Schweitzer Fachinformationen
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»Hallo!«, rief er in die Dunkelheit.
Keine Antwort.
Der Privatdetektiv trat in den Hof hinaus. Regentropfen fielen auf seine Brillengläser und seine kurz geschorenen Haare. Schon nach wenigen Sekunden lief ihm das Wasser die Stirn hinunter ins Gesicht. Er wischte es mit der linken Hand fort. Doch die nächsten Regentropfen landeten auf den Gläsern. Dann knipste Sandmann die Taschenlampe in seinem Smartphone an und leuchtete in Richtung der Mülltonnen. Das Deckenbündel regte sich nicht. Also näherte er sich einige Schritte, die Lampe fest auf den Obdachlosen gerichtet.
»Hey!«, versuchte er es erneut. Jetzt bewegten sich die Decken, der haarige, ausgezehrte Kopf schaute blinzelnd in das grelle Licht.
»Aus!«, krächzte er.
Marius senkte den Lichtstrahl auf den Boden. Der Obdachlose fiel zurück und rollte sich wieder zusammen. Kein weiteres Wort. Erneut richtete Marius die Lampe auf ihn.
»Du kannst im Keller schlafen. Da unten ist es trockener als hier draußen. Und wärmer. Die Tür ist auf.«
Dass Marius dann nicht mehr das Gefühl haben würde, der Obdachlose könnte ihn beobachten, möglicherweise doch irgendwie durch die vergitterten Fenster in die Wohnung eindringen oder Vorbild sein für jemanden, der gefährlichere Absichten hegte, ließ er unerwähnt.
Eine kurze Bewegung in den Decken. Dann wieder Stille.
Unschlüssig stand Marius in der Mitte des kleinen Innenhofs. »An deiner Stelle würde ich runtergehen«, sagte er schließlich und drehte sich um. An der Tür blickte er noch einmal zurück. Das Bündel hatte sich nicht gerührt. »Ich lass die Tür ein paar Minuten auf und mach' sie später zu.«
Keine Antwort. Marius ging ins Haus zurück. Von innen beobachtete er den Hof eine Weile mit dem Nachtsichtgerät. Der Obdachlose regte sich nicht, lag weiter in dem stärker werdenden Regen, unter den sich immer mehr Schneeflocken mischten. Nach einem Kontrollgang durch die Wohnung, bei dem der Privatdetektiv Fenster und Türen überprüfte, legte er sich schlafen. Als er einige Stunden später erwachte und als Erstes das Nachtsichtgerät aufsetze, waren die Decken im Hof verschwunden. Er schlich hinaus und schloss die Tür ab.
*
In den nächsten Tagen gewöhnte sich Marius Sandmann an, abends nach Einbruch der Dunkelheit die Hoftür abzuschließen und dafür die Kellertür offen zu lassen. Der Obdachlose akzeptierte dieses Arrangement. Als Marius am ersten Tag in den Keller hinunter gegangen war, hatte er seine Decken und seine Bilderrolle säuberlich aufgestapelt unter der Kellertreppe gefunden. Von dem Mann selbst fehlte jede Spur. Der Detektiv sah ihn nicht, er hörte ihn nicht. Er war erleichtert, dass sich niemand mehr im Hof herumtrieb, ihn beobachten konnte und gemahnte, dass die Fenster im Erdgeschoss die Schwachstelle seines Sicherheitskonzeptes waren, auch wenn sein Vermieter zugestimmt hatte, als der Privatdetektiv sie auf eigene Kosten vergittern ließ. Nur die Zeichnung an der Wand erinnerte noch daran, dass hier jemand sein Lager aufgeschlagen hatte. Der Detektiv hatte sie mit dem Smartphone abfotografiert. Eigentlich wollte er das Bild danach überstreichen, brachte es aber nicht fertig. Stattdessen schob er eine Regentonne davor, die ein Mieter aus dem dritten Stock einmal im Hof aufgestellt hatte.
Ein beißender Geruch weckte ihn. Es brauchte einige Sekunden, ehe er ihn einordnen konnte. Zunächst dachte er, er hätte irgendetwas auf dem Herd vergessen. Rasch sprang er aus dem Bett und lief auf nackten Füßen die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Im Trainingsraum sah er die ersten dünnen Rauchschwaden, die ebenso träge wie bedrohlich am Boden entlangzogen und sich unter den Hanteln zu sammeln schienen.
Er rannte weiter. Im Flur wurden die Schwaden auf dem Boden dichter. Sie krochen unter der Tür hindurch, erste kleine dunkelgraue Fäden zwangen sich bereits seitlich an der Tür vorbei. Als er sie aufriss, blickte er in eine grauschwarze Nebelwand. Er hörte das Knacken und Knistern eines Feuers. Wo er die Kellertür im Nebel vermutete, sah er ein fahles Glimmen im grauen Rauch.
Erste kleine Flämmchen züngelten schon am hölzernen Treppengeländer. Wenn er sich nicht beeilte, würde das Feuer auf das Erdgeschoss übergreifen.
Wo steckte der Obdachlose? Lag er unten? Dann brauchte er Hilfe! Wenn sie nicht schon zu spät kam. Eilig stürmte der Detektiv zurück in die Wohnung, zog die klamme Decke aus der Waschmaschine und feuchtete sie in der Dusche zusätzlich an. Anschließend riss er ein Handtuch von der Heizung, hielt es ebenfalls unter den Wasserhahn und band es sich vor Mund und Nase. Im Flur griff er sein Handy, wählte die 112. Mit der freien Hand zog er die Gesichtsmaske kurz herunter und gab in knappen Worten seine Adresse durch.
Die Decke vor sich haltend, lief er die Kellertreppe hinab. Vom Absatz der vorletzten Stufe meinte er eine Gestalt in den Flammen ausmachen zu können. Hilflos schlug Marius mit der Decke nach den Flammen. Wütend zuckten sie kurz zurück, um danach nur noch heftiger nach ihm zu greifen. Schon bald bot die Decke keinen ausreichenden Schutz mehr. Es war aussichtslos! Das Feuer war bereits zu groß, die Flammen füllten die gesamte Höhe des Raumes aus. Mit seiner albernen, feuchten Decke konnte er nichts ausrichten. Irgendwo, das wusste er, hing im Keller ein Feuerlöscher. Es dauerte einen Augenblick, dann sah er hin. An der hinteren Wand, durch die Flammen davor grell orange beleuchtet. Hinter sich hörte er Schritte und Stimmen. Er hoffte auf Hilfe, vielleicht sogar Rettung für den Obdachlosen, dessen schwarzer Körper unerreichbar für Marius in der hinteren Ecke des Ganges lag.
Nachbarn standen mit verschrecktem Blick an der Tür. Sie sahen auf die Flammen und auf den Detektiv, der nur mit einer Jogginghose bekleidet, versuchte, die Flammen mit seiner Decke zu löschen. Keiner rührte sich.
Marius hörte, wie die Haustür aufgerissen wurde, hörte die schweren Schritte der Feuerwehrleute, denen er notgedrungen den Kampf mit den Flammen überließ. Erschöpft ließ er sie an sich vorbei. Ein Nachbar blickte ihn misstrauisch an.
»Haben Sie das Feuer gelegt?«
Die Feuerwehrleute brauchten kaum zehn Minuten, um das Feuer unter Kontrolle zu bringen und weitere zwanzig, um letzte kleine Brandherde zu löschen. Marius stand mit den anderen Bewohnern des Hauses draußen auf der Straße, eine Decke gegen die Kälte um die Schultern gelegt. Niemand sprach mit ihm und er sprach mit niemandem. Als die ersten Feuerwehrmänner auf die Straße zurückkamen, ging Marius ins Haus.
Der Geruch verbrannten Holzes und verschmorter Kabel mischte sich unter den noch vorhandenen Gestank des Qualms und den Geruch von Feuchtigkeit und Löschwasser. Zwei Feuerwehrleute standen vor der Kellertür und versiegelten sie mit einem Absperrband. Marius sprach einen von ihnen an.
»Dort unten war jemand, oder?«
Der Mann nickte. »Ja, da war jemand. Haben Sie versucht, ihn zu retten?«
»Ich konnte nichts tun.«
Marius blickte an dem Feuerwehrmann vorbei hinunter in den Keller. Würde der Obdachlose noch leben, hätte Marius ihn nicht dort unten schlafen lassen?
»Der arme Kerl steckte da hinten richtig in der Falle. Keine Chance, wenn Sie mich fragen. Kannten Sie ihn? Ich nehme an, es war ein Obdachloser, der sich hier einquartiert hat.«
»Passiert so etwas öfter? Dass sich Leute in fremden Häusern oder Kellern einquartieren?«
»Im Winter gelegentlich. Den meisten ist das zu riskant. Sie kriegen ja doch nur Ärger, wenn sie erwischt werden.«
Nicht alle, dachte der Detektiv. Manche bekommen Hilfe bis in den Tod.
Der Feuerwehrmann musterte ihn prüfend. »Ich kenne Sie«, sagte er schließlich.
Marius musterte den Mann. Er war groß, unter dem Helm trug er kaum zu sehende, kurze schwarze Haare, einen Schnauzbart im kantigen Gesicht, das in ihm keine Erinnerungen auslöste.
»Woher? Ich kann mich leider gar nicht an Sie erinnern. Tut mir leid.«
Der Feuerwehrmann lachte. »Das glaube ich Ihnen gerne! Als ich Sie das letzte Mal gesehen hatte, wirkten Sie um einiges lädierter als heute. Damals hatten Sie gerade eine Tür in die Fresse bekommen.«
Jetzt dämmerte es Marius. Vor einigen Jahren, als er einen Bombenanschlag auf eine Karnevalskneipe untersucht hatte, hatte jemand versucht, sein altes Büro und ihn in die Luft zu sprengen. Er erinnerte sich, dass er die Tür aufgeschlossen hatte, einen Blitz sah, einen Knall hörte.
»Sie waren damals dabei?«
Der Feuerwehrmann nickte. »Sie scheinen Brände und Bomben ja geradezu anzuziehen. Galt das Feuer Ihnen?«
»Ich denke nicht.«
»Wohnen Sie da?«, fragte der Feuerwehrmann und deutete auf die Wohnungstür. Der Detektiv nickte.
»Okay, hätte es Ihnen gegolten, hätte sich der Brandstifter sicher einen anderen Ort gesucht. Nicht den Keller. Haben Sie Fenster zum Hof?«
»Ja.«
»Dann könnte man Ihnen einen Molotowcocktail durch die Scheibe schmeißen.«
»Die Fenster sind vergittert.« Der Feuerwehrmann schaute ihn kurz irritiert an. »Erdgeschosswohnung. Da sollte man ein bisschen vorsichtiger sein.«
»Das hätte man dem Kerl da unten sagen sollen. Armes Schwein!«
Damit ließ der Feuerwehrmann den Detektiv stehen und folgte seinen Kollegen, die draußen bereits zusammenpackten. Das rotierende blaue Licht fiel in den Flur und verschwand, als Marius die Haustür hinter sich schloss. Er...
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