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Kunsthochschule München, März 2016
»Anabel, die Bilder sind wirklich der Wahnsinn. Und Sie wissen genau, wenn ich das sage, dann hat es etwas zu bedeuten.«
Ja, das wusste sie allerdings. Wenn sich Professor Klaus Hübner zu einer derartigen Aussage hinreißen ließ, dann war das von einem Ritterschlag nicht allzu weit entfernt.
»Meinen Sie wirklich? Ich war mir noch ein wenig unsicher.« Erneut ließ Anabel ihren Blick über die vor ihnen auf dem Tisch ausgebreiteten Zeichnungen und Aquarelle schweifen.
»Sehen Sie, genau daran müssen wir dringend arbeiten. Sie müssen endlich Selbstbewusstsein an den Tag legen. Na los, sehen Sie sich an, was Sie geleistet haben, das muss Ihrem Ego doch einen Schubs in die richtige Richtung geben, oder?« Sichtlich neugierig musterte er sie.
Anabel zog die Schultern hoch. »Ja, schon. Zumindest ein bisschen.«
Nachdenklich schüttelte ihr Professor den Kopf. »Anabel, Anabel, was soll ich nur mit Ihnen tun? Ach, wissen Sie was? Da überlegen wir jetzt gar nicht lange. Mein lieber Freund Ivo hat in Schwabing diese etwas abgefahrene Galerie. Ich weiß, dass er für die nächste Ausstellung noch junge Künstler sucht. Ich melde Sie da an, basta.«
»Aber .« Weiter kam sie nicht.
»Nichts da, ich will kein >aber< hören. Sie werden sich nun endlich einmal, zusammen mit Ihren Werken, der Öffentlichkeit präsentieren. Ich habe das beschlossen und somit gibt es kein Zurück.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er kratzte sich nachdenklich an seinem schon ergrauten Bart. »Dass man euch Jungvolk immer zu eurem Glück zwingen muss. Komisch, die mit wesentlich weniger Talent glauben immer, dass sie mindestens im Prado in Madrid ausstellen müssten. Also, Anabel, Schultern zurück, Brust raus, Kopf hoch und los geht's!«
Professor Hübner klopfte ihr noch einmal aufmunternd auf den Rücken und entschwand sodann in seine nächste Vorlesung.
Da stand sie nun: unglaublich stolz und zugleich dermaßen aufgeregt, dass ihre Hände zitterten, während sie ihre Bilder vorsichtig wieder zusammenrollte und in die Hülle steckte. Das erste Jahr war eine Katastrophe gewesen, was nicht zuletzt in ihrer eigenen Unsicherheit begründet lag. Doch seitdem war es stetig bergauf gegangen.
Eine Ausstellung, noch dazu in einer sehr angesagten Galerie, war in München eine unglaubliche Chance, selbst wenn sie nur eine von vielen sein würde.
Voller Freude packte Anabel ihre Sachen zusammen und beeilte sich, den Zug nach Starnberg zu erreichen. Hoffentlich waren ihre Eltern nun endlich einmal stolz auf das, was ihre Tochter vorweisen konnte.
»Bellchen, Mäuslein, da bist du ja endlich. Wir warten schon seit einer Stunde.«
Der leicht anklagende Ton in der Stimme ihrer Mutter ließ prompt einen Teil ihrer Freude verpuffen. Himmel noch mal, konnte sie denn nicht einmal nach Hause kommen, ohne sofort überfallen zu werden? Und wann würde sich ihre Mutter endlich dieses schreckliche »Bellchen« abgewöhnen?
»Jetzt bin ich ja da.« Eilig streifte sie sich im Flur des elterlichen Bungalows die Schuhe von den Füßen. Sie wusste, dass ihre Mutter es ganz und gar nicht zu schätzen wusste, wenn man in Straßenschuhen ins Haus lief. Rasch schob sie die Schuhe so hin, dass sie sich in die Reihe an der Garderobe einordneten. »Und ich habe tolle Neuigkeiten für euch.«
»Warte, bis du unsere hörst. Du wirst Augen machen, Mäuslein.«
Oh, was machte denn ihr Vater um diese Zeit schon hier? Eigentlich brachte doch nichts und niemand Friedrich Taschner vor neunzehn Uhr aus seiner Steuerkanzlei.
»Toll, dass du auch da bist, Papa. Dann kann ich euch die Neuigkeit gleich zusammen erzählen.« Anabel trat in den Durchgang, der zum offenen Wohnzimmer führte.
»Bellchen, das wird warten müssen. Wir platzen fast schon und müssen dir sofort erzählen, was heute Nachmittag passiert ist.«
Seufzend betrat Anabel das Wohnzimmer, in dem ihre Eltern ihr, von der wuchtigen Ledercouch aus, entgegenstrahlten.
»Gut. Also ihr zuerst; dann aber bitte ich. Ich freue mich schon seit München darauf, es euch zu erzählen.«
»Natürlich, mein Mäuslein, natürlich. Jetzt ist erst einmal dein alter Vater an der Reihe.«
Ein wenig überrumpelt blieb Anabel stehen. »Na, dann raus damit. Ihr seht aus, als ob ihr ein paar Millionen im Lotto gewonnen hättet.« Nervös drehte sie die große Rolle mit ihren Arbeiten in den Händen.
»Nicht wir, Bellchen, du hast gewonnen.« Nun erhob sich auch noch ihre Mutter und trat mit ausgestreckten Armen auf sie zu. »Unseren allerherzlichsten Glückwunsch, mein Kind!«
»Ähm, wie jetzt? Wie könnt ihr denn wissen .?«
»Ach Kind, willst du denn behaupten, dass du es nicht geahnt hast? Dein Maximilian war heute bei uns, da schau hin.« Ihr Vater ergriff sie an den Schultern und drehte sie sanft zur Seite.
Anabels Blick fiel auf einen gigantischen, völlig überladenen Blumenstrauß. Nur leider verstand sie beim besten Willen immer noch nicht, wovon die beiden gerade sprachen.
Ihr Vater schüttelte sie leicht an den Schultern. »Anabel, nun stell dich nicht dümmer als du bist. Maximilian hat heute offiziell, so wie sich das bei uns hier einfach noch gehört, um deine Hand angehalten. Na, bist du jetzt glücklich?«
Glücklich? Nein, das war sie tatsächlich nicht, nicht im Entferntesten. Wie kam Maximilian dazu, um ihre Hand anzuhalten, ohne vorher mit ihr darüber geredet zu haben? Erst letzte Woche hatte sie Stunden damit zugebracht, ihm zu erklären, was sie alles mit dem Kunststudium erreichen könnte. Eigentlich war sie der Auffassung gewesen, dass er zumindest ein klein wenig stolz auf seine talentierte Freundin war. Und nun das? Irgendetwas passte hier nicht zusammen. Überhaupt nicht.
»Aber wir haben noch gar nicht übers Heiraten geredet. Wieso fragt er denn zuerst euch?« Anabel war verwirrt.
Ihre Mutter strich sich das wohlfrisierte, platinblond gefärbte Haar zurück. »Bellchen, weil er ein Kavalier alter Schule ist und weil seine Eltern ihn sehr gut erzogen haben.«
Marie-Luise Taschner erhob sich und glättete ihr beigefarbenes Etuikleid. »Das ist in der heutigen Zeit viel wert, weißt du?«
»Mag sein, aber nach sechs Jahren würde ich eigentlich erwarten, dass er damit zuerst zu mir kommt.«
Die Züge ihres Vaters wurden prompt ernster. »Anabel, was gibt es denn hier zu nörgeln? Maximilian gehört doch sowieso schon zu unserem Leben. Dazu noch seine ausgesprochen angenehme Familie. Ich muss zugeben, deine Mutter und ich sind sehr glücklich, dass sich alles so hervorragend entwickelt hat.«
Sie schwieg eine Weile. »Ja, ich war heute auch glücklich, aber aus einem anderen Grund. Eigentlich wollte ich euch ja erzählen, dass mein Professor der Meinung ist, dass meine Arbeiten schon seit geraumer Zeit gut genug für eine Ausstellung sind. Bitte versteht das jetzt nicht falsch, aber interessiert euch das in irgendeiner Form? Ich meine, alles worüber ich mich freue? Das, was ich erreicht habe?«
Ihre Mutter zog eine kaum merkliche Grimasse, die Anabel aber leider nicht entging. »Ach, Bellchen, sei mir nicht böse, aber unter dem Strich ist die Malerei eine brotlose Kunst, sofern du keinen großen Namen hast.«
»Mama, kannst du mir erklären, wie ich mit der Einstellung jemals einen großen Namen bekommen soll?«
»Na komm, nun sei nicht gleich aufgebracht. Du hast damit ja ein schönes Hobby, mit dem du dich beschäftigen kannst.« Auf dem Gesicht ihrer Mutter erschien ein Lächeln, das sich zunehmend vertiefte.
Unsicher huschte Anabels Blick zwischen ihren Eltern hin und her. »Ihr beiden habt da noch etwas in petto, nicht wahr? Ich sehe es euch doch an. Was kommt denn jetzt noch?«
»Nun ist es aber gut. Lass bitte diesen genervten Ton, Anabel. Es sollte dir bewusst sein, dass wir alle nur wollen, dass du eine gesicherte Zukunft hast.« Ihr Vater hob den Kopf und seine Brauen zogen sich bedrohlich zusammen. Normalerweise ein Warnzeichen, das sie einzuordnen wusste, aber heute wollte sie das schlicht und ergreifend nicht.
»Kann mir einer von euch dann sagen, warum ich überhaupt studiere?«
»Noch einmal, Anabel, zügle bitte deinen Ton. Das Studium gehört zu einer, deinem Hintergrund angemessenen Ausbildung. Du weißt, dass wir beide Germanistik bevorzugt hätten. Du hast jedoch deinen Willen durchgesetzt und wir haben uns diesem gebeugt.«
Sie musste sich auf die Zunge beißen, um sich eine bittere Bemerkung zu verkneifen. Was wollte sie den beiden eigentlich beweisen? Ihre Eltern waren tief im Gemeindeleben verwurzelte und, sehr zu ihrem Leidwesen, erzkonservative Menschen. Sie würden nie und nimmer verstehen, wie viel die Kunst ihr bedeutete. Andererseits wusste sie, dass sie ihr beileibe nichts Böses wünschten. Sicherlich wollten sie nur ihr Bestes, aber war es das auch tatsächlich - ihr Bestes? Na prima, schon wieder dieser andauernde Zweifel an ihren eigenen Gedanken. Was war es, das so sehr an ihr nagte? Woher kamen die leisen Zweifel, ob dieses Leben zwischen Einladungen, Wellnesstrips, Gartenfesten bei den zukünftigen Schwiegereltern und der Ehrenmitgliedschaft im örtlichen Golfclub das war, das für sie vorbestimmt sein sollte? Wollte sie tatsächlich Torten für Charity-Abende backen? Okay, das tat sie ja schon, aber ehrlich, Spaß machte es ihr nicht.
Ihr Vater unterbrach ihre Gedanken, indem er seinen Faden von vorhin wiederaufnahm. »Was ich noch sagen...
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