Schweitzer Fachinformationen
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Die kleine Stadt heißt Galloway. Der Merrimac River, breit und ruhig, fließt von den Hügeln New Hampshires zu ihr herunter, macht sich nach dem Wasserfall schäumend über die Felsen her, schäumt weiter über uraltes Gestein bis zu der Stelle, wo der Fluß plötzlich in einem weiten friedlichen See zu einem großen Bogen ansetzt und dann um die Flanke der Stadt herum weiterfließt, durch Städte wie Lawrence und Haverhill, durch ein bewaldetes Tal und weiter zum Meer bei Plum Island, wo der Fluß sich in unendliche Gewässer ergießt und verschwindet. Irgendwo im Norden von Galloway, in einem fernen Quellgebiet nahe der kanadischen Grenze, wird der Fluß immerfort aus endlosen Brunnen und unergründlichen Quellen bis zum Überschäumen gespeist.
Die kleinen Kinder von Galloway sitzen an den Ufern des Merrimac und denken über diese Tatsachen und Geheimnisse nach. In der wilden widerhallenden nebligen Märznacht kniet der kleine Mickey Martin an seinem Schlafzimmerfenster und horcht auf das Rauschen des Flusses, das ferne Bellen von Hunden, das monotone Donnern des Wasserfalls, und er sinnt über die Quellen und Ursprünge seines eigenen geheimnisvollen Lebens nach.
Die Erwachsenen von Galloway sind weniger mit Grübeleien am Flußufer beschäftigt. Sie arbeiten - in Fabriken, in Betrieben und Läden und Büros und auf all den Farmen in der Gegend. Die Textilfabriken, massive Backsteinbauten mit zierlichen Türmchen, drängen sich am Fluß und an den Kanälen, und die ganze Nacht herrscht in ihnen ein reges Leben. Das ist Galloway, Fabrikstadt inmitten von Feldern und Wäldern.
Wer bei Nacht in den Wald geht, der Galloway umgibt, und sich auf eine Anhöhe stellt, der sieht das alles in einem weiten Panorama vor sich: den Fluß, der im Bogen gemächlich dahinfließt, die Spinnereien mit den langen Reihen hell erleuchteter Fenster, die Fabrikschornsteine, die höher aufragen als die Kirchtürme. Aber er weiß, das ist nicht das wahre Galloway. Irgend etwas in der unsichtbaren brütenden Landschaft rings um die Stadt, irgend etwas in den hellen Sternen dicht über der Anhöhe, wo der alte Friedhof schläft, irgend etwas in den sanft rauschenden Blättern über den Feldern und Steinwällen erzählt ihm eine andere Geschichte.
Er sieht sich die Namen in dem alten Friedhof an: «Williams . Thompson . LaPlanche . Smith . McCarthy . Tsotakos.» Er ahnt das langsame tiefe Pulsieren des Lebensstromes. Ein Hund bellt auf einer Farm, keine zwei Kilometer entfernt, der Wind flüstert über den alten Steinen und in den Bäumen. Hier berichten die Inschriften von langem, langsamem Leben und lange erinnertem Tod. John L. McCarthy, in Erinnerung als ein Mann mit weißen Haaren, der in der Abenddämmerung meditierend die Straße hinunterging; der alte Tsokatos, der lebte und arbeitete und starb, dessen Söhne immer noch das Land bebauen, nicht weit vom Friedhof; Robert Thompson - beug dich hinunter und lies die Zahlen: «Geboren 1901, gestorben 1905» -, das Kind, das vor drei Jahrzehnten im Fluß ertrank; Harry W. Williams, der Sohn des Ladenbesitzers, der im Großen Krieg 1918 fiel, dessen alte Liebste, heute die Mutter von acht Kindern, immer noch von seinem längst verschwundenen Gesicht verfolgt wird; Tony LaPlanche, der neben der alten Mauer vermodert. Es gibt alte Leute, die noch leben und sich noch erinnern, die einem so viel über Galloways Tote erzählen könnten.
Wenn dich die Lebenden interessieren, dann geh den Abhang hinunter auf die ruhigen Straßen und Häuser der Vororte Galloways zu - du wirst das ewig gleichbleibende Rauschen des Flusses hören -, geh weiter unter den dichtbelaubten Bäumen, den Straßenlaternen, vorbei an den grasgrünen Vorgärten und dunklen Veranden, den Zäunen aus Holz. Irgendwo am Ende der Straße wird es heller, und du kommst zu Kreuzungen, die zu den drei Brücken Galloways führen und damit ins eigentliche Herz der Stadt und in den Schatten der Fabrikmauern. So kommst du dann in die Mitte der Stadt, zum Square, wo um die Mittagszeit jeder jeden kennt. Blick jetzt um dich, und du siehst die geschäftige Stadt verlassen in der gespenstischen Mitternachtsstunde: den Kramladen, die drei Kaufhäuser, die Lebensmittelgeschäfte und Eisstände und Drugstores, die Kneipen, die Kinos, die Stadthalle, den Tanzschuppen, die Billardlokale, das Gebäude der Handelskammer, das Rathaus und die Stadtbücherei.
Warte erst mal, bis der Morgen kommt und die Immobilienbüros zum Leben erwachen und die Rechtsanwälte die Jalousien hochlassen und das Sonnenlicht die staubigen Büros überflutet. Sieh diese Männer an Fenstern stehen, auf denen ihre Namen in Goldbuchstaben prangen; sieh nur, wie sie ihren Mitbürgern zunicken, die unten auf der Straße vorbeigehen. Warte erst mal, bis die Busse ankommen, voll besetzt mit Arbeitern, die nun hustend und finster dreinblickend der Cafeteria zustreben, um rasch noch eine Tasse Kaffee zu trinken. Der Verkehrspolizist stellt sich mitten auf den Square und nickt einem Autofahrer zu, der ihn gutgelaunt anhupt; ein allseits bekannter Politiker überquert die Straße, das Sonnenlicht auf den weißen Haaren; der Kolumnist von der Lokalzeitung kommt verschlafen in den Zigarrenladen und begrüßt den Verkäufer. Hier sind ein paar Farmer, die mit ihren kleinen Lastwagen gekommen sind, um sich mit Vorräten und Lebensmitteln einzudecken und ihre Geschäfte abzuwickeln. Um zehn kommen die Scharen der Frauen, mit Einkaufstaschen und mit ihren Kindern im Schlepptau. Die Kneipen machen auf, Männer kippen ein Morgenbier, der Barkeeper wischt die Theke ab, es riecht nach sauberer Seife, Bier, altem Holz und Zigarrenrauch. Am Bahnhof schnaubt der Schnellzug, der nach Boston runterfährt, und er bläst seine Dampfwolken um die alten braunen Türmchen des Bahnhofsgebäudes, die Bahnschranken senken sich majestätisch, während die Glocke bimmelt und lärmt, Leute spurten zum Zug nach Boston. Es ist Morgen geworden, und Galloway erwacht zum Leben.
Draußen auf der kleinen Anhöhe beim Friedhof schickt die rosige Sonne ihre Strahlen durch das Laub der Ulmen, eine frische Brise weht durch das weiche Gras, die Steine leuchten im Morgenlicht, es riecht nach Lehmboden und Gras - und es ist eine Freude zu wissen: Leben ist Leben und Tod ist Tod.
Das sind die Dinge, die Galloways Fabriken und Geschäfte dicht umgeben; sie machen aus Galloway einen Ort, der im uralten Puls des Lebens und der Arbeit und des Todes in der Erde wurzelt, und sie machen aus seinen Bewohnern Bürger einer Kleinstadt und nicht Großstadtmenschen.
Brich am sonnigen Nachmittag in der Stadtmitte auf, am Daley Square, und geh die River Street rauf, wo der ganze Verkehr zusammenläuft, vorbei an der Bank, an der Galloway High School und dem Gebäude des YMCA, und geh immer weiter, bis die ersten Wohnhäuser auftauchen. Hast du die Innenstadt hinter dir und blickst zurück, sind die großen Fabrikmauern links und rechts davon kaum noch zu sehen. Den Fluß entlang führt eine ruhige Straße mit ein paar stillen Bestattungsinstituten, einem Waisenhaus, herrschaftlich wirkenden Backsteinhäusern und den Brücken, die den Fluß überspringen und hinüber in die Vororte führen, wo die meisten Bewohner Galloways zu Hause sind. Geh über die Brücke, die sich genau beim Wasserfall über den Merrimac schwingt und als White Bridge bekannt ist, und bleib einen Augenblick stehen, um in die Runde zu blicken. Stadtwärts siehst du noch eine Brücke, die ausgedehnte schimmernde Wasserfläche, wo der Fluß einen Bogen beschreibt, und dahinter in weiter Ferne einen dicht bewohnten Landstrich. Wende deinen Blick ab von der Stadt, über den schäumenden Wasserfall hinweg, und du siehst dunstige Weiten, die nach New Hampshire hineinreichen, viel grünes friedliches Land und stille Gewässer. Da ist die Eisenbahnlinie, die dem Flußlauf folgt, ein paar Wassertanks und Nebengleise, doch sonst ist überall Wald. Das andere Ufer des Flusses präsentiert eine Landstraße mit vereinzelten Wirtshäusern und Verkaufsständen, und ein Blick zurück zeigt stromabwärts die Vororte, ein dichtes Gewirr von Hausdächern und Bäumen. Geh über die Brücke auf diese Vororte zu, und wende dich dann stromaufwärts, vorbei an den Wohngebieten, die Landstraße entlang, und du stößt auf ein schmales schwarzes Teersträßchen, das landeinwärts führt.
Es ist die alte Galloway Road. Genau dort wo sie ansteigt und gleich wieder hinabführt, hinein in Tannenwälder und Ackerland, liegt eine Zusammenballung von Häusern, friedfertig voneinander abgesetzt - eine Villa aus efeuumrankten Mauern, das Haus eines Richters; ein getünchtes altes Haus mit runden Holzsäulen auf der Veranda - das ist eine Meierei, auf der Weide im Hintergrund sind Kühe; und ein weiträumiges viktorianisches Haus in schäbigem Grau, ringsum von einer hohen Baumhecke eingeschlossen, gewaltige und dichtbelaubte Bäume, die die Vorderseite des Hauses fast ganz verdecken, eine Hängematte auf der alten Veranda und hinter dem Haus ein ungepflegter Hof mit einer Garage und einem Schuppen und einer alten Holzschaukel.
In diesem Haus wohnt die Familie Martin.
Von der höchsten Ulme vor dem Haus - das können die ungestümen unter den Kindern der Martins bezeugen - reicht der Blick an einem guten Tag über all...
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