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Tyree Johnson versetzte dem Monitor seines beschissenen Computers einen Schlag und blickte grimmig auf die elektronischen Schnörkel, die über den Bildschirm tanzten. Er stand auf, sodass seine große Gestalt drohend vor dem Gerät aufragte. Mit verengten Pupillen und strenger Miene deutete er auf die unkooperative Schrottkiste. »Letzte Warnung. Glaubst du etwa, ich kann nicht innerhalb einer Stunde einen funkelnagelneuen Computer hier stehen haben? Nimm dich bloß in Acht.«
Er hörte ein Kichern und hob den Kopf. An der Türschwelle seines kleinen chaotischen Büros im hinteren Bereich seiner Bar The Fix on Sixth standen zwei Frauen.
»Lacht ihr nur. Immerhin war ich bei der Marine, und mit Drückebergern mache ich kurzen Prozess. Die alte Schrottkiste muss doch noch funktionsfähig sein. Das Ding ist einfach nur widerborstig.«
»Bist du dir sicher, dass du nicht einfach nur knauserig bist?«, fragte Jenna Montgomery, und ihre grünen Augen blitzten mutwillig. Sie hatte ihr schulterlanges rotes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, wodurch die Sommersprossen auf ihrer hellen Haut noch deutlicher zur Geltung kamen.
Ihr Anblick erinnerte Tyree daran, dass das The Fix ihm nicht mehr allein gehörte; vor Kurzem hatte er drei Partner mit ins Boot geholt. Was gut war. Noch vor ein paar Monaten hatte er ständig hohen Blutdruck, weil er sich ständig Sorgen machte, seine geliebte Bar aufgrund eines Ballonkredits zu verlieren, für dessen Schlussrate ihm das Geld fehlte.
Dann waren Jenna Montgomery, Reece Walker und Brent Sinclair auf den Plan getreten und hatten ihm nicht nur bei der Tilgung der letzten Rate geholfen, sondern arbeiteten jetzt auch mit ihm zusammen, damit die Bar bald wieder schwarze Zahlen schrieb. Dies hatte Tyree zur Bedingung gemacht, als er sich auf seine drei neuen Partner eingelassen hatte. Wenn das The Fix nicht bis Ende des Jahres Profit machte, würden sie es verkaufen und den Erlös untereinander aufteilen. Denn unter keinen Umständen wollte Tyree noch mehr Geld zum Fenster hinauswerfen.
Aber so weit würde es hoffentlich nicht kommen. Denn dazu liebte er dieses Haus mit den dicken Kalksteinwänden und der langen funkelnden Bar viel zu sehr.
Er hatte die Eckkneipe an Austins belebter Sixth Street vor sechs Jahren erstanden, nachdem er sich aus dem Morast aus Depression und Schmerz wieder emporgekämpft hatte. Das The Fix war so viel mehr als ein reiner Broterwerb - es war sein Leben. Zum Teufel, das war seine Wiederauferstehung. Er hatte alles dafür getan. Er liebte es. Es war ein Traum, der ihm wieder neuen Lebensmut gegeben hatte, nachdem eine Tragödie ihn in die Knie gezwungen hatte.
Es war nicht nur sein Traum gewesen, sondern auch der seiner Frau, Gott sei ihrer Seele gnädig. Und es war schon eine verdammte Ironie des Schicksals, dass er sich selbst nach Jahren des Knauserns und der Sparsamkeit dieses Lokal erst nach Teikos Tod hatte leisten können - mithilfe ihrer Lebensversicherungspolice.
Er hatte eine Liebe gegen eine andere eingetauscht, dennoch hätte er das The Fix sofort mit Freuden abgefackelt, wenn ihm das auch bloß einen einzigen weiteren Tag mit der Frau beschert hätte, deren Tod ihm das Herz zerrissen hatte.
Aber das war unmöglich, also tat er das Nächstbeste; er schuftete wie verrückt, um das The Fix weiter nach vorn zu bringen, um mehr Kunden anzulocken, mehr Speisen und Getränke zu verkaufen. Tat alles Menschenmögliche, um die Bar am Laufen zu halten, sodass er weiterhin standhaft über jenen Ort wachen konnte, der für einen Traum stand, den sie einst mit ihm geteilt hatte.
Und wenn das hieß, dass er sich mit einem beschissenen Computer herumschlagen musste, dann würde er das eben tun.
Mit einem breiten Grinsen sah er Jenna in die Augen und blickte dann wieder auf den Monitor hinab, wo die Kalkulationstabelle, die er zuvor bearbeitet hatte, jetzt wieder zu sehen war, hell und unschuldig, als könnte sie kein Wässerchen trüben.
»Siehst du? Alles gut.«
»Hm-hm.« Jenna tauschte einen amüsierten Blick mit Megan Clark, und beide Frauen kamen nun ganz ins Büro.
Die zweite Frau legte sich eine lange dunkle Haarsträhne hinters Ohr, dann schob sie sich ihre Cateye-Brille die Nase hinauf. Beide Gesten wirkten nervös, was ganz untypisch für sie war. Er hatte sie vor Kurzem als Mädchen für alles, Laufbursche, Handlanger, Assistentin oder wie zum Teufel man es auch nennen wollte, eingestellt. Bevor ihm allerdings einfiel, wie er sie möglichst beiläufig fragen konnte, was los war, zuckte Megan mit den Schultern und sagte: »Austin-Allergie. Normalerweise trag ich keine Brille, aber meine Kontaktlinsen machen mich im Moment ganz wahnsinnig.«
Er nickte, und ihm wurde klar, dass sie seinen fragenden Blick missverstanden hatte. Ehe er jedoch weiter nachhaken konnte, ergriff Jenna das Wort.
»Danke, dass du ausnahmsweise jetzt Zeit für uns hast«, sagte sie und ließ sich auf einen der Gästesessel fallen, während Megan stehen blieb und sich an die raue Kalksteinwand lehnte. »Klar sind Meetings praktischer, bevor die Bar öffnet, aber ich hatte heute Morgen einen Arzttermin.«
»Alles in Ordnung?« Er unterdrückte ein besorgtes Stirnrunzeln, als er sich hinter dem Schreibtisch niederließ. Er bemerkte, dass sie ein wenig hohlwangig wirkte und etwas abgenommen hatte. Doch ansonsten wirkte sie gesund - zum Teufel, ihre Haut war beinahe rosig -, aber Jenna war zierlich, und wenn sie zu viel abnahm .
»Was? Oh. Na klar.« Ihre Wangen röteten sich. »Nur ein wenig, na ja, Übelkeit hin und wieder. Ist bestimmt bald besser.«
»Hm.« Er musterte sie, und seine Gedanken überschlugen sich. »Nicht dass Reece Wind davon bekommt.«
Ihre Wangen brannten sogar noch mehr, als Reece Walkers Name fiel. Reece und Jenna hatten sich vor Kurzem verlobt. Und Tyree erinnerte sich daran, wie häufig Teiko mit Übelkeit zu kämpfen gehabt hatte, als sie mit ihrem Sohn schwanger war. Vielleicht waren es ja nicht nur die Hochzeitsglocken, die auf Reece und Jenna warteten, sondern noch eine andere kleine Überraschung, etwa drei bis vier Kilo schwer.
Jenna räusperte sich und kramte ihren Notizblock aus der Tasche. »Wir haben eine ellenlange Liste, die wir durchgehen müssen, aber da die Bar schon geöffnet hat, dachten Megan und ich, dass wir bloß die dringendsten Punkte besprechen.«
Sie deutete auf Megan, die erst nickte und dann den Kopf schüttelte. »Tut mir leid. Wir müssen unbedingt über den Kalender für den Mann des Monats und das Kochbuch reden, aber vorher muss ich euch noch was sagen.« Sie warf Jenna einen entschuldigenden Blick zu, und die verdrehte die Augen. »Jenna hat mich zwar beruhigt, dass ich mir keine Sorgen machen soll, aber ich wollte dir noch mal versichern, wie sehr ich es zu schätzen weiß, dass du mir einen Job gegeben hast. Schließlich hast du für eine Visagistin in deiner Bar doch eigentlich gar keine Verwendung, und mir hilft es wirklich. Seit ich nach Austin gezogen bin, habe ich nur wenige Aufträge an Land gezogen. Woran ich natürlich auch irgendwie selbst schuld bin, denn ich bin ja eher spontan einer Laune gefolgt, als ich herzog. Aber seitdem ist nun mal bei mir immer Ebbe in der Kasse.«
»Ach, Megan, lass gut sein«, meinte Jenna. »Das geht schon alles in Ordnung.«
Megan ließ Tyree nicht aus den Augen. »Ich weiß, dass du gerade über den Geschäftsbüchern sitzt. Und ich weiß, dass das The Fix alles tut, um wieder mehr Einnahmen zu erzielen. Ich will hier nicht schmarotzen. Und ich finde es nicht richtig, diesen Job zu behalten, wenn du dadurch letztlich wieder Verlust machst.«
Tyree nickte bedächtig und machte es sich hinter dem Schreibtisch bequem. »Das ist nur fair. Wie lange bist du jetzt hier bereits offiziell angestellt? Vier Tage?« Als sie nickte, fuhr er fort. »Und in dieser Zeit hast du als Empfangsdame gearbeitet, hinter der Bar ausgeholfen, Jenna bei diesem Kalender geholfen, über den wir gleich reden wollen, Verpackungsmaterial im Costco besorgt, in der Küche beim Schnippeln geholfen und eine Stunde am Telefon mit dem Klimatechniker zugebracht. Zum Teufel, ohne dich könnten wir womöglich dichtmachen. Im Sommer ohne Klimaanlage in Austin? So viele verschwitzte Typen könnten wir hier nicht ertragen.«
»Stimmt schon«, antwortete Megan. »Es ist nur so, dass .«
»Und hast du nicht Brookes Make-up übernommen, bevor sie vor die Kamera trat?«, fügte er hinzu und meinte damit einen der beiden Stars von The Business Plan, einer Realityshow rund ums Renovieren, die die Bar auch optisch auf Vordermann brachte und deren Kameras mittlerweile ständig präsent waren.
»Na ja, schon«, räumte Megan ein.
Jenna verschränkte die Arme vor der Brust und machte ein zufriedenes Gesicht.
»Ich würde sagen, du leistest einen ordentlichen Beitrag zum Ganzen, Megan«, fuhr Tyree fort. »Und ich bin froh, dass es hier genug zu tun gibt.«
Er meinte es ernst. Er wusste nicht genau, warum Megan ihre erfolgreiche Karriere als Visagistin in L. A. aufgegeben hatte und nach Austin gezogen war, aber er wusste, dass sie damit einem Impuls gefolgt war. Und dass es irgendwie mit einem Mann zusammenhing. Wahrscheinlich mit einem, den sie zu meiden versuchte.
Die Vorstellung, dass Eli eines Tages womöglich irgendwo in einer fremden Stadt sitzen würde, ohne Job und ohne Freunde, die ihm zur Seite standen, war ihm verhasst. Und er war ein Mann. Bei einem Mädchen war das womöglich noch schlimmer. Seine Ansichten mochten zwar vielleicht altmodisch sein, aber so tickte Tyree eben. »Alles klar?«, fragte er und musterte sie aufmerksam.
»Ja«, antwortete sie. Ihre Stimme klang nun wieder ganz geschäftsmäßig, doch ihr amüsierter Blick hinter...