Kapitel 1
»Du könntest ihm das da kaufen«, schlägt meine beste Freundin Jamie Archer vor und deutet auf eine Skulptur, die im Schaufenster von einer der renommiertesten Kunstgalerien am Rodeo Drive steht.
Mein Blick wandert von der Skulptur zu Jamie und wieder zurück. Ich bin nicht ganz sicher, was dieses Ding darstellen soll, aber das aufragende Bronzerohr auf dem rundlichen Zinnsockel sieht verdächtig nach einem gigantischen Penis aus. Da es sich dabei um Jamies Lieblingsstück der männlichen Anatomie handelt, wundert es mich nicht, dass sie sofort darauf anspringt, aber ich persönlich habe nicht vor, meinem Mann einen Phallus zu Weihnachten zu schenken.
»Ich glaube nicht, dass das nach Damiens Geschmack wäre. Außerdem hat er schon so etwas in der Art, nur in sehr viel besserer Ausführung.«
Letzteres entgegne ich so trocken, dass Jamie eine Sekunde braucht, bis bei ihr der Groschen fällt, und sie grinst. »Stimmt, Ryan bräuchte ich damit auch nicht ankommen. In der Hinsicht ist er ebenfalls bestens ausgestattet.«
»Wir sind eben echte Glückspilze«, sage ich, während wir uns vom Schaufenster abwenden und weitergehen. »Allerdings hilft uns das mit den Weihnachtsgeschenken auch nicht weiter.«
Es ist der 23. Dezember, und eigentlich hatte ich nicht vor, bis zur letzten Minute mit den Weihnachtseinkäufen zu warten. Aber ich bin mit Damien Stark verheiratet, einem Mann, der gefühlt schon alles hat, und ein Geschenk für ihn zu finden ist jedes Mal ein nervenaufreibendes Unterfangen.
»Ich dachte, du hättest ihm eine Taschenuhr gekauft.«
»Habe ich auch. Und ich glaube, dass sie ihm gefallen wird.« Es ist eine antike Golduhr, die ich bei einem Uhrenmacher restaurieren und mit einer persönlichen Gravur auf der Deckelinnenseite habe versehen lassen. Er hatte ein paarmal erwähnt, dass er Taschenuhren überaus stilvoll findet, und ich war überrascht, dass er tatsächlich noch keine besitzt. So eine antike Taschenuhr sieht an einem Mann von Welt schon verdammt sexy aus, insofern dachte ich, das sei das perfekte Geschenk. Aber jetzt .
Na ja, jetzt fühlt es sich irgendwie zu unpersönlich an. Auch wenn die Uhr bereits eingepackt ist - zur Tarnung in einer größeren Schachtel - und nur noch darauf wartet, ausgepackt zu werden, bin ich auf der Suche nach etwas anderem. Etwas, das persönlicher ist. Etwas, das ausgefallener ist.
Etwas, das kein gigantischer Bronzepenis ist.
Aber fairerweise muss ich anmerken, dass es Damien andersherum genauso geht. Er könnte mir jederzeit jeden Wunsch erfüllen, aber sich etwas Originelles und Persönliches einfallen zu lassen, ist deutlich schwieriger.
»Tja, Überraschung!«, kommentiert Jamie trocken, als ich ihr meine Gedanken anvertraue. »Kein Wunder, wenn ihr euch ständig phänomenale Geschenke macht. Da würden mir auch die Ideen ausgehen an eurer Stelle.«
Ich muss unweigerlich lachen. Vielleicht hat sie gar nicht so unrecht.
»Was ist mit der App, die du entwickelt hast?«
»Die liegt vorerst auf Eis«, gestehe ich. Die Idee zu der Schnitzeljagd-App für Paare war mir gekommen, als Damien mich zum Valentinstag auf eine Art romantische Schatzsuche geschickt hatte. »Aber im Grunde ist Damien Schuld. Er hat vorgeschlagen, ich solle mich auf die Ausschreibung für die Website und Apps für das Resort at Cortez bewerben.«
Das Resort ist eines von unzähligen Projekten unter dem Schirm von Stark International, und da es mir immer unangenehm ist, als Damiens Frau bevorzugt behandelt zu werden, hatte ich mein Konzept anonym eingereicht. Umso begeisterter war ich, als Sylvia Brooks, die Projektmanagerin, meiner Firma den Zuschlag erteilte. Es ist ein überaus lukrativer Auftrag, und ich kann zudem mit Sylvia zusammenarbeiten, die eine gute Freundin und meine Schwägerin ist.
Der Nachteil ist jedoch, dass ich all meine anderen Projekte vorerst auf Eis legen musste. Aber das Resort wurde im September offiziell eröffnet, sodass bei mir langsam wieder Ruhe einkehrt.
Allerdings hatte ich immer noch keine Zeit, mich meiner Schnitzeljagd-App zu widmen, da ich abwechselnd mit dem Resort und mit der App für die Sykes-Kaufhauskette beschäftigt war. Das ist ein weiterer Auftrag, den ich über Damien an Land gezogen habe, nachdem er mich Dallas Sykes vorstellte, der nicht nur einer der Investoren des Resorts ist, sondern auch ein Mann, der im Ruf steht, sich durch die Gegend zu vögeln. Um es dezent auszudrücken.
Ja, wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass die meisten meiner Großkunden über Damien zu mir gefunden haben. Selbst die simple App, die meine Freundin Evelyn Dodge bei mir in Auftrag gegeben hatte, um die Kunstwerke ihres Lebensgefährten Blaine einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, habe ich letztlich nur über Damien bekommen.
Ohne seine Freundin Lisa wäre ich nie an meine Büroräume herangekommen. Und ich werde nie vergessen, dass mein Startkapital von jener Million Dollar stammte, die mir Damien damals für ein Aktportrait zahlte, als ich noch nicht recht wusste, ob ich mit ihm in die Kiste hüpfen oder vor ihm weglaufen wollte. Oder beides.
Und obwohl ich weiß, dass letztlich ich die ganze Arbeit mache - und Gott weiß, ich reiße mir wirklich den Arsch auf -, frage ich mich manchmal, ob ich es auch ohne Damien geschafft hätte.
»Du runzelst die Stirn«, bemerkt Jamie. »Weihnachtsstress? Sollen wir uns zur Entspannung ein Gläschen Wein gönnen?«
Ihre Frage klingt so hoffnungsfroh, dass ich lachen muss. »Warum eigentlich nicht?«, stimme ich zu.
»Oh, ich weiß was! Nicht weit von hier gibt es ein neues Café, wo es die besten Brownies der Welt gibt. Ich hab neulich eine Werbetafel für eine heiße Schokolade mit Pfefferminzschnaps gesehen. Na, wenn das mal nicht weihnachtlich ist, dann weiß ich auch nicht.«
»Schnaps ist weihnachtlich?«
»Logo! Alkoholkonsum und Weihnachten sind quasi untrennbar. Warum glaubst du, gibt es Glühwein, Punsch und Rumkugeln?«
Diese Logik erscheint mir etwas fragwürdig. Aber gleichzeitig habe ich nichts dagegen, mich ein wenig auf die Feiertage einzustimmen. Es sind heute milde 21 Grad in Kalifornien, und ich trage extra einen dünnen roten Pulli mit grünen Stickereien am Ärmel, um mich in Weihnachtsstimmung zu bringen. Die ganze Stadt ist festlich geschmückt, insbesondere aber der Rodeo Drive. Am Treppengeländer am Via Rodeo rankt eine lange Girlande aus Tannenzweigen empor, die nach oben zum Treppenabsatz führt, in dessen Mitte ein wunderschön geschmückter Tannenbaum in voller Pracht steht. Auf dem Rodeo Drive selbst sorgen rote Lichterketten auf den Palmen und glitzernde weiße Lichter auf den kahlen Bäumen für weihnachtliches Flair.
Trotz der strahlenden kalifornischen Sonne sieht es wunderschön aus, und bei Nacht, wenn die Lichter eingeschaltet sind und die ganze Straße funkelt, ist es geradezu magisch.
»Also bleibt es dabei? Ryan und ich kommen morgen früh gegen zehn vorbei, richtig?«
»Das passt wunderbar«, sage ich.
Damien und ich haben unsere Freunde und Verwandten zu Heiligabend in unser Haus am Lake Arrowhead eingeladen, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Das Haus liegt im San-Bernadino-Gebirge, ungefähr zwei Stunden von unserem Anwesen in Malibu entfernt. Damien hatte dieses Haus in den Bergen entworfen und gebaut, noch ehe wir einander kennenlernten, und für meine Begriffe ähnelt es mit seinem ausladenden Balkon und dem atemberaubenden Ausblick über den See vielmehr einem Fünf-Sterne-Resort.
Davon abgesehen verbreitet das Dorf Lake Arrowhead Village zu Weihnachten ebenfalls eine ganz zauberhafte Atmosphäre und bietet sich ideal für einen Spaziergang am Heiligabend oder am ersten Weihnachtstag an.
»Fährst du mit Jackson und Sylvia?«, frage ich.
»Wir haben ihnen angeboten, sie mitzunehmen, aber Jackson meinte, es sei für sie mit Ronnie einfacher, wenn sie mit ihrem eigenen Auto kommen. Außerdem hat Sylvia zwar ihre Morgenübelkeit hinter sich, verträgt aber Autofahren immer noch nicht so gut, sodass sie wohl unterwegs oft halten müssen.«
Sylvia ist im fünften Monat schwanger. Es ist ihr erstes eigenes Kind mit Jackson, wobei sie bereits Mutter seiner kleinen Tochter Ronnie ist, die sie nach der Hochzeit adoptiert hat. Da Jackson Damiens Halbbruder ist, bin ich offiziell ihre Tante. Ich liebe die kleine Ronnie abgöttisch und kann es kaum erwarten, dass das Baby endlich da ist. Nach dem Selbstmord meiner Schwester hätte ich nie gedacht, dass ich je Tante werde oder dass jemand für mich wie eine Schwester sein könnte. Nun diese Kinder aufwachsen zu sehen und mich Sylvia immer enger verbunden zu fühlen, macht mich daher ebenso glücklich wie wehmütig.
»Wer steht denn noch so auf der Gästeliste?«, fragt Jamie. »Hat Ollie abgesagt?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, er hat tatsächlich zugesagt, wer hätte das gedacht?«
»Echt jetzt? Wow!«
Ich nicke zustimmend. Ich war selbst überrascht, als Ollie meiner Einladung gefolgt war. Und noch überraschter, als von Damien der Vorschlag kam, ihn einzuladen. Ollie ist einer meiner ältesten Freunde, und zu sagen, dass Damien und er so ihre Probleme miteinander hatten, wäre eine glatte Untertreibung.
Eine Zeit lang hat Ollie in New York gelebt, aber nun ist er wieder in Los Angeles. Und auch wenn ich weiß, dass Damien nichts dagegen hätte, Ollie nie wiederzusehen, liebe ich ihn umso mehr dafür, dass er versteht, wie wichtig mir diese Freundschaft ist.
»Ist das irgendwie komisch wegen Ryan und dir?«, frage ich.
Jamie...