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These: Nachdem Mohammed im Jahr 610 damit begonnen hatte, den Islam als Botschaft der Freiheit und der Selbstbestimmung des Menschen zu verkünden, initiierten autoritäre Herrscher bereits ab 661 eine Gegenbewegung: Aus dem selbstbestimmten Menschen sollte nun ein Objekt des Gehorsams und der Unterwerfung werden. Diese Gegenbewegung bestimmte nicht nur damals, wie sich der Islam entwickelt hat, ihre Auswirkungen reichen bis heute tief in die muslimischen Gesellschaften und die Köpfe vieler Muslime.
In seinem Buch über die Unterdrückungsstrukturen im Islam attestiert Mohammad Khatami, der ehemalige Staatspräsident Irans, für die islamische Welt seit 661: "Trotz allen Unterschieden zwischen den Regierungsformen und den politischen Systemen in den islamischen Gebieten in ihren unterschiedlichsten historischen Phasen, teilen diese dennoch einen einzigen gemeinsamen Nenner, und zwar zu allen Zeiten und an allen Orten: die Tyrannei sowie Gewalt und Manipulation als Grundlage politischer Macht. Man kann mit anderen Worten sagen: Der politische Geist und seine Implikationen konzentrierten sich nur auf den einen Machthaber, daher herrschte zu all diesen Zeiten nur Unterdrückung."1 Tyrannei und Unterdrückung, so Khatami, seien die Hauptursachen der Dekadenz der islamischen Welt.2
Dieser Befund Khatamis, der in Iran als großer Reformer galt, sich jedoch gegen die dortigen konservativen Kräfte nicht durchsetzen konnte, wird von den historischen Fakten gestützt. So hart es klingen mag: Khatamis Fazit einer seit dem Jahr 661 in der islamischen Welt vorherrschenden Unterdrückungsstruktur ist richtig. Doch bevor wir dies genauer erklären, müssen wir einen Blick auf die Zeit vor 661 werfen, auf jene Zeit der Verkündigung Mohammeds in den Jahren 610 bis 632 und die Epoche der ersten vier Kalifen zwischen 632 und 661.
Der Koran fasst die Hauptbotschaft der Verkündigung Mohammeds und damit die Essenz des Islams in einem Satz zusammen: "Gott hat dich, Mohammed, ausschließlich als Barmherzigkeit für alle Welten entsandt." (Q 21:107) Nur wenige Jahre nach dem Tod Mohammeds war davon allerdings kaum noch etwas zu spüren. Aus einer Botschaft der Barmherzigkeit war die Legitimation von Macht und Tyrannei geworden. Die Kalifen und sonstigen islamischen Herrscher hatten damit begonnen, sich mit religiösen Titeln zu schmücken, um damit ihre Macht im Namen des Heiligen zu begründen und dem Volk zu suggerieren, sie seien die Vertreter Gottes auf Erden. In seinem Namen würden sie sprechen, sie seien sein Sprachrohr, weshalb sie darauf Anspruch hätten, dass ihnen bedingungslos gehorcht werde und man sich ihnen unterwerfe - im Namen des Islams. Und noch bis heute verwenden nicht wenige muslimische Herrscher genau diese Rhetorik, um ihre Herrschaft, die meist nicht vom Volk legitimiert ist, durch den Verweis auf das Heilige zu rechtfertigen. Dabei geht es ihnen nicht um den Islam, allein der Erhalt ihrer Macht ist ihr Ziel. Und da diese Instrumentalisierung des Islams schon wenige Jahre nach dem Tod Mohammeds begonnen hatte, waren die Konsequenzen für das damals erst entstehende Selbstverständnis des Islams und der islamischen Theologie gravierend. Denn mit einer Religion der Liebe und Barmherzigkeit, die Spiritualität und ethische Grundsätze sowie Grundsätze der Freiheit und Gleichheit predigt, lassen sich autoritäre Machtstrukturen viel schwieriger begründen als mit einer Religion der Unterwerfung.
Die kurz nach dem Tod Mohammeds begonnene politische Manipulation des Islams hatte dramatische Konsequenzen für dessen weitere Entwicklung - und zwar in jeglicher Hinsicht. Bis heute ist davon nicht allein das Gottesbild des Islams betroffen, sondern auch sein Menschenbild, betroffen ist der Stellenwert, der der Freiheit des Menschen beigemessen wird, das Verstehen des Korans, das Verhältnis der Religion zur Politik und vieles mehr. Ein Großteil dessen, was wir Muslime heute als islamisch bezeichnen, ist lediglich Produkt einer politischen Manipulation.
Es ist daher keine Übertreibung, zu behaupten, dass sich der Islam seit der Zeit kurz nach dem Tod Mohammeds in der Geiselhaft autoritärer Herrscher befindet - bis heute.
Um die Ursprünge dieses Problems verstehen und nachvollziehen zu können, aber auch um das Problem zu überwinden und einen neuen, zukunftsweisenden Entwurf des Islams darzulegen, müssen wir die Geschichte der Geißelung des Islams durch diese Herrscher rekonstruieren. Beginnen wollen wir unsere Reise mit Mohammed selbst, dem Verkünder einer Botschaft der Freiheit.
Folgt man der muslimischen Überlieferung, begann der Prophet Mohammed im Jahr 610 mit der Verkündigung des Islams. Um jegliche Konfrontation mit den mächtigen mekkanischen Clans zu vermeiden, hielt er seine Mission in den ersten drei Jahren seiner Prophetie geheim. Lediglich einzelne Personen waren es, die Mohammed direkt ansprach, um sie von seiner Verkündigung zu überzeugen. Zu diesen ersten Muslimen zählten seine Frau Khadija, sein engster Freund Abu Bakr, der später der erste Kalif werden sollte, sowie sein Vetter Ali, der als vierter Kalif in die islamische Geschichte einging. In dieser Phase sind etwa vierzig bis sechzig Personen der Botschaft Mohammeds gefolgt, darunter circa zehn Frauen.3
Mit dieser eher kleinen Gruppe, dem Kern der ersten Anhänger Mohammeds, begann die öffentliche Verkündigung des Islams. Als Hauptmedium diente die poetische Form der koranischen Sprache, die darauf abzielte, die Mekkaner durch ihre besondere Ästhetik zu erreichen. Daher zeichnet sich gerade der sogenannte mekkanische Koran - gemeint sind die Teile des Korans, die vor der Auswanderung Mohammeds nach Medina im Jahr 622 verkündet wurden - durch seine kurzen, aber hochrhetorischen Suren aus. Diese Suren wurden von Mohammed nicht etwa vorgelesen, sie wurden rezitiert, ihr ästhetischer Klang sollte die Stimme Gottes zu einem emotionalen Ereignis machen. Thematisch beschränkte sich die mekkanische Phase nicht allein auf religiöse Schwerpunkte, wie die Verkündigung des Monotheismus oder des Glaubens an die Wiederauferstehung und an das Jenseits als Tag des Gerichts, es wurden auch soziale Themen angesprochen. So wurden etwa Ungerechtigkeiten kritisiert, hervorgerufen durch einige vermögende Mekkaner, deren verschwenderischer Lebensstil ebenso angeprangert wurde wie die Unterdrückung von Menschen. Der Koran rief in dieser ersten Phase zu mehr Solidarität mit den Armen, Bedürftigen und Waisen auf. Im Vordergrund stand die Verkündigung des Glaubensbekenntnisses, das in erster Linie ein Bekenntnis zur Befreiung von jeglicher Bevormundung ist und somit ein Bekenntnis zur Befreiung von allem, was den freien Blick des Menschen einschränkt und ihn in Abhängigkeiten verstrickt. Denn im Glaubensbekenntnis heißt es nicht: "Ich bezeuge, dass es nur einen Gott gibt", sondern "dass es keine andere Gottheit gibt, außer dem einen Gott". Das islamische Glaubensbekenntnis beginnt also mit einer Negation; es geht darum, sich von allem zu befreien, was einen geistig, sozial oder politisch bevormundet.
Trotzdem waren es noch immer nur sehr wenige Personen, die es wagten, sich Mohammed anzuschließen. Die entscheidende Phase seiner Prophetie begann, als Mohammed Kontakt zu einigen Medinensern, also den Bewohnern von Medina, einer Stadt nördlich von Mekka, aufnahm, die er in Mekka während der Pilgerfahrt kennengelernt hatte. Mekka war schon zu vorislamischer Zeit eines der wichtigsten Pilgerzentren der Araber.
Im Jahr 622, nach etwa 13 Jahren der Verkündigung in Mekka, wanderte Mohammed nach Yathrib aus, wie Medina zu dieser Zeit noch genannt wurde. Dort agierte er nicht nur als Verkünder einer göttlichen Botschaft, er war zugleich darum bemüht, einen gesellschaftlichen Wertekonsens herzustellen, basierend auf den Pfeilern der Gerechtigkeit und sozialen Solidarität. Er wollte die Menschen dazu bewegen, diese Werte als nicht verhandelbar einzuhalten.
Viele Autoren, die sich mit dieser historischen Phase des Islams beschäftigen, sprechen von Mohammed als politischem Oberhaupt der Gemeinde in Medina. Mit einer solchen Klassifizierung sollte man aber vorsichtig sein, denn ein genauerer Blick auf das Wirken Mohammeds, aber auch darauf, wie seine Rolle im Koran beschrieben wird, widerspricht der weitverbreiteten Auffassung, er habe in Medina ein Staatswesen gegründet und sei dort der politische Herrscher gewesen (siehe Kapitel 3). Von Beginn an wollte Mohammed mit den archaischen Stammestraditionen und Bräuchen brechen. Mit Vehemenz lehnt der Koran zum Beispiel die menschenfeindlichen Praktiken einiger Mekkaner ab, die etwa neugeborene Mädchen begraben ließen. Der Koran kritisiert zudem die Araber, die sich dafür schämten, anstatt eines Jungen ein Mädchen als Kind bekommen zu haben.4 Er eröffnete die Möglichkeit, Sklaven freizukaufen, um die Sklaverei sukzessive abzuschaffen,5 er predigte die Gleichheit von Menschen,6 er sprach Frauen Erbanteile zu,7 die bis dato vom Erbe ausgeschlossen waren,8 und er sparte nicht mit Kritik gegen Unterdrücker und soziale Ungerechtigkeit.9 Damit...
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