Schweitzer Fachinformationen
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Jetzt ist Sonntagabend, und ich sitze frisch gebadet am Schreibtisch. In der Luft liegt Ruhe, und es ist selten, dass alles so still ist, wie an Sonntagabenden, wenn man nach dem Baden allein da sitzt.
Heute Morgen kam Nourdine schon ganz früh vorbei. Er hatte den Text dabei zu dem Stück, in dem er vielleicht eine Rolle kriegt. Und dann hatte er in der Tüte noch zwei ungeöffnete Zippen-Pakete und so zirka ein halbes Kilo Pistazien. Papa stellte den Aschenbecher hin und sperrte das Sonnenlicht mit den Rollos aus. Nourdine machte das Hemd auf und fing dann mit Atemübungen an, bis es klang, wie wenn Weiber Kinder kriegen. In der Zeit halfen Papa und ich mit dem Übersetzen der schweren schwedischen Wörter. Das Stück hieß «Peer Gynt», obwohl ich fand, «Peer Tunt» wäre ein besserer Name. Das hat irgendein Norweger vor ein paar hundert Jahren geschrieben, deshalb war die Sprache so voll idiotisch. Beispielsweise wurden die Leute «zwei alte Weiber mit Kornsäcken» genannt oder «Spielleute». Wenn einer Stress gemacht hat, haben sie gesagt: «Sind Sie verrückt, Herr?», und wenn die andern dann antworteten, haben sie so gemeine Wörter wie «Tölpel» oder «Gierschlund» oder «Hanswurst» gesagt.
Manchmal habe ich gemerkt, dass Papa enttäuscht war, weil ich nicht alle schweren Wörter konnte. Aber mit etwas Nachdenken und mit Wörterbüchern haben wir doch meistens begriffen, was sie sagen wollten. Das Stück wirkte echt voll komisch. Peer-Tunte hat ein paar Tussen angegraben, dann bei einer Trollfamilie rumgehangen und schließlich einen Typen getroffen, der hieß der Große Krumme (nein, nicht der Große Dumme). Dann war er auf dem Meer und in der Wüste, und am Ende ist er dann als alter Mann nach Hause gekommen und hat alles bereut, was er im Leben je gemacht hat.
Als Nourdine auf dem Klo war, hab ich Papa gefragt, warum Nourdine sich so über eine tuntige Schwedenrolle freut. Papa seufzte bloß und blätterte weiter im Wörterbuch. Und als ich dann zu Nourdine sagte, das Stück ist doch voll beschissen, da lachte er bloß.
«Man darf nicht wählerisch sein, Halim. Man muss nehmen, was kommt. Sind ja nicht alle Rollen so wie Estragon! Das habe ich dir doch erzählt, wie ich in Becketts Stück um die Welt bin, oder? Wir spielten in Berlin . Milano . Paris.»
Nourdine hatte sich hingesetzt. Dann legte er den einen Fuß aufs Knie und schlug sich richtig fest drauf.
«, hörst du, Halim, hör gut zu: !»
«Also gut, jetzt aber mal weiter auf Schwedisch», unterbrach ihn Papa. «Zeig Halim, wie man das ausspricht.»
Und Nourdine gab sein Bestes, um den komischen Text im original Schwedentonfall zu lesen. Manchmal klang er echt, manchmal blieb er an irgendeinem voll schweren Wort hängen, und manchmal musste Papa ihn ermahnen, nicht zu viel Balu-Stimme zu benutzen.
Sie probten eine Szene, wo Peer mit dem Trollkönig zusammensaß. Papa las die Worte vom Trollkönig, und Nourdine stand mitten im Zimmer und spielte Peer. Der Text erzählt, wie Peer eigentlich gar nicht Troll werden wollte, der König ihn aber überredet, mit Gold und Tussen lockt, und wie Peer dann Trollbier trinkt und Trollkleider anzieht und sich irgendwann auch einen kleinen Schwanz anklebt, um ein richtiger Troll zu werden. Auf jeden Fall kriegte Peer am Ende noch die Kurve, sagt dem Trollkönig ab und verschwindet.
Obwohl Peer eine echte Tunte war, merkte ich doch, dass Nourdine die Rolle mit optimaler Einfühlung spielte. Dann wieder ist es echt schwer zu begreifen, wie Nourdine sich so freuen kann, wo er doch früher schon echt richtige Rollen gespielt hat. Vor zwei Jahren hat er einen Taxifahrer in einem Kurzfilm gespielt, der auf dem Filmfestival in Dänemark gezeigt wurde. Und ein anderes Mal war er ein Kebab-Verkäufer in «Getrennte Welten» (wir haben das auf Video). Erst steht er nur im Hintergrund, und dann schiebt er den Kopf aus dem Kiosk und fragt den, der Daniel heißt: «Scharfe Soße? Pommes, was drauf?» Selbst finde ich ja, solche Rollen passen besser, also auf jeden Fall sind sie richtiger für Nourdine, als so einen Weichei-Norweger zu spielen, der Peer heißt.
Um Mittag rum habe ich mich vom Theaterspielen und Zigarettenrauchen verdrückt, bin an der Schranke vorbei und dann mit der roten Linie weiter. Dalanda saß auf derselben Bank wie immer und fütterte die Tauben. Als ich von der ersten Schulwoche erzählt hatte und vom Muttersprachenunterricht, war sie superwütend geworden und hatte vom Integrationsplan erzählt.
«Wie, Integrationsplan?», habe ich gefragt, und da hat sie mich mit so einem Blick angesehen, mit dem man normalerweise verletzte kleine Vögel anschaut.
«Soll das heißen, dass dein Vater dir noch nicht mal vom Integrationsplan erzählt hat? Hat er dir nicht einmal gesagt, dass schwedische Politiker angefangen haben, daran zu arbeiten, alle Einwanderer in richtige Schweden zu verwandeln?»
Auch wenn ich selbst langsam anfange, so was zu denken, lasse ich es nicht zu, dass Papa von einem anderen beschimpft wird.
«Ja, klar hat er das, ist nur lange her. Deshalb. Lange her.»
Dalanda immer noch skeptisch: «Dein Vater . Ist der wirklich rechtgläubig? Betet er fünfmal am Tag? Liest er oft den Koran?»
Bei den ersten zwei Fragen hab ich genickt, aber dann hatte ich das Gefühl, dass das etwas viel Lüge auf einmal war, deshalb habe ich bei der dritten Frage mal den Kopf geschüttelt.
«Aber er liest keine schwedischen Scheißbücher», hab ich dann ganz schnell gesagt, damit sie nicht denkt, Papa ist auf dem besten Weg, schwedisiert zu werden. «Meistens liest er arabische Schriftsteller. Und Dichter.»
«Welche denn?», fragte Dalanda zwischen zwei Apfelsinenstücken.
Und das fühlte sich voll gut an, die Wahrheit sagen zu können.
«Omar. Er liebt Omar Khayyam. Vorher hat er eine Masse anderer Bücher gelesen, auch Schweden. Aber jetzt liest er fast nur noch Omar.»
Dalanda sah aus, als hätte sie aus Versehen Blutpudding gegessen.
«Omar? Weißt du nicht, dass Omar kein Araber ist? Er ist Perser, mein kleiner Halim. Und außerdem ist er ein Säufer und ein verwirrtes Hirn. Trinkt dein Vater auch Alkohol?»
Ich ganz schnell: «Äußerst extremselten», und dann habe ich gefragt, ob ich auch eine Apfelsine kriegen könnte. Sie gab mir eine und rülpste dann ein paarmal lautlos.
«Willst du wissen, was ich glaube? Ich glaube, dein Vater ist so ein Intellektueller. Ich glaube, er ist ein Chamäleon, das immer den Ort wechselt und sich immer an die Umgebung anpasst. Wird wie neu, vergisst dabei alle Tradition und Geschichte. Bei uns in Libyen haben wir ein Sprichwort, das sagt, es gibt eine große Ähnlichkeit zwischen Intellektuellen und hinkenden Kamelen. Weißt du, warum?»
«Nein, sag.»
«Weil keiner von beiden je eine Revolution anzetteln wird.»
Dalanda ließ die Schönheit des Sprichworts einen Moment lang wirken, ehe sie weiterredete.
«Wie geht es eigentlich mit dem Schreiben voran? Du hast doch wohl nicht aufgegeben?»
«Nein, nein, absolut nicht. Ich schreibe weiter. Es geht supergut.»
Dalanda lehnte sich zufrieden zurück und murmelte, dass Schreiben wichtig fürs Denken ist. Ich konzentrierte mich darauf, Apfelsinenstückchen zu essen. Als sie eingeschlafen war, bin ich näher rangerückt, um ihren Geruch einzuatmen. Sie sagt immer, sie ist so schläfrig, weil sie in ihrem Leben schon so viele Zeitzonen überquert hat. Also, geboren ist sie in Luleå, obwohl ihre Eltern sind aus Libyen nach Schweden gekommen, das ist schon lange her, so im Mittelalter. Aber dann haben ihre Eltern es natürlich bereut, na klar, und sie zurückgeschickt, damit sie bei Verwandten in der Nähe von Tripolis aufwächst. Da hat sie den saudischen Diplomaten kennengelernt, der sie erst nach USA, dann nach Österreich mitgenommen hat. Dann kamen sie zurück nach Schweden, und auch die Familie von Dalandas Bruder konnte sich eine Aufenthaltsgenehmigung kaufen. Alle lebten glücklich und zufrieden, bis der Chauffeur vom Diplomaten am Karlaplan ein Taxi kaputt gefahren hat, was von der fiesesten, aber schönsten Schwedentuss in ganz Stockholm gefahren wurde. Kaum sieht die, Dalandas Mann hat einen teuren Anzug und einen schicken Diplomaten-Daimler, da fährt sie ihre Klauen aus und überredet ihn, dass sie sich ineinander verliebt haben und Dalanda ausgetauscht werden müsste. Der Mann geht ihr auf den Leim, und am Ende hat er Dalanda auch noch bei der Polizei angezeigt, weil sie sich weigerte, aus der Diplomatenvilla auszuziehen. Da ist sie erst kurze Zeit ins Krankenhaus und dann zu ihrem Bruder nach Skäris. Immer noch, sagt sie, kriegt sie eine Gänsehaut, wenn sie ein Taxi sieht (vor allem mit dem Stockholm-Taxi-Schild drauf).
Als sie von ihrem eigenen Schnarchen aufwachte, dachte ich, sie hat schon gemerkt, dass ich näher gerückt war. Sie fing an, von dem Juden Sharon zu reden, der gerade den Marsch auf die Felsenmoschee unternommen hatte. Das hat er hauptsächlich gemacht, um mit den Palästinensern zu streiten, und na klar gab es deswegen jede Menge Ärger. Superviele...
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