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KAPITEL 1
Zwischen dem Mädchen und Meister Yan stand eine weiße, mit klarem Wasser gefüllte Porzellanschale. Im Wasser lagen ein Messer, eine Schere und eine Zange. In die Schale fielen Sonnenstrahlen, durch die das Wasser noch sauberer und das Metall noch kälter wirkte, während das Licht in der Schale noch heller zu leuchten schien. Das Wasser und der schneidend kalte Glanz der Metallinstrumente wuschen das Gesicht von Meister Yan ab wie einen Felsen. Er hob ein weißes Tuch in die Luft und schüttelte es aus, worauf es sich ausbreitete und seine Arbeitshose bedeckte. Die Sohlen seiner schwarzen, sehr hochwertig aussehenden Stoffschuhe waren weiß wie Hammelfettjade und erinnerten an zwei Anführungszeichen. Seinen stolzen, distanzierten Gesichtsausdruck hatte er sich ursprünglich angewöhnt, damit er zu diesen Sohlen passte. Mit zusammengepressten Lippen griff er nach dem Hahn, drückte kurz den vorhandenen Kot aus dessen Darm, band die Füße mit einem Seil zusammen und rupfte ihm dann die Federn an einer Stelle des Bauches aus. Nachdem er mit der Klinge seines Messers einen blutigen Schnitt hineingemacht hatte, befestigte er dort an beiden Seiten zwei Haken, die mit einem dünnen Bambusbügel verbunden waren, sodass eine Öffnung entstand. In diese Öffnung führte er einen kleinen Stahllöffel mit einem dünnen Draht an der Unterseite ein und schöpfte damit zwei fleischfarbene Kidneybohnen heraus, die er in die Wasserschüssel gab. Dies alles geschah mit so geschmeidigen Bewegungen, als würde er kalligrafische Schriftzeichen schreiben.
»Warum müssen Hähne kastriert werden?«, fragte das Mädchen. Es hieß Chu Yu und war die jüngste Tochter der Familie Chu. Sie hatte klar konturierte Gesichtszüge, die wie gemeißelt wirkten.
»Nach der Kastration denken sie nicht mehr an die Hühner, sondern haben nur noch eins im Kopf: Fleisch anzusetzen.« Meister Yan ordnete konzentriert seine Metallinstrumente, wusch sie und wickelte sie in ein Taschentuch ein. »Ganz zartes Fleisch wird er ansetzen, als Mahlzeit für euch.«
»Aber wenn der Hahn das selbst gar nicht will?«
»Wenn du zu Hause ein Huhn tötest, um es zu essen, würdest du das Huhn dann erst um Erlaubnis fragen?«
»Nein«, antwortete das Mädchen ehrlich.
Die frisch kastrierten Hähne, es waren mehrere Dutzend, hatten sich noch nicht von ihrem Schock erholt. Mit emporgereckten Hälsen und weit aufgerissenen Augen gackerten sie in leisem Protest, als wollten sie das Mädchen davor warnen, dem schlechten Menschen nicht zu nahezukommen.
»Geh und frag mal deine Mutter, ob sie die Hoden behalten will.« Seine Worte richtete Meister Yan an das Spiegelbild des Mädchens im Wasser, während er seine beiden Hände darin von den Blutflecken reinigte. Für jemanden, der auf dem Land lebte, waren sie ungewöhnlich weiß, mit zarten rosa Fingerspitzen. Er bewegte sie langsam und sanft, als würde er die Hände seiner Geliebten waschen. Jeden Finger rieb er mit liebevoller Zuneigung ab. Gewaschen sahen sie noch rosiger aus.
Chu Yun, die älteste Tochter, kam, um auftragsgemäß die Hahnhoden bei ihm abzuholen. Sofort fiel ihr Blick auf seine zehn rosa Finger, die sich im Wasser bewegten. Weil sie etwas zu lange hinschaute, stieß sie mit der Schüssel gegen ein Hindernis, und die Hahnhoden verteilten sich auf dem ganzen Boden. Zufällig ging gerade eine »Tante« aus der Nachbarschaft vorbei und erblickte zufällig das Paar; und ebenso zufällig war sie eine Cousine von Meister Yan. Sie agierte deshalb an diesem Tag als Heiratsvermittlerin und durfte sogar die Hoden verspeisen.
»Laibao, ihr Chus braucht zu Hause einen Schwiegersohn. Yan Zhenqing wird der Mann deiner ältesten Schwester. Wenn du groß bist, dann lernst du bei ihm Tiermedizin und wie man Viehzeug kastriert.« Die »Tante« war gerade durch den Haupteingang getreten, als sie auf Chu Laibao traf, einen Jungen mit flachem Gesicht. »Einen besseren Beruf wie den kriegst du nicht. Denk mal darüber nach. Deine Kleidung ist sauber und ordentlich, und dein Geld kannst du ohne zu sprechen und in aller Ruhe im Sitzen verdienen. Welcher Mensch mit einer Begabung hat schon Lust, Felder zu bestellen. Im Juni bringt dich die Sonne um, und beim Dreschen und dem Pflanzen von Setzlingen stirbst du vor Anstrengung.« Der flachgesichtige Junge antwortete mit einem starken Schnaufen. Denn er war stumm und konnte nur zuhören.
So hatte Chu Yun sich verlobt. Und so war sie irgendwann schwanger geworden.
Den im dunklen Korridor des Lebens geschulten, feurigen Augen von Großmutter Qi Nianci fiel als Erstes auf, dass Chu Yuns Bauch dicker geworden war. Großmutter Qi sorgte dafür, dass Wu Aixiang sie eingehend befragte. Wu Aixiang, die weder eine Methode noch Worte dafür im Kopf hatte, schnappte sich Chu Yun und sperrte sie in einem Zimmer ein, wo sie ihre Tochter in direktem Ton und mit leiser, zitternder Stimme traktierte, so als hätte sie den Ärger selbst verursacht.
»Du leichtfertiges, geiles Frauenzimmer. So schnell hast du ihm erlaubt, deinen Körper zu besteigen.«
Chu Yun verstand nicht, was ihre Mutter meinte. Aber als sie sie so übel schimpfen hörte, spürte sie den Ernst der Lage und sah die Mutter mit einem verstörten und überraschten Blick an.
»Du kriegst einen kleinen krähenden Balg, nicht wahr?«, fragte die Mutter und trat näher auf sie zu. Ihre Stimme klang jetzt noch gepresster, noch leiser. »Und das Rote kommt schon lange nicht mehr?«
Im Laufe ihres späteren langen Lebenswegs sollte diese Frage ihrer Mutter noch häufig in Chu Yuns Kopf widerhallen. Und jener ängstliche Tonfall, der an eine Untergrundpartei erinnerte, die geheime Informationen preisgibt, ließ sie noch oft erschaudern. Sogar nachdem sie selbst Mutter und Großmutter geworden war, fühlte sie sich noch immer körperlich durch und durch unwohl, wenn sie an die blinde Ignoranz gegenüber dem Geschlechterverhältnis in ihrer Jugend zurückdachte und an die schmutzige Verachtung, die sich in der Haltung ihrer Mutter gezeigt hatte. Die Mutter hatte ihr nie gesagt, dass Mädchen ihre Periode bekommen. Erst als sie mit blutverschmierter Hose von der Schule zurückkam, reichte sie ihr eine Rolle mit sehr groben gelblichen Einlagen aus Strohpapier. Selbst zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihr nichts über Menopause und Schwangerschaft oder den Zusammenhang zwischen Menstruation und Eisprung erzählt, geschweige denn darüber, wie eine Frau schwanger wird. All diese Probleme des Erwachsenwerdens hatte die Mutter nicht einmal erwähnt. Dies verschaffte ihr Autorität und die Möglichkeit, die jüngere Generation für dumm zu erklären.
Sie erinnerte sich, wie ihre Mutter ihr Kleid angehoben und ihren Bauch betastet hatte, sich dann auf einen Stuhl setzte und leise wimmerte und fluchte. Sie konnte ihre geflüsterten Flüche zwar nicht genau verstehen, aber sie wusste, dass sie sich mit Wehklagen Luft machte, wie der über das Unglück der Familie oder die Blindheit des Himmels. Auch sie selbst hatte erst in diesem Moment erfahren, dass sich etwas in ihrem Bauch befand, etwas, das von ihrer schamlosen Missetat zurückgeblieben war. Gleichzeitig begriff sie, dass das Besteigen, von dem die Mutter gesprochen hatte, sich darauf bezog, dass Yan Zhenqing auf ihren Körper gekrochen war. Ihre Mutter bezeichnete die gegenseitige Liebe zwischen Mann und Frau in der Nacht als einseitiges männliches Besteigen, so als würde die Frau ihre Pflichten vernachlässigen, indem sie dem Mann erlaubte, heimlich auf irgendeinen Berggipfel zu steigen und dort verbotene Früchte zu stehlen. Yan Zhenqing hatte sich tatsächlich mehrere Male auf sie gelegt. Seine Mutter hatte es anscheinend darauf angelegt, dass er bei ihr schlief, und als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, nahm sie die Nachricht mit großer Freude auf. Die Haltung der beiden Mütter zu dieser Angelegenheit war grundverschieden.
Nicht lange danach, an einem Vormittag, an dem sich tiefe Gefühle mit starkem Regen verbanden, holte Meister Yan seine Braut Chu Yun unter lauten Trommel- und Gongschlägen von ihrem Elternhaus ab und führte sie in ihr neues Zuhause. Ihre Mutter hatte mehrere Lagen Gaze um ihren Bauch gewickelt und ihr eingeschärft, beim Laufen ihren Unterleib einzuziehen und zusätzlich ein locker sitzendes Kleid darüber zu tragen. Unterwegs hielt die Mutter die ganze Zeit den Kopf gesenkt. Die beiden männlichen Trauzeugen des Bräutigams waren gemietet worden, und der ganze Trubel hatte letztlich etwas Schäbiges an sich. Bei all denjenigen, die die Familie noch aus der Vergangenheit kannten, stellte sich daher ein leichtes Gefühl des Bedauerns und sogar eine gewisse Traurigkeit ein.
Chu Yun hatte eine plumpe, rundliche Figur. Sie war jung und ohne Lebenserfahrung, sodass sie sich diese Dinge nicht zu Herzen nahm. Wie alle Mädchen, die heirateten, standen ihr Tränen in den Augen, und sie empfand gemischte Gefühle. Und als sie den Geruch der nagelneuen, viereckig gefalteten Baumwollsteppdecke wahrnahm und ihre nach Größe aufgereihten und in hellen Farben gekleideten vier Schwestern sah, die fröhlich im Hochzeitszug mitgingen, liefen ihr die Tränen über die Wangen.
Die Leute waren sich einig, dass Chu Yue, die zweite der Töchter, das hübscheste der fünf Mädchen war. Leider hatte sie sich als Kind mit kochendem Wasser verbrüht, sodass die Hälfte ihres Kopfes auf erschreckende Weise kahl war und rosa glänzte, ein Anblick, den jeder bedauerlich fand. Mittlerweile hatten sich Chu Yues Hüften zu richtigen Hüften und ihre Brüste zu richtigen Brüsten entwickelt. Ihre runden Stellen waren wohlgeformt und die flachen fest und kompakt. Sie fiel auf im Hochzeitszug. Sie trug eine Perücke in Form eines Bubikopfes. Damit sie ihr nicht vom Kopf rutschte, hielt sie den Hals steif und wirkte...
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