Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Als an der Glocke im Vorderkastell sechs Glasen angeschlagen wurden, kam Captain Richard Bolitho unter der Kampanje hervor. Beim Kompaß blieb er einen Moment stehen. Der Steuermannsmaat am großen Doppelruderrad meldete eilig: »Nordwest zu Nord liegt an, Sir!« und schlug dann die Augen nieder, als Bolitho ihn ansah. Es ist, dachte Bolitho, als wüßten sie alle genau Bescheid, wie nervös und gespannt ich bin, und als wollten sie mich mit aller Gewalt aus dieser Stimmung herausreißen.
Er schritt über das breite Achterdeck zur Luvseite hinüber. Ohne hinzusehen wußte er, daß seine Offiziere ihn beobachteten, Vermutungen über seine Laune anstellten, neugierig waren, wie sich dieser Tag wohl anlassen würde.
Aber achtzehn Monate lang war das Schiff ununterbrochen auf See gewesen, und die Besatzung war, abgesehen von denen, die im Kampf gefallen oder ihren Verwundungen erlegen waren, noch die gleiche, die an jenem Oktobermorgen 1795 mit ihm ausgelaufen war. Sie hatten also reichlich Zeit gehabt zu begreifen, daß man ihn in diesen kostbaren ersten Minuten des Tages in Ruhe lassen mußte.
Nasser Nebel hatte das Schiff fast die ganze Nacht hindurch verfolgt, während es langsam im Kanal vordrang, und war nun dicker denn je. Er zog in Wirbeln um die schwarze Schraffur der Takelage und hing wie Tau am Schiffsrumpf. Jenseits der Netze mit den sauber weggestauten Hängematten hob und senkte sich die See in einer breiten ablandigen Dünung; ihre Oberfläche, matt und bleifarben, blieb jedoch unter der schwachen Brise beinahe glatt.
Ein leichter Schauer überfiel Bolitho; er verschränkte die Hände unter den Rockschößen und blickte zu den mächtigen Rahen hoch, über denen die Konteradmiralsflagge feucht und schwer vom Kreuzmast hing. Kaum zu glauben, daß dieser Himmel irgendwo auf der Welt klar, warm und freundlich war; an diesem Maimorgen hätte die Sonne eigentlich schon das Land berühren sollen, das immer näher kam. Sein Land: Cornwall.
Er wandte sich um. Da stand Keverne, der Erste Offizier, sah ihn aufmerksam an und wartete offenbar auf den richtigen Moment.
Bolitho rang sich ein Lächeln ab. »Guten Morgen, Mr. Keverne. Kein rauschender Willkomm, wie mir scheint.«
Keverne war deutlich erleichtert. »Guten Morgen, Sir. Der Wind ist stetig Südwest, aber viel ist es nicht damit.« Er drehte nervös an seinen Rockknöpfen. »Der Master meint, wir sollten lieber erst einmal hier draußen ankern und abwarten, bis der Nebel steigt; es könnte nicht lange dauern.«
Bolitho sah kurz zu dem kleinen rundlichen Segelmeister[1] hinüber. Sein abgetragener schwerer Rock war bis an das Doppelkinn zugeknöpft, und in dem seltsamen Gegenlicht sah der Mann aus wie ein runder blauer Ball. Er war vorzeitig ergraut, beinahe weiß, und trug das Haar im Nacken zu einem altmodischen Zopf gebunden, so daß es an die gepuderte Perücke eines Gutsbesitzers erinnerte.
»Na, Mr. Partridge«, Bolitho versuchte wieder, etwas Wärme in seinen Ton zu legen, »Sie sind doch sonst nicht so schüchtern vor einer Küste?«
Partridge trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Bin noch nie in Falmouth vor Anker gegangen. Das heißt, noch nie mit einem Dreidecker.«
Bolitho befahl dem Steuermannsmaaten: »Geht nach vorn und setzt zwei gute Lotgasten in die Rüsten. Das Lot braucht frischen Talg. Ich will keine falschen Meldungen hören!«
Wortlos eilte der Mann davon. Bolitho war überzeugt, er würde wie alle anderen an Bord auch ohne besonderen Befehl wissen, was zu tun war, ebenso wie er selbst wußte, daß er das nur gesagt hatte, um Zeit zu gewinnen und über seine Motive nachdenken zu können.
Warum ankerte er eigentlich nicht draußen, wie der Master vorgeschlagen hatte? Warum ging er immer näher an diese unsichtbare Küste heran? Wollte er damit zeigen, wie mutig er war? Oder war es einfach Eitelkeit?
Vom Vorschiff kam der langgezogene Ruf des Lotgasten: »Sieben Faden[2]!«
Die Segel waren in ständiger leichter Bewegung, sie glänzten im Nebel wie geölte Seide. Wie alles an Bord troffen auch sie vor Nässe und füllten sich kaum in der flauen Brise, die achterlich von Backbord kam.
Falmouth. Vielleicht war er deswegen so unsicher und verkrampft. Achtzehn Monate lang hatten sie erst Blockadedienst gefahren und dann die südlichen Zufahrtswege nach Irland überwacht. Von einer Woche zur anderen wartete man darauf, daß die Franzosen versuchen würden, in Irland zu landen und dort einen Aufstand zu organisieren; und als es vor fünf Monaten soweit gewesen war, hatte die Blockadeflotte nicht aufgepaßt. Daß der Versuch fehlschlug, war nicht das Verdienst der überbeanspruchten Patrouillenschiffe gewesen, sondern das französische Geschwader war durch Stürme auseinandergerissen worden.
Im Gang unter der Kampanje waren Schritte zu hören - der Admiralssteward brachte seinem Herrn das Frühstück in die große Oberdeckskajüte.
Seltsam, wie sich das alles noch ergeben hatte, ehe sie hier in Falmouth, Bolithos Heimatstadt, einliefen. Was galten Dienstvorschriften und Admiralitätsorder - das Schicksal hatte sie einfach überrannt.
». und sechsdreiviertel«, sang der Lotgast aus.
Bedächtig, das Kinn tief in der Halsbinde, schritt Bolitho an der Luvseite auf und ab. Vizeadmiral Sir Charles Thelwall, dessen Flagge dort oben so schlapp im Masttopp hing, war jetzt seit einem Jahr an Bord. Schon als seine Flagge zum erstenmal gehißt worden war, galt er als kranker Mann. Er war verhältnismäßig alt für seinen Dienstrang, und die Verantwortung für ein übermäßig beanspruchtes Geschwader machte ihm schwer zu schaffen. In dem Nebel und der schneidenden Kälte der letzten Wintermonate war seine Gesundheit zusammengebrochen. Als sein Flaggkapitän[3] hatte Bolitho getan, was er konnte, um den Druck zu mindern, der auf dem müden, runzligen kleinen Admiral lastete, und es war schmerzlich mit anzusehen, wie dieser Tag um Tag vergeblich gegen seine Krankheit ankämpfte, der er schließlich doch erliegen sollte.
Nun kehrte das Schiff endlich nach England zurück, um seine Vorräte zu ergänzen und neu ausgerüstet zu werden. Sir Charles Thelwall hatte bereits eine Korvette mit Berichten, Anforderungen und der Mitteilung über seinen Gesundheitszustand vorausgeschickt.
»Sechs Faden!«
Wenn das Schiff Anker warf, würde also der Admiral an Land gehen und dort bleiben. Aber er würde wohl kaum lange genug leben, um sich seines Ruhestandes zu erfreuen.
Und da war noch so eine Laune des Schicksals. Vor zwei Tagen, als das Schiff eben majestätisch Wolf Rock gerundet hatte, kam eine schnellsegelnde Brigg mit neuen Befehlen für den Admiral. Dieser lag zu der Zeit in seiner Koje, von trockenem, tödlichem Husten geschüttelt, der sein Taschentuch mit roten Blutstropfen sprenkelte; er hatte Bolitho gebeten, die Depesche zu lesen, welche die Jolle der Brigg an Bord gebracht hatte.
Die Order besagte mit aller Kürze, daß Seiner Britannischen Majestät Schiff Euryalus so schnell wie möglich die Bucht von Falmouth anlaufen sollte, nicht Plymouth, wie ursprünglich vorgesehen. Dort sollte es die Flagge von Sir Lucius Broughton, Ritter des Bath-Ordens[4], übernehmen und weitere Instruktionen abwarten.
Sobald die Order quittiert war, segelte die Brigg mit beinahe unhöflicher Eile wieder ab. Das war ebenfalls merkwürdig. Das Land befand sich in einem immer wütender und grimmiger werdenden Krieg, und da war für zwei Schiffe, die sich auf hoher See trafen, und für deren Besatzungen, die bei jedem Wetter und unter schwierigsten Bedingungen nach dem Feind Ausschau halten mußten, jede, auch die geringfügigste Nachricht von hohem Wert. Die Brigg hatte sich der Euryalus sogar nur sehr vorsichtig genähert. Daran war Bolitho gewöhnt, denn sie war ein Prisenschiff und sah noch so französisch aus, wie man es von einem erst vier Jahre alten Schiff nicht anders erwarten konnte.
Aber trotzdem - auch diese Einzelheit verstärkte Bolithos Gefühl der Unsicherheit.
Er wandte sich um und befahl: »Lassen Sie mir das Lot bringen, Mr. Keverne; sie sollen aber unterdessen mit dem zweiten Lot weitermachen!«
Ein barfüßiger Matrose kam mit klatschenden Sohlen aufs Achterdeck und führte grüßend die Handknöchel an die Stirn. Dann hielt er Bolitho das große, tropfende Lot hin und sah interessiert zu, wie dieser mit dem Finger in die Höhlung fuhr; die Talgfüllung war voll mattglänzender Körner, die wie rötlicher Korallenbruch aussahen. Bolitho rieb die Körnchen in der Handfläche auseinander und sagte zerstreut: »Die >Sechs Schweine<.«
Hinter ihm murmelte Partridge bewundernd: »Also, wenn ich's nicht gesehen hätte, ich würd's nicht glauben.«
Bolitho sagte: »Fallen Sie einen Strich ab und lassen Sie >An die Brassen< pfeifen.«
Keverne hüstelte und fragte leise: »Was bitte sind die >Sechs Schweine<, Sir?«
»Sandbänke, Mr. Keverne. Wir...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.