Kapitel 1
Ein Jahr später .
Die Straßen von Midtown Manhattan waren nebelig vom Regen, der früher am Tag gefallen war. Rhys Harrington atmete die schwere Abendluft ein, als er um kurz nach neun die Steinstufen zum ultraexklusiven Sexclub Phoenix emporschritt. In den 1920ern war das historische Gebäude an der Fifth Avenue ein Gentlemen's Cigar Club gewesen. Als Rhys Haus und Unternehmen zehn Jahre zuvor gekauft hatte, waren ihm dabei völlig andere Gedanken im Kopf herumgeschwebt. Dieses Stück New York beherbergte nun Fantasien und sexuelle Freuden, und jeder, der durch die Türen trat, verließ es wieder als ein anderer Mensch.
Rhys legte die Hand um den glatten goldenen Griff und öffnete die schwere Holztür, betrat die stilvolle Cigar Lounge. Die runden Tische waren voll besetzt mit Gästen, die dort edlen Bourbon und eine Zigarre genossen. Drei Barkeeper, die Smoking trugen, kümmerten sich um die Drinks an der Theke, während sich Kellnerinnen und Kellner um die Gäste an den Tischen sorgten. Rhys ging weiter auf eine Tür an der Rückseite zu, die in sein großes Büro führte. Sein ausladender Schreibtisch aus Kirschholz stand in der Mitte des Raums, umgeben von Bücherregalen und Kunst, die er über die Jahre zusammengetragen hatte. Er trat zu einem der Regale, nahm ein Buch heraus und hob das Holz an der Stelle. Nachdem er seinen Finger auf den Fingerabdruckscanner gelegt hatte, begann sich das Regal zu bewegen und gab einen dahinter verborgenen Treppenschacht frei. Zwischen Steinwänden ging er die Stufen hinunter, während sich das Regal hinter ihm schloss.
Als er unten angekommen war, öffnete er eine weitere Tür und grüßte seinen langjährigen Sicherheitsmann. »Wie geht's, Andre?«, fragte er dann.
Der frühere Soldat stand an der Tür, wachsam und bereit. Er lächelte zum Gruß, und seine normalerweise harten grünen Augen wurden weich. Er trug keine Waffe; Andre selbst war die Waffe. Alles, was eine Bedrohung darstellte und durch diese Tür kam, würde es bereuen. »Kann mich nicht beschweren, Boss«, antwortete Andre mit einem schweren texanischen Akzent.
»Dann ist es tatsächlich ein guter Abend.« Rhys ging an ihm vorbei, doch bevor er durch die nächste Tür trat, hielt er inne. »Lass mich wissen, falls heute Abend Ärger im Verzug ist.«
»Sie erfahren es zuerst«, sagte Andre und nickte.
Jede Person auf Rhys' Gehaltsliste hatte ein Anrecht auf »Spielzeit« im Phoenix. So blieben seine Angestellten loyal, waren wie eine Familie. Ebenso wie Rhys taten sie alles, um den Club und seine Mitglieder zu beschützen, und auf diese Weise konnten sich alle sicher fühlen. Als er den Hauptbereich des Phoenix betrat, spürte er, wie sich alle Augenpaare zu ihm drehten und die pulsierende Energie des Raums über ihn hinwegspülte. Im Sitzbereich standen braune Ledersofas um viereckige Couchtische herum. Ein Gasfeuer sorgte für romantisches Licht, und die großen, gedimmten Kronleuchter über jedem Tisch trugen ebenfalls zur warmen Atmosphäre bei. Die Frauen trugen edle Dessous, die Männer nur lange schwarze Stoffhosen, aber keine Hemden. Er war mit jedem Gesicht vertraut, selbst hinter den Masken. Als Besitzer des Phoenix kannte er jeden persönlich, der sich um eine Mitgliedschaft bewarb. Selbst bei Mitgliedern, für die absolute Anonymität erforderlich war und die komplette Gesichtsmasken trugen, wusste Rhys, um wen es sich handelte. Er war über jedes Geheimnis seiner Gäste im Bilde, enttäuschte ihr Vertrauen nicht und bot sexuelle Freiheit zu gepfefferten Preisen. Der Aufwand, der nötig war, um eine Identität verborgen zu halten, bestimmte die Kosten der Mitgliedschaft. Mithilfe von Tunneln aus der Zeit der Prohibition, die unter dem Gebäude verliefen, konnten Mitglieder über verschiedene Orte in der Stadt in den Club gelangen. Die Männer und Frauen, die hier arbeiteten, waren alle ehemalige Armeemitglieder, die wussten, was Verschwiegenheit und Ehre bedeuteten.
Was das Gesetz betraf, bewegte sich das Phoenix in einer Grauzone. Die Reichen, Berühmten und Mächtigen zahlten dafür, dass sie zwei Erwachsenen, die damit einverstanden waren, zuschauen konnten, wie diese bei einer Show ihrer Wahl Sex hatten. Den Männern und Frauen in dieser Show wurde die Teilnahme vergütet. Für Rhys stellte es ein Übereinkommen zwischen Erwachsenen dar, das zum Vorteil aller geschlossen wurde. Eines, das Kunden, die gerne zuschauten, die Erfüllung sexueller Fantasien versprach. Und gleichzeitig bot es denen, die an der Show teilnehmen wollten, eine finanzielle Entschädigung. Jeder wusste, dass Geld Schweigen kaufen konnte. Rhys' Erfahrung nach war jede Person für den richtigen Preis käuflich.
An diesem Abend verriet Rhys ein schneller Blick über seine Kundschaft, dass vier berühmte Schauspieler zusammen mit ihren Ehepartnern anwesend waren, ebenso eine Gruppe von Politikern sowie eine Hand voll Wallstreet-Broker. Rhys ging zu der Tür, die sich neben der Bar befand und in sein Büro auf dieser Ebene führte. Ansonsten gab es hier unten nur private Zimmer, in denen die nächtlichen Shows stattfanden.
Einen Moment später betrat Rhys sein Büro. Früher einmal hatten in diesem Raum mit seinen Steinmauern Eichenfässer voll Whiskey gelagert, und an manchen Abenden hätte Rhys schwören können, noch immer eine holzige Note zu riechen. Als er hinter seinen Schreibtisch trat, vor dem zwei schwarze Ledersessel für die Kunden standen, sagte eine leise Stimme: »Du bist spät dran.«
Rhys blickte zur Tür. Archer Westbrook, Angehöriger der United States Navy SEALs Forces im Ruhestand, betrat das Büro und setzte sich in einen der Sessel. Sein Haar war kurz und stylish geschnitten, er hatte markante Gesichtszüge und kluge dunkelblaue Augen. Als ehemaliger Collegefreund mit ähnlichen sexuellen Vorlieben war Archer seit Tag eins an Rhys' Seite. Rhys spähte auf seine Armbanduhr und grinste. »Ich habe noch fünf Minuten.« Er zog seinen Blazer aus und legte ihn über seinen Sessel.
»Bist du in fünf Minuten so weit?«
Rhys nickte. »Ist Riggers Jungfrau hier?«
»Das ist sie, bereit und willig.« Archer interviewte und überprüfte die Teilnehmer der Shows und kümmerte sich auch darum, sie aufzutreiben.
Heute war die Nacht von Senator Matthew Rigger. Es gehörte zur Mitgliedschaft im Phoenix dazu, dass jeder Kunde an einem Abend im Monat sein Lieblingsvergnügen wählen konnte. Die einzige Regel? Es wurde zugeschaut, aber nicht berührt. Das Phoenix war für Voyeure. Reiche und berühmte Singles und Paare suchten nach Shows, die sie erregten. Paare gingen üblicherweise zu ihrem eigenen Sexspiel über, sobald die Show vorüber war und die Menge den Raum verlassen hatte. Das Phoenix stellte Zimmer nur für diesen Zweck bereit. Ein paar Mal im Monat ließ Rhys auch Mitglieder bei den Shows mitmachen. Dann erlaubte er den von ihm handverlesenen Gästen, dieses sinnliche Experiment am eigenen Leib zu erfahren. Keine Fantasie wurde vernachlässigt. Für alle Bedürfnisse wurde gesorgt. Das Phoenix lebte und atmete Sex. Doch wenn Jungfrauen gefragt waren, kontrollierte Rhys die Show selbst. Die Verantwortung war größer. Die Risiken höher. Die Emotionen aufwühlender.
»Ich werde gleich draußen sein«, sagte er zu Archer. Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Rhys in das angrenzende Badezimmer. Unverzüglich zog er sich aus, duschte und trocknete sich nur schnell ab. Als er wieder sein Büro betrat, ließ er seine Kleidung im Bad zurück und öffnete den Safe, der hinter einem Gemälde an der Wand verborgen war. Aus ihm holte er eine glatte schwarze Maske heraus.
Nachdem er sie angelegt hatte, schlüpfte er in eine gebügelte schwarze Hose aus dem Wandschrank und machte sich auf den Weg durch den Gang. Als er die Tür erreicht hatte, atmete er tief aus. Jungfrauen waren nicht seine Vorliebe. Er lebte für die Lust, für die Leidenschaft und für alles, was es dazwischen gab. Doch er wusste auch um seine Verantwortung, mit Emotionen umzugehen und die Frauen zu schützen, die in diesen Club kamen.
Noch einmal holte er tief Luft und konzentrierte sich bereits darauf, Rigger die Show zu liefern, die der sich wünschte, während er gleichzeitig seiner Fürsorgepflicht für die Jungfrau gerecht werden musste. Als er durch die Tür schritt, sah er, dass die meisten Mitglieder in den Playroom gekommen waren. Das war zu erwarten gewesen. Rhys nahm nicht oft an den Shows teil, aber wenn er es tat, ließen sich die Mitglieder allesamt blicken. Er wusste, weshalb. Menschen waren fasziniert von Macht. Und das war es, wofür er als Kopf des Phoenix und Spross der wohlhabenden Harrington-Familie stand.
Die Menge wurde still, als er den Raum betrat und die Tür hinter sich schloss. Dieser hatte ungefähr die Größe eines typischen Konferenzzimmers, nur waren die Wände aus Stein, überall flackerten Kerzen, und eine dunkelrote Samtchaiselongue an der hinteren Wand gab dem Ganzen einen intimen Anstrich. Neben der Liege stand ein goldener Teller mit einem Kondom darauf, und darüber lag ein Morgenrock aus schwarzer Seide. Doch nichts davon konnte seine Aufmerksamkeit erregen, da er die Frau entdeckte, die auf ihn wartete. Sie stand neben der Chaiselongue. Hinter ihrer zarten Maske sah er hellbraune Augen, die durch ein dezentes Make-up betont wurden, hohe Wangenknochen, eine vornehme Nase und burgunderrot bemalte Lippen. Ihre feingliedrige Schönheit wurde umrahmt von langen rotblonden Haaren. Rhys konnte nicht anders, als den Blick langsam über ihre dunkelgrünen...