Schweitzer Fachinformationen
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Ein beißender Nordost, der seit zwölf Stunden wehte, wirbelte das Wasser im Hafen von Portsmouth auf. Er jagte Wellen mit weißen Kämmen in endloser Folge vor sich her. Die Kriegsschiffe mit ihren schwarz-weißen Rümpfen ruckten heftig an ihren Ankerketten.
Obwohl es schon später März war, zögerte der Winter seinen Abschied hinaus und zeigte noch einmal alle Kraft, die in ihm steckte.
Eines der größeren verankerten Schiffe war die Black Prince mit 94 Kanonen. Man hatte sie erst kürzlich aus der Werft auf ihren Ankerplatz verholt, nach einigen Reparaturen am Rumpf. Jetzt glänzten ihre frische Farbe und das frisch geteerte, stehende Gut wie Glas - selbst unter der wehenden Gischt und einem Regenschauer, der schräg zur Isle of Wight hinüberzog. Die Insel wirkte in dem schwachen Licht wie ein ferner Schatten.
Die Black Prince war eines der mächtigsten Schiffe ihrer Klasse. Für Landratten verkörperte sie das greifbare Symbol englischer Seemacht, einen sicheren Schutzschild. Doch erfahrene Teerjacken sahen sie anders.
Noch waren die Rahen leer, ohne die Segel, die ihr Kraft und Leben geben würden. Leichter und Barkassen umschwirrten sie. Zahlreiche Takler und Reepschläger arbeiteten eifrig an Deck. Hammerschläge und das Quietschen der Blöcke machten deutlich, daß auch tief im Schiff und in den Batteriedecks fleißig gearbeitet wurde.
An der Reling auf der Poop, vor den verstauten Hängematten, stand der Kommandant der Black Prince und beobachtete das Kommen und Gehen von Seeleuten und Handwerkern, die unter Aufsicht der Unteroffiziere arbeiteten. Diese bildeten das Rückgrat jedes Kriegsschiffs.
Kommandant Valentine Keen drückte den Hut fester auf sein helles Haar und scherte sich nicht um den Wind. Ihm war auch egal, daß ihm die Nässe durch den blauen Uniformmantel mit den verfärbten Epauletten bis auf die Haut drang. Ohne sich lange umzuschauen wußte er, daß die Wachhabenden, die in der Nähe des unbesetzten Doppelrads auf und ab gingen, sich seiner Gegenwart sehr bewußt waren. Ein Quartermaster, ein Bootsmannsgehilfe und ein kleiner Midshipman[1], der gelegentlich ein Teleskop ans Auge hob, beobachteten den Signalturm und ganz in der Nähe das Flaggschiff des Admirals, in dessen Großtopp eine nasse Fahne knallend auswehte.
Von der Besatzung waren viele, die mit Keen vor Dänemark gekämpft und beinahe einen gewaltigen französischen Dreidecker versenkt hätten, auf andere Schiffe versetzt worden. Das kurze Gefecht hatte die Black Prince schwer mitgenommen. Zwar waren einige aus der Mannschaft befördert worden, »doch alle anderen«, hatte der Hafenadmiral kurz bemerkt, »werden dringend gebraucht, Kapitän Keen. Also müssen Sie warten, bis Ihr Schiff wieder kampfbereit ist.«
Keen dachte an die Schlacht und an den furchtbaren Schrecken in der Morgendämmerung, als sie Konteradmiral Herricks Benbow zu Hilfe gekommen waren. Er hatte einen Konvoi von 21 Schiffen schützen sollen, der zur Eroberung von Kopenhagen ausgesandt worden war.
Zerstreut trieben die Schiffe als brennende Wracks in der See. Unter Deck schrieen eingepferchte Kavalleriepferde in Todesnot. Die Benbow dümpelte entmastet in der See, das zweite Begleitschiff war gekentert und verloren.
Sie hatten die Benbow zurück nach England in eine Werft geschleppt. Sie jeden Tag hier zu sehen, wäre auch zu quälend gewesen, besonders für Vizeadmiral Sir Richard Bolitho, dessen Flagge bald wieder am Fockmast der Black Prince auswehen würde. Herrick war Bolithos ältester Freund gewesen, doch sein Verhalten vor und nach der Schlacht hatte Keen entsetzt und betrübt. Möglicherweise war es Benbows letzte Schlacht gewesen. In Kopenhagen hatten sie so viele Schiffe beschlagnahmt, um die eigenen gelichteten Reihen wieder aufzufüllen, daß jede Werft sicher lange prüfen würde, ob sich die Reparatur eines so zerschossenen Schiffes wie der Benbow überhaupt lohnte.
Keen dachte an Bolitho, den er mehr als jeden anderen Menschen verehrte. Er hatte unter ihm schon als Midshipman und Leutnant gedient und war schließlich sein Flaggoffizier geworden. Es freute ihn, daß Bolitho endlich wieder Gelegenheit hatte, mit seiner geliebten Lady Catherine zusammen zu sein. Er fürchtete sich vor Vergleichen, und doch wünschte er Gleiches für sich. Bolithos offen bekannte Leidenschaft verstanden die einfachen Leute überall im Lande, nur die Londoner feine Gesellschaft überschüttete ihn und Catherine mit Wut und Verachtung. Einen Skandal nannten sie die Beziehung. Keen seufzte. Er selbst hätte alles geopfert, nur um eine ebensolche Liebe zu erleben.
Er ging zu dem kleinen Tisch im Schutz des überhängenden Poopdecks und schlug die Seite des Logbuchs auf, die ein glänzendes Stück Walknochen markierte. Sekundenlang starrte er auf das Datum, das die feuchte Seite zeigte: 25. März 1808. Genau zwei Monate zuvor hatte er seiner Braut in der kleinen Dorfkirche von Zennor den Ring über den Finger gestreift und sie zu seiner Frau gemacht.
Doch noch immer rätselte er: Liebte sie ihn - oder hatte sie ihn nur aus Dankbarkeit geheiratet? Er hatte sie von einem Sträflingsschiff gerettet, das sie deportieren sollte für ein Verbrechen, das sie nie begangen hatte. Oder beruhten seine Zweifel auf dem großen Altersunterschied? Er war fast doppelt so alt wie sie. Sie hätte doch jeden Jüngeren heiraten können!
Solche Gedanken bedrückten ihn. Er wagte Zenoria kaum zu berühren, und als sie sich ihm schließlich hingab, geschah es ohne Leidenschaft und ohne Sehnsucht. Sie hatte nur nachgegeben. Später in jener ersten Nacht hatte er sie unten vor der letzten Glut des Kamins gefunden, schluchzend, als wäre ihr Herz gebrochen.
Immer wieder zwang sich Keen, an Catherines Rat zu denken, den sie ihm bei einem Besuch in London gegeben hatte. Er hatte Catherine seine Zweifel an Zenorias wahren Gefühlen für ihn gestanden. Ruhig hatte Catherine geantwortet: »Denken Sie daran, was man mit ihr gemacht hat: mißbraucht, mißhandelt, ihr jede Hoffnung auf eine Zukunft genommen.«
Keen biß sich auf die Lippen, als er zurückdachte an ihre erste Begegnung. Fast nackt, mit bloßem Rücken, hatte sie vor den geifernden Mitgefangenen gestanden, die sich an ihr tierisch vergnügen wollten. Also war es wohl doch nur Dankbarkeit. Damit mußte er sich zufriedengeben. Sicherlich beneideten ihn viele Männer um seine schöne Frau. Aber er war nicht glücklich.
Keen sah James Sedgemore, den Ersten Offizier, auf sich zukommen. Der war mit seinem Schicksal ganz bestimmt mehr als zufrieden. Keen hatte ihn befördert nachdem eine Kugel an jenem fürchterlichen Morgen Cazalet, den zähen Ersten vom Tyne, zerrissen hatte. Das feindliche Schiff war die San Mateo gewesen, ein Spanier, der unter französischer Flagge segelte. Sie war über den Konvoi und seine Begleiter hergefallen wie ein Tiger über ein Gehege voller Kaninchen. Niemals zuvor hatte Keen Bolitho so wild entschlossen kämpfen sehen. Die San Mateo mußte besiegt werden, denn sie hatte Bolithos geliebte alte Hyperion versenkt. Das genügte als Stachel.
Keen fragte sich, ob Bolitho wohl weiter Breitseite auf Breitseite in den schwer angeschlagenen Spanier gejagt hätte. Gott sei Dank hatte irgendjemand in der Hölle aus Eisen und jaulenden Holzsplittern noch Verstand genug gehabt ihre Flagge niederzuholen. Ob Bolitho sonst gnadenlos weitergekämpft hätte? Er würde es nie erfahren.
Leutnant Sedgemore tippte grüßend an seinen Hut, das Gesicht rot vor Kälte. »Wir werden morgen die Segel anschlagen können, Sir.«
Keen sah die Marinesoldaten, die Posten an den Niedergängen und auf dem Vordeck. So nahe unter Land war mancher Matrose versucht zu desertieren. In einem Kriegshafen wie Portsmouth Leute zu bekommen, war auch ohne Deserteure schwer genug.
Keen empfand Mitgefühl für seine Männer. Man hielt sie an Bord fest oder verfrachtete sie als Ersatz auf ein anderes Schiff, ohne sie je an Land zu ihren Lieben zu lassen.
Auch er selbst hatte mehr Zeit als nötig an Bord verbracht. Aber er wollte seiner ausgedünnten Besatzung zeigen, daß er ihre Leiden teilte. Oder war das eine Lüge? War er an Bord geblieben aus Furcht vor Zenorias Zurückweisung?
»Alles in Ordnung, Sir?«
»Ja.«
Das klang viel zu heftig. »Vizeadmiral Bolitho kommt gegen Mittag an Bord.« Er musterte die Netze an den regenglänzenden Wänden der Werft die Hafenbatterie und die dichtgedrängten Gebäude am Portsmouth Point hinter dem das Fahrwasser und die offene See lockten. Irgendwo da drüben wartete Bolitho sicher schon. Vielleicht im »George Inn«.
Catherine war in diesem unfreundlichen Wetter vermutlich längst nicht mehr bei ihm.
Sedgemores Gesicht verriet nichts von seinen Gedanken. Seinen Vorgänger Cazalet hatte er nie gemocht. Nun ja, er war ein guter Seemann gewesen, aber so ruppig in seiner Sprache und so ungehobelt in seinen Manieren, daß man mit ihm nur schwer zusammenarbeiten konnte. Der Erste sah, wie die Männer an den Taljen schufteten, um Kästen und...
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