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PEKING
Ich mag ihn ja selber nicht.
Rein vom Ansehen und von der Sympathie her rangiere ich damit noch hinter der Politesse und dem Pharmareferenten. Unmittelbar vor dem FIFA-Präsidenten, wenn man es auf den Punkt bringen möchte. Wahrscheinlich ist den Leuten, die ich aufsuche, sogar der Gerichtsvollzieher lieber. Der klebt allenfalls mal einen Kuckuck. Das lässt einem Spielraum, man kann existentiell noch weiterwursteln. Ich hingegen, ich mache die Bude dicht, wenn sich der vorgefundene Zustand nicht mit den Bestimmungen vereinbaren lässt. In Berufung auf die Paragrafen drei bis acht LMHV, der Lebensmittelhygiene-Verordnung, drehe ich dann quasi alle Hähne zu, einschließlich des Geldhahns. Und wenn es ums Geld geht, hört der Spaß bekanntlich auf.
Und dann stehe ich da.
Nein, ich mag ihn nicht. Aber es hat sich halt so ergeben. Nicht wegen der Bezahlung, die könnte freilich besser sein. Na ja, immerhin bin ich verbeamtet. Die Mama freut's, dass sie einen Beamten in der Familie hat.
Persönlich bin ich darauf nicht so stolz, von Erwartungen will ich gar nicht erst anfangen. Geld ist nicht alles. Karriere auch nicht. Allerdings könnte beides helfen. Speziell bei den Frauen.
Womit wir beim Thema wären. Frauen. Bei Frauen kommt es überhaupt nicht gut an. Da machst du keinen Stich, wenn du sagst, was du machst. Weshalb ich dann besser gar nichts sag. Also rein privat betrachtet.
Natürlich kriege ich Angebote. Einschlägige. Aus der Verzweiflung heraus. Aber die anzunehmen verbietet sich; das wäre Amtsmissbrauch, und da bin ich eisern. Im Dienst gibt es keine Freunde und keine Freude.
Den Satz sollte ich mir patentieren lassen.
Nein, beliebt sind die Kollegen und ich nicht. Die in der Zentrale bezahlen uns seit Kurzem sogar Selbstverteidigungskurse. Seit diesem Vorfall vor einem halben Jahr. Da wurde im Bezirk Neutraubling einem Kollegen in den Finger gehackt. Mit einem Küchenbeil. Wohlgemerkt, der Finger war nicht ganz ab. Er konnte die Hand gewissermaßen noch zurückziehen. Allerdings nicht schnell genug. Nur angehackt also. Wobei, was heißt schon »nur«? Schlimm war's trotzdem, auch wenn es lediglich den kleinen Finger der linken Hand getroffen hat. Den, den ein Rechtshänder am allerwenigsten braucht. Dennoch sähe es unästhetisch aus, wäre er weg gewesen. Zum Glück konnte er wieder angenäht werden. Wobei ich gehört habe, dass die Nerven durch sind.
Nein, ich mag ihn nicht, den Beruf.
Und ja, im Dienst bin ich ein Korinthenkacker.
Freilich, beim Kellerwirt, da schau ich schon nicht so genau hin, weil wenn ich genau hinschauen würde, wüsste ich womöglich hinterher nicht mehr, wohin ich sonntags zum Frühschoppen gehen soll. Diese meine Nachsicht ist dem Kellerwirt bekannt. Nervös ist er trotzdem immer, wenn ich offiziell komme.
Warum der Kellerwirt Kellerwirt heißt, kann ich mir bis heute nicht erklären. Er auch nicht. Der Pauli hat das Wirtshaus übernommen, ebenso wie den Namen. Im Keller ist die Gaststube jedenfalls nicht - und ins Lager schaut besser keiner seiner Gäste rein. Es reicht völlig, wenn ich da nicht so genau reinschaue.
Kurz gesagt, ich will den Stammtisch nicht gefährden. Wo sollten wir denn hin? Zum Reischl? Zum Franzl? Oder zur Linde? Die eigentlich Kastanie heißen müsste, wenn es danach geht, was für ein Baum vorm Haus wächst.
Verstehe einer die Welt .
Wirtshäuser gibt es gerade genug in meinem Verwaltungsbezirk, das Geschäft geht nicht aus. Im Gegenteil, wir kommen nicht hinterher, und das nutzen diese Hundlinge natürlich aus. Die Hygienemoral ist am Boden! Wie so vieles, aber das würde den Rahmen sprengen, sich da jetzt drüber auszulassen, was noch alles darniederliegt bei uns.
Heute ist auf jeden Fall der Chinese dran. Der bei uns am Ort. Unangekündigt, versteht sich. Nicht, dass ich was gegen Chinesen habe. Überhaupt nicht. Gegen Asiaten generell habe ich nichts. Auch nichts gegen Inder. Oder Afrikaner. Also, im Allgemeinen. Ich bin sehr tolerant gegenüber allen Volksgruppen. Außer es geht um die Paragrafen drei bis acht LMHV.
Und der Chinese, also der bei uns am Ort, das ist auch so ein Hundling. Weshalb ich öfter dort vorbeischaue. Dabei hat der eh schon kaum mehr Haare auf dem Kopf. Manchmal mache ich mir den Spaß und fahr auf seinen Parkplatz. Nur so, um zu sehen, wie ihm die Augen rausquellen.
Heute ist es allerdings ernst. Wegen des anonymen Anrufs, der gestern in der Dienststelle einging und umgehend an mich weitergeleitet wurde. Das Los, wenn man im Außendienst ist. Im Büro kann man so einen Anruf leichter ignorieren. Es klingelt, ein Blick aufs Display. Du hast alle Zeit, das Für und Wider abzuwägen. Aber draußen, im Auto, in der Hektik, da gehst du aus einem Reflex heraus ans Handy - und zack, schon haben sie dich am Wickel.
Nicht, dass es ihm nicht geschmeckt hätte, hat der Anrufer gemeint, aber irgendwas sei komisch gewesen. Da soll unsereins was mit anfangen können, mit so unkonkreten Aussagen. Irgendwas komisch. Die schwarze Soße oder so.
Schwarze Soße?
Soja?, habe ich nachgefragt.
Nein, hat er gemeint, Soja war's nicht, das kennt er von daheim.
Anonym war der Anrufer jetzt auch nicht wirklich. Man kennt sich halt im Ort. Zumindest kenne ich viele und Leute mit eindringlichen Stimmen im Besonderen. Und genau diejenigen sollten nicht versuchen, ihre Stimme zu verstellen, und schon gar nicht probieren, Hochdeutsch zu reden. Das funktioniert sowieso nie und hört sich noch schlimmer an, als wie wenn die im Fernsehen sich bemühen, gezwungen Bayerisch zu sprechen.
Soja! Grad als ob dem Grundmüller Sigi seine Frau daheim mit Soja kochen würde! Es ist ja schon verwunderlich, dass die überhaupt zum Chinesen gehen.
Ich steige also aus. Am späten Vormittag ist der Parkplatz vor dem Peking noch leer. Mittagstisch ist erst ab elf. Durchs Fliegengitter vor dem Küchenfenster sehe ich schon, wie sie drinnen hektisch werden. Und das ist ja nicht unbegründet. Nicht nur, weil der vermeintlich unbekannte Anrufer irgendwas komisch fand und der Rumäne sich nach dem Biesln nicht die Hände wäscht. Ja, beim Chinesen kocht tatsächlich ein Rumäne. Das wissen die wenigsten. Noch weniger wissen, dass er es mit dem Händewaschen nicht so genau nimmt, wenn er vom Klo kommt. Das weiß eigentlich nur ich, weil ich mal einen Abstrich gemacht habe. So was erzähle ich im Normalfall nicht weiter und belasse es bei einer Ermahnung. Fraglich, ob's was hilft.
Nicht, dass ich den Rumänen etwas vorzuwerfen hätte. Ich habe nämlich auch nichts gegen Europäer. Osteuropäer eingeschlossen. Außerdem sind bei mir keinerlei Aversionen gegen rumänische Kochkünste vorhanden.
Wobei - Kunst? Die machen viel mit Maisbrei und so Eingewickeltes. Schafhack in Kraut. Eintöpfe. Ob das die asiatische Küche nicht ein klein wenig verfälscht? Rein objektiv betrachtet. So was beschäftigt mich halt, auch wenn ich nicht zum Sternevergeben komme.
Was das Peking im Speziellen angeht, habe ich gehört, dass der Hofer Erwin letzte Woche dort was Sanitäres gemacht hat. Angeblich gab es eine Verstopfung, und die Rohre verlaufen unterm Reislager, was praktischerweise einen Ablauf hat, wenn man es mal ausspritzen möchte. Nur - wenn es in die andere Richtung geht und was von unten hochdrückt, ist das wiederum nicht so geschickt. Für den Reis und auch geruchsmäßig. Und dass der Erwin nicht immer alles so hundertprozentig dichtkriegt, das ist jetzt auch kein Geheimnis.
Wie ich mein Equipment aus dem Kofferraum hole, sehe ich den Herrn Luang im Eingang auftauchen. Rechts und links stehen da zwei chinesische Löwen. In Gold und Rot lackiert. Diese Torwächter sind freilich aus Plastik. Die Chinesen sind ja ganz groß, wenn's darum geht, was in Plastik zu machen. Allerdings würde von uns auch keiner erwarten, dass die Löwen aus Stein und mit Blattgold verziert wären. Auf jeden Fall haben die Viecher ein komisches Grinsen, und das passt zum Herrn Luang. Der lächelt vergleichbar verkniffen und wiegt dabei leicht seinen Kopf. Nicht so übertrieben, wie es die Inder machen, aber auffällig ist es allemal. Kulturell geschult, wie ich bin, weiß ich natürlich, dass sein Lächeln nichts zu bedeuten hat. Das ist eher wie ein Krampf im Gesicht. Mehr nicht. Wenn mein Opa, Gott hab ihn selig, zu seinen Lebzeiten zu tief ins Glas geschaut hat, bekam er des Öfteren eine Maulsperre. So zumindest hat es die Oma immer genannt. Maulsperre. Ich habe das spaßeshalber gegoogelt, und fachlich korrekt heißt es Kiefersperre. So würde es hier in der Gegend keiner nennen, versteht sich. Jedenfalls muss ich immer an Maulsperre denken, wenn der Herr Luang mir entgegenlächelt. Das macht er eben, weil er aus dem Land des Lächelns kommt und dem gerecht werden muss, selbst wenn der Mann von der Lebensmittelüberwachung vor der Tür steht.
Wo ich nicht lange stehen bleibe, sondern am Wirt vorbei mit Schwung die Gaststube betrete. Selbstredend lehne ich den Pflaumenschnaps ab, den er jedem Gast nach der Bestellung aufdrängt, und der schon auf der Anrichte bereitsteht. Ich marschiere gleich durch in die Küche. Herr Luang hört auf zu lächeln, lässt den Pflaumenschnaps, wo er ist, und trottet hinterher.
Ich habe persönlich nichts gegen den Mann, es ist alles von Amts wegen, nur um das noch mal zurechtzurücken.
Der Rumäne tut überrascht und nestelt an seiner Schürze herum. Die ist nahezu reinweiß, womit klar wird, dass er sie eben frisch angezogen hat. Wenn ich jetzt in irgendeiner Ecke die alte finde, die er bis vor zehn Sekunden noch umgebunden hatte, dann wird es eng fürs Peking. Aber ich schaue nur oberflächlich...
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