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Angefangen hat alles 1956 in Brighton; geboren zu werden lässt sich ja bekanntlich nicht vermeiden. Meine Mutter hatte es alles andere als leicht. Die Klavierstunden waren nicht sonderlich einträglich, und da so das nötige Kleingeld für einen Babysitter fehlte und meine Mutter alleinerziehend war, lag ich in einem Kinderbettchen unterm Klavier, während sie einem endlosen Reigen von Schülern Unterricht gab. Das Haus gehörte einem Zahnarzt, der seine Praxis in den beiden unteren Etagen hatte, während wir oben zur Miete wohnten. Die Wohnung bestand aus einer Küche, einem Wohnzimmer, in dem das Klavier stand, und drei winzigen Zimmern mit schrägen Wänden (ich weiß jetzt nicht mehr, ob es eine Mansarde oder ein Dachboden war). Den Zahnarzt jedenfalls schien es nicht zu stören, dass da klassische Musik durch die Decke kam, während er mit Bohrern, Hämmern und Zangen an seinen Opfern zugange war. Wahrscheinlich hat er durch die einschläfernden Klänge einiges Geld für die Narkose gespart, ganz zu schweigen davon, dass das Ganze seinen Quälereien einen nobligen Anstrich gab. Meine Mama hatte zu viel Geschmack, um etwas anderes als intellektuelle Musik zu unterrichten; der Zahnarzt musste sich also keine Sorgen machen, dass da ein Hitchcock-Soundtrack heruntertönte.
Rechnerisch gesehen rentierte sich diese Kombi aus Babysitting und Unterricht gleich in dreifacher Hinsicht: Der Zahnarzt wurde kostenfrei musikalisch beschallt, es brauchte keine Babysitter und darüber hinaus gab es vom ersten Tag an noch kostenlosen Musikunterricht für meiner Mutter Sohn. Nicht nur bekam ich unter dem Klavier Bach, Beethoven, Chopin und Konsorten zu hören, die Led-Zeppelin-eske Lautstärke hob auch die wichtigen inneren Stimmen der Musik hervor. Das Unvermögen von Schülern und Sängern, auf ihre Kollegen im Orchester einzugehen, ist oft frustrierend, und die leblosen musikalischen Resultate zeugen von einem Mangel an harmonischem Verständnis dafür, was die anderen Musiker spielen. Ich denke mir dann immer: »Wo zum Geier sind die denn? In einer Telefonzelle, verflucht noch mal? Was ist mit den Komponisten und all den anderen großartigen Musikern, mit denen sie auf der Bühne stehen? Wo ist ihr Gefühl für die Situation, für die Kollegen, das Publikum? Mann, das ist alles so was von mechanisch.«
In solchen Augenblicken muss ich an meine Zeit unterm Klavier zurückdenken, die mir zu einem besseren Verständnis für Harmonie und das größere musikalische Ganze verholfen hat, das zu erlangen andere, die ganz auf die Entwicklung ihres technischen Könnens konzentriert sind, nie eine Chance haben. Dieser Mangel an Wissen in der Brust des Interpreten ist der Grund dafür, dass klassische Musik so oft zwar beeindruckend klingt, irgendwie aber nichts zu passieren scheint. Hey! Grünschnäbel! Wenn ihr wollt, dass das Publikum die von euch gespielte Musik wirklich schätzt und ihr die Musik auch selbst wirklich schätzen wollt, dann schlage ich vor, ein bisschen Klavier oder Gitarre zu lernen, um euch das Wissen in Sachen Harmonie anzueignen, das es in eurem Job braucht.
Im Alter von sechs Jahren hatte ich bereits Klavierunterricht bei meiner Mum und lernte seit einiger Zeit Violine bei Amina Lucchesi, einer ausgezeichneten Lehrerin in Brighton. Ich zog das Klavier zwar vor, kam aber auf beiden Instrumenten gut voran. Miss Lucchesi erzählte meiner Mutter zu dieser Zeit, dass Yehudi Menuhin jüngst eine Musikschule für Hochbegabte aufgemacht hatte und ich ihrer Ansicht nach das Zeug dazu hätte, um dort unterzukommen. Wie für viel zu viele andere Mütter auf dieser Welt kam auch ich für meine Mum gleich nach Jesus Christus, und eh ich mich's versah, war ein Vorspielen arrangiert.
Zum Vorspielen fuhren wir nach London, mein erster Besuch in unserer hammergeilen Hauptstadt. Ich fand mich in einem Raum mit drei Typen wieder, von denen der eine sich als Yehudi Menuhin entpuppte; links und rechts neben ihm saßen Marcel Gazelle (der musikalische Direktor) und Robert Masters (der Chef der Streicher oder was weiß ich). Da ich mich in keinster Weise unter Druck gesetzt sah, besonders gut abschneiden zu müssen, stellte für mich das Ganze nur eine interessante neue Erfahrung dar. Da ich erst einige Monate Violine spielte, war ich mir sicher, dass ich nicht wie ein Weltmeister rüberkam, aber am Klavier war ich ganz okay. Gazelle und Masters waren nur irgendwelche merkwürdigen Anzugtypen, die eben zufällig dabei waren, aber Menuhin mochte ich. Er war derjenige, der mit mir sprach, und da ich zu meinem fünften und sechsten Geburtstag ein paar seiner Alben bekommen hatte, kam er mir wie ein Bekannter vor. Zuerst bat er mich ein, zwei musikalische Phrasen nachzusingen, die Gazelle am Klavier spielte. Kein Problem. Dann spielten sie mir ein paar musikalische Phrasen vor, für die ich mir eine zweite Hälfte ausdenken sollte. Ich mochte das Spiel und machte meine Sache gut. Und natürlich spielte ich ihnen ein bisschen was vor, sowohl auf der Violine als auch auf dem Klavier. Damit hatte es sich. Nach dem Vorspielen ging Mum mit mir in den Londoner Zoo. Ich sah ein paar Giraffen, Schimpansen und Gorillas und durfte mich auf einen Elefanten setzen. Alles in allem ein guter erster Tag in London. Danach ging es zurück nach Brighton.
Schließlich ließ man meine Mutter wissen, dass ich die Aufnahmeprüfung bestanden hatte. Aber so toll das auch war - schließlich bedeutete es, dass ich Talent hatte -, verdiente meine Mutter bei Weitem nicht genug für die immensen Schulgebühren, die dort anfielen. Und so hieß es denn auch gleich wieder GAME OFF. Klassische Musik war offensichtlich ein Spiel, das ausschließlich Kindern irgendwelcher Geldsäcke vorbehalten war. Bei einem Telefonat mit meiner Mutter sagte ihr Menuhin jedoch, sie solle die Hoffnung nicht aufgeben, vielleicht ließe sich da etwas arrangieren. Kurz darauf kam ein Brief von ihm, in dem es hieß, er habe ein Stipendium für mich arrangiert. Das Menuhin-Stipendium, so schrieb er, würde Schulgebühren und Unterkunft abdecken, und zwar für die ganze Zeit, in der ich an der Schule war. GAME ON.
Es sah ganz so aus, als hätte Menuhin meine Fähigkeit gefallen, für musikalische Phrasen einen zweiten Teil zu komponieren, und außerdem hatte ich auf der Fiedel offensichtlich nicht nur die Noten getroffen, sondern auch klanglich Eindruck gemacht. Etwas schmerzlich sollte die Trennung von Amina Lucchesi werden, weil ich sie mochte; sie gab mir nicht nur Süßigkeiten, sie hielt mich auch für gut genug für ihr persönliches Schülerorchester. Ich fand es aufregend, endlich mit anderen jungen Musos aus meiner Gegend spielen zu können, anstatt immer nur Einzelunterricht zu haben und allein vor mich hinzuüben. Dass sie eine großartige Lehrerin gewesen sein muss, sieht man schon daran, dass sie einige Jahre später zwei weitere ihrer Schüler an der Menuhin School unterbrachte. Sie war damit die einzige Lehrkraft, von der mehr als ein Schüler an diese so winzige wie exklusive Schule kam. Was mich anbelangt, so hatte ich einen ausgezeichnet strukturierten Unterricht bei Amina Lucchesi; sie hatte ein wirklich solides Programm. Und das alles sollte ich über mein Zuhause hinaus jetzt hinter mir lassen, um einen großen Schritt ins Unbekannte zu tun.
Die Idee zu seiner Schule ist sowohl ein Kind von Menuhins Begeisterung als auch seiner Enttäuschung über die russischen Konservatorien. Offensichtlich hatten er und seine Gattin bei einer Russlandreise die Produkte selbiger zu hören bekommen. Ein junger Violinist nach dem anderen stand auf und spielte mit unglaublicher Fertigkeit, aber ohne Seele und Individualität, was Yehudi überlegen ließ: Was, wenn er in England eine ähnliche Schule aufzöge, nur eben mit einer humaneren musikalischen Agenda? Es schien ihm so nützlich wie erfüllend. Ihm schwebte eine ganzheitlichere und entschieden philosophischere Ausbildung junger Talente vor. Ich halte es mit der Ansicht, dass man jedem Zwergaffen1 das Violinspielen beibringen kann, und das mit beeindruckenden Ergebnissen, solange er ausreichend Arme, Hände und Finger hat. Die weit brennendere Frage ist, ob jemand mit all seiner technischen Fertigkeit auch tatsächlich etwas zu sagen hat. Dem Zwergaffen die Möglichkeit ästhetischer Überlegungen zu erschließen, ist weit wesentlicher, als ihn endlos technische...
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