Schweitzer Fachinformationen
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Kapitän Adam Bolitho löste den Kragen seines schweren Bootsmantels und drückte den Hut fester auf sein schwarzes Haar, als er an der Straßenecke eine Pause einlegte. Um sich neu zu orientieren oder um sich zu wappnen. Er wußte es selbst nicht.
Der Wind von der Mounts Bay wehte immer noch eisig, war aber deutlich abgeflaut, seit die Unrivalled vor zwei Tagen ihre letzten Schläge auf die Reede gemacht hatte. Sie hatte sich erst auf dem einen Bug, dann auf dem anderen vorwärtsgekämpft, ihre gerefften Segel hatten protestierend gekracht und geknallt. Es war eine Erleichterung gewesen, den Anker ins Wasser klatschen zu hören und die Stadt Penzance hell und klar in der Wintersonne vor sich zu sehen.
Eine Erleichterung oder eine Warnung? Er schüttelte sich ärgerlich. Er würde es durchstehen. Er hörte seinen Bootssteuerer schwer atmen, als ob der Mann diese körperliche Anstrengung nicht gewohnt war, die der steile Anstieg vom Hafen bedeutet hatte. Man konnte bei Luke Jago schwer sagen, ob er neugierig war oder sich heimlich amüsierte. Dieser Mann hatte die Marine immer gehaßt - und die Offiziere dazu. Und trotzdem war er noch immer im Dienst. Nach all den Kämpfen und dem Wahnsinn der Schlachten war er geblieben. Und er war Adam ein Freund, ein guter Freund.
Adam wandte sich um, als zwei Jungen vorbeirannten. Einer trug ein roh geschnitztes Modellboot, der andere eine Piratenflagge, sie lachten und stießen einander an, ohne sich im geringsten um irgend etwas in dieser Welt an diesem kalten Vormittag eine Woche vor dem Weihnachtsfest Sorgen zu machen.
Einer blieb stehen und starrte die beiden blau gekleideten Männer an, die ihre Hüte schräg gegen den Wind gestellt hatten.
Er rief: »Wollen Sie ein gutes Schiff kaufen, Käpt'n, Sir?«
Jago schüttelte die Faust. »Verdammte Lausebengels!«
Und beide rannten weiter. Adam blickte ihnen hinterher, er meinte sich selbst zu sehen. Gespenster aus der Vergangenheit . So wie diese Straße, so fremd und doch so vertraut. Er hat fast vermutet, Gesichter zu sehen und Stimmen zu hören, die er kannte. Er sollte umkehren und diese Gegend sofort verlassen. Galbraith war mit seinen Rekrutierungsabteilungen unterwegs, das war selbst in besseren Tagen keine beneidenswerte Aufgabe gewesen. Jeder erinnerte sich noch heute an die Preßgangs; Männer wurden auf offener Straße ergriffen, sogar aus ihren Wohnungen verschleppt, wenn ein Offizier Angst hatte, vor seinem Kommandanten mit leeren Händen erscheinen zu müssen.
Wie Falmouth lebte Penzance aus und von der See. Man konnte den Fischgestank riechen, und an heißen Tagen hingen Netze zum Trocknen aus. Hanf, Teer und immer die See im Hintergrund. Wartend. Er war nur ein Junge gewesen wie die beiden, die gerade vorübergelaufen waren, als er Penzance verlassen hatte. Er hatte das Stück Papier fest umklammert, das er den Leuten geben sollte, die er in Falmouth finden mußte. Er war nie wieder zurückgekehrt, außer einmal, als er mit einem der Pferde aus dem Besitz der Bolithos die zwanzig Meilen von Falmouth her- und dann sofort wieder zurückgeritten war. Aber für den kleinen Jungen waren die zwanzig Meilen zu Fuß endlos und eine Tortur gewesen. Vor zwei Tagen hatte er nun die stolze Silhouette des St. Michaels Mount vor dem Steuerbordbug gehabt. Aber nicht als verängstigter, nervöser Junge, sondern als Kommandant einer Fregatte war er zurückgekommen. Er dachte an die Befehle, die er fast sofort bekommen hatte, kaum daß der fallende Anker der Unrivalled eine Wolke von Spritzwasser über die Back versprüht hatte. Warum also Zeit vergeuden? Warum alte Zweifel neu nähren und schmerzliche Erinnerungen wecken?
Er drehte sich um und wollte gerade etwas sagen, als er den hohen Kirchturm sah, der sich klar und scharf gegen den blassen Winterhimmel abzeichnete. Er gehörte zur Kapelle von St. Marien. Es war, als fühlte er eine Hand auf seiner Schulter . Er erinnerte sich genau daran, was sich die alten Männer über diesen Kirchturm erzählt hatten, der so schön und schlank, so zierlich an dieser sturmumtosten Küste Englands stand. Die Alten hatten die Angewohnheit, zu Beginn jeder neuen Sturmsaison Wetten darüber abzuschließen, wann er zusammenstürzen würde. Diese alten Männer waren längst tot, aber die Kapelle von St. Marien und ihr fragiler Kirchturm standen immer noch.
Hier waren nicht viele Menschen auf der Straße unterwegs. Es war Markttag, daher würden die meisten, die einen riskanten Handel betrieben, den Schnäppchen auf der Market Jew Street hinterherjagen. »Hier entlang.« Er blickte zu den nahen Häusern hinüber, kleine Details schossen ihm durch den Kopf, er erinnerte sich an vieles, was er damals gehört hatte, und an das, was ihm seine Mutter erzählt hatte. Seinerzeit hatten Schiffe Penzance angelaufen, um eine volle Ladung an Kupfer, Zinn und Granit zu übernehmen. Sie waren häufig aus den Niederlanden gekommen und hatten ihren Ballast gelöscht, der aus holländischem Sandstein bestanden hatte, bevor sie sich auf die Heimreise gemacht hatten. Nichts wurde damals verschwendet, und sogar noch jetzt sah er Häuserfronten, die anstatt des üblichen Granits aus holländischem Sandstein erbaut waren.
Auf seinem Weg vom Hafen hatte er ein paar der Plakate gesehen, die Galbraith hatte kleben lassen. Einige waren abgerissen, andere waren sorgfältig abgelöst worden, vielleicht als eine Art Souvenir. Er hatte auch Blicke aufgefangen: Das hier war ein Seehafen, und jeder kannte die kampfkräftige Fregatte, die vor Anker lag. Auf der Suche nach Männern. War es jemals anders gewesen? Und alle wußten, daß Adam der Kommandant war.
Er hätte sich daran erinnern sollen, daß ein Markttag ein sehr schlechter Zeitpunkt war, um einen Mann zu finden, der seine Unterschrift für ein Leben im Dienst auf einem Schiff des Königs hergab. Außerdem war gleichzeitig eine Rekrutierungsabteilung der Armee unterwegs. Adam hatte den Sergeanten gesehen, wie er vor einer der örtlichen Kneipen stand und Männer zu überreden versuchte, die schon mehr Ale gebechert hatten, als ihrer persönlichen Zukunft gut tat, falls sie ihr Zeichen auf den Vertrag machten, um Soldat zu werden.
Galbraith hatte bis jetzt zwanzig Männer zusammenbekommen. Die Hälfte davon stammte aus dem Knast des örtlichen Richters. Sie glaubten, daß das Leben auf See immer noch besser wäre als das im Gefängnis oder nach der Deportation. Die Realität würde den einen oder anderen wie ein Schock treffen. Er hatte gehört, wie Cristie, der alte Segelmeister, ärgerlich geknurrt hatte: »Der ganze Haufen besteht nur aus Galgenvögeln!«
Adam blieb draußen vor der Kirche stehen und blickte zur Wetterfahne empor. Südöstlicher Wind. Perfekt zum Auslaufen. Um von hier zu verschwinden.
Jago zögerte, dann zog er seinen Hut, als Adam durch die hohen verwitterten Türen trat. »Soll ich mit hinein kommen, Sir?«
Adam hörte ihn kaum. »Wenn du möchtest.«
Die Kirche war leer bis auf zwei alte Weiber, die zusammen auf einer der Kirchenbänke saßen. Beide trugen die traditionellen Kappen, an die er sich aus seiner Kindheit erinnern konnte. Jung oder alt, die Frauen trugen große Fischkörbe, die von verstärkten Bändern um ihre Köpfe gehalten wurden. Damit belieferten sie die Dörfer in der Nähe der Stadt oder verkauften darin den Fisch frisch aus der See von kleinen Karren herunter in den Straßen. Keine der Frauen blickte auf, als die Schuhe der Männer auf dem gefliesten Boden klapperten.
Jago blieb vor einer Statue stehen, die einen örtlichen Würdenträger darstellte, wie er vermutete. Er beobachtete seinen Kapitän und wartete ab.
Adam verharrte unter einem der Fenster und starrte auf die Gedenktafel. Er wußte, daß Kerenza schön gewesen war. Aber über die Jahre hinweg hatte er sich immer nur an jenen letzten Tag erinnert, als sie ihn fortgestoßen und ihn angefleht hatte, sie zu verlassen und sich auf den Weg nach Falmouth zu machen. Sie war krank und hatte im Sterben gelegen, aber wie immer hatte sie zuerst an ihn gedacht. So wie sie sich nur für ihn verkauft hatte. Er erzitterte, die Stille um ihn herum wurde ihm bewußt, ebenso die Ruhe auf den Straßen, durch die sie gerade gegangen waren. Alles schien viel enger zu sein, als er es in Erinnerung gehabt hatte.
Adam streckte impulsiv seine Hand aus, wie Jago es bei ihm schon sooft gesehen hatte, nach einem Freund, nach einem Untergebenen. Nach mir.
Die Gedenktafel war schlicht und einfach. Trotzdem hatte sie einen ziemlichen Ärger mit dem Steinmetz und der Kirche provoziert.
Aber Adam hatte sich durchgesetzt.
In liebevoller Erinnerung an Kerenza Pascoe, die 1793 starb. In Erwartung seines Schiffs.
Das war alles. Mehr hatte man einer Frau mit ihrem Ruf nicht zugestanden.
Adam berührte den Stein und lächelte. Er war überrascht, daß es ihm nicht schwer fiel.
»Ich bin gekommen, Mutter. Gott sei dir gnädig.«
Dann wandte er sich um und schritt zum Eingang zurück.
Jago warf einen schnellen Blick auf die Gedenktafel. Kein Titel, keine Einzelheiten. Nur der Name einer Frau und etwas über ein Schiff. Er war irgendwie froh, daß sein Vater ihn gezwungen hatte, lesen und schreiben zu lernen, als er ein Knabe gewesen war und auf einem Schoner gearbeitet hatte, der von Dover aus segelte. Notfalls mit Schlägen hinter den Ohren, wann immer er nicht freiwillig wollte. Rückblickend stellte er fest, daß es das einzige war, wofür er seinem Vater dankbar sein konnte, einem Tyrannen, der gestorben war, als er betrunken in ein Dock gefallen war. So sagte man.
Aber lesen zu können verschaffte einem Mann einen...
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