Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1
Er war von nackten Frauen umgeben und zu Tode gelangweilt.
Wyatt Royce musste sich zwingen, nicht die Stirn zu runzeln, als er die Kamera senkte, ohne auf den Auslöser gedrückt zu haben. Nachdenklich wich er einen Schritt zurück und musterte die vier Frauen, die vor ihm standen, wie Gott sie erschaffen hatte.
Wunderschöne Frauen. Selbstbewusste Frauen. Mit Traumfiguren, makelloser Haut, strahlenden Augen und starker, geschmeidiger Muskulatur, die ahnen ließ, wie engagiert sie ihren Körper im Bett einsetzen konnten.
Mit anderen Worten, jede dieser vier Frauen hatte ihren ganz besonderen erotischen Reiz. Jede hatte das gewisse Etwas, nach dem sich Männer wie Frauen umdrehten.
Doch keine von ihnen hatte »es«.
»Wyatt? Bist du so weit?«
Jon Pauls Stimme holte Wyatt aus seinen frustrierten Überlegungen, und er nickte seinem Beleuchter zu. »Tut mir leid. Ich war in Gedanken.«
JP wandte den Frauen den Rücken zu, ehe er Wyatt mit einem anzüglichen Grinsen bedachte. »Kann ich mir vorstellen.«
Wyatt lachte leise. »Platz, Bello!« Wyatt hatte den dreiundzwanzigjährigen Studenten der Fotografie vor sechs Monaten ursprünglich als Mädchen für alles engagiert. Aber als sich herausstellte, dass JP nicht nur ein großartiger Fotograf, sondern auch ein Beleuchtungswunder war, hatte sich die Chef-Assistent-Beziehung langsam zu einer von Mentor und Protegé entwickelt, aus der inzwischen eine Freundschaft geworden war.
JP machte seinen Job verdammt gut, und Wyatt konnte sich auf ihn verlassen. Doch JPs Fachgebiet war eigentlich Architektur. Die Tatsache, dass die Models, denen er tagtäglich gegenüberstand, nicht nur schön, sondern in den meisten Fällen auch splitterfasernackt waren, war für ihn nicht nur ständige Quelle der Faszination sondern, wie Wyatt annahm, auch Anlass, mindestens einmal - vielleicht zwei- oder dreimal - täglich unter eine sehr kalte Dusche zu springen.
Nicht dass Wyatt ihm das hätte verübeln können. Schließlich war er derjenige, der die sinnlich-erotische Welt, in der JP und er selbst sich tagtäglich bewegten, inszeniert hatte. Seit Monaten nun verbrachte er, in seinem Studio verschanzt, jeden Tag mit atemberaubenden Frauen, begutachtete sie aus jedem Blickwinkel und fasste sie an, um sie behutsam für die Kamera in Position zu bringen. Stets taten sie, was er sagte, stets waren sie bemüht, es ihm recht zu machen, und sie verdrehten und verbogen ihre Körper, um verführerische Stellungen einzunehmen, die oftmals unnatürlich und nicht immer angenehm für sie waren. Und sie taten all dies ausschließlich aus dem Grund, weil er sie dazu anhielt.
Solange diese Frauen sich vor seiner Kamera befanden, gehörten sie ihm. Und er hätte sich selbst etwas vorgemacht, wenn er nicht zugegeben hätte, dass das Shooting in vielen Fällen erotisch mindestens so aufgeladen war wie die fertigen Bilder später.
Insofern konnte er die Verlockung sehr wohl nachvollziehen, wenn er sich selbst auch hütete, ihr nachzugeben. Denn obwohl nicht wenige Models keinen Zweifel daran ließen, dass sie ihm bereitwillig in sein Schlafzimmer gefolgt wären, kam das nicht infrage.
Zu viel hing von diesem Projekt ab.
Zu viel? Verdammt alles hing von der bevorstehenden Ausstellung ab. Seine Karriere. Sein Leben. Sein Ruf. Von seinen Ersparnissen ganz zu schweigen.
Vor achtzehn Monaten hatte er beschlossen, in der Welt der Kunst und der Fotografie Eindruck zu machen, und in nur siebenundzwanzig Tagen würde sich zeigen, ob er es geschafft hatte.
Seine Hoffnung war, dass sein Werk einschlug wie eine Kanonenkugel, die mit solcher Wucht aufs Wasser klatschte, dass alles und jeder im näheren Umfeld bis auf die Haut durchnässt wurde, während er, die Ursache der ganzen Aufregung, in aller Seelenruhe im Mittelpunkt stand.
Seine Befürchtung war, dass seine Ausstellung nicht mehr als ein Kräuseln auf der Oberfläche erzeugte, als hätte er nur am Beckenrand seinen großen Zeh ins Wasser gesteckt.
Hinter ihm hustete JP und riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf, stellte fest, dass alle vier Frauen ihn hoffnungsvoll ansahen, und fühlte sich wie der hinterletzte Schuft.
»Entschuldigt, meine Damen. Ich versuche mir nur gerade darüber klar zu werden, wie ich Sie haben will.« Er gab sich Mühe, seine Stimme neutral zu halten, doch die kleine Brünette kicherte trotzdem, ehe sie hastig die Lippen zusammenpresste und den Blick senkte. Wyatt tat, als hätte er nichts bemerkt. »JP, hol mir bitte die Leica aus dem Büro. Ich denke, ich sollte Schwarz-Weiß-Aufnahmen machen.«
Das dachte er ganz und gar nicht, zumindest nicht wirklich. Im Grunde genommen versuchte er nur, Zeit zu schinden. Er redete einfach, was ihm in den Sinn kam, bis er entschieden hatte, was - wenn überhaupt - er mit den Frauen anstellen sollte.
Während er sich langsam auf sie zubewegte, versuchte er zu ergründen, warum er derart desinteressiert war. Waren denn wirklich alle gänzlich ungeeignet für seine Zwecke? Für die eine Rolle, die er noch zu besetzen hatte?
Nachdenklich wanderte er um sie herum, begutachtete ihre Kurven, die Gesichtszüge, den warmen Schimmer der Haut im schummrigen Licht. Die eine hatte ein klassisches Profil mit aristokratischer Nase, die andere einen breiten, sinnlichen Mund. Die dritte hatte einen Schlafzimmerblick, der die Erfüllung aller erdenklicher Männerfantasien zu versprechen schien. Die vierte besaß genau die Art von großäugiger Unschuld, die nahezu darum bettelte, verdorben zu werden.
Jede dieser Frauen hatte über ihren Agenten ihre Mappe eingereicht, über deren Fotos er stundenlang gebrütet hatte. Er hatte noch eine Position auszufüllen, doch die war entscheidend, denn sie stellte das Herzstück der Ausstellung dar. Eine einzelne Frau, die all die sorgsam in Szene gesetzten Aufnahmen mit einer Serie von Aktbildern vereinen würde, die er bereits deutlich vor Augen hatte. Das perfekte Zusammenspiel von Licht und Szenerie, von Körper und Ausstrahlung. Sinnlichkeit mit Unschuld gepaart und mit Verruchtheit durchzogen.
Er wusste, was er wollte. Mehr noch: Irgendwo in der Tiefe wusste er sogar ziemlich genau, wie diese Person aussehen musste.
Bisher war sie noch nicht in sein Studio marschiert.
Doch es gab sie, dessen war er sich sicher. Wer immer sie war.
Dummerweise hatte er nur noch siebenundzwanzig Tage Zeit, um sie zu finden.
Was auch der Grund dafür war, warum er sich an Model-Agenturen gewandt hatte, obwohl in seiner ursprünglichen Vision für die Ausstellung nur Amateurinnen vorkamen. Frauen, die ihm am Strand auffielen, im Supermarkt oder wo immer er sich gerade aufhielt. Frauen aus seiner Vergangenheit. Frauen, denen er bei seiner Arbeit begegnete. In jedem Fall aber Frauen, die ihr Geld nicht mit ihrem Aussehen verdienten. Das hatte er sich in der Planungsphase geschworen.
Tja. Und doch telefonierte er nun die Agenturen ab, bat sie, ihm ihre sinnlichsten Models zu schicken und brach sein eigenes Versprechen, weil ihm die Zeit davonlief und seine Verzweiflung wuchs. Weil jene Idealfrau, die sich am Rand seines Bewusstseins versteckte, vielleicht ganz zufällig Model geworden war und inzwischen einen Agenten hatte.
Obwohl er im Grunde wusste, dass es nicht sein konnte. Nicht seine Idealfrau.
Nein, das Mädchen, das er wollte, würde eine fotografische Jungfrau sein. Dies war die Unschuld, die er einzufangen erhoffte, dies war seine Vision. Für die er sich nunmehr seit über eineinhalb Jahren neben seinem normalen Broterwerb als kommerzieller Fotograf aufrieb. Fotosessions, wann immer Zeit dafür war, endlose Nächte in der Dunkelkammer und oftmals nichts als Kaffee und Eiweißriegel, weil keine Zeit war, sich etwas zu holen, von selbst zu kochen ganz zu schweigen.
Monatelang hatte er auf ein Ziel hin geplant, geschuftet, sich gesorgt und weiter geschuftet. Und dann jene raren, kostbaren Momente, in denen er ganz genau wusste, dass er im Begriff stand, etwas wahrhaft - wahrhaft! - Spektakuläres zu erschaffen!
Ja, er war erschöpft. Aber er hatte es bald geschafft.
Bisher hatte er für die Ausstellung einundvierzig endgültige Bilder ausgewählt, und jedes einzelne war nach seinen Maßstäben reine Perfektion.
Er brauchte also nur noch die letzten neun. Einen letzten Satz Fotos jener idealen Frau, nach der er noch immer suchte. Fotos, die seine Vision in ihrer ganzen Pracht und Bedeutung hervortreten lassen und sein Werk abrunden würde.
Was hatte er alles geopfert, um endlich auf diese Zielgerade zu gelangen. Und doch stand er hier und vergeudete seine Zeit mit Frauen, die zwar schön und erotisch waren, doch in keiner Weise das darstellten, was er wollte oder brauchte.
Verdammt.
Frustriert seufzend fuhr sich Wyatt mit der Hand durch das dichte, kurze Haar. »Also, meine Damen, ich denke, wir sind fertig für heute. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihr Interesse an meinem Projekt. Ich werde mir Ihre Mappen noch einmal ansehen und mich mit Ihren Agenten in Verbindung setzen, falls ich Sie buchen möchte. Sie können sich jetzt anziehen.«
Ratlos sahen die Frauen einander an. Auch JP, der in diesem Augenblick mit der Leica am Riemen über der Schulter zurückkehrte, stutzte verblüfft. Hinter ihm betrat eine große Rothaarige das Studio.
»Siobhan«, sagte Wyatt und ignorierte die dumpfe Vorahnung, die sich augenblicklich in seinen Eingeweiden bemerkbar machte. »Ich hatte gar nicht auf dem Plan, dass wir einen Termin haben.«
»Ich dachte, du wolltest eine Schwarz-Weiß-Serie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.