2. Kapitel
Als ich erwache, schmiegt Devlin sich an mich. Ich rege mich nicht, atme nur ein und genieße seine Wärme und das noch so neue Gefühl, den Mann, den ich liebe, so verboten nah bei mir zu haben.
Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, aber helles Licht zwängt sich durch die Vorhänge, die die Fenster nach Osten verdunkeln, und feine Staubkörnchen tanzen in den Sonnenstrahlen. Meine Augen sind nur halb geöffnet, und mein Verstand ist noch angenehm benebelt von der Lust und der Glut der Nacht.
Es muss schon nach zehn Uhr sein, und obwohl ich weiß, dass wir aufstehen müssten, will ich nicht. Am liebsten würde ich für immer in Devlins Armen liegen bleiben, unerreichbar für die Außenwelt, die ihre Klauen nach uns ausstreckt.
Die Sache ist zu groß für dich. Finde die Wahrheit heraus. Vertrau niemandem.
Der Gedanke an die SMS, die ich in der Nacht bekommen habe, jagt mir einen Schauder über den Rücken. Ich habe sie Devlin nicht gezeigt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir unsere sinnliche Intimität bewahren wollte oder mich vor dem gefürchtet habe, was ich in seiner Miene gelesen hätte - die Erkenntnis, dass er nun gezwungen war, mir etwas mitzuteilen. Oder die Schatten jener Geheimnisse, die er mir vorenthält.
Immerhin habe ich in den letzten Tagen und Wochen Dinge erfahren, die mich beinahe in die Knie gezwungen haben. Die Erkenntnis, dass er der Sohn eines der schlimmsten Verbrecher aller Zeiten ist, war niederschmetternd genug. Doch als ich auch noch herausfinden musste, dass es Devlin gewesen war, der meinen Onkel vor vielen Jahren ermordet hatte, war mir, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen.
Ich hatte eingehende Gespräche führen und tief in mich gehen müssen, um die Tatsache akzeptieren und seine Motivation begreifen zu können - und um ihm letztendlich nicht nur zu verzeihen, sondern auch zu erkennen, wie sehr ich ihn brauchte. Und so war ich nur mit Wechselwäsche und der wilden Entschlossenheit, ihn zu überzeugen, dass zwischen uns alles gut werden konnte, zu ihm zurückgerannt.
Dann war diese SMS gekommen.
Was, wenn es noch eine weitere grauenvolle Enthüllung gibt? Vielleicht kann ich mich jetzt am helllichten Tag damit auseinandersetzen, aber gestern Nacht? Mit all den Kerzen und Küssen und unserer leidenschaftlichen Versöhnung?
Nein. Vollkommen indiskutabel.
Statt ihm also die Nachricht zu zeigen, habe ich meine Ängste unterdrückt.
Dass sich die vage formulierten Sätze nicht auf Devlin beziehen könnten, habe ich nicht einmal in Erwägung gezogen - auf wen sonst?
Er hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er noch immer Geheimnisse hat. Aber Geheimnisse sind trügerisch. Es gibt wohl kaum eines, das wirklich sicher ist. Jemand weiß, was er zu verbergen versucht.
Ob diese Nachricht Warnung oder Drohung ist - ich habe keine Ahnung. Dass sie Devlin und mich entzweien will, scheint mir allerdings deutlich.
Das werde ich jedoch nicht zulassen, und inzwischen ziehe ich meine Kraft aus dem Wissen, dass ich den Mann kenne. Den echten Menschen und nicht die Figur, die er der Öffentlichkeit präsentiert.
Obwohl das nicht gänzlich der Wahrheit entspricht. Ein Zittern durchläuft mich. Nicht, weil ich weiß, dass er Geheimnisse hat, sondern weil ich fürchte, dass er mich genug liebt, um mich zu verlassen, falls diese Geheimnisse mich in ernsthafte Gefahr bringen könnten. Das hat er schließlich schon einmal getan.
Diese Erkenntnis lastet schwer auf mir, und ich schließe meine Augen in der Hoffnung, wieder einzuschlafen. Könnte ich doch aufwachen und feststellen, dass alles nur ein böser Traum gewesen wäre. Dass diese Nachricht gar nicht wirklich existiert.
Und dass ich ihm nichts davon sagen muss.
Als hätten meine aufgewühlten Gedanken ihn geweckt, streicht seine Hand über meinen Oberschenkel aufwärts, bis sie auf meiner Hüfte liegen bleibt. Seine Lippen liebkosen meinen Nacken, und mein Körper reagiert prompt, indem sich meine Brustwarzen verhärten und es zwischen meinen Beinen wieder zu pochen beginnt.
Ohne ein Wort drehe ich mich um. Sein schönes Gesicht, eingerahmt von dunklem, kinnlangem Haar, strahlt mich an, und seine Augen, die im Augenblick braun sind, betrachten mich mit solch einer Zärtlichkeit, dass mir das Herz wehtut.
Wir haben in so kurzer Zeit schon so vieles durchgemacht. Geheimnisse, Lügen, Versprechungen. Seine Enthüllungen haben mich entsetzt, und, ja, ich habe Angst. Aber obwohl Devlin alles gegeben hat, um mich zu verjagen, bin ich immer noch hier.
Und nun scheint ein anderer zu versuchen, uns auseinanderzubringen, indem er andeutet, dass es noch weitere finstere Geheimnisse gibt. Doch auch dagegen werde ich zu kämpfen wissen.
Nachdem ich ihn viele Jahre lang gehasst habe, weil er mich damals ohne ein Wort der Erklärung verlassen hat, liebe ich ihn nun so inbrünstig, dass ich alles opfern würde, um bei ihm zu bleiben. Es stimmt, dass ihn noch immer Dunkelheit umgibt. Aber ich glaube - oder hoffe! -, dass ich das Licht bin, das er in seinem Leben so dringend braucht.
Ich jedenfalls weiß mit Sicherheit, dass er das ist, was ich brauche. Und verdammt will ich sein, wenn ich zulasse, dass eine anonyme Drohung meinen Glauben an ihn erschüttert.
Er betrachtet mein Gesicht, und das Schweigen zwischen uns verdichtet sich. Ich beende es nicht. Stattdessen zeichne ich mit dem Zeigefinger behutsam die Narbe auf seinem Gesicht nach.
Es ist keine Narbe, die ich aus unserer Jugend kenne, und obwohl er mir noch nicht wirklich erzählt hat, wodurch sie entstanden ist, ist mir bewusst, dass sie zu dem Mann gehört, der er jetzt ist. Die Narbe spaltet seine rechte Augenbraue und zieht sich über die Wange, und er kann von Glück sagen, dass die Klinge sein Auge verfehlt hat.
Das Mal endet auf der Oberlippe und verschwindet unter dem gepflegten Dreitagebart. Ich streiche über das raue Haar, das meine Hand kitzelt.
Als wir jung waren, hatte er keinen Bart, aber damals war er auch ein anderer Mensch. Und ich kann mich wahrhaftig nicht beschweren. Der Alex Leto von damals war verdammt attraktiv, aber Devlin Saint übertrifft ihn um Längen. Er vereint Selbstbewusstsein, Macht und einen Hauch von Gefahr in einer äußeren Hülle, die die Götter an einem besonders guten Tag erschaffen haben müssen.
Aber noch besser ist, dass er mir gehört.
»Hey«, flüstere ich.
Er antwortet nicht. Zumindest nicht mit Worten. Stattdessen wälzt er uns herum, sodass ich auf dem Rücken liege und er rittlings auf mir sitzt. Seine Hände streichen meinen Körper aufwärts, während er den Kopf senkt, um mich zu küssen.
Der Kuss ist so innig, dass ich dahinschmelze. Unwillkürlich spreize ich die Beine, um mir alles zu holen, was er zu geben gewillt ist, doch dann fällt es mir wieder ein. »Warte«, flüstere ich und packe seine Schulter fester. »Hast du ein Kondom?«
Ein winziger Moment verstreicht, ehe er die Hand nach der Nachttischschublade ausstreckt, und vermutlich ist ihm sein Zögern nicht einmal bewusst gewesen, mir aber schon. Und ich weiß auch, woher es kam.
Gestern Nacht haben wir die Sache mit der Verhütung vollkommen vergessen. Was insofern nicht weiter schlimm ist, als dass ich eine Spirale trage. Allerdings habe ich vor Devlin nicht gerade gut auf mich geachtet. Im Gegenteil - was schnelle Autos und anonymen Sex anging, habe ich auf dem sprichwörtlichen Vulkan getanzt, denn ich habe keine Angst vor dem Tod. Er hat meine gesamte Familie dahingerafft, er hätte meinetwegen auch mich holen können!
So dachte ich jahrelang.
Nun jedoch weiß ich wieder, was Angst ist.
Denn nun habe ich etwas zu verlieren.
Es ist eine Weile her, dass ich mich habe testen lassen, und die Möglichkeit, dass ich ihn mit einer schlimmen Krankheit anstecken könnte, macht mir große Sorgen.
Aber von Devlins Warte aus . na ja, wahrscheinlich hat er angenommen, dass ich gestern nicht darauf bestanden habe, weil wir nun wirklich und wahrhaftig zusammen sind. Was also muss er nun denken, da ich das Thema angesprochen habe?
Dennoch sagt er nichts dazu. Stattdessen streift er sich ein Kondom über und schenkt mir ein spitzbübisches Grinsen. »Ich hätte auch noch mehr.«
Ich lache - lauter vermutlich, als der Witz wert war - und schlinge meine Arme um seinen Nacken. »Küss mich«, murmle ich. »Liebe mich.«
»Baby, genau das habe ich vor.«
Wir sind beide mehr als bereit - dass unsere Glieder im Schlaf miteinander verschlungen gewesen sind, hat offenbar als Vorspiel ausgereicht. Ich biege mich ihm entgegen, um ihn dazu zu bewegen, in mich einzudringen; ich will jetzt nur diesen Mann, seine Hände, die mich anfassen, seinen Schwanz in mir. Unser Liebesspiel ist schnell und dringlich, und im Handumdrehen befinden wir uns beide in einem fieberhaften Rausch.
Bald nähere ich mich keuchend dem Höhepunkt.
»Komm«, sagt er. »Komm schon, Baby. Für mich.«
Es ist ein Befehl, dem ich nichts entgegenzusetzen habe, und mein Körper explodiert, zieht sich um ihn herum zusammen und reißt ihn mit, als ich zu den Sternen katapultiert werde, und wir rasen und trudeln durch den luftleeren Raum, bis wir beide erschöpft und Arm in Arm wieder landen, wo uns der sonnige Morgen willkommen heißt.
Ich strecke mich genüsslich, als er sich von mir wälzt und das Kondom entsorgt. »Das war sehr...