Schweitzer Fachinformationen
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Dies ist eine Liebesgeschichte. Sie spielt im Juni, im Juli, im August in Adana, dreitausend Kilometer weit weg von Berlin. In Berlin lebt Zeko. Hier trifft er Männer in Parks und Cafés, auf Dating-Apps und vor der Moschee. Doch jedes Mal, wenn sich ihre Lippen berühren, reißen ihn die Gedanken zurück zu Hassan, dem Nachbarsjungen in Adana, den Dede, sein Großvater, immer nur »Hundesohn« nennt. Zeko kennt das laute Viertel, den Staub in den Gassen nur aus den Sommerferien. Dann stirbt Dede an einem Herzinfarkt. Aber Zeko will nicht vergessen, nicht den Großvater, der alten Männern die Sorgen aus dem Bart schnitt und auf Arabisch sang, nicht die religiösen Rituale und den Geschmack von Bamya. Und vor allem nicht Hassan.»In neun Tagen werde ich Hassan wiedersehen«, wiederholt er wie ein Mantra: beim Freitagsgebet, in der Therapiesitzung, im Prinzenbad, beim Mittagessen mit seiner besten Freundin Pari. Aber etwas ist geschehen, als Zeko und Hassan sich das letzte Mal sahen. Etwas, das immer heftiger heraufdrängt, je näher der Tag seiner Abreise kommt.
Hundesohn erzählt radikal und poetisch von Liebe und Begehren. Von der Euphorie und Verletzlichkeit, der Angst und dem Glück, wenn man liebt. Vom leisen Schrei und lauten Flüstern: am Küchentisch, in fremden Betten und im Gebet. Und vermisst dabei unsere zerrissene Gegenwart, über alle Grenzen von Ländern, Sprache und Körper hinweg.
Dreizehn, vierzehn, fünfzehn Filzläuse habe ich mir jetzt schon aus den Schamhaaren gezupft. Pthirus pubis auf Latein: 1,5 bis 2 mm groß, grauweiß, flügellos, habe ich im Internet nachgelesen. Und dass sie manchmal Achselhöhlen und Barthaare befallen. In den Achselhöhlen habe ich keine, im Bart auch nicht. Aber in den Brusthaaren und sogar auf dem Rücken kleben überall Nissen. Bis zu fünfundzwanzig Eier legt eine Filzlaus täglich, habe ich im Internet nachgelesen. Und dass der Entwicklungszyklus bis zur erwachsenen Laus rund drei Wochen beträgt.
Ich zähle die Tage zurück, vor drei Wochen traf ich Ravi. Wir hatten uns auf Grindr geschrieben. 26Jahre alt, 1,78 m groß und 61 kg schwer. Single. Top. Sucht Verabredungen. HIV-Status negativ, auf Prep. Zuletzt getestet Juni 2024. Gegen COVID-19 geimpft. Treffpunkt bei dir. Into rough awakening, wild sex, animal instincts, blood bath, stand in seinem Profil. Das muss nichts heißen. Und trotzdem hat er sich wie eine Filzlaus in meine Schenkel gebissen, die Stiche und blauen Flecken kann ich noch immer sehen. Viel gesprochen hat er nicht, geschrieben auch nicht so viel. Er schickte mir ein Bild, oberkörperfrei, die Jeans auf Kniehöhe. Er trug einen weißen Slip und weiße Socken, das war mir sympathisch. Der Bart fast zwölf Zentimeter lang, und sein Blick wie ein Diopter auf meine Brust gerichtet. Das walnussbraune Haar war ganz zerzaust, der Kampf hatte sich in sein Gesicht gerieben. Ein wenig Blut klebte an seinen Fingern, Spucke und Gleitgel, vegan auf Wasserbasis. Nach dreiundzwanzig Minuten ist er wieder gegangen, wir haben nicht noch einmal geschrieben.
Ob ich ihm jetzt schreiben sollte? Good morning! I just wanted to let you know that I have crabs, maybe you should check your panties, könnte ich schreiben. Oder: What's up handsome, come back and be my parasite. Oder: Hello Ravi. I was just wondering, could it be that you forgot your crabs here?
Ein bisschen neugierig bin ich schon, von wem ich's hab. Auch wenn es nicht viel an der Situation ändert.
Ich sehe noch einmal in meinen Kalender, ein paar Tage nach Ravi war ich bei Matteo. 34Jahre alt. 1,81 m groß, 83 kg schwer. Vers. Sucht Freunde, Casual Dating. Treffpunkt bei mir. fit/hung/clean/fair/safe, stand in seinem Profil, das war mir sympathisch. Um 21:54 Uhr schickte er mir Flammen-Emojis. U cute, habe ich geantwortet und ihm ein Foto geschickt: Ich liege im Bett auf dem Rücken, trage einen schwarzen String, spreize die Backen mit der Hand wie einen Carrot Cake in der Mitte sanft auseinander. Hot, schrieb Matteo und teilte direkt sein Album. Auf einem Foto trägt er eine silberne Kette, am rechten Oberarm ein Tattoo, irgendein Vogel. Brust und Bauch stark behaart, das mag ich. Links und rechts Ringe im Ohr, leider auch silbern, nicht so meine Farbe. Auf einem anderen Foto kniet Matteo nackt vor der Handycam. Im Hintergrund sind ein paar Regale an der Wand zu sehen, Kleiderbügel, eine rote Kaffeetasse. Ich glaube, auch ein schwarzer Aschenbecher. I'd love to eat your ass, schrieb ich Matteo, das war um 23:50 Uhr. Eine Minute später antwortete er, please do. I love rimming. Dann teilte er seinen Standort. Der blaue Pfeil steckte ein paar Straßen weiter vom Leopoldplatz in einem Hinterhof.
I think I'm too tired to fuck tonight, schrieb Matteo. But we can do other stuff.
Eine halbe Stunde später klingelte ich an seiner Tür, viertes Obergeschoss, Tür links. Eine WG, aber außer Matteo war niemand da. Wir haben other stuff gemacht. Filzläuse kriegt man auch durch other stuff.
Vierundzwanzig Stunden überlebt so eine Filzlaus ohne Wirt, habe ich im Internet nachgelesen. Und dass sie alle zwei Stunden eine Blutmahlzeit braucht. Das ist eine Menge, finde ich, für so ein kleines Biest, und betrete die Apotheke um 10:03 Uhr.
Guten Morgen, ich bräuchte etwas gegen Filzläuse.
Gegen was?, der Apotheker reißt die Augen weit auf, guckt irgendwie angeekelt.
Gegen Filzläuse, du Wichser, hätte ich gerne gesagt. Gegen Pthirus pubis, sage ich stattdessen und bezahle 14,95 Euro für 50 ml Läusespray. Das tut richtig weh. Dafür hätte ich fast zehn Lahmacun ohne Salat bei Örnek im Wedding essen können. Oder Palak Paneer mit einem Butter-Naan im Tandoori Palace in Neukölln, sogar Trinkgeld wäre mit drin gewesen. Stattdessen habe ich mir Filzläuse für original 14,95 Euro geholt und weiß nicht einmal, ob es sich gelohnt hat.
Auf dem Weg nach Hause zähle ich die Tage zurück, vor zwei Wochen traf ich Chris. Er hat ziemlich geprahlt, I will do this to you, I will do that to you. Am Ende hat er mir gar nichts gedot, wollte nur kuscheln. Ist auch okay, ist auch schön.
No problem, habe ich gesagt. I like cuddles, habe ich gesagt. Dann kämmte er mir die Brusthaare mit den Fingernägeln, das war schön. Chris wollte kleiner Löffel sein. Wer groß herumprahlt und auf dicke Hose macht, will immer kleiner Löffel sein. Ich habe Chris von hinten umschlungen, mein Bauch an seinem Rücken, mein linkes Bein über sein linkes Bein, die Hände wie Efeu fest um die Brust gedreht. That's nice, sagte Chris. Er hielt die Augen geschlossen, ich kämmte ihm den Hinterkopf mit den Fingernägeln, das fand er schön. Das ging zehn Minuten so, dann sah ich auf die Uhr und meinte, now you have to go. Really?, fragte Chris. Really, habe ich geantwortet, I got some stuff to do, but let's meet again soon. An der Haustür gab er mir zum Abschied einen Kuss. Zehn Minuten später, um 19:03 Uhr schrieb er mir, thanks for having me over, ein rotes Herz hinterher. Catch up soon, habe ich geantwortet, eine rote Tulpe hinterher. Ich werde Chris nicht noch einmal sehen.
Es ist 11:00 Uhr. Ich sitze in der Badewanne und schmiere das Läusemittel auf den Nacken, die Oberarme, dann die Brust, den Bauch, den Rücken, dann die Schenkel. Zehn Minuten muss es einwirken, bis sie ersticken. Kein schöner Tod, denke ich. Nach neun Tagen die Anwendung wiederholen, steht in der Packungsbeilage.
In neun Tagen werde ich Hassan wiedertreffen, diesen Hundesohn. Beim letzten Mal haben wir uns gegenseitig die Leberflecken gezählt, das ist ein Jahr her. Leberfleck heißt auf Türkisch ben. Es ist das gleiche Wort für ich, das fand ich schon immer geheimnisvoll. Auf Türkisch rief ich mich bei den Leberflecken auf dem hübschen Gesicht eines anderen, zwölf, dreizehn, vierzehn. Ich berührte mich auf Hassans Wangen. Ich sagte, ben buradayım ve ben oradayım, ich bin hier und ich bin dort.
Ich zähle Leberflecken, seitdem ich ein Kind bin, sagte ich Hassan. Nene mag das nicht. Hör auf zu zählen, sagt meine Großmutter, dadurch vermehren sich die Punkte, so ein Gesicht ist nicht schön anzusehen, Oglum.
Nene irrt sich gewaltig, Hassans Gesicht ist schön anzusehen. Es sieht aus, als wäre eine Wassermelone vor seinem Kopf explodiert, und die Samen liegen verstreut auf der Wange, dem Hals und den Ohrläppchen. Neunundzwanzig Wassermelonenkerne zählte ich auf seinem Gesicht.
Jetzt bin ich dran, sagte Hassan und warf mich auf den Bauch. Er zog mein T-Shirt hoch und tippte mit dem Zeigefinger auf jeden Punkt an meinem Rücken. Ich bin hier und ich bin dort, sagte Hassan lachend, und ich zappelte unter seinem Gewicht.
Hör nicht auf, dachte ich. Zähl weiter, zähl mich aus, bis ich nicht mehr weiß, wo mein ben aufhört und dein ben beginnt.
Du hast fünfzehn Leberflecken auf dem Rücken, sagte Hassan.
An den Beinen habe ich noch mehr.
Das muss ich nachzählen, sagte Hassan und zog mir die Hose herunter.
Wenn Nene recht hat und sich die ben vermehren, dann liegt im Zählen eine schöne Magie. Ich habe angefangen, alles, was ich liebe, zu zählen, damit sich die Dinge vermehren. Ich zählte Pistazienkerne und Trauben an den Reben, die Bohnen in Nenes Eintopf und Dedes Barthaare über den schmalen Lippen. Ich zählte, wie oft mir Nene mit den Fingernägeln über den Kopf strich und wie oft Dede die Stirn zum Gebet auf den Teppich senkte, wie oft er sagte: Sei geduldig, mein Sohn, denn wahrlich, Gott ist mit den Geduldigen.
In den Sommerferien in Adana zählte ich Salgambecher und Bici Bici und den Mond, unter dem ich mit den Nachbarsjungen durch die Straßen zog. Ich zählte die Sandkörner von Mersin, die...
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