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BESUCH BEI EINEM DIAMANTEN
»Erheben Sie sich, Sir Chopra.«
Als die glänzende Klinge sich sanft auf Inspector (i. R.) Ashwin Chopras Schulter senkte, überwältigten ihn widersprüchliche Empfindungen. Stolz gehörte natürlich dazu, in diesem bedeutsamsten Augenblick seines Lebens. Aber auch ein großes Gefühl der Demut. Dass er, der Sohn eines Schulmeisters aus einem bettelarmen Dorf im Staate Maharashtra in Indien, einer solchen Ehre teilhaftig werden sollte, schien beinahe unvorstellbar.
Denn was hatte er letztlich geleistet?
Er war ein ehrlicher Mensch und hatte über dreißig Jahre lang mit makellosem Führungszeugnis die Uniform der Polizei von Mumbai getragen - bevor sein Herz ihn im Stich ließ und er in den vorzeitigen Ruhestand gehen musste. Im heutigen Indien war das tatsächlich etwas, worauf man stolz sein konnte.
Und dennoch, reichte die Tugend der Integrität allein aus, um eine derartige Auszeichnung verdient zu haben?
Gewiss gab es doch würdigere Kandidaten .
Was war zum Beispiel mit seinem alten Freund Assistant Commissioner Ajit Shinde? Er kämpfte gerade im Norden im entlegenen Gadchiroli gegen die maoistischen Naxaliten-Banditen und hatte die Spitze seines Ohrs durch die Kugel eines Heckenschützen verloren. Oder was war mit Inspector Gopi Moolchand, der noch wesentlich mehr verloren hatte, als er selbstlos in den Vihar-See in den Außenbezirken von Mumbai gesprungen war, um einen Betrunkenen vor dem Ertrinken zu retten? Nicht eines, sondern gleich drei Krokodile hatten die günstige Gelegenheit genutzt!
Plötzlich überkam Chopra ein Gefühl von Erhabenheit, als ob diese einzigartige Auszeichnung einen Höhepunkt in seinem Leben bedeutete, von dem an es nur noch abwärtsgehen konnte.
Er richtete sich von der niedrigen Bank auf, auf der er kniend den Ritterschlag empfangen hatte, und sah sich im Kreis der illustren Gäste nach seiner Gattin Poppy um.
Sie war eine strahlende Erscheinung in ihrem leuchtend pinkfarbenen Seidensari. Gerade unterhielt sie sich mit einer hochmütig wirkenden älteren Frau. Sie war ein Mitglied des britischen Oberhauses, doch Chopra konnte sich nicht an ihren Namen erinnern. Im Windschatten dieser abgetakelten alten Fregatte erblickte er seinen ehemaligen Sub-Inspector Rangwalla, der am Kragen seines schlechtsitzenden Anzugs zupfte. Und direkt neben Rangwalla stand Ganesha, der junge Elefant, den Chopras geheimnisumwitterter Onkel Bansi ihm sieben Monate zuvor mit der rätselhaften Botschaft »Dies ist kein gewöhnlicher Elefant« gesandt hatte .
Er runzelte die Stirn. Was hatte Ganesha hier zu suchen? Und Rangwalla? Waren Elefanten im Buckingham-Palast überhaupt zugelassen?
Chopra wandte sich wieder der Monarchin zu.
Plötzlich fiel ihm auf, dass sie eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit seiner Schwiegermutter besaß, der Witwe Poornima Devi, abgesehen von deren schwarzer Augenklappe. Doch sie hatte jenen Ausdruck scharfer Missbilligung, den Poppys Mutter für Chopra persönlich reserviert hatte, seit er ihr vor langer Zeit erstmals unter die Augen gekommen war.
Der Mund der Queen öffnete sich zu einem gähnenden finsteren Loch . Di-dah di-dah di-dah.
Chopras Bewusstsein trieb langsam an die Oberfläche zurück, während das Schrillen einer Alarmsirene seine Trommelfelle zu sprengen drohte.
Er hob benommen den Kopf vom roten Teppichboden und blickte sich orientierungslos um. Konfuse Bilder tanzten vor seinen Augen. Eine zerschmetterte Vitrine, die leblos herumliegenden Körper von gut gekleideten Männern und Frauen, helle Lampen, in deren Licht prachtvolle Schmuckstücke funkelten .
Bevor er mehr erkennen konnte, entstand Unruhe. Eine Horde von Männern in schwarzen Tarnuniformen kam in den Raum gestürmt.
Ohne viel Federlesens wurde er rüde hochgezerrt und im Polizeigriff aus dem Zimmer mit dem roten Teppich geführt. Man verfrachtete ihn über eine Marmortreppe zwei Stockwerke tiefer und durch ein befestigtes Tor hinaus in die Sonne des Spätnachmittags.
Jemand drückte ihm ein Glas Wasser in die Hand. Ein anderer hielt ihm Riechsalz unter die Nase. Seine Gedanken klärten sich ein wenig. Eine resolute Frau leuchtete ihm mit einer kleinen Stablampe in die Pupillen und fragte ihn, wie er sich fühlte.
Chopra blinzelte heftig. Er kam sich ziemlich wackelig vor, und sein Gedächtnis kehrte nur langsam zurück.
Er saß auf dem gepflegten Rasen vor dem Prince of Wales Museum. Auf einmal kamen die Erinnerungen, und er entsann sich wieder, warum er hergekommen war, nämlich um die Ausstellung mit den britischen Kronjuwelen zu sehen. Aber er war nicht allein gekommen! Wo war Poppy?
Seine Ehegattin war bei ihm im Raum mit den Juwelen gewesen. Er warf besorgte Blicke um sich.
Sie stand nur ein paar Meter entfernt im Gras und redete auf eine matronenhafte Frau in schwarzer Uniform ein.
Chopra rappelte sich auf und trottete auf sie zu. Als sie ihn entdeckte, wirbelte sie zu ihm herum und fiel ihm in die Arme. »Alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich ängstlich.
»Ja«, erwiderte er mit erhobener Stimme, um die Alarmsirene des Museums zu übertönen, die immer noch schrillte. »Und du?«
»Mir geht es gut«, antwortete sie. »Sie wollen mir nicht sagen, was passiert ist.«
Chopra sah sich um.
Schwarz uniformierte Wachposten trabten in geordneten Formationen zu den Ein- und Ausgängen des Museums, um sie abzuriegeln. Andere Wachleute trieben rasch und effizient alle Personen zusammen, die sich auf dem Gelände aufhielten.
Im Gras neben Chopra wurden ein paar Museumsbesucher versorgt, die sich mit ihm in dem Zimmer aufgehalten hatten, in dem er gerade zu sich gekommen war.
Und plötzlich, mit der Klarheit eines Sonnenstrahls, der einen dunklen Raum durchschnitt, verstand Chopra, was geschehen war. Er erinnerte sich, was er gesehen hatte: die zerbrochene Vitrine, die leblos herumliegenden Körper. Er glaubte, eine sehr gute Vorstellung davon zu haben, worum es dabei gegangen war.
Jemand hatte versucht, die britischen Kronjuwelen zu stehlen.
Dreißig Minuten später wurden Chopra und die restlichen Besucher in das moderne Besucherzentrum des Museums getrieben. Man befahl ihnen, in einem Hinterzimmer zu warten. Begleitet von Protestrufen, bezogen bewaffnete Wächter vor der Tür Posten. Man teilte den Gefangenen in deutlichen Worten mit, dass sie nirgendwo hingehen würden, bevor sie nicht befragt worden waren.
Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben.
Erst nach drei Stunden wurde Chopra in einen kleinen, hellerleuchteten Raum gebracht. Ein Mann namens Deodar Jha, der sich als Kommandant der Force One Unit von Mumbai vorstellte, verhörte ihn. Bei dieser Eliteeinheit handelte es sich um eine spezielle Anti-Terror-Gruppe, die im Anschluss an die Terrorangriffe von 2008 unter gewaltigem Medienrummel gegründet worden war. Seit damals hatte die Truppe faul im Hauptquartier in Goregaon herumgesessen und die M4-Sturmgewehre poliert, mit denen sie jetzt so eindrucksvoll herumfuchtelten.
Chopra wusste, dass die Force One Unit mit der Aufgabe betraut worden war, die Kronjuwelen während der Ausstellung im Prince of Wales Museum zu bewachen.
Anscheinend hatte sie versagt.
Jha war ein großer Mann mit rundem Gesicht und einem provokanten Schnurrbart. Er besaß eine arrogante Art und die Manieren eines Raubeins. Chopra, der als Polizeiveteran zahllose Vernehmungen durchgeführt hatte, beantwortete die Fragen des Commanders vollständig und präzise. Je schneller Jha seine Antworten bekam, desto früher konnten sie alle nach Hause gehen. Hinter dem Zorn des schweißgebadeten Jha spürte er wachsende Verzweiflung. Wahrscheinlich wurde dem Mann allmählich klar, dass das, was sich gerade im Museum ereignet hatte, das Ende seiner Karriere bedeutete.
Chopra vermutete, dass hier ein Rätsel verborgen lag, das sich mit den schonungslosen und brutalen Methoden von Force One allein nicht lösen ließ.
»Rekapitulieren wir die Sache noch einmal«, knurrte Jha. »Also: Berichten Sie mir genau, was geschehen ist.«
Was war denn tatsächlich passiert? Chopra versuchte, sich auf jedes Detail des Tages zu konzentrieren. Während er das tat, spulte sein Gedächtnis automatisch zurück bis ganz zum Anfang .
»Wir kommen noch zu spät!«
Inspector Chopra (i. R.) warf seiner Frau Archana - allen besser bekannt als Poppy - vom Steuer ihres Tata-Vans aus einen Seitenblick zu. Sie rutschte unruhig im Beifahrersitz hin und her.
Chopra liebte seine Frau von ganzem Herzen. Nur in speziellen Situationen wie gerade eben hatte er manchmal Mühe, sich an den Grund dafür zu erinnern.
Poppy hatte darauf bestanden, ausgerechnet um diese Zeit zum Prince of Wales Museum zu fahren. Chopra war klar gewesen, dass der Verkehr schrecklich sein würde. Aber Poppy hatte ihm schon seit der Ausstellungseröffnung vor zwei Wochen, volle zehn Tage, bevor Ihre Majestät die Queen zu ihrer historischen Visite eintraf, pausenlos in den Ohren gelegen.
Es war der erste Besuch der Queen in Mumbai, und das erste Mal seit zwei Jahrzehnten, dass sie überhaupt einen Fuß auf indischen Boden gesetzt hatte. Die Zeitungen sprachen von nichts anderem mehr.
Poppy war, wie der größte Teil der Bevölkerung, schnell der »königlichen Malaria« zum Opfer gefallen,...
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