Kapitel 1
Das war eine verdammt coole Party, denke ich.
Ich stehe mit dem Rücken zum Pazifik und beobachte, wie die tüchtige Crew die hübschen weißen Zelte abbaut. Die Essensreste wurden bereits weggeschafft, der ganze Müll entsorgt. Die Band ist schon vor Stunden abgezogen, und auch die letzten Gäste sind längst gegangen.
Selbst die Paparazzi, die in der Hoffnung auf ein paar erlesene Schnappschüsse von der Hochzeit meiner besten Freundin Nikki Fairchild mit dem schwerreichen Ex-Tennisprofi Damien Stark am Strand kampiert hatten, haben ihre Stellungen längst verlassen.
Leise vor mich hin seufzend versuche ich mir einzureden, dass dieses undefinierbare Gefühl von Leere in mir nichts mit Schwermut zu tun hat. Es sind vermutlich eher die Nachwirkungen einer schlaflosen, alkoholschwangeren Partynacht. Natürlich stimmt das nicht. Ich fühle mich beschissen, weil ich so wehmütig bin, aber ich schätze, das ist ganz normal. Immerhin war ich gerade dabei, wie meine beste Freundin den Mann geheiratet hat, der absolut perfekt zu ihr passt. Das ist doch fantastisch, und ich freue mich wirklich für sie, zumal sie ihn gefunden hat, ohne vorher die gesamte männliche Bevölkerung von Los Angeles durchgetestet zu haben.
Im Vergleich habe ich rund achtzig Prozent davon gevögelt und immer noch keinen Typen wie Damien gefunden. Vermutlich kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Nikki den letzten tollen Mann an Land gezogen hat.
Nun gut, vielleicht nicht wirklich den letzten, räume ich ein, als ich Ryan Hunter sehe, wie er eben den gewundenen Fußweg von Damiens Haus in Malibu zum Strand herunterkommt, wo ich mich gerade befinde. Ryan ist der Sicherheitschef von Stark International. Wir beide sprangen als Gastgeber dieses abendlichen Hochzeitsempfangs ein, nachdem das Brautpaar im Hubschrauber in die Flitterwochen gestartet war.
Ryan gehört nicht zu den achtzig Prozent, und das ist wirklich eine Schande. Der Typ ist echt heiß. Er hat unergründliche blaue Augen und die kastanienbraunen Haare ganz kurz geschnitten, was sein markantes Gesicht eindrucksvoll in Szene setzt. Er ist groß und schlank, aber gleichzeitig muskulös und wirklich sexy. Ich habe ihn sowohl in Jeans als auch im Smoking gesehen, und ich muss sagen, er hat wirklich einen hübschen Po.
Während der letzten Monate haben wir uns näher kennengelernt, und ich sehe ihn als guten Freund. Ehrlich gesagt wäre ich auch nicht abgeneigt, diese Freundschaft zu vertiefen, und glaube, dass er ebenso fühlt, selbst wenn er das noch nicht offen gezeigt hat.
Da ist dieses Funkeln in seinen Augen immer dann, wenn er mich ansieht und denkt, dass ich gerade nicht hinsehe. Vielleicht ist er aber auch nur schüchtern, woran ich allerdings meine Zweifel habe. Er hat etwas Gefährliches an sich, das wie geschaffen ist für seinen Job als Oberaufpasser für einen Typen wie Damien und ein Unternehmen wie Stark International.
Wie er nun mit großen festen Schritten und zugleich beschwingt heruntermarschiert, stelle ich ihn mir auch in einem Kampf vor. Ich bin mir sicher, er würde alles daransetzen, um zu gewinnen.
Nein, ich glaube nicht, dass Ryan Hunter schüchtern ist. Ich kann nur sagen, dass er mich noch nie angemacht hat, und das ist jammerschade.
Und jetzt ist es natürlich zu spät. Ich mache mich morgen auf den Heimweg zurück nach Texas. Ich habe mir nämlich ein neues Ziel gesetzt, und zwar, endlich mein Leben auf die Reihe zu bekommen. Und dazu zählt auch, dass ich ab sofort nicht mehr mit jedem in die Kiste hüpfe. Ich konzentriere mich ausschließlich auf mich selbst - Jamie Archer - und werde rauskriegen, wer sie ist und was sie wirklich will. Stufe eins des Masterplans besteht darin, nicht immer gleich meinen Trieben nachzugeben, wenn mir ein heißer Typ über den Weg läuft.
Ehrlich gesagt sind Männer für mich erst mal gestorben.
Bis dato läuft es bei mir ganz gut. Ich habe vor ein paar Monaten einen Mieter für meine Eigentumswohnung in der Stadt gefunden und bin daraufhin wieder zu meinen Eltern nach Dallas gezogen. Eine fünfundzwanzigjährige Schauspielerin in Los Angeles zu sein ist ein hartes Los. Insbesondere dann, wenn man noch kein annehmbares Engagement an Land gezogen hat. Hier ist die Konkurrenz riesig; es gibt so viele Mädels, die hübscher und talentierter als ich sind. Und es bieten sich einem auch viel zu viele Gelegenheiten für One-Night-Stands und kurze Affären.
In Texas ticken die Uhren langsamer. Da ist alles ganz easy. Und selbst wenn es wohl kaum die internationale Schauspielmetropole ist, war ich dort schon ein paarmal beim Vorsprechen. Einen annehmbaren Job als Live-Reporterin bei einem Lokalsender habe ich auch bereits so gut wie in der Tasche. Das Vorsprechen hatte kurz bevor ich hierher zur Hochzeit geflogen bin stattgefunden. Ich gehe also davon aus, dass mich der Programmdirektor dieser Tage kontaktiert.
Und tatsächlich war ich auch beim Casting für einen Werbespot hier in Südkalifornien, was aber nicht geklappt hat. Vielleicht war das gar nicht mal so schlecht, denn sonst hätte ich den Job angenommen und wäre vermutlich in Los Angeles hängen geblieben. Ich liebe Los Angeles nämlich, und meine Freunde leben hier. Dadurch wäre ich jedoch wieder im Hamsterrad aus Casting und Vögeln gelandet, und der ganze zerstörerische Wahnsinn hätte von Neuem begonnen.
Der Plan ist gut, sage ich mir, während ich der Crew dabei zusehe, wie sie die letzten Arbeiten über die Bühne bringt. Der Plan ist vernünftig.
Als ein Dutzend Arbeiter die restlichen Zeltstangen zu einem in der Nähe geparkten Lkw schleppen, kommt der Bauleiter mit Notizblock und Stift auf mich zu. Er geht die gesamte Liste mit mir durch, und ich hake die einzelnen Punkte nacheinander sorgfältig ab. Damit bestätige ich, dass auch wirklich alle noch so kleinen Arbeiten endgültig erledigt wurden.
Anschließend unterzeichne ich das Formular, danke ihm und sehe ihm dabei zu, wie er in den Lkw steigt und davonfährt.
»So, das war's dann«, sagt Ryan, als er auf mich zukommt. Er trägt immer noch seine Smokinghose und das gestärkte weiße Hemd, den Kummerbund hat er jedoch ebenso wie die Jacke bereits ausgezogen. Er sieht wirklich verdammt sexy aus, aber es sind seine nackten Füße, die mich echt umhauen. Es hat so etwas absolut Lässiges, wenn ein Kerl im Smoking und barfuß am Strand rumläuft. Ich kann nicht anders, als mich zu fragen, ob da nicht doch irgendetwas Verruchtes in Ryan Hunter steckt.
Falls ja, werde ich dann jemals diese Verworfenheit zu sehen bekommen?
»Es sind keine Autos mehr in der Einfahrt«, fährt er fort, als ich versuche, mit meinen Gedanken nicht weiter abzuschweifen. »Und ich habe eben die Rechnung für die Parkplatzfirma unterschrieben. Ich denke, jetzt ist alles unter Dach und Fach. Und super gelaufen.« Er lächelt ganz unbefangen, was mich echt umhaut. »Das war wirklich eine verdammt tolle Party.«
Ich lache. »Ich habe eben dasselbe gedacht.« Ich verspüre ein Ziehen in der Magengegend, und ich interpretiere das als Hungergefühl. Champagner macht nun mal nicht wirklich satt, und sicher habe ich beim stundenlangen Tanzen die Kalorien der von mir verschlungenen drei Stück Hochzeitstorte bereits wieder verbrannt.
Natürlich nehme ich es mit der Wahrheit wieder nicht besonders genau. Dieses Ziehen in der Magengegend sind natürlich die Schmetterlinge im Bauch, die ich wegen Ryan habe. Ich stehe da und wünsche mir insgeheim, dass er mich einfach schon angefasst hätte. Gleichzeitig werde ich aber auch immer gereizter. Warum zum Teufel hat er mich noch nicht angefasst? Wir haben schließlich schon viel Zeit miteinander verbracht. Wir haben zusammen mit Freunden in Clubs getanzt. Wir haben uns dabei vielleicht nicht wirklich berührt, aber sind uns so nahe gekommen, dass verheißungsvolle Spannung in der Luft lag.
Einmal, als Damien Sicherheitsbedenken hatte, schickte er Ryan, um nach mir zu sehen. Ich trug damals einen winzigen Bikini und darüber ein hauchdünnes Strandkleid und sah echt heiß aus. Er machte aber keinerlei Anstalten. Letztendlich haben wir dann Stunden miteinander geredet. Das war fantastisch. Ich habe ihm sogar Spiegeleier gebraten, was für meine Verhältnisse so ziemlich mein Maximum an Häuslichkeit ist.
Ich bin mir sicher, dass ich mir das Knistern zwischen uns nicht nur eingebildet habe. Und dennoch hat er nie irgendwelche Annäherungsversuche gemacht. Ich kann das einfach nicht begreifen, und das Ganze macht mir echt zu schaffen.
Eigentlich sollte ich mir auch gar keine Gedanken darüber machen - Ryan gehört schließlich nicht zu meinem Plan.
Er geht auf die Brandung zu, und ich halte mit ihm Schritt. Gleich nachdem der Arbeiter die Tanzfläche weggebracht hatte, habe ich meine Schuhe ausgezogen. High Heels gehören einfach nicht hierher, und der Sand unter meinen Füßen fühlt sich traumhaft an.
Ich liebe es, frühmorgens am Strand entlangzulaufen. Es gibt dort so viel zu sehen - Möwen, die versuchen, ihr Frühstück zu ergattern; Wellen, die wie Milchschaum den Strand überziehen; sonnengebräunte Surfer in den Zwanzigern auf der Jagd nach dem morgendlichen Kick. Ein kleines Stück vom Himmel.
Heute Morgen wertet Ryan das ganze Szenario zusätzlich auf. Durch die hochgekrempelten Ärmel sieht man seine muskulösen Unterarme und, als er sich bückt, um eine hübsche blasslila Muschel aufzuheben, bin ich richtiggehend fasziniert von seinen Händen. Sie sind groß und stark, aber die Art, wie sie die Muschel halten, lässt mich vermuten, dass diese Berührung erstaunlich sanft sein würde.
Ich gehe schneller voran. Hey, solche Gedanken...