II.
Inhaltsverzeichnis Frau v. Dönhoff - die Dame der roten, mit Efeu bewachsenen Backsteinvilla in der Lessingallee, dicht am Tiergarten, war eine Blondine, nicht mehr in der ersten Jugend, von ihren intimen Bekannten die schöne Dora genannt.
Sie war mittelgroß, die schöne Dora, etwas üppig, kleine, zierliche Füße, kleine, zierliche Händchen mit spitzen Fingern, große strahlende Augen von herrlich leuchtendem, seltenem Blau - der berühmte Schriftsteller, der in ihrem Hause verkehrte, hatte die Farbe mit dem Blau des Gebirgsenzians verglichen - ein Paar reizender Grübchen, runde rote Lippen - ah, und Zähne - schneeweiß! Sie lachte immer und bei jeder Gelegenheit, das Lachen setzte ganz unvermittelt ein, sie lachte in Skalen und Trillern, ein Geklingel war ihr Lachen. Es riß mit fort. Und immer, schon im Bett am Morgen, hielt sie eine dicke Zigarette zwischen den spitzen Fingern und qualmte. Sie rauchte auch auf der Straße, während sie Butzi, einen belgischen Griffon, an die frische Luft brachte. Das war die schöne Dora.
Etwas umschwebte sie. Ein Glanz, ein Abglanz. Der Abglanz einer Freundschaft, die sie vor ihrer Heirat mit einer Königlichen Hoheit verbunden hatte. Dieser Abglanz war immer gegenwärtig. Hatte die Königliche Hoheit wirklich diese schlanken ringgeschmückten Finger an die Lippen gedrückt? Diese Grübchen bewundert, sich an diesem Lachen erfrischt, diesen weichen, verschwenderisch reichen blonden Haarschopf liebkost? Ruhten die Augen der Königlichen Hoheit auf diesen Schultern? Immer, immer war Dora von diesem Abglanz umschwebt. Die Sonne war untergegangen - aber der Glanz lag noch in der Luft.
Nunmehr war die Königliche Hoheit längst verheiratet, hatte drei Kinder.
Dora aber hatte - danach - einen Freund der Königlichen Hoheit geheiratet, den Hauptmann v. Dönhoff, einer der ersten Herrenreiter Deutschlands, professioneller Schürzenjäger und Spieler, der in kürzester Zeit zwei Vermögen durchbrachte, auch Doras Vermögen. Eines Tages stand sie ohne einen Pfennig da - vis-à-vis de rien!
Mit einem Wort: dieser Hauptmann Dönhoff entpuppte sich als ein Lump ersten Ranges, er betrog Dora schon am Hochzeitstage, so unglaublich es klingt, und sie gab ihm nach kurzer Zeit den Laufpaß. Schon vor dem Kriege trennte sie sich von ihm. Gegenwärtig lebte sie in Scheidung - oder war sie schon geschieden? Niemand wußte es, der Krieg hatte das Interesse an den armseligen privaten Schicksalen in den Hintergrund gedrängt.
Der Herrenreiter und Spieler war Artillerist und lebte gegenwärtig bei seiner Batterie im Westen - irgendwo. Er ergraute bei seinen Kanonen, in den Waldschluchten des Argonner Waldes oder in den Kalkhügeln der Lausechampagne, sein Gesicht wurde gelb, pergamenten. Die Welt hatte ihn vergessen, seine Damen - nur die Gegenwart hat Macht. Ein einziges Mal war er während des Krieges in Berlin aufgetaucht, ohne Dora zu besuchen, es gab sofort wieder Skandal, eine Dame, ein Offizier - immer die gleiche Geschichte. Und er ergraute weiter bei seinen Kanonen. Seine Schläfen waren schon ganz weiß. Zuweilen schrieb Dora an ihn, zuweilen kam auch ein Brief aus dem Felde, und Petersen, der Diener, zeigte ihn Frida, der Zofe, und flüsterte: "Von ihm!"
Also, das war Dora und ihre Lebensgeschichte, in flüchtigen Linien natürlich nur, und heute hatte sie die Grippe.
Doras Haus war eine alte Villa, verbaut und immer wieder umgebaut, mit Sälen und Zimmern, Nischen, Erkern, Korridoren, großen und kleinen Treppen und Treppchen. Niemand, der nicht hier lange verkehrte, fand sich zurecht. Dora hatte das ganze Haus in ein Teppichmagazin verwandelt. Es gab keinen Quadratmeter, der nicht mit einem Teppich belegt war. Es gab im Dönhoffschen Hause sogar etwas, was es nur selten in Berlin gab, nämlich einen Raum, der ein vollkommenes Zelt war. Eine Art arabisches Zelt, ganz aus Teppichen ausgebaut. Infolge der vielen Teppiche roch es im Dönhoffschen Hause eigentümlich nach Staub. Dazu hatte Dora das ganze Haus mit antiken Möbeln vollgestopft, Möbeln aller Stilarten, mit Säulen aus Kirchen und grellbemalten oder vergoldeten Heiligenfiguren. Alle Tische, Kommoden und Gesimse waren mit kleinen Kostbarkeiten aller Art, mit Leuchtern, Schnitzereien, Waffen, Miniaturen, Dosen derartig übersät, daß es unmöglich war, auch nur ein Paar Handschuhe abzulegen, ohne irgendeine Kostbarkeit in Gefahr zu bringen. Es war unmöglich, alle diese Dosen, Schnitzereien, Waffen und Heiligen abzustauben. Und so sammelte sich immer mehr Staub an. An das arabische Zelt stieß das Speisezimmer, ein riesiger Raum mit einer Empore, zu der eine steile Rokokotreppe, gelb und rot bemalt, emporführte. Dieser Raum war zurzeit schwer heizbar und beständig strömte ein kalter Luftzug in das arabische Zelt hinein. Doras Haus hatte aber noch eine Eigentümlichkeit: das waren die Lampen. Es gab kein Haus in ganz Berlin, das so viele Beleuchtungskörper aufwies. Blaue, grüne, gelbe, rote Ampeln, alle von ganz besonders erlesener Färbung, Kronleuchter mit Dutzenden von Flammen, schwere Messingkronen mit halb heruntergebrannten dicken Wachskerzen. Das arabische Zelt selbst wurde durch eine polnische Synagogenampel beleuchtet. Es war ein opalisierendes, bläuliches Licht, der Farbe von Zigarettenrauch ähnlich. In der Ecke des arabischen Zeltes aber stand noch eine riesige purpurrote Lampe, die auf eine vergoldete Barocksäule aus irgendeiner Kirche montiert war. Neben dieser roten Lampe saß gewöhnlich Dora, sie strahlte dann wie glühender Alabaster, während die andern wie Leichen aussahen. Sie verstand ihre Sache.
Zwischen diesen Teppichen und Lampen, sonderbaren Heiligen und tausenderlei Krimskrams bewegte sich Dora, mit ihrem blonden Haarschopf, ihren Grübchen und dem Glanz, der sie umschwebte. Niemand hatte Dora jemals in schlechter Laune gesehen. Ihr Benehmen war immer gleich. Jedermann fühlte sich wohl bei ihr.
Nicht zu vergessen auch Doras Badezimmer, eine Sehenswürdigkeit - ein richtiges Treibhaus.
Sobald der General die rote Backsteinvilla betrat, kam das Steingesicht in Erschütterung.
Der General gehörte zu den Intimen des Hauses. Zweimal in der Woche, Dienstag und Freitag, pflegte er bei Dora zu Abend zu speisen. Ohne andere Gäste.
Der Stein verwitterte im Lichte der Garderobenampel, er verwandelte sich in Haut, in die Haut eines Menschen, der ewig von Zimmerluft umgeben ist, und der - vielleicht, nur eine Vermutung - an beginnender Sklerose der Arterien leidet. Die starre Leblosigkeit des Gesichts löste sich. Es zeigte sich sogar, seht an, eine Spur von Farbe auf den breiten Wangen, ein rötliches Violett, von feinem Geäder herrührend. Die ernsten Gedanken, die den General einhüllten, zerflatterten, der etwas massige, schwerbewegliche Körper schien elastisch und verjüngt.
Es scheint ja nicht so schlimm zu sein, mit der Grippe, dachte er, als Doras Lachen in die Garderobe drang.
Die geschliffenen Linsen der Feldherrnaugen ruhten sogar einen Augenblick leutselig auf dem Diener. Etwas Außergewöhnliches, denn der General pflegte seine Mitmenschen nie anzusehen. - Dann widmeten sie sich mit rein menschlichem Interesse dem Studium einiger Gummischuhe, die in der Garderobe standen.
"Sind auch - Damen hier, Petersen -?"
"Frau Major Sterne-Dönhoff mit Töchtern."
Nichts haßte der General mehr als Ansammlungen von Menschen, mochten sie groß oder klein sein; nichts fürchtete er mehr als Überraschungen - es war ja möglich, daß man ihm, ohne jede Vorbereitung, ixbeliebige Menschen präsentierte, wie es ihm schon passiert war. So neulich bei einem Militärattaché, wo unerwartet der Redakteur einer sehr linksstehenden liberalen Tageszeitung auftauchte, ganz zu schweigen von jenem Herrenabend bei Exzellenz v. Krämer, wo ein sehr orientalisch aussehender Chirurg anwesend war, eine Berühmtheit, getauft - aber trotzdem. Er wünschte zu wissen, wer anwesend sein würde - bei Dora allerdings, wo er zweimal in der Woche zu Abend speiste - machte er eine Ausnahme. Er kannte Doras Kreis, nahezu wenigstens, und nur zuweilen traf er hier irgendeinen Maler oder Schriftsteller, auf deren Bekanntschaft er allerdings wenig Wert legte, um offen zu sein. Das war indessen nicht zu ändern: Dora selbst war eine Art Künstlernatur.
Der General strich den grauen Scheitel mit der Bürste zurecht, glättete den dünnen grauen Schnurrbart, prüfte die Hände . . .
Der General war das Bild der Akkuratesse selbst. Alles leuchtete und glänzte an ihm, die Stiefel, die roten Streifen der Hosen, die Ordensauszeichnungen, die langen polierten Fingernägel - nur die Haut des Gesichts war, wie gesagt, stumpf, von der Zimmerluft beschlagen. So, genau so hatte er ausgesehen, als er sich in Polen mit den Russen schlug - in Frankreich, wo er in einem Chateau wohnte, war es ja schließlich kein Kunststück. Er hatte sofort ein Bad einbauen lassen, das war das erste gewesen, die Wanne wurde mit dem Auto aus Frankfurt geholt.
Ohne jede Übertreibung, der General war noch heute eine stattliche Erscheinung.
Auch einige Offiziersmützen, drei im ganzen, hingen da. Er erkannte die Seidenmütze seines Sohnes Otto, die eine ganz besondere Form hatte. Offenbar machte er seinen Abschiedsbesuch; er mußte morgen wieder ins Feld. Falten erschienen auf der breiten Stirn des Generals, verschwanden aber sofort wieder. Er liebte es nicht, Otto oder Ruth, seine Tochter, in Gesellschaft zu treffen. Er kam sich beobachtet vor, sie störten, mit einem Wort.
"Die Herrschaften sind im Zelt, Herr General."
"Schön" - aber der General hielt den Schritt an und zog die Brauen in die...