Schweitzer Fachinformationen
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Die Begegnung. Los Angeles, Stadtteil Hollywood, Hudson Avenue, ziemlich nahe beim Hollywood Boulevard, Haus des YMCA, Umkleideraum. Ich trat vor einen der Spiegel und kämmte mich. Mein Haar war noch recht feucht, obwohl ich es eine Weile mit dem Handtuch gerieben hatte. Um mich herum Bewegung. Hinter mir gingen Leute hin und her. Auf der Höhe meiner Schulter erschien ein Gesicht im Spiegel, rund, flach, gelblich, pechschwarzes Haar, wohl ein Amerikaner chinesischer Herkunft, er begann, sich auch zu kämmen, ich trat etwas zur Seite, um ihm eine Hälfte des Spiegels zu überlassen. Ich drehte mich um. Meine Tasche war noch da, stand auf einem Hocker, der Aufdruck "Lufthansa", rötlichgelb auf dunkelblau, leuchtete mir entgegen. Jenseits des Hockers zogen sich zwei Mulatten an. Sie lachten, unterhielten sich. In ihrer Nähe ein nackter Weißer, groß, muskulös, er schloss eines der schmalen Schränkchen ab, kam auf mich zu, bog zum Duschraum ab. Ich sah wieder in den Spiegel, kämmte ein paarmal feuchte Haare nach links, die mir senkrecht in die Stirn hingen. Draußen war es sicher schon recht kühl. Ich musste noch hier bleiben und die Haare eine Weile trocknen lassen. Ich konnte ein bisschen fernsehen. Ich steckte den Kamm in die Jacke, nahm meine Tasche, ging zwischen zwei Reihen der schmalen Metallschränkchen hindurch, vorbei an den beiden Mulatten, deren ungehemmte Heiterkeit mich unerklärlicherweise fast verdrießlich stimmte, erreichte den Flur, der an der gegenüberliegenden Wand entlanglief.
In einer Ecke des Raumes befand sich eine Polsterbank, überzogen mit hellbraunem Kunstleder, davor ein Fernsehgerät. Auf der Bank saß ein blonder junger Mann, die Beine ausgestreckt, er sprach mit einem weiteren blonden jungen Mann, der sich auf einem Hocker neben der Bank niedergelassen hatte. Ein zweiter Hocker stand da, frei, ich nahm Platz, stellte meine Tasche auf den Boden. Auf der Mattscheibe ein Mann in hellem Dress, der den Mund bewegte, wahrscheinlich ein Tennisspieler, der interviewt wurde, ich verstand fast nichts, das Rauschen der Duschen, das aus zwei offenen Durchgängen in den Umkleideraum drang, vermischte sich mit dem Ton aus dem Lautsprecher.
Ich versuchte nun, dem Gespräch der beiden jungen Männer rechts von mir zu folgen. Um Bärte ging es. Der Soundso hatte sich einen Vollbart wachsen lassen, stand ihm überhaupt nicht, aber ein anderer hatte auch einen und sah ganz gut damit aus. Dann Sätze, die, vermengt mit dem Rauschen der Duschen und der Stimme aus dem Apparat, mich nicht erreichten. Der auf der Bank hatte hellblondes, leicht gewelltes Haar, eine sehr blasse Haut, trug ein weißes T-Shirt, dunkelblaue Trainingshosen, ungeputzte, an mehreren Stellen zerrissene Tennisschuhe. Der andere war dunkelblond, sein Haar reichte bis über den Kragen, er hatte Bluejeans an, hellbraune Wildlederschuhe, ein rot und weiß kariertes Hemd, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt waren. Ich fing nun wieder eine Äußerung des Hellblonden auf: Er würde sich gerne einen Bart wachsen lassen, einen Schnurrbart, aber seine Haut sei zu empfindlich. Der Dunkelblonde erwiderte etwas, ich verstand es jedoch nicht, sein Gesicht war von mir abgewandt. Auf der Scheibe erschien ein Nachrichtensprecher. Die Unterhaltung zwischen den beiden jungen Männern brach ab. Ein Film wurde eingeblendet, Flüchtlinge am Rand einer Straße, einige schleppten Reste ihrer Habe auf dem Rücken von Tieren, auf Viehkarren mit, Lastwagen mit fliehenden Soldaten, Geschützdonner, Rauch am Horizont. Wieder der Sprecher, er berichtete von weiteren Kriegswirren, freundlich, fast lächelnd, als ob er von einer Fürstenhochzeit in Monaco oder Liechtenstein erzählen würde. Dann Lokales, empörte Hausbesitzer aus Anaheim, durch deren Wohngegend ein Freeway geführt werden sollte. Der Dunkelblonde bewegte den Kopf mit einem Ruck nach vorn, seine Haare fielen über das Gesicht, er warf den Kopf in den Nacken, die Haare sanken zurück.
Ich weiß nicht, warum ich zu sprechen begann. Vielleicht aus Langeweile. Vielleicht, weil ich mich gerade einsam fühlte. Vielleicht, weil ich mein Englisch üben wollte. Bestimmt, ich bin außerstande anzugeben, wieso ich es tat. Man soll mir auch nicht unterstellen, ich hätte ihn angesprochen, weil er mir gefiel. Ich hatte sein Gesicht bis dahin gar nicht genau gesehen, er hatte sich mit dem Hellblonden unterhalten, dabei hatte sein Hinterkopf in meine Richtung gewiesen, und als er nach Beginn der Nachrichten zum Fernsehgerät hinstarrte, tat ich es ebenfalls. Ich fragte ihn überdies nichts, was ich gerade wissen wollte, vielmehr stand für mich die Antwort fest, ich war schon das dritte Mal hier und kannte mich einigermaßen aus.
Ich sagte also: "Isn't there a hair-dryer for everbody in here?"
Er wandte mir das Gesicht zu, sah mich an. Sicher erfasste ich in diesem Moment nicht die Einzelheiten seines Gesichts, bewertete es auch nicht. Ich wurde nämlich plötzlich unsicher, ob es im Englischen das Wort "hair-dryer" gab, ich hatte es aufs Geratewohl gebildet.
Ich sagte daher schnell: "Is this the correct word: hair-dryer? Have you got this word in English?"
Er ging auf meine beiden letzten Fragen nicht ein, er beantwortete nur die erste: "No, you have to bring your own." Nein, man müsse seinen eigenen mitbringen. So war es. Ich wusste es schon.
Der Hellblonde äußerte etwas. Ich verstand nur so viel, dass er einen Platz oder Bereich nannte, an dem es zehn Föhne gab.
"Where?", fragte ich.
Der Dunkelblonde wiederholte, was der andere gesagt hatte: "In the executive branch there are ten hair-dryers."
Beide verwandten das Wort "hair-dryer", ich hatte also den richtigen Begriff gefunden.
Da ich den Dunkelblonden wohl immer noch etwas verständnislos ansah, fügte er hinzu: "The executive branch is in another part of the building."
Aha, in der Managerabteilung, die sich in einem anderen Teil des Gebäudes befand, waren zehn Föhne.
Das sei ja unglaublich, sagte ich lächelnd mit Empörung in der Stimme, die teils ernst, teils ironisch gemeint war, bei denen seien zehn Föhne, aber hier fürs gemeine Volk gebe es gar keinen.
Der Hellblonde murmelte irgendetwas wie "yes", der Dunkelblonde lächelte. Meine Frage war beantwortet, die Bemerkung des Hellblonden hatte ihren Widerhall gefunden, es gab eigentlich zu zwei Fremden nichts mehr zu sagen, zumal die Nachrichten nach einem Werbespot fortgesetzt wurden, man zeigte ein Fest im Freien, in einem Park wahrscheinlich: auf einer Wiese verkleidete Gestalten, die herumblödelten.
Und doch sagte ich noch etwas, fügte ganz bewusst ein "Reizwort" ein: "After all it's too much to bring a hair-dryer all the way from Europe."
Der Dunkelblonde meinte, es sei besser, das Haar nicht mit Hilfe des Föhns zu trocknen.
Er war auf das Wort "Europa" nicht eingegangen. Keine Frage: Do you come from Europe? oder: Where do you come from?
Ich war verblüfft, äußerte eine weitere banale Bemerkung: Man sei manchmal ganz froh, wenn man die Haare etwas schneller trocken bekomme.
Der Dunkelblonde lächelte. Nicht spöttisch, sondern freundlich, duldsam.
Ich wandte mein Reizwort noch einmal an: In den Hallenbädern, die ich in Europa besucht hätte, seien immer Föhne angebracht gewesen, für Frauen und Männer. Er antwortete nur: "Really?" Auch diese Äußerung wirkte nicht abweisend.
Spätestens jetzt musste ich sein Gesicht genügend beobachtet haben, denn ich weiß, was ich ihn als Nächstes fragte.
Dieses Gesicht . Ich bin mir bewusst, dass ich sein Gesicht nicht genau zu beschreiben vermag. Es ist unmöglich, ein Gesicht vollkommen mit Worten zu erfassen. Ich kann nur ein Schema geben und ein paar Einzelheiten daran heften. Der Rahmen: das glatte dunkelblonde Haar, das von den Fransen auf der Stirn in gerundetem Schwung abwärts floss und nur am Hinterkopf die Kragenhöhe erreichte. Die Form: weder breit, noch schmal, weder rund, noch lang, auch nicht oval, sondern zwischen diesen Extremen. Die Augen graublau. Die Nase gerade. Der Mund ohne Besonderheit. Die Wangen nicht voll, vielmehr spannte sich die gebräunte Haut straff zwischen Backenknochen und Kiefer. Meines Erachtens harmonische Züge. Warum? Die einzelnen Teile passten zueinander, insbesondere "stimmten" die Proportionen, vielleicht nicht im Sinne des Kanons eines Bildhauers der Antike oder Renaissance, aber sie waren so, dass man sie als angenehm empfand.
Was ich nun von ihm wissen wollte, interessierte mich tatsächlich. Ob denn hier in Hollywood nicht jeder, der auch nur ein bisschen gut aussehe, Schauspieler beziehungsweise Schauspielerin werden wolle.
Ich hatte die Frage allgemein formuliert, sie konnte aber eigentlich jeweils nur für eine bestimmte Person beantwortet werden. Er verstand dies sicher, erkannte wohl auch...
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