Schweitzer Fachinformationen
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Draußen, im hellen Sonnenlicht, flog die Welt im Eiltempo vorüber. Gesine bemühte sich, die vorbeirauschenden Landschaftsbilder einzufangen und festzuhalten, was ihr nur für sekundenkurze Bruchteile gelang. Entlang der Bahnlinie fokussierte sie hauptsächlich Gebüsch, das kurz auftauchte und wieder verschwand. Dahinter reihten sich weitläufige Pferdekoppeln an norddeutsche Bauerngehöfte aus rotbraunem Klinker, Baumreihen verdichteten sich zu Laubwäldchen, deren Blätter sich sanft zu färben begannen.
Sie war allein im Abteil des IC nach Köln.
In Norddeich Mole war sie in den Zug eingestiegen, nachdem sie mit der Fähre von ihrer Heimatinsel Juist übergesetzt war. Noch immer hallten die Klänge des Akkordeonstücks Biscaya in ihren Ohren, mit dem die Feriengäste von der Insel verabschiedet werden. Eine Melodie, in die die Schwingungen des Meeres und der Klang der Wellen eingefangen sind, die wie keine andere Sehnsucht ausdrückt, wie sie fand. Sehnsucht nach dem Anderswo, der Ferne, dem Ich-weiß-nicht-was.
Nun war Gesine der Sehnsucht gefolgt, aber was sie an ihrem Ziel erwartete, konnte sie nicht so recht einschätzen.
Auf ihrem Schoß lag eine Zeitschrift, in die sie bis jetzt noch nicht hineingeschaut hatte. Den Titel schmückte eine verträumt aussehende, junge weibliche Schönheit mit flatterndem Haar. »Wie Sie die Liebe Ihres Lebens finden«, lautete einer der Leitartikel, der ihr ins Auge gesprungen war und sie zum Kauf animierte. Dabei hatte sie bereits die Liebe ihres Lebens gefunden .
Zu Hause auf Juist war sie sich dessen sicher gewesen. Die letzten Tage vor der Abreise waren ihr schier unerträglich geworden, auf fast schmerzhafte Weise verlangten ihr Körper und ihre Seele danach, so schnell wie möglich bei ihrem Liebsten zu sein, ihn zu spüren, sich seiner Gegenwart zu vergewissern. Doch je weiter sie sich aus ihren vertrauten Sphären entfernte, umso unsicherer wurde sie.
Wie Leonhard sie wohl in seinem Heimatort aufnehmen würde? Ob er ihr in Gegenwart seiner Eltern zurückhaltender begegnen würde als auf Juist, wo sie über weite Strecken vollkommen allein und unbeobachtet miteinander Zeit verbringen konnten? Eine Urlaubssituation war nun einmal ein vollkommen anderer Zustand als der tägliche Alltagstrott, bei dem die Arbeit im Vordergrund stand.
Wie würden seine Eltern auf sie reagieren? Charlotte und Rudolf Freyung kannte sie nur aus Leonhards Erzählungen und aus ein paar gemailten Familienfotos. Wiederholt hatte Leonhard Gesine versichert, dass alle sich auf ihren Besuch freuten: Er, seine Eltern, seine Schwester Franzi und selbstverständlich auch die Großeltern, die in einer separaten Wohnung auf dem Weingut lebten. Alle ließen Grüße bestellen.
Gesine versuchte, den Kloß, den sie immer deutlicher in ihrem Hals spürte, hinunterzuschlucken. Immer konkreter bildete sich eine einzige bange Frage in ihrem Kopf, die vollkommen von ihrem Denken Besitz nahm: Was, wenn ich die Erwartungshaltung nicht erfüllen kann, weder die von Leonhard selbst noch die von seinen Eltern? Dazu gesellte sich die Befürchtung: Was, wenn alles ganz anders ist, als ich mir das vorstelle?
Die Tür ging auf, eine freundliche Schaffnerin wollte ihre Fahrkarte sehen. Dann wurde die Tür wieder zugeschoben.
Gesine sah auf die Uhr. Etwa ein Drittel des Weges lag jetzt hinter ihr.
Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und dachte daran, wie sie Leonhard kennengelernt hatte. Er war nach Juist gekommen, wo er mit seinem Weinsortiment einen neuen Kundenkreis gewinnen wollte. Den dortigen Hoteliers stellte er die Weine des familienbetriebenen Weinguts am Mittelrhein vor, so auch Gesines Eltern, die auf der Insel ein kleines Hotel betrieben. Die Nordseeinsel mit ihren Tausenden Touristen pro Sommer betrachtete er als eine lukrative Region, zusammen mit den Nachbarinseln Norderney und Borkum, die er ebenfalls besuchte.
Sein souveränes und selbstbewusstes Auftreten hatte ihr von Anfang an imponiert. Er machte deutlich, dass er dem Trend entgegen wirken wolle, Billigweine aus dem Discounter zu kaufen, die mit ihren Dumping-Wettbewerben die Preisspirale immer weiter nach unten trieben. Das sei Massenware, an der so lange herummanipuliert werde, bis sie einigermaßen schmecke. Er dagegen setze auf Qualität, auf ein Know-how, das auf eine lange Tradition zurückblicken konnte und das es stetig weiter zu entwickeln galt.
»Besonders in Zeiten von Genmanipulation und Food Design ist die authentische Kunst des Winzers gefragt, die die Komplexität des Weins herausarbeitet. Wir achten darauf, der Eigendynamik der natürlichen Reifeprozesse genügend Raum zu lassen«, hatte er erklärt. »Das nennen wir >Terroir<. Ein Begriff, der sich auf den besonderen Charakter des Weines bezieht. Wenn der Winzer dem Wein seine Eigenheiten lässt, kann man seine Herkunft schmecken. Insofern kann man sagen, dass der Wein ein geschmackliches Spiegelbild der Region ist, in der er gewachsen ist.«
Bei der Präsentation seiner Weine gab Leonhard kurzweilige Geschichten zum Besten. Er erzählte von den Römern, die einst die Trauben an den Rhein brachten, ein seit jeher begehrtes Handelsgut. Auf humorige Weise berichtete er davon, dass Wein schon immer als ein Getränk der Götter angesehen wurde, und dass kein anderes Getränk so oft in der Bibel erwähnt worden sei.
»Wein ist ein Kulturgut und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Das erkennen Sie beispielsweise auch an der Tatsache, dass noch heute in den Kirchen Messwein ausgeschenkt wird, allerdings nicht immer die beste Qualität, wie ich einräumen muss. Jedoch ist die stärkende und heilende Wirkung des Weins unbestritten, und dies schon seit der Antike. In Wein getauchtes Brot galt als gutes Frühstück, und die Ärzte empfahlen zur Erhaltung der Gesundheit mindestens zweimal im Monat einen ordentlichen Rausch. Nicht die schlechteste Empfehlung«, wie er schmunzelnd erklärte. Einer neueren Studie zufolge könnten Weintrinker klarer denken. Dies hätten sogenannte Kognitionstests bewiesen, bei denen Weintrinker deutlich besser abschnitten als diejenigen, die Schnaps oder Bier oder auch gar keinen Alkohol tranken.
Seine Ausführungen, die nie todernst, sondern immer von einem Quäntchen Humor begleitet waren, fesselten die Zuhörer wesentlich mehr als die trickreichen Wortspiele von der eleganten Frische und vom harmonischen Abgang oder sonstigen blumigen Beschreibungen, wie sie üblicherweise von Vertretern seines Gewerbes zum Besten gegeben wurden. Beurteilungen, die Gesine nie hatte nachvollziehen können und die ihrer Meinung nach mehr Illusionen vorgaukelten, als tatsächlich aus den Weinen herauszuschmecken war.
Er schenkte einen Riesling ein - den besten des Weinguts Freyung, wie er betonte - und hob sein Glas hoch. »Wein genießt man mit allen Sinnen«, sagte er. »Man kann ihn sehen«, er schwenkte das Glas auf Augenhöhe. »Man kann ihn riechen und schmecken. Nur hören kann man ihn nicht. Das ist der Grund, weshalb man miteinander anstößt. Prost.«
Alle hatten ein Lächeln auf den Lippen, als die Gläser klangen.
Nicht nur Gesine, auch ihr Vater war sichtlich beeindruckt von Leonhards Präsentation und natürlich auch vom Geschmack der Rheinweine, sodass er mehrere Kisten des Weinguts Freyung aus Leutesdorf orderte.
Von diesem Ort hatte Gesine noch nie gehört, obwohl er, wie Leonhard sagte, das älteste und größte Weindorf im unteren Mittelrheintal sei. Der Bildband, den er ihrer Familie vorlegte, zeigte eine verträumte Ortschaft direkt am Ufer des Rheins gelegen, umgeben von steil ansteigenden Rebenhängen, die zum Rheinischen Schiefergebirge gehörten. Alles wirkte anheimelnd und einladend. Schmale Fachwerkhäuschen schmiegten sich aneinander, umgeben von efeubewachsenen Gartenmauern aus Bruchstein, es gab ein altes Kloster, und das Weingut Freyung, eines der ältesten Weingüter in Leutesdorf, war ebenfalls abgebildet.
Später, als alle noch ein wenig beisammensaßen, hatte Gesine an seinen Lippen gehangen. Er berichtete von seinem Heimatort, in dessen Kirche eine Stumm-Orgel stand, ein sehr wertvolles Instrument aus der Barockzeit. Seine Großmutter, die in früheren Jahren Organistin gewesen sei, habe dieses Instrument mit Leidenschaft bespielt, aber diese Zeiten seien natürlich vorbei. Inzwischen sei sie hauptsächlich mit der Pflege des kränkelnden Großvaters beschäftigt.
»In unserer Familie sind eigentlich alle musikalisch. Mein Vater hat in seiner Jugend in einer Band gespielt. Meine Schwester spielt Saxophon, nur ich habe von diesen Genen nichts abbekommen«, hatte Leonhard lachend erklärt. »Als ich anfing, auf einer Blockflöte herumzutröten, hat sich der Lehrer die Ohren zugehalten. Das war's dann für mich mit der Musik.«
Wenn er von seiner rheinischen Heimat erzählte und von seiner Familie, konnte Gesine die Verbundenheit spüren, sein Zugehörigkeitsgefühl zu diesem Stück Erde und auch die Begeisterung für den Winzerberuf.
Sie hatte durchaus gemerkt, dass er während seines Vortrags öfter ihren Blick gesucht hatte, was sich bei dem geselligen Beisammensein danach verstärkte. Sie fand ihn gut aussehend mit seinen kurz geschnittenen braunen Haaren und den hellbraunen Augen. Auch hatte ihr sein Lächeln gefallen, bei dem er eine Reihe gerader, gepflegter Zähne zeigte.
Gesine war immer neugieriger geworden. Auf den Wein, aber noch mehr auf den charmanten jungen Mann, der ihr geduldig die Unterschiede zwischen Riesling und Grauburgunder erklärte, während sie mit jedem Glas, das sie kostete, ein wenig mehr in Weinseligkeitslaune kam....
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