zur Hölle sind wir?«, fragte ich.
Soweit ich sehen konnte, gab es draußen nur nichtssagende Ebenen. Keine Sterne am Himmel, nur Schwärze. Schwärze und Feuer.
»Hölle passt«, sagte Brynn und blickte aus dem Fenster. Ihr Gesicht wurde von der Innenbeleuchtung des Wagens schwach angestrahlt - stärker war das Licht der gelegentlich auflodernden Flammen draußen. Ein einzelner, dicker schwarzer Streifen war von ihrem kurzen Pony bis zur Nasenwurzel über ihr ernstes Gesicht tätowiert. Sie sah sogar noch ernster aus als sonst. Aber vielleicht war ich auch nur übermüdet.
Die restlichen Passagiere schwiegen, während wir durch die Schwärze rauschten.
Es waren Gasfackeln. Als ich langsam zu mir kam, fiel es mir wieder ein. Wir mussten irgendwo in North Dakota sein. Überschüssiges Erdgas, für das die Kapazitäten nicht ausreichen, wird abgebrannt. Ich hatte diese Flammen noch nie mit eigenen Augen gesehen, dieses Monument der Verschwendungssucht unserer Zivilisation.
Meine linke Schulter schmerzte, wo ein Faden - ganz normales Nähgarn - die Wunde zusammenhielt, wo vor Kurzem ein Brecheisen hart aufgekommen war. Meine rechte Hand war immer noch wund und mit unnatürlich grauen Flecken gesprenkelt, nachdem mich eine untote Ziege gebissen hatte.
Hinter uns, tausend Meilen entfernt, lag gar nichts. Leichen und vielleicht ein paar Ermittler, die Erklärungen suchten, mit denen wir nicht dienen konnten. Ein Dämon hat diese Polizisten umgebracht, Sir, wir waren das nicht. Sie hätten eben nicht im Angesicht eines blutroten Hirsches mit drei Geweihen und offensichtlich übernatürlicher Gewandtheit ihre Waffen ziehen dürfen. Wessen Schuld war es denn sonst?
Niemand würde uns glauben. Noch vor einer Woche hätte auch ich das nicht geglaubt. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Vor uns lag ebenfalls nichts. Wir hatten so etwas wie eine vage Karte von Städten, in denen Freunde lebten, die uns vielleicht aufnehmen würden, Orte, an denen es vielleicht Bücher gab oder Hexen, von denen wir lernen konnten. Doomsday war überzeugt davon, dass wir es nur an die Küste Washingtons schaffen mussten, um dort Leute zu treffen, die uns mit einem Boot zu den Inseln vor Kanada bringen konnten. Vulture hatte auf einer Google-Karte Orte markiert, an denen ominöse Vermisstenfälle und seltsame Phänomene aufgetreten waren, die wir untersuchen konnten. Aber etwas Konkreteres hatte niemand von uns vorzuweisen. Keine konkreten Pläne, nur Chaos.
Das war jetzt unser Leben.
Thursday fuhr 16 Stunden durch. Seine Hände umklammerten das Lenkrad auf zehn und zwei Uhr. Es lief keine Musik, aber ab und zu hörte ich die ätherischen, ausgewaschenen Stimmen der Radioprediger. Ich glaube, sie erzählten uns, dass wir alle zur Hölle fahren würden. Allerdings nehme ich immer an, dass mir solche Stimmen genau das erzählen.
Als die Sonne hinter uns über den Horizont kroch, verließen wir die Flammenfelder. Thursday bog auf einen Rastplatz, um »den Sonnenaufgang zu sehen und vielleicht was zu essen«. Aber als er den Motor abgestellt hatte, kam er nicht einmal dazu, den Fahrersitz freizugeben, ehe er einschlief.
Wir Übrigen waren ausgeruhter und lehnten uns in der kühlen Morgenluft gegen den Wagen, um besagten Sonnenaufgang zu betrachten. Wenn man die ganze Nacht wach ist, muss man einfach den Sonnenaufgang ansehen, jedes Mal.
Vulture reichte eine kleine Flasche Orangensaft herum, die er von irgendwo hervorgekramt hatte, vermutlich aus der Tasche seines Hoodies, denn seine blauen Jeansshorts hatten sicherlich keine ernst zu nehmenden Hosentaschen. Er würde sich sicher gut als Bühnenzauberer machen, denn er hatte diesen gewissen Charme und alle seine Bewegungen wirkten flüssig, fast hypnotisch. Er lächelte viel, und auch wenn sein Lächeln selten aufrichtig wirkte, war es doch ansteckend.
»Wird es funktionieren?«, fragte Brynn nach Stunden des Schweigens. Sie saß auf dem Dach des rot lackierten alten Hondas und ihre Stahlkappenstiefel baumelten an der Seite herab. Sie pulte an einem Granatapfel herum und warf das Fruchtfleisch auf die Straße. Ihre Arme waren bis zu den Schultern nackt - ich wusste nicht, ob sie irgendein Shirt besaß, das noch Ärmel hatte.
»Auf lange Sicht nicht«, sagte Doomsday. »Aber heute schon.« Sie war noch eine Anfängerin, wenn es darum ging, aus Worten Magie zu erschaffen, aber sie hatte dennoch eine ganz eigene Art, die Welt um sich herum zu beugen, wenn sie sprach.
»Was hat höhere Priorität?«, fragte ich. »Unterm Radar bleiben oder unsere neue Karriere?« Es war reine Neugier, mehr nicht. Was ich erfahren wollte, war unsere Richtung, nicht unsere Absicht.
»Unterm Radar bleiben«, sagte Doomsday.
Gleichzeitig sagte Vulture: »Dämonen jagen.«
Sie sahen einander an. Wie lange kannten sie sich schon? Jahre? Ich kannte sie noch nicht einmal eine Woche.
»Dämonen jagen, während wir unterm Radar bleiben«, präzisierte Vulture. Das war seine Art nachzugeben.
»Je besser wir mit der Magie vertraut sind, desto besser sind wir auf alles vorbereitet, was uns zustoßen könnte«, sagte Doomsday.
»Also beides?«, fragte ich. »Wie zum Teufel sollen wir beides machen?«
»Magie«, sagte Vulture grinsend.
Brynn, vermutlich außer sich vor Müdigkeit, lachte mit ihrem ganzen Körper, sodass ihre Absätze gegen die Fenster trommelten.
»Schnauze da draußen«, murmelte Thursday im Wagen. Zumindest glaube ich, dass er das sagte. Ich hätte es gesagt.
Thursday wäre weitergefahren, den ganzen Weg, wenn wir ihn gelassen hätten. Aber sein Protest war kaum zu hören, als wir ihm auf den Rücksitz halfen.
Ich nahm seinen Platz hinter dem Lenkrad ein, Brynn setzte sich auf den Beifahrersitz und so flohen wir vor dem erwachenden Tag.
Ich habe den größten Teil meines Lebens in den sogenannten Flyover States verbracht, den Staaten der USA, die zwischen den Küsten liegen und die die meisten Amerikaner nur aus dem Flugzeug kennen. Ihre Schönheit ist unübertroffen, aber manchmal ist ihre endlose Ausdehnung auch zu endlos.
Ich fuhr den ganzen Tag durch. Vulture hatte sich für ein nachtaktives Leben entschieden; er schnarchte sacht, das Gesicht ans Fenster gedrückt. Thursday war fix und fertig. Doomsday wurde wegen Mordes gesucht - zumindest dringender als der Rest von uns - und wollte nicht riskieren, diejenige zu sein, die sich auszuweisen hatte, sollten wir angehalten werden.
Brynn hätte mich ablösen können, da bin ich sicher, aber das wollte ich nicht. Sie wirkte zufrieden auf dem Beifahrersitz. Dann legte sie ihre Hand auf meinen Arm und ließ sie lange dort liegen. Das entschied die Sache: Ich wollte weiter hinterm Steuer bleiben.
Also fuhr ich den ganzen Tag.
Ich hatte mal gehofft, irgendwann Truckerin zu werden. Als ich zehn Jahre zuvor mit dem Trampen angefangen hatte, war ich 18 gewesen und hatte mich in so ziemlich jede Truckerin verliebt, die ich traf. Sogar nach dieser Sache, als ich 19 war und einem männlichen Lkw-Fahrer in die Hand schneiden musste, sogar da dachte ich noch, ich würde mal Truckerin werden.
Die endlose Straße, Einsamkeit, Bücher auf Kassette, ordentliche Bezahlung. Wer wollte denn kein Trucker sein?
Als ich endlich alt genug für den Job war, wollte ich ihn nicht mehr. Hauptsächlich weil ich überhaupt keinen Job wollte. Ich hatte mich als Nomadin eingerichtet und das Fahren nach dem Zeitplan irgendeines Unternehmens passte mir nicht.
Dennoch war ich nach wie vor überzeugt, eine verdammt ausdauernde Fahrerin zu sein.
Wir erreichten Montana und ich fuhr weiter. Glacier National Park ist der allerschönste Platz im ganzen Land und ich dachte, wir könnten vielleicht dort übernachten - uns auf irgendeinem Campingplatz unter die Touristen mischen -, wenn ich nur durchhielt.
Wir schafften es halb durch den Staat. Ich fuhr auf einer Nebenstraße, denn die gelegentlichen Geschwindigkeitskontrollen in den Kleinstädten schienen mir ein geringeres Risiko als die Highway Patrol auf der Interstate, die womöglich aktiv nach uns suchte.
Irgendein Brite las uns über das Autoradio einen Fantasyroman vor - Vulture hatte das eingestellt - und die Sonne sank langsam. Brynn schlief. Auf der Rückbank waren alle ruhig, schon seit einer Stunde hatte keiner mehr ein Wort gesagt. Die Sonne schien gerade ein bisschen näher an den Horizont zu rücken.
Ich döste ein.
Halb auf der Gegenfahrbahn kam ich wieder zu mir und korrigierte die Spur. Es gab keinen Gegenverkehr, nur die endlose Ausdehnung dieses Highways in Montana. Ich ohrfeigte mich selbst - das hilft gemeinhin für etwa zehn Minuten - und beschloss, die nächste Ausfahrt zu nehmen, um einen der anderen ans Steuer zu lassen.
Ich döste wieder weg.
In meinem ganzen Leben hatte ich noch keinen Autounfall gebaut.
Als ich vielleicht eine halbe Sekunde später wieder zu mir kam, fuhr ich schon auf der Gegenfahrbahn, dieses Mal ganz. Erschrocken korrigierte ich, überhastet, und merkte, wie ich sehr schnell auf den rechten Fahrbahnrand zuraste. Also korrigierte ich in die andere Richtung. Immer noch ohne nachzudenken und viel zu schnell. Das Auto erhob sich...
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