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Wer sich selbst treu bleiben will, kann nicht immer anderen treu bleiben.
Seltsam, dass dieser Satz Julia immer dann einholte, wenn er ihr so gar nicht gelegen kam. Nicht, weil er sie prinzipiell zu erschüttern verstünde. Nicht, weil er sie auf eigene Umtriebe zurückwürfe. Hier. Heute Abend.
Andererseits wieder doch. Gerade hier. Gerade heute Abend.
Wie auch immer. Jedenfalls schaffte dieser Satz eines: Er führte ihr vor Augen, wie endlos nah Süße und Bitterkeit beisammen lagen, diese vorherrschenden Geschmacksrichtungen auf der Zunge, die sich Leben nannte. War es nun die eigene oder die anderer Leute.
Längst hatte Julia vergessen, wo sie den Satz gelesen hatte, und auch, wem er zugeschrieben wurde (war es einer der großen deutschen Dichter? Goethe? Schiller? So lange lag die Schulzeit ja noch nicht zurück. Die paar Jahre. Nein. Keiner von denen. Und das andere Extrem? Aber nein. Die schon gar nicht. Nicht selbst ernannte Netzgurus. Wie lachhaft! Schließlich war das ein Sager mit Gehalt.)
War's der Christian Morgenstern?
Scheißegal. Entscheidend war, jetzt und hier, dass die Menschenmenge, die sie keine hundert Meter voraus im Laternenschein ausmachte, sich in Luft auflöste. Am besten sofort. Ehe sie selbst dort ankamen. Schließlich waren sie nicht zum Vergnügen hier. Julia und Sarah. Zwei Ladies auf . Mission . andererseits . mmhhmm .
Und dann kannte Julia zum Thema noch diesen hier:
Treu bis in den Tod sind nur die Dummköpfe. Die Treue hat ihre Grenze im Verstand.
Der, wusste sie, war wie der Griff ins Klo. Oder auf die zweischneidige Klinge eines Schwertes. Frisch geschliffen, versteht sich. Da wie dort mit bloßen Händen, versteht sich. Das konnte nicht gutgehen. Auch wenn sie sich oft genug genau darin wiederfand.
Ja. Exakt so würde es auch heute Abend laufen. Ob es ihr nun gefiel oder nicht. Sie hatte es im Blut. Weil sie ihre Pappenheimer längst kannte. Weil es einer dieser Abende war, die sie ebenfalls nur zu gut kannte. Einer dieser Abende, dem das Übel vorauslag, obwohl er aufs rechte Gegenteil getrimmt war. Einer dieser vordergründig herrlichen, zauberhaft lauen Abende, die einem schon mal das Herz übergehen, die einen tief nach Atem schöpfen lassen konnten im trügerischen Glauben, nichts wäre mächtig genug, die Stimmung zu trüben.
Oh ja. Sie konnte es verdammt nochmal riechen. Gerade so verhielt es sich jetzt und hier. Alles ringsum wie in Watte gepackt, und die schwüle Lust nach Aufbruch greifbar. Von schräg gegenüber funkelten die Nachtlichter der beiden Museumsriesen herüber. Die Schlussakkorde von Wagners Walküre in der Staatsoper im Rücken hingen noch vage in der Luft. Und aus dem Burggarten zur Rechten trug eine sanfte, nur mäßig kühlende Brise unwiderstehliche Aromen heran.
Bestimmt Jasmin. Oder wenigstens Rosen.
Julia wusste, dass es um diese Jahreszeit in Wirklichkeit nach feuchter Erde und Moos und gewärmten Blättern roch, tatsächlich also modrig und faulig. Doch das, sagte sie sich, sollte nichts zur Sache tun. Insgeheim wollte auch sie an das Ungetrübte glauben. Wie all die Menschen ringsum, denen diese Hoffnung auf die eine oder andere Stunde Unbeschwertheit in die Gesichter geschrieben stand. Einfach ausblenden, dass dort, wo sie und Sarah hinwollten, womöglich ganz andere Gerüche vorherrschen würden. Wenn alles nach Plan lief. Nach wessen Plan eigentlich? Ausdünstungen, die nach menschlicher Niedertracht stanken.
Nein. Daran wollte Julia noch gar nicht denken. Nicht jetzt. Lieber ausblenden. Wie auch die miefige Abgasglocke der vierspurigen Ringstraße, die die Abendstunden nicht fortzublasen vermocht hatten und in deren Riechweite sie beide standen. Julia und Sarah. Einfach ausblenden. Und stattdessen den Duftmolekülen der Vorstellung und ihren eigenen Melodien erliegen. Weil an einem Abend wie diesem im Gehirn bloß ankommen sollte, was auch ankommen wollte: ein wiesenblumenfrisches Bouquet. Es war wie mit einem fabrikneuen Wagen: Er konnte wohlig duften oder abgestanden stinken. Je nachdem, ob der Stolz des Besitzes überwog oder die Sorge um die Leasingraten. Heue Abend jedenfalls war die Welt auf Duft getrimmt.
Frühling über Wien.
Kichernd und beschwingt von einem köstlichen Abendmahl mit gebratenem Seeteufel und Salat und ein, zwei nachgeschossenen Drinks, mehr aber noch in angespannter Erwartung, was da kommen möge, lenkten sie ihre Schritte zielstrebig auf den Abgang zu. Es war kurz vor Mitternacht. Wenig verwunderlich, dass ganze Horden auf dieselbe Location wie sie verfallen waren, abtanzen in der ge, Samstagnacht im Spätmai, und so mussten sie geraume Zeit auf der Treppe ausharren, sich Stufe um Stufe hinabdrängeln, um irgendwann doch noch Einlass zu bekommen.
»Wo sind die Fiaker?«, fragte Sarah, während sie zwei Stufen hinabstieg. Sie hob das Kinn nach der Ringstraße, die nun fast auf Augenhöhe lag.
»Um die Zeit?«, gab Julia ungläubig wider. »Und überhaupt, was willst du mit einem Fiaker? Das ist was für die alten Knacker. Und die Japaner. Und die Dreckskerle, die daheim etwas gutzumachen haben.«
»Stimmt«, sagte Sarah. Ein wissendes Schmunzeln umspielte ihre Lippen. Sie warf einen letzten Blick hinüber zum Ring, ehe es endlich weiter ein Stück treppab ging und sie mit einem Grüppchen in die Katakomben des In-Clubs abtauchten. »Außerdem, wenn ich mich so umsehe, wer braucht schon Fiakerpferde? Freilaufende Stuten gibt's auch da jede Menge.« Sie lachte laut auf, warf den Kopf in den Nacken, dass ihr die Mähne aufflog.
Julia lachte herzhaft mit. Sie taxierte die junge Frau an ihrer Seite aus den Augenwinkeln. Sarah war, was man echt scharf nannte. Der Reihe nach würden sie auf sie abfahren. Langes, glattes, blitzblondes, gestyltes Haar. Ein hübsches, wie gedrechseltes Gesicht mit maßvoll konturierten Zügen. Ein makelloser Body mit nicht einem überschüssigen Gramm. Wäre sie nicht gefestigt in ihren Vorlieben, und wäre sie nicht ebenso mit einem Selbstbewusstsein und einem Körper ausgestattet, der ihr doch ganz brauchbare Chancen bei Männern einräumte, die sie einmal auserkoren hatte - glatt hätte Julia darauf verfallen können, neidisch zu werden. Oder am besten Sarah gleich selbst anzubaggern.
Doch das stand nicht zur Diskussion.
Es war nicht das erste Mal, dass sie und Sarah gemeinsam auf Tour gingen. Sie waren ein gutes Gespann. Erfolgreich. Einerseits verhielt es sich bei ihnen wie bei Tag und Nacht. Oder Yin und Yang. Oder Sonne und Mond. Teufel und Engel. Andererseits waren sie wie aus einem Guss. Alle beide keine Mitte zwanzig. Alle beide fantastisch aussehend. Alle beide aus demselben Grund hier.
Sie selbst, Julia (darin hob sie sich nun wieder von Sarah ab), hatte sich für den Weniger-ist-mehr-Joker entschieden. Ein Overall in verschossenem Schwarz als schlichtes, fast keusches Outfit. Und gerade darum so reizvoll. Hauteng obendrein. Dazu schwarze, hohe Schuhe. Wie Sarah trug sie ihr Haar offen, kastanienbraun, in fluffig die Schulter hinabwallenden Locken. Einzig schriller Kontrast: der knallrote Lippenstift, den sie aufgelegt hatte.
Beherrschendes Thema beim Abendessen vorhin waren ihre Motive gewesen. Vor allem Sarahs. Was sie daran reizte. Warum sie mit von der Partie war. Warum überhaupt. Warum heute Abend.
»Ich habe meinen Glauben verloren«, sagte Sarah und angelte wie lustlos mit der Gabel nach dem letzten Bissen Fisch.
»Deinen Glauben?«
»Ja. Den Glauben an die Treue. Männer sind Schweine.« Die Erfahrungen mit ihren beiden letzten Verflossenen erlaube ihr keinen anderen Befund als diesen. Bei dem einen habe sie überhaupt erst lange nach der Trennung erfahren, mit wem sie es da zu tun gehabt, mit wem er sie wie oft hintergangen hatte. Darunter der Klassiker: die beste Freundin.
»Darum mache ich es«, sagte sie. Wie auch aus einer Reihe anderer Beweggründe, die sie Julia nach und nach darlegte.
Schweine?, dachte Julia. Ein Buchstabe stieg vor ihrem geistigen Auge empor. Ein fettes, übergroßes S. S wie Schönebeck, jene Stadt im Herzen Sachsen-Anhalts, die ihr vor ein paar Jahren noch Heimat gewesen war. S wie Scheidungskind (auch ohne Heirat der Eltern). S wie Schulabbruch. S wie Schnapsidee. S wie Selfie. S wie Straps. S wie steigern. S wie Sex. S wie siedeln. S wie Stefan.
Stefan.
S wie sympathisch. S wie sprachgewandt. S wie Schmeichler. S wie Schlaftabletten? S wie Schwangerschaft? S wie Sehnsucht nach Sicherheit. Insbesondere aber auch, weil so übermächtig präsent in ihrer jüngsten Erinnerung: S wie Selbstaufgabe. Und, über allem: S wie
Scheißkerl.
Nun waren sie soweit. Endlich Einlass in die Passage. Die mitgeführten dünnen Jäckchen (man wusste ja schließlich nie) an die Garderobe geworfen. Dann ab ins Gewühl. Mit ausgestellten, teils rudernden Armen und im Takt der wummernden Bässe die Menge durchpflügen. Eine erste Runde. Blicke in geisterhaft aufblitzende Gesichter. Datenabgleich. Nein. Und weiter. Quer durch den ganzen verdammten Club. Nichts. Ein resigniertes Kopfschütteln. Ein Drink an der Bar. Lagebesprechung. Eine zweite Runde. Diesmal geteilt. Sarah die eine Hälfe. Julia die andere.
Acht Männer, die Geburtstag feierten. Angeblich. Die mussten doch zu finden sein. Easy cheesy. Die konnten doch nicht . Andererseits, vielleicht waren sie gar nicht .? Vielleicht war auch das bloß .? Das würde bestätigen, was sie im Vorfeld gehört und...
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