Schweitzer Fachinformationen
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Über dem Rasen, der trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit noch immer ein saftiges Grün aufwies, lagerten feine Dunstschleier. Sie milderten die Konturen des grauen Klotzes, der sich im Hintergrund erhob. Waterford Manor. Zeichen vergangenen Reichtums, vergessener Größe. Alles, was geblieben war von einer Familie, die ebenso wie andere dieses Standes die Bevölkerung für ihre Zwecke ausgenutzt und auf deren Kosten ein angenehmes Leben geführt hatte.
Gut, ganz stimmte das nicht. Immerhin hatte einer dieser Privilegierten das Dorf South Pendrick erbaut, um den Arbeitern in der Schiefermine ein Zuhause zu geben. Winzige Cottages aus dem Stein dieser Mine, aufgereiht an einer Hauptstraße mit Kreisverkehr, an deren Ende eine Kirche mit einem für dieses kleine Dorf viel zu wuchtigen Turm, einem Pub, einer Schule, der Polizeistation und einem Gemischtwarenladen. Etwa ein Drittel der Gebäude stand leer, auch das Pfarrhaus. Ein zum Aussterben verurteilter Flecken mitten in Cornwall.
Obwohl - das konnte man eventuell mit den nötigen finanziellen Mitteln ändern. South Pendrick war vorübergehend zu medialer Aufmerksamkeit gelangt, als gleich drei Todesfälle die Dorfgemeinschaft gehörig erschütterten. Vielleicht ließ sich auch eineinhalb Jahre nach den tragischen Ereignissen noch Kapital daraus schlagen? Eine inszenierte Mördersuche für die Touristen. Ein Krimi-Dinner.
Percy Sheldrake schüttelte den Kopf. Seltsam, welche Gedanken ihm plötzlich durch den Kopf geisterten! Daran war nur seine Schlaflosigkeit schuld, die ihn in den letzten Wochen plagte. Litt er womöglich schon an seniler Bettflucht?
Unsinn. Nicht in seinem Alter. Das fing doch erst mit sechzig an, oder? Davon war er noch zehn Jahre entfernt. Aber daran mochte er nicht denken. Im Hier und Jetzt leben. Jeden Tag genießen, das war wichtig, sonst nichts.
Er trat durch die Glastür aus dem Wohnzimmer ins Freie, tastete nach den Zigaretten in der Tasche seines Morgenmantels, zündete sich eine davon an und inhalierte gierig. Er starrte auf den von Morgentau feuchten Rasen. Die Nebelschleier hoben sich langsam, am Himmel war schon eine Ahnung von Blau zu erkennen. Es würde ein schöner Septembertag werden. Schade. Er liebte Nebel. Dieses Weiß hatte etwas Geheimnisvolles, es verbarg Hässliches wie Schönes, machte alles gleich. Es brachte die Menschen dazu, behutsamer und vorsichtiger zu sein.
Ein Lächeln zuckte um seinen Mundwinkel. Wurde er auf seine alten Tage zum Poeten?
Er fuhr zusammen, als ein lautes, vielstimmiges Krächzen erscholl. Eine Schar Krähen ließ sich auf dem Rasen nieder und begann eifrig zu picken. Lästige Störenfriede! Gaben nur Obszönitäten von sich! Schwarmdenken. Er hatte sich davon gelöst, in manchen Bereichen des Lebens war es sicherer, allein zu handeln und sich nicht auf andere zu verlassen. Mitwisser störten früher oder später immer, wie er zurzeit mit Bedauern feststellen musste. Als ob er nicht schon genug Probleme hatte!
Am liebsten hätte er seine Flinte geholt, um die Vögel abzuschießen. Nur um zu sehen, ob er so treffsicher wie früher war. Aber dann unterdrückte er den Impuls. Es hätte nur für unnötigen Aufruhr gesorgt, und die morgendliche Stille war ihm heilig.
Er warf den Zigarettenstummel auf den Boden und trat ihn mit der Fußspitze aus. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen schob er ihn zur Seite. Er hätte das Rauchen längst aufgeben müssen, aber das konnte er nicht. Es spielte ohnehin keine Rolle mehr. Warum sollte er sich mit einem Entzug peinigen? Er hustete, und stechender Schmerz schoss in seine Brust, breitete sich darin aus und ließ ihn hilflos nach Luft schnappen. Sein Atem rasselte. Ein beängstigendes Geräusch. Er keuchte, zwang sich, regelmäßig ein- und wieder auszuatmen. Der Schmerz verschwand. Das tat er immer, aber er kam auch immer wieder. Um ihn daran zu erinnern, wie es um ihn stand.
Er fröstelte, zog den Morgenmantel enger um sich. Burgunderrote chinesische Seide mit einem gestickten Drachen auf dem Rücken. Früher hätte er so etwas nicht getragen. Zu schwülstig, zu elitär. Aber er hatte ihn von Vinnie zum Geburtstag bekommen, also tat er ihr den Gefallen.
Die Krähen hackten unbeirrt weiter auf den Rasen ein. Sollte er sie doch verscheuchen?
Er nahm eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr und drehte den Kopf. Sein Blick erfasste die Statue an der Hausecke. Eine nackte Nymphe, die im weichen Licht des restlichen Nebels ein wenig von ihrer Hässlichkeit und Schäbigkeit verlor. Er hätte schon längst mit Lady Amaryllis Waterford Kontakt aufnehmen müssen. Neulich hatte er festgestellt, dass quer über den Sockel ein tiefer Riss verlief. Er hatte Vinnie angewiesen, sich von der Statue fernzuhalten, bis geklärt war, wer sie beseitigen sollte. Seiner Meinung nach war die Hausherrin dafür zuständig, auch wenn sie jetzt irgendwo in Frankreich weilte, um mit ihrem Verlobten das Leben zu genießen.
Neben dem Sockel entdeckte er mit einem Mal einen großen schwarzen Fleck. Percy blinzelte. Der Fleck hatte einen Schwanz, dessen Spitze aufgeregt zuckte. Der Kater seiner Nachbarin Bee Merryweather. Wie hieß er gleich? Irgendwas von Shakespeare. Othello, genau.
Percy starrte auf den Kater, der fasziniert die Krähen beobachtete. Würde er es wagen, auf eine von ihnen loszugehen?
Er war sich nicht sicher, ob er Mrs Merryweather leiden konnte. Neugierige alte Schachtel. Aber Vinnie mochte sie offensichtlich, besuchte sie öfter, um mit ihr Tee zu trinken.
Der Kater duckte sich, trippelte mit den Hinterbeinen. Gleich würde er springen.
Percy sah gebannt zu, fühlte die Spannung des Jägers. Er wünschte ihm Erfolg. Mutiger Kerl. Groß und prächtig, schimmerndes Fell. Ein wahrer Herrscher in seinem Revier.
Der Kater machte einen Satz. Der Schwarm stob mit protestierendem Krächzen auf, eine Wolke von schwarzen Federn.
Der Kater stand allein auf dem Rasen, sah dem lärmenden Federvieh hinterher. Dann schritt er über das Gras davon, mit weichen, federnden Schritten, in königlicher Haltung. Eine unbedeutende Niederlage, weiter nichts.
Percy beobachtete ihn, bis er am Ende des Fußweges verschwand, der zum Cottage seiner Nachbarin führte. Schade, alter Junge. Aber wenn nicht heute, dann beim nächsten Mal. Beharrlichkeit führte fast immer zum Ziel. Er selbst war das beste Beispiel dafür. Er hatte alles erreicht, wovon er geträumt hatte. Macht, Geld, eine schöne junge Frau, die ihn anbetete. Nun, es war wohl nicht ganz sicher, ob es doch nicht eher sein Reichtum war, der ihr gefiel. Aber das hinterfragte er nicht, und es spielte wohl auch kaum eine Rolle. Wenn sie ging, würde er schnell eine andere bekommen. Sie waren austauschbar, diese Gefährtinnen, auch wenn er vielleicht nicht mehr viele davon haben würde.
Er schmunzelte. Vinnie war eine angenehme Begleiterin. Ein wenig naiv, leicht zu beeindrucken und zu lenken. Sie war geradezu vernarrt in dieses Haus, in dem es angeblich spuken sollte, redete von Schwingungen und Atmosphäre. Unter anderem hatte er deshalb die alte Bude gemietet, in der der Mief der Vergangenheit lagerte, in der es ständig zog, auch wenn die Fenster geschlossen waren. Er würde Unsummen an Heizkosten haben, das wusste er schon jetzt. Aber das konnte er verkraften.
Denn auch er wollte genau hier sein, in diesem Relikt vergangener Größe. Am liebsten hätte er das Herrenhaus selbst angemietet, aber das hatte der National Trust natürlich nicht zugelassen. Das Witwenhaus von Waterford Manor musste genügen, bis er seine Pläne in die Tat umgesetzt hatte. Eigentlich hatte er andere gehabt, aber manchmal spielte das Schicksal schlimme Streiche.
Das Handy in der Tasche seines Morgenmantels vibrierte. Er runzelte die Stirn. Wer störte ihn so früh am Morgen? Er wusste im gleichen Moment die Antwort, und es widerstrebte ihm, die Nachricht zu lesen. Dann holte er das Handy doch aus der Tasche, starrte auf das Display. Er schüttelte unwillig den Kopf, löschte die Nachricht und steckte das Mobiltelefon wieder ein. Was für ein Idiot!
Er wandte sich ab, schloss die Glastür und ging durch das Wohnzimmer in die Diele. Die Treppe knarrte unter seinem Gewicht, als er die ersten Stufen nahm.
Er betrat den Flur, zögerte kurz vor der Tür seines Schlafzimmers. Die Vorstellung, noch einmal unter die bereits ausgekühlten Laken zu kriechen, widerstrebte ihm. Er brauchte jetzt Wärme und einen weichen, weiblichen Körper, der sich willig an ihn schmiegte.
Percy öffnete leise die Tür zum Schlafzimmer seiner Frau. Vage nahm er im Dämmerlicht, das durch die zugezogenen Vorhänge fiel, ihre Konturen im Bett wahr. Als er nähertrat, hörte er ein leises Fiepen. Natürlich schlief der blöde Köter wieder bei ihr!
»Raus hier, du hässliches Biest«, zischte Percy und schubste die Bullterrier-Hündin aus dem Bett. Sie winselte und trottete zu ihrem Korb, um sich mit einem protestierenden Schnaufen darin zusammenzurollen. Weiß Gott, warum Vinnie an dieser dummen, unerzogenen Töle eine solche Freude hatte!
Er schlüpfte aus dem Morgenmantel, ließ ihn achtlos auf den Boden fallen und stieg in das Bett. Dann schmiegte er sich an Vinnies Rücken,...
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