2. KAPITEL
Romano spürte Kellys Gegenwart, noch bevor er sie sah. Er wusste einfach, dass sie da war, obwohl sie kein Geräusch von sich gab. Als würde sie bei ihm irgendeine Art sechsten Sinn aktivieren, der nur auf sie ansprang. Wie zum Teufel machte sie das nur?
Als er sich langsam zu ihr umdrehte, stand sie in der Tür der Schlossküche und sah aus, als wäre sie am liebsten ganz weit weg. Anscheinend legte sie keinen großen Wert auf seine Gesellschaft.
Tja, da sind wir schon zwei, cara, dachte er grimmig, obwohl ihn das wilde Pochen seines Herzens Lügen strafte. Ihr weinrotes Kleid schmiegte sich eng um ihre üppigen Kurven. Der verblichene Stoff wirkte seltsam passend in dieser alten Umgebung, genauso wie der altmodische Farbton. An Kellys Ohren glitzerte es silbern, ihr Haar schimmerte feuerrot und die grünen Augen in ihrem herzförmigen Gesicht wirkten riesig.
Sie sah aus wie einem alten Gemälde entsprungen. Im Stillen verfluchte er sich für diese Assoziation, genauso wie für die Tatsache, dass ihm bei ihrem Anblick prompt wieder das Blut in die Lenden schoss.
Er zeigte auf den Tisch. "Du kannst dich dahin setzen", sagte er. "Das Essen ist gleich fertig."
Zögernd trat sie ein. "Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich lieber ein bisschen herumgehen. Ich saß vorhin stundenlang in diesem schrecklichen Wagen."
"Wie du willst." Romano zuckte die Achseln, doch seine Gleichgültigkeit war nur gespielt. Es machte ihm nämlich sehr wohl etwas aus, dass sie hier herumlief. Er wollte sie nicht in seiner Nähe haben, wollte weder ihre Körperwärme spüren noch den zarten Duft ihres Parfums einatmen. Er wollte, dass sie in sicherer Entfernung von ihm am Tisch saß, halb verborgen vor seinem Blick. Denn dieses Kleid .
Sein Hals wurde ganz trocken, als er versuchte, sich an ihren neuen Look zu gewöhnen. Die jugendliche Möchtegern-Femme-fatale in dem ultrakurzen hautengen Satinkleid war genauso verschwunden wie die ganz in Schwarz gekleidete Kunststudierende mit dem pink gefärbten Haar, den Springerstiefeln und dem Ring in der Nase. Dieser Look hatte ihm nie gefallen, und trotzdem hatte Kelly bei jedem Wiedersehen eine fast unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn ausgeübt.
Natürlich hatte er sich stets von ihr ferngehalten. Gott sei Dank war es ihm immer sehr leicht gefallen, seine Erregung in Abneigung zu verwandeln.
Als sie sich nach Jahren vor der dann gar nicht stattfindenden Hochzeit seiner Schwester wieder begegnet waren, hatte es wieder unglaublich zwischen ihnen geprickelt. Er konnte sich noch gut an ihre verstohlenen Blicke erinnern - verheißungsvolle, hungrige Blicke. Ihre roten Korkenzieherlocken hatten ihr bis zu den üppigen Brüsten gereicht. Er wusste noch genau, wie sehr er sich danach gesehnt hatte, Kellys Brüste zu umfassen, ihren Duft zu atmen und ihre aufgerichteten Spitzen zu lecken.
Wer weiß, was zwischen ihnen passiert wäre, wenn sie damals nicht mit Floriana weggelaufen wäre? Ob er wohl mit Kelly im Bett gelandet wäre? Romano lachte kurz auf. Schon möglich. Schließlich war auch er nur ein Mensch. Gerade noch mal davongekommen, dachte er grimmig.
Leider fühlte es sich nicht so an. Hätte er damals mit ihr geschlafen, wäre er jetzt wenigstens über sie hinweg. Immun gegen den Zauber, den sie auf ihn ausübte. Das war bei ihm nämlich immer so. Kaum hatte er eine Frau gehabt, langweilte sie ihn auch schon. Mit Sicherheit hätte er jetzt nicht dieses fast unwiderstehliche Verlangen, die Finger durch Kellys Locken gleiten zu lassen und ihre hübschen Lippen zu küssen.
Erst jetzt fielen ihm die dunklen Schatten unter ihren Augen auf. Anscheinend hatte sie in letzter Zeit nicht viel Schlaf bekommen. Machte sie immer noch so gern die Nacht zum Tag wie früher? War sie davon so erschöpft?
"Was willst du trinken?", fragte er sie heiser.
"Nur Wasser." Kopfschüttelnd erwiderte sie seinen skeptischen Blick. "Sieh mich nicht so überrascht an, Romano! Dachtest du etwa, ich würde jetzt eine Weinflasche auf ex austrinken?"
"Warum nicht? Schlechte Angewohnheiten sind manchmal schwer abzulegen", sagte er gedehnt. "So oft, wie du früher ausgegangen bist, hast du doch bestimmt öfter zu viel getrunken."
"Ach, das", erwiderte sie abwinkend. "Das ist schon so lange her, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann. Du brauchst mich übrigens nicht zu bedienen. Wenn du mir sagst, wo die Gläser stehen, hol ich mir selbst Wasser. Ich bin sehr unabhängig."
"Nein." Romano nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank und füllte ein Glas damit, bevor er es Kelly reichte. "Ich will nicht, dass du mir im Weg rumstehst."
"Kann ich mir vorstellen." Sie trank einen Schluck und stellte das Glas seufzend auf den Tisch. "Flo hat recht, du bist wirklich ein absoluter Kontrollfreak."
"Das kann ich nicht abstreiten."
"Wahrscheinlich fasst ein Mann wie du das sogar als Kompliment auf, oder?"
"Hast du etwa ein Problem damit, Kelly?", fragte er spöttisch. "Stehst du nur auf Männer, die du herumschubsen kannst? Die alles tun, was du willst? Jasager?"
Ihm fiel auf, dass sie sich verunsichert auf die Unterlippe biss. Hatte er vielleicht ins Schwarze getroffen, und sie stand tatsächlich auf unterwürfige Männer? Während er versuchte, schlau aus ihr zu werden, wurden seine sexuellen Fantasien immer lebhafter.
"Ich glaube, wir vergessen das hier", riss sie ihn aus seinen erotischen Gedanken. "Ich gehe besser wieder in mein Zimmer und lass dich in Ruhe."
Missbilligend sah Romano sie an. "Du warst den ganzen Tag unterwegs."
"Na und?"
"Du musst doch Hunger haben."
"Ich kann mir auch einfach ein Sandwich machen und es mit nach oben nehmen."
Angewidert verzog er das Gesicht. "Auf keinen Fall. Das ist hier nicht üblich."
"Warum? Zu vulgär? Oder hast du Angst, dass ich Ratten anlocke, wenn ich in meinem Zimmer krümele?"
"Willst du mich etwa schockieren, Kelly?"
"Das dürfte bei dir ja wohl kein Problem sein, oder, Romano?"
Ein widerstrebendes Lächeln umspielte seine Lippen. "Meinst du nicht, wir halten eine gemeinsame Mahlzeit durch, ohne uns gegenseitig umzubringen?"
"Möglicherweise", räumte sie widerstrebend ein.
Als er sich wieder zu dem großen altmodischen Herd umdrehte, wurde Kelly bewusst, dass ihr der Appetit gründlich vergangen war. Wie konnte sie auch an etwas so Banales wie Nahrungsaufnahme denken, wenn Romano vor ihren Augen in der Küche herumstolzierte und mit Töpfen hantierte wie ein sexy Zauberkünstler?
Der mächtige Tycoon schien sich in dieser häuslichen Umgebung erstaunlich wohlzufühlen. Er hatte sogar die großen cremeweißen Kerzen auf dem Tisch angezündet, was die Atmosphäre verstörend intim machte. Als seien sie ein Paar.
Aber wie wollte Kelly das überhaupt beurteilen? Sie hatte schließlich noch nie eine richtige Beziehung gehabt. Ob das wohl mit der negativen Einstellung ihrer Mutter Männern gegenüber zusammenhing? Hatte sie im Laufe der Jahre auf Kelly abgefärbt? Aber vielleicht war der wahre Grund für ihre mangelnde Beziehungserfahrung ja viel verstörender. Vielleicht gehörte sie zu jenen Menschen, die einfach nicht für die Liebe geschaffen waren.
Sie beobachtete, wie Romano einen Salat vorbereitete und Parmesan rieb, bevor er alles zusammen mit zwei dampfenden Tellern Pasta auf den Tisch stellte.
"Setz dich!"
Sie nahm ihm gegenüber Platz und betrachtete sein unergründliches Gesicht. Sag was! befahl sie sich und räusperte sich. "Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst."
Er hob die Augenbrauen. "Warum überrascht dich das so? Weil ich ein Mann bin? Findest du das nicht etwas sexistisch?"
Sie zuckte die Achseln. "Es passt einfach nicht zu dem, was ich über dich weiß."
"Und das wäre?"
Kelly wickelte ein paar Spaghetti mit der Gabel auf und schob sie sich in den Mund, bevor sie antwortete. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie hungrig sie war. "Dass du ein Mann bist, der sein ganzes Leben lang von vorn bis hinten bedient wurde."
Auf einmal wirkte sein Gesicht nicht mehr unergründlich, sondern verärgert. "So siehst du mich also, Kelly?", fragte er mit seidenweicher Stimme. "Als jemand, der mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde?"
"Ist es denn nicht so?"
"Meine Familie mag Geld haben, aber ich stehe schon sehr lange finanziell auf eigenen Beinen, weil ich von nichts und niemandem abhängig sein will. Und genau deshalb kann ich auch kochen. So, und jetzt iss", befahl er. "Du siehst aus, als könntest du eine warme Mahlzeit gut gebrauchen. Genauso wie etwas Schlaf, so dunkle Augenringe, wie du hast. Ich nehme an, du hast mal wieder wild gefeiert?"
Wenn er nur wüsste! "Ach, dann weißt du also Bescheid?", fragte sie mit gespielter Unschuld. "Woher? Von Floriana?"
"Nein. Ehrlich gesagt reden wir nie über dich, wenn wir telefonieren, was selten genug vorkommt."
Es wunderte Kelly nicht, dass sie bei den Telefonaten kein Gesprächsthema war. Warum sollte Romano sich auch für sie interessieren?
Jedem...