Schweitzer Fachinformationen
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Drei Bilder von Rostock hängen über meinem Schreibtisch: Eine Radierung, ein Öldruck und ein Photo.
Auf der Radierung sind die Häuser dicht an die Kirchen gedrückt. ROSTOCHIUM steht in den Wolken: ROSTOCHIUM URBS VANDALICA ET MEGAPOLITANA. Links und rechts daneben geflügelte Löwen mit Adlerschnäbeln: »Anno 1620«. Die Stadt liegt an einem Fluß, der Warnow, auf dem zahlreiche Segelschiffe ankern, Fischer fischen und sogar zwei Schwäne schwimmen.
Im Vordergrund des Bildes stehen Kaufleute. Sie tragen enganliegende Beinkleider und eine Halskrause unterm Knebelbart. Die Kaufleute weisen stumm auf ihre Stadt: Es sind böse Zeiten. Wegen der Teuerung hat man besondere Gesetze erlassen müssen, daß die Käufer den Bauern nicht entgegengehen zum Beispiel und vielleicht schon auf dem Feld das Korn aufkaufen. Erst auf dem Markt darf angeboten werden, in freier Konkurrenz.
Neben den Männern, die da stumm auf ihre Stadt zeigen, stehen die Frauen in ihren langen, mit Spitzen besetzten Kleiderpyramiden. Hohe geschlitzte Puffärmel tragen sie und aufgestellte Kragen: Fein ausgewalzter Roggenmehlteig in siedendes Fett geworfen, das ist sattmachend und billig in dieser Hungerszeit.
Von einem Hündchen verbellt, streben Landsknechte mit Trommeln und Spießen der Stadt zu. Sind es heimkehrende Wächter, oder ist es die Vorhut des unerwünschten Landesherrn? Oder sind es gar die so verhaßten Dänen? Lange Federn haben sie am Hut, und zwischen den Puffbeinen tragen sie einen Ledersack, der gar nicht groß genug ausfallen kann.
Rostock: eine Mauer ist wie ein Band um diese Stadt geschlungen, einmal rundherum; sie hält die Stadt zusammen.
Von dreiundzwanzig Toren ist die Mauer durchbrochen, kleinen Giebeltoren und großen Turmtoren, baufälligen und prächtigen: Durch diese Tore atmet die Stadt.
Sit intra te concordia et publica felicitas.
Das steht am Steintor, und das ist ein Wunsch, der wohl von Herzen kommt.
Wie alle Tore, so gibt sich auch das Steintor zur Stadtseite hin prächtig, zur Landseite ganz ohne Schmuck. Es ist mit Vortoren versehen und mit einem riesigen Zwinger. Abends lassen die Wachen krachend das Fallgatter herunter. Wer sich verspätet hat, muß im »Weißen Kreuz« Unterschlupf suchen oder auf den Wällen schlafen, wo ihn Eulen schrecken und verwilderte Hunde.
Zahlreiche Türme und Türmchen fügen sich in die Mauer oder hocken auf ihr. Sie dienen den verschiedensten Zwecken: Der Lagebuschturm dient dem Einkerkern von Übeltätern, in die Wand sind Ketten eingemauert, vier Schilling kostet das Einschließen und vier Schilling das Wiederausschließen, wenn es soweit ist. Der Vater darf kommen oder die Frau und Brot bringen oder Bier oder Stroh.
Der Blaue Turm dient zum Aufbewahren von Waffen, von Hellebarden der verschiedensten Machart, von Armbrusten und Morgensternen. Viertausend waffenfähige Männer gibt es in der Stadt.
Rostochienses Sunt velut enses Semper acuti Proelia poscunt Ensibus uti.
»Rostocks Bewohner sind wie die Schwerter allezeit schneidig. Sie verstehen zu kämpfen, und ihre Schwerter zu nutzen.« So wird das übersetzt.
Einer der Türme hat eine Windmühle auf dem flachen Dach, das ist die Wasserkunst, die für die Verteilung des Wassers sorgt, das insbesondere die Brauer dieser Stadt benötigen.
Vier große Kirchen sind zu zählen, neben anderen kleineren. In ihnen flackern Kerzen vor geschnitzten Altären. Diese Kerzen beleben durch ihr Schattenspiel die vergoldeten Märtyrer, denen Räder beigegeben sind, Gitter und Sägen: das Marterwerkzeug, dem sie standhielten. Beter knien vor ihnen, in jämmerlicher Klage: Warum gerade ich? Warum gerade ich? Und in der Tiefe der Halle, umschlossen von huschender Finsternis, ein hageres Weib: noch gibt es Hoffnung, noch ist nichts verloren.
Linker Hand die Petrikirche, die kleinste der Kirchen, mit dem höchsten, etwas windschief gebuckelten Turm. Er dient den Seeleuten, draußen auf der Ostsee, als Landmarke, wenn sie aus Reval kommen und Felle bringen oder aus Südkarelien Holz.
Buden und Katen hat St. Petri um sich versammelt. Frauen liegen in den Fenstern und sehen den Knaben zu, die sich da prügeln. Ein Hund hüpft die Stufen zur Kirche hinauf und pinkelt ans Portal. Die Menschen, die in den Buden wohnen, haben nicht einmal ein eigenes Bett. Und doch sind sie noch besser dran als jene, die in den Kellern hausen, ohne Licht und ohne Ofen.
Rechts neben St. Petri, etwas zurückliegend, das ist die Nikolaikirche mit dem silbernen Nikolaus im Oktogon, dem Schutzpatron der Fischer. Zu dem wird gebetet, wenn die Heringe ausbleiben oder die Makrelen. Dem wird gedankt, wenn der Mast brach und das Boot doch noch nach Hause fand.
Der hohe Turm ist eingestürzt nun schon zum zweitenmal; den Küster hat die Glocke erschlagen. Die Trümmer wurden nach Warnemünde geschafft für eine Befestigung gegen die Dänen, die immer keine Ruhe geben.
In der Mitte meines Bildes liegt die Marienkirche, ein Ungetüm mit gewaltigem Westwerk, groß genug, um drei Türme zu tragen, oben jedoch rasch und behelfsmäßig mit einem Helmchen abgeschlossen: Die Kraft reichte nicht, das Werk zu vollenden, die Ablaßeinkünfte versiegten und die Spenden auch.
Hauptanziehungspunkt für Fremde ist die große Muttergottes. Ihr Kopf ist hohl und mit Wasser gefüllt, in ihm schwimmen kleine Fische. Wenn die Fische sich bewegen, dringt Wasser aus den Augen der Mutter Maria, und der Beter meint, sie weine über seine Sünden.
Irgendwo in dieser Kirche liegt auch das Skelett eines Walfisches. Achtzehn Ellen lang, nicht minder bestaunt. Und hinten im Chor tickt eine astronomische Uhr, mit Sonnen-auf- und -untergängen: Ein hölzerner Mann (es ist Julius Cäsar) zeigt mit einem Stab das Datum an.
Allhier sieht man zu aller Frist, wie lang der Tag von Stunde ist.
Seit 1472 tut er es, und bis zum Jahre 2047 wird er es noch tun: wenn nichts dazwischenkommt. Oben über dem meterhohen Zifferblatt ziehen die zwölf Apostel auf einem Rundgang hintereinanderher, nach den Schlägen des Läutewerks: Nun danket alle Gott. Blaue und rote Gewänder tragen sie, die sind in Gold gefaßt. Der Judas kommt als letzter angeruckt, ihm knallt es die Paradiespforte vor die Nase: Nachts, wenn die Tauben, die sonst unter dem Gewölbe fliegen, oben auf der Uhr sitzen, und mittags, wenn Bürger davor stehen und den Verwandten vom Land zeigen, was das für ein Wunderwerk ist.
Weiter rechts auf meinem Bild ist noch die vornehme und ehrgeizige Jakobikirche zu sehen: Kastengestühl für die Bürger und bequeme Stehplätze für die unflätigen Studenten, die während der Predigt essen oder Karten spielen oder gar mit Pflaumen werfen. Sie hat englische Vorfahren, die Jakobikirche: die zwölf Pfeiler sind alle verschieden; wenn man genauer hinguckt, kann man das sehen: Dom sollte sie werden, aber den Priester, der das betrieb, hat der wütende Pöbel erschlagen. Einen Bischof wollten sie nicht in ihrer Stadt.
In den engen Gassen der Stadt stehen unzählige Giebelhäuser, prächtige und weniger prächtige, mit Durchfahrt zum Hof, wo Lagerschuppen sich befinden, für Nüsse, Wachs oder Salz und die Ställe mit den Pferden und dem Vieh. Acht Meter breit sind diese Giebelhäuser, und drei, manchmal vier Stockwerke hoch: eins wie das andere. Von Dreck verkrustete Schweine wühlen auf der Straße im Unrat. Abends müssen sie eingeschlossen werden, sonst fängt man sie weg.
Der Rüstwagen eines Puppenspielers kommt dahergerumpelt. Weil »betrübte Zeiten« sind, hat es Streit gegeben. Die Puppe Polichinello hat dem Tod den Hintern gezeigt, so hat es geheißen, und Unglück werde dadurch angelockt. Ferner hätten die jungen Leute im Dunkeln Ungebührliches betrieben, und das ist wohl der wahre Grund, weshalb man sie ausweist, die Puppenspieler.
Nicht nur die Zeiten sind schlecht, auch die Jugend ist es. Das ist ganz unbegreiflich.
»Jungens sollen sich nicht zusammen rottiren, Lärm und Getümmel machen, den Leuten, welche ihrer Wege fahren, mit schimpflichen Worten nicht nachrufen, weder mit Schneeballen noch mit Koth werfen«, so heißt es in einer Verordnung aus dem Jahre 1622. »Widrigenfalls sie ins Halseisen gestellt werden sollen.« Sie sollen auch das »Tumultuiren« und Geräuschtreiben in den Kirchen unterlassen.
Die Menschen, die in Rostock wohnen, sind Schiffsbauer, Gerber, Schuhmacher oder Bierbrauer. Sie heißen Kröger, Kramer oder Kröpelin. Der Zunftmeister der Böttcher heißt Holtfreter: Aus Eiche müssen die Fässer sein, darüber hat er zu wachen, dreieinhalb Tonnen sollen sie fassen, nicht mehr und vor allem nicht weniger.
»Hiering! Frischen Hiering un Dösch!« rufen die Fischfrauen auf dem Markt und heben die schuppenbedeckte Handwaage wie ein lebendiges Standbild der Gerechtigkeit, aber niemand kommt und kauft, weil das Geld so knapp geworden ist.
Nicht weit davon...
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