Schweitzer Fachinformationen
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Lady Catherine Somervell zügelte die große Stute und tätschelte den Hals des Tieres.
»Nicht mehr lange, Tamara, wir sind bald zu Hause.«
Dann saß sie kerzengerade und unbewegt im Sattel und sah mit dunklen Augen auf die See. Schon kurz vor der Mittagsstunde dieses ersten Märztages 1811 hing ein ungewohnter Dunst über dem Pfad, den sie eingeschlagen hatte, um John Allday und seine ihm frisch angetraute Unis zu besuchen. Noch immer wunderte sie sich, daß die Admiralität in London sie alle so lange unbehelligt gelassen hatte. Zwei und einen halben Monat - das war die längste Zeit, die sie und Richard jemals gemeinsam auf seinem Besitz in Cornwall verbracht hatten.
Sie schob die pelzgefütterte Kapuze vom Kopf. Die feuchte Luft ließ ihr Gesicht noch frischer aussehen. Sie schaute nach Süden. Rosemullion Head, ganze drei Meilen entfernt an der Mündung des Helford River, war von Dunst eingehüllt. Sie befand sich auf dem oberen Küstenpfad. Den unteren hatte die See in den Januarstürmen unterspült und ins Meer brechen lassen.
Jetzt meldete sich der Frühling. Die ersten waghalsig fliegenden Bachstelzen ließen sich bereits an den Ufern des Helford River sehen. Dohlen hockten wie Klosterbrüder in Reihen auf den Steinwällen. Die windzerzausten Bäume auf den nahen Hügeln trugen zwar noch keine Blätter, dafür glänzten ihre geneigten Äste aber nach einem kürzlichen Regenschauer. Vereinzelt sah man schon - wie winzige gelbe Pinselspuren im Graugrün der Wiesen - frühe Narzissen. Sie zitterten in der salzigen Luft, die vom Kanal und vom nahen Atlantik herüberwehte.
Catherine trieb die Stute wieder an. In ihren Gedanken hing sie den letzten Wochen nach, in denen sie ganz ungestört ihre Freiheit genießen konnten. Nach der ersten Umarmung nach Bolithos Rückkehr aus Mauritius, wo er Barattes Kaperer zur Aufgabe gezwungen hatte, hatte sie gefürchtet, er würde - wie sonst - bald wieder Unruhe zeigen, weil er von seinen Schiffen und den Männern getrennt war. Vielleicht fürchtete er insgeheim, daß die Marine, der er so viel gegeben und geopfert hatte, ihn aus dem Blick verlor.
Aber ihr Wiedersehen hatte ihre Liebe neu entflammt, sie stärker als früher lodern lassen - wenn das überhaupt möglich war. Sie machten trotz des unangenehmen Wetters lange Ausritte und Spaziergänge und besuchten Familien auf dem Gut. Wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, nahmen sie auch an festlichen Abenden auf dem großartigen Landsitz von Richards Schwager Lewis Roxby teil, den man spöttelnd den König von Cornwall nannte. Diese Feiern fanden statt, weil Roxby unerwartet geadelt worden war. Catherine mußte lächeln. Jetzt würde ihn nichts mehr aufhalten können .
Sie beobachtete Richard sehr genau. Die Tage flossen ohne besondere Ereignisse dahin. Früher war er schon bald wieder unruhig geworden, doch diesmal nicht. Sie spürte ihre Leidenschaft und die sanfte Glut der Liebe, die sie verband. Nichts war ihr an ihrem Mann mehr fremd.
In der Londoner Welt hatte sich viel verändert. Sir Paul Sillitoes Prophezeiung hatte sich vor genau einem Monat erfüllt. König Georg III. war für geisteskrank erklärt und aller Macht enthoben worden. Den Prinzen von Wales hatte man zum Prinzregenten ausgerufen. Bis zu seiner Krönung würde er das bleiben. Einige Nachbarn meinten gnadenlos, Lewis Roxby sei nur aufgrund des Einflusses des Prinzregenten geadelt worden. Dabei war ihm der Adelstitel wegen seiner patriotischen Verdienste verliehen worden. Als eine französische Invasion drohte, hatte er als Vertreter der Regierung eine örtliche Miliz gegründet. Andere meinten, der Prinzregent, der gleichzeitig auch Herzog von Cornwall war, könne einflußreiche Verbündete überall gut gebrauchen.
Wieder blickte sie auf die See. Sie sah in ihr nicht länger die gefürchtete Rivalin. Auf Catherines Schulter waren immer noch die Narben des Sonnenbrands zu erkennen, Erinnerungen an die Tage im offenen Boot vor dem Hundert-Meilen-Riff nach dem Verlust der Golden Plover. War das erst zwei Jahre her? Sie hatte mit den anderen Überlebenden gelitten. Aber Richard und sie waren zusammengewesen und hatten das Furchtbare, das sie bis an die Schwelle des Todes gebracht hatte, gemeinsam erlebt.
Hinter den blassen Wolken war keine Sonne zu erkennen, nur die See glitzerte etwas. Die ewige Dünung schien wie von einer gigantischen Laterne beleuchtet.
Sie hatte Richard im Hause am Schreibtisch zurückgelassen. Er mußte einige Briefe beenden, die mit der Nachmittagspost vom Marktplatz in Falmouth abgehen sollten. Einer war an die Admiralität adressiert. Zwischen ihnen beiden gab es jetzt keine Geheimnisse mehr. Sie hatte ihm sogar ihren Besuch in Whitechapel geschildert und von Sillitoes Hilfsbereitschaft berichtet.
Bolitho hatte darauf nur leise gesagt: »Und ich glaubte immer, dem Mann könne man nicht trauen.«
Sie hatte Richard im Bett in die Arme geschlossen und geflüstert: »Er half mir, als niemand anderer da war. Aber ein Kaninchen darf niemals dem Fuchs den Rücken zukehren.«
Zum Brief an die Admiralität hatte er nur bemerkt: »Irgend jemand muß wohl meinen Bericht über die Gefechte bei Mauritius gelesen haben. Darin habe ich mehr Fregatten gefordert. Aber ich kann immer noch nicht glauben, daß durch die staubigen Korridore der Admiralität ein neuer Wind weht.«
An einem dieser Tage stand er mit ihr auf dem Kap unterhalb von Pendennis Castle. Seine Augen hatten die gleiche Farbe wie die grauen Wolken, die in endloser Folge am Himmel vorbeizogen.
Sie hatte gefragt: »Würdest du jemals einen Posten in der Admiralität annehmen?«
Er hatte sich zu ihr umgedreht und entschlossen und überzeugend geantwortet: »Wenn ich der See den Rücken kehre, werde ich auch der Navy den Rücken kehren, Kate, endgültig.« Er lachte auf seine jungenhafte Art. Und die Falten in seinem Gesicht verschwanden. »Mich würden sie übrigens niemals darum bitten!«
Und sie selber hatte darauf nur geantwortet: »Sicher meinetwegen, oder wegen unseres Verhältnisses - das ist der wahre Grund!«
»Vielleicht. Aber das ist keine Strafe, Kate, sondern eine Belohnung!«
Sie mußte jetzt auch an den jungen Adam Bolitho denken. Seine Fregatte Anemone lag nach der langen Reise von Mauritius über das Kap der Guten Hoffnung und Gibraltar in Plymouth in der Werft. Sie war im letzten Gefecht mit Barattes Kaperern so durchlöchert worden, daß ihre Pumpen auf der langen Heimreise keine Stunde aussetzen konnten.
Heute wollte Adam nach Falmouth kommen. Sie hörte vom Turm der Kirche König Charles der Märtyrer die Uhr schlagen. In dieser Kirche waren seit Jahrhunderten alle Bolithos getauft worden, hatten dort geheiratet und in ihrem Schatten die letzte Ruhestätte gefunden. Es war gut, wenn Richard Zeit für ein Gespräch mit seinem Neffen fand. Sie bezweifelte allerdings, daß er mit Adam über Valentine Keens Frau sprechen würde. Es war unklug, offen darüber zu sprechen.
Sie dachte an Allday, den sie in der kleinen Gaststätte Old Hyperion in Fallowfield besucht hatte. Ein Maler aus der Gegend hatte das Gasthausschild gemalt - und zwar bis auf die letzte Geschützpforte exakt, wie Allday nach seiner Trauung eine Woche vor Weihnachten stolz versicherte. Unis, seine strahlende Frau, kannte die Hyperion auch, denn ihr erster Mann war auf ihr gefallen. Sie hatte Kate anvertraut, daß John Allday insgeheim fürchtete, Sir Richard könne ihn an Land zurücklassen, wenn er sein nächstes Kommando antrat.
Sie sprach mit großer Liebe von diesem großen, schlottrigen Seemann, ohne Furcht, daß die Navy sich zwischen sie drängen könnte. Und sie war stolz auf die starken Bande, die den Vizeadmiral und seinen Bootssteuerer zusammenhielten.
Catherine hatte geantwortet: »Ich weiß. Ich muß es genauso aushalten wie Sie. Unseretwegen sind die Männer da draußen - ständig gefährdet durch die See und Kugeln. Nur unseretwegen.« Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie Unis überzeugt hatte.
Sie lächelte und schmeckte beim Reiten Salz auf den Lippen. Ob ich das selber glaube?
Die Stute wurde schneller, als sie auf die neue Straße kamen, die Lewis Roxby von französischen Kriegsgefangenen hatte bauen lassen. Catherine vermutete, daß die Gefangenen auch sein Haus und den Garten so makellos gepflegt hielten. Bolithos eigener Besitz wurde wie die meisten Güter der Umgebung von Männern versorgt, die die Marine, der sie treu gedient hatten, als Krüppel an Land geworfen hatte. Ohne offiziellen Schutzbrief war jeder junge Mann ständig in Gefahr, von den ewig gierigen Preßkommandos eingefangen zu werden. Doch in dunklen Nächten half auch solch ein Schutzbrief nichts, wenn draußen ein Kriegsschiff ankerte und ihr Kommandant die an Bord Gebrachten nicht sonderlich genau prüfte.
Sie sah das Dach des alten grauen Hauses in der letzten Senke des Hügels. Ob Adam Neuigkeiten mitgebracht hatte? Auch ihm würde sicher auffallen, wie erholt sein Onkel aussah. Viel Bewegung, gutes...
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