KAPITEL FÜNFZEHN
Sie erwachte allein in ihrem Bett. Sie blinzelte und versuchte herauszufinden, was es war, das sie geweckt hatte. Die Erinnerung an ihr frühmorgendliches Liebesspiel überlief sie wie eine sinnliche, warme Brandung. Sie hatte zugesehen, wie Kam danach in einen tiefen, friedlichen Schlaf gefallen war, und konnte den Blick nicht von seinem Gesicht lassen. Als sie sich schließlich aus ihrer Trance gerissen hatte, hatte sie Ian angerufen und sich für das Meeting mit dem Geschäftsführer einer Noble-Tochtergesellschaft entschuldigt. Dann endlich war sie Kam in einen erschöpften Schlaf gefolgt.
Nun war er verschwunden. Die Schlafzimmertür war geschlossen. Leise hörte sie männliche Stimmen dahinter. Schnell setzte sie sich auf und zog die Bettdecke bis ans Kinn. Die Stimmen ähnelten sich im Timbre und der Lautstärke, doch die eine hatte einen französischen, die andere einen britischen Akzent. Ian war hier. Ihr Blick landete auf den Lederfesseln auf dem Nachttisch. Beklemmung überkam sie, die überflüssig war. Natürlich würde Ian nicht in dieses Zimmer kommen. Kam würde das nicht zulassen. Sie stieg aus dem Bett und ging auf die Tür zu. Sie legte den Kopf schräg und versuchte, trotz ihres laut klopfenden Herzens zu verstehen, was dort gesprochen wurde.
». unglücklich, was mit Jason passiert ist. Ich hätte ihn nie so eingeschätzt, aber manche Männer werden eben zu Idioten, sobald eine so hübsche Frau wie Lin anwesend ist«, glaubte sie von Ian zu hören. Dem Klang seiner Stimme nach vermutete sie, dass er in der Nähe des Flurs stand, direkt gegenüber des Eingangs. »Kein Wunder, dass sie sich nach einem derartigen Erlebnis einen Tag freigenommen hat.«
Kam entgegnete etwas, doch er stand mit dem Rücken zur Schlafzimmertür. Sie hörte mehrfach ihren eigenen Namen, dann sprach Kam stürmisch auf Französisch.
»Das verstehe ich«, sagte Ian. »Es tut mir nur leid, dass ich dieses Treffen überhaupt vorgeschlagen habe. Ich hätte dasselbe getan, wenn ich jemanden beobachtet hätte, der Francesca gegen ihren Willen festhält.«
Lin stockte der Atem. Sie drückte das Ohr an die Tür, doch alles, was sie hören konnte, war Schweigen. Ian hatte eine Parallele gezogen zwischen seinen Beschützerinstinkten für Francesca und Kams für sie. Wollte Ian damit Kam die Gelegenheit geben, über sie zu sprechen - über Lin? Wenn er das vorhatte, so ging Kam nicht darauf ein. Sie war ihm dankbar.
»Ich bin nur vorbeigekommen, um dich offiziell für Montagabend zum Abendessen einzuladen. Lucien und Elise kommen, und Mrs. Hanson kocht uns Roastbeef und Yorkshire Pudding. Ich würde auch Lin einladen, aber sie ist Anfang nächster Woche nicht in der Stadt.« Lin runzelte die Stirn. Ian vermutete offenbar eine Verbindung zwischen Kam und ihr. Aber welche Art von Verbindung glaubte er, bestand zwischen ihnen? »Und dann sehen wir uns ja am Mittwoch bei der Vorführung deiner Erfindung für die Gersbachs. Lin hat mich wissen lassen, dass ihr zwei alles vorbereitet habt?«
»Wir sind bereit.«
»Vielleicht kannst du uns dann ja morgen Abend erzählen, wie deine Zukunftspläne aussehen«, sagte Ian.
Lin zuckte bei diesem unerwarteten Kommentar zusammen. Sie hielt ihr Ohr noch dichter an die Tür, als Ian in vertrauensvollem Ton fortfuhr: »Schau mich nicht so an, Kam. Ich weiß doch, dass du schon die ganze Zeit während deiner Geschäftsreise hier etwas planst. Und du hattest gewiss nicht vor, jemals dein Patent an einen der Luxusuhren-Hersteller zu verkaufen, mit denen Lin und ich dich zusammengebracht haben.«
»Ich habe noch nichts entschieden. Ich mag Gersbach, und ich freue mich darauf, die Leute von Stunde zu treffen«, erwiderte Kam neutral, ohne damit auf Ians Angebot der Offenheit einzugehen. Die beiden Männer unterhielten sich weiter, doch sie waren wohl weitergegangen, denn ihre Stimmen waren jetzt noch dumpfer und unverständlicher.
Als Kam fünf Minuten später an die Badezimmertür klopfte, trocknete sich Lin nach einer schnellen Dusche gerade ab.
»Komm rein.« Sie schob das Ende des Handtuchs zwischen ihren Busen.
Ein paar Sekunden lang sahen sie sich an, nachdem er die Tür geöffnet hatte und im Eingang, eine Hand auf den Türrahmen gestützt, stehen geblieben war. Ihn anzusehen war wirklich das Beste, was einem am frühen Morgen passieren konnte.
»Hallo.« Sie trat auf ihn zu und riss ihren Blick von der dünnen, behaarten Straße fort, die seinen flachen Bauch in zwei Teile teilte und unter dem tiefliegenden Bündchen seiner Jeans verschwand. Mensch, sie hatte seine Kleidergröße perfekt eingeschätzt. Was Kam mit dieser Jeans tat, wäre in manchen Ländern der Erde verboten. Mühsam machte sie ihren Blick los. Ihr fiel auf, dass seine Nasenflügel bebten und er ein wenig unzufrieden aussah, als sie ihn schließlich anblickte.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Verdammter Ian. Ich hatte gehofft, dich selbst aufwecken und dann im Bett behalten zu können.«
»Du kannst mich nicht für immer im Bett behalten«, neckte sie ihn und lächelte.
»Wer sagt das?« Missmutig sah er sie an, trat dann auf sie zu und schlang die Arme um sie. »Jetzt müssen wir noch das hier loswerden«, knurrte er trocken. Er zog an dem Handtuch, das zwischen ihnen zu Boden fiel. »So ist es besser.« Kam drückte ihren nackten, von der Dusche noch warmen Körper an sich. Es fühlte sich dekadent gut an. Er hatte noch nicht geduscht. Entweder hatte ihn Ians Besuch aus dem Bett geholt, oder er war mit Angus draußen gewesen. Er roch nach Seife und Sex und Mann. Ohne nachzudenken, versenkte sie ihre Zähne in das, was gerade vor ihr lag - einen starken Brustmuskel, bedeckt von kräftiger, weicher Haut. Sie schmeckte seine Haut mit ihrer Zunge und spürte, wie sich sein Schwanz in der Jeans aufrichtete. Seine Hände fuhren durch ihr Haar und zogen das Bändchen heraus, das es in der Dusche zusammengehalten hatte.
»Jetzt ist es noch viel besser«, fauchte er und grub die Finger in die offenen Strähnen. Ihr Kopf sackte zurück, und er schoss herab, um ihren Mund zu erobern. Als er sich eine Minute später wieder aufrichtete, war Kams Schwanz steif geworden, lag an ihrem Bauch und hatte Lins Körper - ganz zu schweigen von ihrem Kopf - in einen warmen Brei verwandelt.
»Ich sorge dafür, dass du bald nur noch blaumachen willst«, erklärte er selbstgefällig und zwickte sie in die Lippe.
»Du bist auf einem guten Weg dahin.« Sie knabberte an seinem Mund beim Sprechen. »Es gibt nur ein Problem.«
»Es gibt kein Problem«, verbesserte er sie und nahm sie enger in den Arm. Sie drückte ihre Hüfte gegen seinen Schwanz. Er zischte und biss ein wenig fester zu.
»Ich habe nichts anzuziehen hier, außer meinem Abendkleid«, erinnerte sie ihn.
»Du brauchst auch nichts.«
»Doch. Ich gehe morgen früh nicht in meinem zerknitterten Kleid vor die Tür, das wäre peinlich. Außerdem habe ich Ian zugesagt, dass ich ihm heute Abend noch ein paar Dinge vorbeibringe.«
Er hob den Kopf, runzelte die Stirn und sah zu ihr hinunter.
»Du arbeitest heute nicht.«
»Für einen Mann, der so lange alleine gelebt hat, ohne einen Boss in der Nähe, kannst du ganz schön diktatorisch sein. Ich spüre eine neue Seelenverwandtschaft zwischen mir und Angus«, beschwerte sie sich, ohne ernsthafte Aufregung. Er warf ihr einen gelangweilten Blick zu. »Es sind doch nur ein paar Sachen.«
»Du bist eine erwachsene Frau. Wann willst du lernen, auch einmal ein bisschen zu leben? Es gibt mehr im Leben als nur Arbeit, mein Kätzchen«, schmeichelte er ihr und glitt mit seinen festen Lippen über ihre Wange und Schläfe.
»Es geht nur um eine wichtige Aktennotiz, die ich noch anfertigen muss.«
Er hob den Kopf und blickte finster drein.
»Zumindest muss ich heute Morgen meine E-Mails lesen und beantworten.« »Dafür kannst du meinen Computer benutzen, aber danach ist es vorbei mit der Arbeit.« Kams Hände liefen über ihren Rücken und massierten sie . überredeten sie. Er wusste genau, was er tat, musste sie gestehen, denn ihr Körper wurde weicher und wärmer unter seinen Fingern. »Und du brauchst auch nur wenig zum Anziehen, denn die meiste Zeit will ich dich nackt«, flüsterte er an ihrer Schläfe. Ohne Zweifel fühlte er die lustvollen Schauder, die unter seinen Händen und beim Klang seiner rauen Stimme an ihrem Ohr über ihren Körper liefen. »Ich dusche schnell in dem anderen Badezimmer und laufe dann rasch zu einem der Geschäfte in der Michigan Avenue. Ich kaufe dir ein paar Klamotten fürs Gassigehen.«
»Klamotten fürs Gassigehen?«, wiederholte Lin, deren Augen unter dem Einfluss seiner großen, reibenden Hände, die so geschickt über ihre Muskeln zogen, fast zufielen.
»Ja. Bequeme, einfache Wochenend-Klamotten. Von der Art, die ich so gut wie nie an dir sehe. Du brauchst sie, wenn wir uns kurz erholen und mit Angus eine Runde drehen.« Sie öffnete die Augen, und sein heißes Starren verriet ihr genau, wovon sie sich würden erholen müssen. Er küsste ihre Nasenspitze, dann ihren Mund und blieb dort einen Moment, um ihre Lippen ganz kurz mit seiner Zunge zu durchstoßen, um sie zu kosten.
»Also?«, hakte er nach, als er sie losgelassen hatte und mit seinem Blick über ihren nackten Körper gehuscht war.
»Also was?«, fragte sie dümmlich, denn er sah sie mit einem Blick an, unter dem ihr unglaublich heiß wurde.
»Mein Computer steht im Wohnzimmer. Mach, was immer du willst, während ich dusche und einkaufen gehe. Doch wenn ich...