Prolog
Wer auch immer gesagt hat, das Leben ist hart, wusste, wovon er spricht. Das fand jedenfalls Hazel Rose, als sie im Wohnzimmer des Lofts saß, das sie sich ursprünglich mit ihren beiden besten Freundinnen, Elise und Zoey, geteilt hatte. Nur dass die zwei inzwischen verlobt waren, und nachdem Zoey bereits ausgezogen war, würde nun auch Elise, die erst seit Kurzem einen Ringer am Finger trug, mit ihrem Verlobten Archer zusammenziehen. Ihr gesamtes Hab und Gut wurde gerade in irgendwelche Fahrzeuge geladen, die draußen warteten, um Elise fortzubringen, während Hazel zurückblieb, hinab auf ihre lackierten Zehen starrte und sich verzweifelt am Hals kratzte.
»Warum siehst du so traurig aus?«
Hazel zuckte zusammen und zwang sich, in die dunkelblauen Augen der Freundin zu blicken. Elise setzte sich auf den Beistelltisch, fasste ihr langes braunes Haar zusammen und legte es sich über eine Schulter. Kein Wunder, dass Elise verlobt war und ihren Weg ging. Sie war alles, was sich Hazel wünschte zu sein. Körperlich fit und stark und emotional sogar noch stärker. Das war es, worum Hazel sie am meisten beneidete.
»Nicht traurig«, antwortete Hazel. Natürlich war Hazel überglücklich, dass sowohl Elise als auch Zoey ihre Seelenverwandten gefunden hatten, doch da gab es diesen kleinen Teil in ihr, einen winzigen, schambesetzten Teil, der eifersüchtig war. Sie wünschte sich das Gleiche, was die zwei hatten, und gleichzeitig fühlte sie sich zu kaputt, um es jemals erreichen zu können. Eine bleibende Wunde, die ihr ein Ex-Freund zugefügt hatte und die niemals heilen würde. »Ich freue mich wirklich für dich und Archer«, sagte sie nun mit mehr Überzeugung.
Doch Elise fiel nicht darauf rein und verengte die Augen. »Hazel.«
Hazel verachtete sich dafür, wie sie die Schultern nach vorn fallen ließ, und wusste, dass sie dem Unvermeidlichen nicht aus dem Weg gehen konnte. Sie seufzte, als sie sich einer Wahrheit stellte, vor der sie davongelaufen war. »Ich will es dir eigentlich nicht sagen, damit du dir keine Sorgen machst.« Wochen waren vergangen, und das Geheimnis lastete inzwischen so schwer auf Hazel, dass es ihr fast unmöglich war, es preiszugeben. Alle um sie herum waren so glücklich, und das wollte sie nicht ruinieren.
»Ich werde mir keine Sorgen machen«, sagte Elise mit sanfter Stimme. »Ich bin Privatdetektivin, schon vergessen? Ich kann dir helfen, alles herauszubekommen und für alles eine Lösung zu finden.«
Wieder zuckte Hazel zusammen. Seit der Grundschule war Elise ihre beste Freundin. Nie hatte es irgendwelche Geheimnisse zwischen ihnen gegeben, und seitdem Elise Privatdetektivin geworden war, schien sich ihr innerer Lügendetektor noch geschärft zu haben. Aber Hazel wusste, dass sie nicht mehr aus der Nummer herauskommen würde, und so beichtete sie. »Allein kann ich mir das Loft nicht leisten. Deshalb habe ich beschlossen, es aufzugeben, doch ich habe keine Ahnung, wo ich hingehen soll.« Sicher, sie konnte zurück nach Hause gehen und bei ihren Eltern leben, aber das wäre der Hölle so nah gekommen, wie Hazel es sich nur vorstellen konnte.
Elise legt die Finger auf Hazels Hände und hielt sie ganz fest. »Du hast mir gesagt, dass es in Ordnung ist, wenn ich ausziehe. Warum hast du mein Angebot nicht angenommen? Ich wäre geblieben, bis du eine neue Mitbewohnerin gefunden hast.«
Hazel schnaubte. »Du kannst nicht ewig mit mir zusammenwohnen. Ist schon in Ordnung. Ich werde etwas anderes finden. Aber vielleicht kannst du mir ja beim Auszug helfen.« Selbst sie konnte den Schmerz in ihrer Stimme hören. Sie hatte keine Ahnung, wann für sie alles eine so falsche Richtung genommen hatte. In der Highschool hatten alle geglaubt, dass sie als Erste verheiratet sein würde. Doch inzwischen schien sie auf dem besten Weg zu sein, eine einsame Katzen-Lady zu werden, obwohl sie nicht einmal Katzen hatte. Armselig.
Angesichts des Selbstmitleids, in dem Hazel badete, wurde Elises Blick weich. »In Ordnung, wann ist es so weit?«
»Morgen.«
Elises Augenbrauen schossen in die Höhe. »Morgen? Was?«
Am liebsten hätte sich Hazel in irgendein Erdloch verkrochen, um für immer darin zu verschwinden. Seitdem Elise gesagt hatte, dass sie ausziehen würde, hatte sie geglaubt, dass sie es schon irgendwie hinbekommen würde, doch nun war die Zeit fast abgelaufen, ohne dass eine Lösung in Sicht war. »Ich weiß, dass es übel ist. Aber als ich Mr. Wood« - dem Besitzer des Gebäudes - »von meinen Plänen erzählt habe, bat er mich, möglichst bald auszuziehen, weil er bereits einen Interessenten hat. Und ich habe zugestimmt.«
Elise presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Warum hast du Ja gesagt, obwohl du noch gar keine neue Wohnung hast?«
»Ich habe mich schlecht gefühlt«, gab Hazel zu. Ihr größter Fehler. Sie fühlte sich häufig schlecht wegen anderer Leute, was ihr immer wieder Probleme bescherte. »Außerdem hat Zoey gesagt, dass ich bei ihr bleiben kann, bis ich weiß, wie es weitergeht.« In einem Anflug von Panik hatte sie Zoey erst eine halbe Stunde zuvor angerufen, als ihr bewusst geworden war, dass sie gar keine andere Wahl hatte.
»Warum willst du bei Zoey bleiben?«, war eine tiefe, entspannte Stimme hinter Hazel zu hören.
Hitze sammelte sich in ihrem Bauch. Sie wagte einen Blick über ihre Schulter und sah, dass Kieran Black mit einer Kiste in den Händen hinter ihnen stand. Oh Gott, kein Mann sollte so gut aussehend sein wie er. Kieran war ein New-York-City-Firefighter, und er war ein Freund, obwohl sie Zweifel daran hatte, dass es in die Kategorie Freundschaft fiel, wenn sie nachts von ihm fantasierte, bis irgendwann ihre Hand zwischen ihre Schenkel glitt. Er hatte den Körper eines trainierten Ironman-Triathleten. Jede Menge sehniger Muskeln, die ein echter Hingucker waren und Begehrlichkeiten in Hazel weckten wie bei keinem anderen Mann zuvor. Nicht einmal bei dem Mann, den sie einst zu lieben geglaubt hatte. Dem einzigen Mann, der sie jemals berühren durfte. Doch da war etwas unglaublich Fesselndes an Kieran, ohne dass sie den Finger darauf legen konnte. In seinen vertrauensvollen grünen Augen funkelten Gefahr und etwas so Machtvolles, dass sie sich in ihnen verlieren wollte. Sein stylishes, dunkelblondes Haar schien wie dafür gemacht, mit den Händen hindurchzufahren, und sie fragte sich, wie sich sein kurzer Bart zwischen ihren Schenkeln anfühlen würde.
Ihr wurde bewusst, dass sie ihn anstarrte, und ihre Wangen glühten. »Oh, es ist nichts«, unterbrach sie die Stille. »Ich spiele nur mit dem Gedanken, für eine Weile bei ihr zu wohnen.«
Kieran runzelte die Stirn und stellte die Kiste auf dem Boden ab. »Es kann nicht nichts sein, wenn du so traurig aussiehst.«
Verdammt, warum standen ihr ihre Gefühle nur immer ins Gesicht geschrieben? Genervt warf sie die Arme in die Luft. »Sehe ich tatsächlich traurig aus?«
»Ja«, bestätigten Elise und Kieran gleichzeitig.
Großartig, einfach großartig. Sie griff nach der Cola, ihrem Lieblingsgetränk, auf dem Beistelltisch neben Elise und trank einen großen Schluck. »Ich muss morgen hier ausziehen, und ich weiß noch nicht wirklich, wohin ich dann gehe«, sagte sie zu Kieran.
Stille.
»Zu mir nach Hause«, erwiderte Kieran und lächelte.
Sein Lächeln war unschuldig. Hazels Gedanken waren es nicht. Wenn sie bei ihm wohnte, würde sie sicherlich sehen, wie er aus der Dusche kam. Vielleicht sogar mit nacktem Oberkörper. Himmel, sie würde ihm mit zerzausten Haaren und schlaftrunkenen Augen begegnen, nachdem er gerade aufgewacht war.
Schlechte Idee. Ganz, ganz schlechte Idee.
Kieran betrachtete sie, und sein Grinsen wurde breiter. »Ich weiß nicht, warum der Gedanke so abwegig ist. Ich habe ein Extrazimmer und auch einen Keller, wo du deine Sachen unterstellen kannst. Mach es. Dort kannst du Luft holen und dich in Ruhe sortieren.«
Ja, und sehenden Auges zu einem Masturbations-Junkie werden. »Du musst das nicht tun«, brachte Hazel hervor.
»Was muss er nicht tun?«, fragte Archer und stellte eine Kiste auf Kierans Kiste ab. Er hatte kurzes, modisch geschnittenes braunes Haar, das ihm eine weiche Note gab, doch seine dunkelblauen Augen blickten scharf und unbestechlich.
Elise strahlte, als er sie von hinten umarmte und auf den Hals küsste. »Hazel muss morgen aus dem Loft raus, weil sie einfach zu nett ist und immer an andere und nicht an sich selbst denkt. Kieran hat ihr sein Gästezimmer angeboten, bis sie ihre Sachen geregelt hat.«
»Ah«, sagte Archer, dann fragte er Hazel mit einem Lächeln. »Brauchst du Hilfe beim Umzug? Ich kann einige Männer aus meinem Sicherheitsteam vorbeischicken.«
So weit durfte es nicht kommen. In letzter Zeit konnte sich Hazel kaum noch zusammenreißen, wenn sie in Kierans Nähe war, und dabei sah sie ihn nicht einmal jeden Tag. Sie war nicht so selbstsicher wie Elise und Zoey und würde sich mit Sicherheit zu einer totalen Idiotin machen. »Ähm .«
»Ja, gute Idee«, sagte Kieran zu Archer, ohne Hazels leuchtend roten Wangen zu bemerken. »Ich bin mir sicher, ein paar Jungs von der Wache würden auch helfen. Wir packen deine Sachen zusammen und bringen sie zu mir.« Er zeigte auf die Wohnungstür. »Komm. Wir können dir ein paar Kisten besorgen, wenn du magst.«
Hazel blickte von Elise zu Archer und wieder zu Kieran, die sie alle erwartungsvoll ansahen. Sie hatte nicht wirklich die Wahl. Zurück zu ihren Eltern gehen, die auf allem, was sie tat, herumgehackt und ihr das Leben zur Hölle...