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Masar-e Scharif, Afghanistan Januar 2018
»>Achte immer auf die Hände, denn es sind Hände, die töten.<
Diesen Satz hat man uns eingeschärft. In diesem Land muss man immer damit rechnen, irgendwelchen Verrückten zu begegnen, denen nichts heilig ist, auch wenn sie sich ständig auf Allah berufen. Stets eine Waffe bei sich zu tragen, ist hier lebensnotwendig. Der Feind kann sich praktisch hinter jeder Wegbiegung verstecken und dort lauern. Dann gute Nacht, Marie.«
Der Mann, der am Rand seines Krankenbettes sitzt, macht eine wegwerfende Handbewegung. Er trägt einen Kopfverband. Um ihn herum stehen Kameraleute, jemand hält ihm ein Mikrofon entgegen. Man bedeutet ihm, weiterzusprechen.
»Klar sind wir wachsam. Doch was nützt alle Wachsamkeit, wenn wir dieses Land von Grund auf nicht verstehen, frag ich Sie. Die Bewohner, also die Menschen, die hier leben, sind uns dermaßen fremd. Die handeln nach anderen Gesetzen, haben andere Wertvorstellungen, überhaupt vollkommen andere Auffassungen als wir. Ist ja auch nicht weiter verwunderlich. Die sind ja in einer völlig anderen Kultur aufgewachsen. Das tragen die natürlich mit sich rum. Das streift man nicht so einfach ab.« Er hält einen Moment inne. Dann fährt er fort.
»Eigentlich sollten wir ja längst zu Hause sein. Doch wie Sie sehen, sind wir immer noch hier. Also, mit >wir< meine ich die Bundeswehr. Aber unsere Politiker haben offenbar immer noch nicht kapiert, was eigentlich abläuft. Wie oft hab ich mich schon gefragt, ob die wirklich nicht merken, dass wir Deutschen an diesem Ort überhaupt keinen Einfluss haben. Das Sagen haben ganz andere. Dass wir verloren haben, ist für jeden, der sich in Afghanistan aufhält, offenkundig - nur nicht für die Politiker, die uns hierher geschickt haben.«
Der Soldat schluckt heftig, seine Gestik ist ausschweifend, er ist sichtlich erregt. »Es nützt doch alles nichts: Wir müssen endlich zugeben, dass wir die Welt nicht retten können. Nicht diese Welt, die wir so gar nicht verstehen. Aber unsere Verteidigungsministerin versprüht ungebrochen Optimismus. Obwohl jedem klar sein müsste, dass die Sicherheitslage immer schlechter wird und alles vollkommen unübersichtlich ist. Hier gibt es doch schon längst keine erkennbare Ordnung mehr.« Resigniert schüttelt er den Kopf. »Ganz am Anfang unseres Einmarsches, da war man der absoluten Überzeugung, dass dieser Einsatz nicht lang dauert: Wir gehen rein in dieses Land und krempeln alles um. Wir zeigen den Afghanen, wie man zivilisiert lebt, bohren Brunnen und gründen Mädchenschulen. Wir machen den Einwohnern klar, dass Töchter genauso viel wert sind wie Söhne und dass Frauen folglich gleichberechtigt sind. Hört sich alles gut an.« Der Soldat schnaubt vernehmlich. »So ganz nebenbei besiegen wir die Taliban - und dann, wenn alles quasi im Handumdrehen erledigt ist, ziehen wir uns zurück. Gehen wieder nach Hause und alles ist gut.« Sein Gesicht hat sich gerötet.
»Ich wollte das auch glauben. Doch was für eine Illusion! Eine Illusion, die nun schon 16 Jahre andauert. Und: Hat sich was geändert? Außer dass für diese zweifelhafte Sache etliche Kameraden ihr Leben lassen mussten?« Der Mann mit dem Kopfverband hält einen Augenblick inne, schließt kurz die Augen, bevor er fortfährt.
»Wir konnten nicht ahnen, wie zerrissen hier alles ist, wie viele unterschiedliche Ethnien es gibt, die sich gegenseitig nicht grün sind. Der Feind heißt eben nicht nur Taliban, Mudschaheddin, Islamischer Staat oder wie auch immer, der Feind hat sehr viele unterschiedliche Gestalten. Wem will man denn da noch trauen? Wir leben in einem permanenten Alarmzustand. Weil wir nicht wissen, ob der, der uns begegnet, friedlich oder gewalttätig ist. Jetzt ist uns auch noch zu Ohren gekommen, dass viele Angehörige der afghanischen Armee zu den Taliban übergelaufen sind. Die kämpfen plötzlich auf der anderen Seite. Woher soll man denn wissen, wer wer ist und wofür er steht? Die Terroristen wollen sich zurückholen, was ihnen weggenommen wurde. Alles soll wieder so sein wie vorher, als diese islamistischen Fanatiker die absolute Macht hatten. Der Westen mit seinen demokratischen Werten wird als Todfeind angesehen, den man vernichten muss. Das ist doch alles verrückt.« Der Mann presst die Lippen zusammen. »Ja. Ich gebe es zu. Es ist alles hundert Mal schlimmer, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt habe. Was mich in besonderem Maße erschreckt, ist, dass .«
Der Soldat schweigt einen Moment und schluckt ein paar Mal. Sein Adamsapfel bewegt sich. Nach einer Pause fährt er fort zu sprechen, ». dass man gezwungen ist, mit eigenen Augen anzusehen, zu welchen Abscheulichkeiten Menschen fähig sind. Es sind doch Menschen wie du und ich, versuche ich mir immer wieder zu sagen. Menschen mit Verstand und Gefühlen sollte man meinen, keine seelenlosen machtbesessenen Tötungsmaschinen. Man muss doch irgendwie nachvollziehen können, was in deren Köpfen vor sich geht. Und warum. Aber ich bekomme keine Antworten. Jedenfalls keine, die mich befriedigen würden. Und das liegt nicht nur an der fremden Sprache.«
Er hebt den Kopf und schaut seinen Interviewpartner fragend an. »Waren Sie schon in Kabul? Nein? Das ist keine Stadt, das ist ein Moloch. Vielleicht war das mal eine zivilisierte Metropole, kann sein, doch wir haben Kabul kennengelernt als ein ausgehöhltes Gerippe, wo sich zwischen Ruinen Menschenmassen, Eselskarren und uralte Autos hindurchschieben und dabei mächtig Staub aufwirbeln. Wir haben slumähnliche Siedlungen gesehen, in denen Menschen in allergrößter Armut und unter unvorstellbaren hygienischen Verhältnissen hausen. Dort prallt so vieles zusammen, was unweigerlich Konflikte erzeugen muss. Dazwischen diese vermummten Gestalten mit Turban auf dem Kopf und der Kalaschnikow im Anschlag, mit denen nicht gut Kirschen essen ist. Und dann die vielen erbärmlich aussehenden Kinder mit ihren großen, bettelnden Augen. Oder schauen Sie sich diese verhüllten Frauen an, die hinter ihren Männern herschleichen und nicht wagen, den Kopf zu heben. - Hier also sollen wir etwas grundsätzlich verändern. Lächerlich ist das.«
Er schüttelt resigniert den Kopf. »In diesem Land kennt man nur eine Sprache, nämlich die der Gewalt. Hier wird ein schmutziger, elender Krieg geführt, da gibt es nichts zu beschönigen. Krieg heißt, was er immer geheißen hat: Töten und getötet werden. Und die in Berlin glauben im Ernst, hier eingreifen und schlichten zu können. In einem Land Frieden zu stiften, das vollkommen zerrissen und verroht ist. Was für eine Anmaßung! Was wir tun, ist ein Kampf gegen eine Hydra, der man vergeblich versucht, die ständig nachwachsenden Köpfe abzuschlagen.«
Der Soldat auf seinem Krankenhausbett schnaubt und blickt düster vor sich hin. Mit einer heftigen Bewegung wischt er sich mit der Hand über die Augen. Einen Moment herrscht Stille, die Kamera schweift über die anderen Betten, in denen ebenfalls Verwundete liegen. Dann schwenkt die Kamera zurück und fokussiert das Gesicht des Soldaten.
»Wissen Sie, was am allerschlimmsten ist? Diese Scheiß- Minen, die überall vergraben sind. Ein falscher Tritt und das Ding explodiert. Zerreißt Mensch und Tier, egal. Ich habe noch nirgends so viele Kinder gesehen, denen ein Bein oder ein Arm fehlt wie hier.«
»Wie kam es zu Ihrer Verletzung?«, fragt die Stimme aus dem Off. Augenblicklich verändert sich der Ausdruck des Mannes, der viel älter aussieht, als er wahrscheinlich ist. Seine Augen flackern. Er ringt sichtlich nach Worten.
»Es kam vollkommen überraschend«, stammelt er. »Wir fuhren im Konvoi von Kabul hierher ins Lager. Zunächst war alles ruhig. Und da war plötzlich dieser entsetzliche Knall.« Er verstummt, legt die Hände über sein Gesicht, schüttelt den Kopf. »Wieder und wieder höre ich diese ohrenbetäubende Detonation. Wie durch einen Schleier nahm ich alles wahr. Die Schreie, das Blut, das Chaos. Ständig dachte ich: Das kann nicht sein. Das passiert nicht wirklich. Das ist alles ein schrecklicher Alptraum. Dann spürte ich furchtbare Schmerzen am Kopf und am Bein und wusste, ich träume nicht. Mich haben herumfliegende Metallteile getroffen, kleine Verletzungen im Gegensatz zu dem, was einigen meiner Kameraden passiert ist.« Wieder hält er inne. Schluckt. Blinzelt. Sein Gesicht bleibt eine ganze Weile unbeweglich. Dann sieht er seinem Gegenüber in die Augen.
»Wissen Sie, wie das ist, wenn man seine Kameraden sterben sieht? Dieser Anblick. Das kriegt man nie wieder aus dem Kopf. Und dieser Geruch! Der bleibt für immer und ewig in der Nase. Genauso wie die Schreie im Ohr festsitzen .« Er legt die Hände an die Schläfen. »So was vergisst man sein ganzes Leben nicht. Sobald ich die Augen zumache, spuken mir diese Bilder im Kopf herum: Ich sehe, wie sich Polizei und Militär um die Verletzten bemühen. Wie Tote weggetragen werden. Alles ist voller Blut und Staub. Wie soll man jemals mit solchen Erlebnissen fertig werden?« Er hebt den Kopf. Seine Augen wirken leer, wie erloschen. »Das kann man nicht aushalten. Da kriegt man einen Knall.«
Betroffenes Schweigen. Schließlich wird erneut eine Frage gestellt: »Wissen Sie, wer Ihnen aufgelauert hat?«
Der Soldat nickt. »Ein Selbstmordattentäter, das haben wir später erfahren. Einer dieser Verrückten mit einem Sprengstoffgürtel um den Leib. Denen man auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Das eigene Leben ist denen völlig egal, ihnen geht es nur darum, so viele andere wie möglich mit in den Tod zu reißen. Ist es da verwunderlich, wenn man Gleiches mit Gleichem vergelten will? Dass man nicht einfach hinnehmen will, was...
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