Schweitzer Fachinformationen
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Sonntag, Stefanitag
Am zweiten Weihnachtsfeiertag sitzen der Sepp und die Hanni wie immer bei ihren Besuchen stocksteif auf meiner Wohnzimmercouch und warten auf Kaffee und Kekse, die meine Schwester Gabi oben in ihrer Wohnung anrichtet. Das Klappern der Blechbüchsen und der Tassen auf den Untertassen ist bis zu uns zu hören.
Mein Sohn Felix ist komplett überdreht, weil er gerade einige der Geschenke der beiden ausgepackt hat. Seine Großeltern lassen sich nie lumpen. Allerdings können sie sich nur zweimal im Jahr überwinden, bei uns vorbeizuschauen. Die beiden sprechen es nicht aus, aber sie geben mir die Schuld an dem Unfalltod meiner Frau Sabine, ihrer Tochter, vor über fünf Jahren. Daran hat sich auch mit der Zeit nichts geändert. Und ich kann es ihnen nicht verübeln, habe ich es mir doch selbst bis heute nicht verziehen, meine Frau nicht zum Klassentreffen gefahren und abgeholt zu haben. Dann wäre sie heute noch am Leben.
Seither reden meine Schwiegereltern, die Marolds, nur mehr das Allernötigste mit mir.
Die Gabi, meine Schwester, ist gar nicht gut auf die beiden zu sprechen. Ihrer Meinung nach haben sie nach Sabines Tod nicht nur mich, sondern auch den kleinen Felix im Stich gelassen. Ich denke mir, sie können den Verlust halt selber nicht verwinden und brauchen einen Sündenbock. Und eigentlich bin ich froh, dass ich ihnen zumindest diesen Gefallen tun kann.
Meine Schwester hat uns jedenfalls nicht im Stich gelassen. Nachdem ich als Kriminalpolizist und alleinerziehender Vater eines Babys völlig überfordert war, hat sie alle Hebel in Bewegung gesetzt, um uns beide aus Salzburg zurück ins Elternhaus nach Koppelried und damit in ihren Einflussbereich zu holen. Deshalb bewohne ich die kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss unseres schon sehr in die Jahre gekommenen Zwei-Familien-Hauses und bin zum Inspektionskommandanten der hiesigen Polizei mutiert.
Felix leidet nicht wirklich unter der Abwesenheit seiner Großeltern. Die beiden sind zwar nach dem Tod ihrer Tochter von Koppelried nach Schladming gezogen, laden ihren Enkelsohn aber übers Wochenende zu sich ein, sooft es geht.
»Papa, schau, ein Handy. Juchhu, endlich hab ich auch eins! Du wolltest mir ja keins kaufen! Danke, Opa, danke, Oma!« Mein Sohn rastet regelrecht aus und hüpft mit dem funkelnagelneuen iPhone in der Hand vor Freude durch unser kleines Wohnzimmer.
»Wir haben schon oan Vertrag abg'schlossen, und die Rechnungen übernehmen selbstverständlich wir.« Der Sepp wagt nur einen kurzen Blick auf mich, bevor er sich gleich wieder freundlich lächelnd seinem Enkel widmet. »Kimm her, Felix, i zoag dir, wia das Ding funktioniert. Der Verkäufer im Gschäft hat es mir ganz genau erklärt.«
Der Bub springt übermütig auf den Schoß seines Opas. Auch die Hanni beugt sich übers Handy, ganz offensichtlich will sie sich nicht mit mir unterhalten.
Also speichere ich die neue Nummer meines Sohnes, die er mir diktiert, in mein Telefon ein und checke bei der Gelegenheit meine WhatsApp-Nachrichten. Ich weiß nicht, womit ich mich sonst beschäftigen soll, bis meine Schwester zurück ist. Dabei stolpere ich über eine schon gut eine Woche alte Nachricht von der Moni, die ich bis jetzt übersehen haben muss. Die brünette und immer gut gelaunte Krankenschwester hab ich im letzten Sommer kennengelernt. Nach ein paar Treffen haben wir uns aus den Augen verloren, aber vor etwa zwei Wochen zufällig in der Jakobi Stubm wiedergetroffen, meinem Stammlokal in Salzburg. Und was soll ich sagen, wie es halt so kommt, hab ich bei ihr übernachtet. Da sich das Kinderzimmer meines Sohnes in Gabis Wohnung im Obergeschoss befindet, sind aufgrund einer stillschweigenden Übereinkunft mit meiner Schwester spontane Auswärtsnächtigungen ab und an kein Problem, solange diese nicht überhandnehmen.
Danach haben die Moni und ich nichts mehr voneinander gehört; bis eben auf ihre WhatsApp-Nachricht. Ich überlege kurz. »Wir können uns gerne mal wieder treffen«, schreib ich und drücke auf »Senden«.
»OH DEAR!«
Nicht nur ich, auch meine Schwiegereltern fahren erschrocken hoch, und der Felix lässt vor Schreck sein Handy in Opas Schoß fallen. Im Türrahmen meines Wohnzimmers lehnt lässig eine sehr kräftige Frau mittlerer Größe und undefinierbaren Alters. Niemand hat ein Läuten an der Haustür vernommen, aber das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn unser Haus ist so gut wie nie abgesperrt.
Die dicken Beine der Frau stecken in einer rosafarbenen, hautengen Hose, dazu trägt sie rote Stiefel und eine weiße Felljacke, hoffentlich aus Kunstpelz. Das Haar, tiefschwarz, ist kurz und gelockt wie meins. Ich habe diese Frau ganz bestimmt noch nie gesehen, aber irgendwie kommt sie mir trotzdem bekannt vor.
»OH MY GOD, ABSOLUTELY NOTHING HAS CHANGED IN THIS ROOM - NO-THING!«
Die Frau hat ein äußerst lautes Organ. Verblüffend ähnlich dem meiner Schwester Gabi, stelle ich etwas unangenehm berührt fest.
»Unbelievable! Get up, my dear!« Sie geht direkt auf mich zu und bedeutet mir aufzustehen.
Etwas perplex erhebe ich mich tatsächlich von meinem Stuhl.
»Na, des gibt's net«, sagt die Hanni beeindruckt, und ihr Mund geht vor Staunen gar nicht mehr zu.
»I glaub, i spinn.« Der Sepp kratzt sich verlegen seine Glatze.
»You're looking great, honey. Such a handsome guy.«
Sie taxiert mich von oben bis unten, dreht eine kurze Runde um mich, mustert mich noch mal von Kopf bis Fuß und tätschelt dann mit ihrer Hand ausgiebig meine Wange. An ihren wurstigen Fingern hängt gut und gern ein halbes Kilo Schmuck, das jetzt gegen meine Backe donnert. Ich kapiere überhaupt nichts mehr, vergesse sogar, mich zu wehren, und stehe nur da wie ein Vollidiot.
»Darling, please show some restraint«, meint plötzlich eine männliche Stimme hinter ihr. Dass sie in Begleitung gekommen ist, fällt mir erst jetzt auf. Der Mann ist klein und schmächtig, hat ledrig gegerbte, runzelige Haut und das lange weiße Haar zu einem Zopf geflochten. Mit seiner engen Lederhose wirkt er wie ein Rock-Opa. Außerdem hat er eines dieser Ohr-Piercings, die ein Riesenloch in das Ohrläppchen dehnen. Bei einem Mann in seinem Alter sieht das nun wirklich so lächerlich aus, dass ich mein Grinsen nicht unterdrücken kann.
»Kannst jetzt nimmer Deutsch wegen deinem Scheißamerika?« Laut scheppernd lädt die Gabi das Tablett mit Kaffeekanne, -tassen und Keksen am Tisch ab, sodass der Kaffee überschwappt. Meine Schwester fixiert die Frau mit einem so grimmigen Gesichtsausdruck, wie ich ihn noch nie an ihr gesehen habe. Selbst der Felix drängt sich bei dem Anblick erschrocken an die Brust seines Opas.
»Und jetzt schleich dich da raus! Aber flott! Wir müssen uns erst überlegen, ob wir dich überhaupt zu uns hereinlassen oder nicht! Hast mich, Mutter?« Sie kocht vor Wut.
Die Frau zuckt nur mit den Schultern, tätschelt der beinahe explodierenden Gabi unbeeindruckt die Wange und dreht sich dann ohne ein weiteres Wort um, um unser Haus wieder zu verlassen. Das kleine Männlein trabt brav hinter ihr her. Meine Schwiegereltern werden unmittelbar darauf von Gabi im Befehlston zu einem Spaziergang mit dem Felix verdonnert, obwohl es draußen wie schon in den letzten Tagen in Strömen regnet. Doch niemand wagt es, ihr zu widersprechen, nicht mal mein Bub.
Am Küchentisch in der Wohnung meiner Schwester im Obergeschoss unseres Elternhauses kippe ich mit ihr erst mal einen Schnaps. Diese Frau ist tatsächlich meine Mutter. Das heißt, sie ist natürlich auch Gabis Mutter. Die Frau, die uns beide und unseren Vater vor unzähligen Jahren verlassen hat und über die mir meine Familie offensichtlich bisher nur die kindgerechte Light-Version offenbart hat. Darum will ich jetzt mehr wissen.
»Raphi, du kannst dich halt an nichts mehr erinnern. Du warst so ein armes Hascherl damals, ganz ohne Mama, grad so wie der Felix jetzt.«
»Jetzt übertreibst du aber gewaltig, Gabi. Mein Bub ist alles andere als ein armes Hascherl«, widerspreche ich ihr.
»Aber geh, du weißt doch, wie ich das mein. Eh wurscht«, wehrt die Gabi ab. »Jedenfalls hat es sich irgendwie nie ergeben, dass der Papa oder ich dir alles erzählt haben, frag mich nicht, warum. Aber du wolltest nie etwas über sie wissen, hast dich nicht ein einziges Mal nach ihr erkundigt.«
Vorsichtshalber wirft mir meine Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu. Stimmt, ich hab mich wirklich nie für meine Mutter oder die Umstände, warum sie uns verlassen hat, interessiert. Komisch, aber für mich war Familie immer nur der Vater und die Gabi, denke ich mir.
»Der Papa hatte nur Probleme mit ihr. Sie war beileibe keine treue Ehefrau, das hab ich schon als kleines Mädel mitgekriegt. Trotzdem hat er ihr immer wieder verziehen. Mein Gott, der Mann hat sie unheimlich gerngehabt. Viel zu gern, wenn du mich fragst. Irgendwann hat sie dann in Salzburg diesen Ami kennengelernt und sich ständig mit dem getroffen. Aus Angst, sie endgültig zu verlieren, hat der Papa einfach die Augen vor allem verschlossen.« Meine Schwester fixiert kurz den Küchentisch und dreht versonnen ihre Handflächen hin und her. »Immer öfter war sie auch über Nacht weg, aber der Papa hat ihr nie Vorwürfe gemacht. Er wollte, dass sie bei ihm bleibt, koste es, was es wolle. Ich an seiner Stelle hätt die Frau längst hochkant rausgeschmissen. Ein Depp war der Vater halt, ein verliebter Depp.« Die Gabi schüttelt verbittert den Kopf. »Eines Tages, ich war mit dir allein, ist sie mit diesem Scheißami nach Haus gekommen. Der Kerl hat sich auf unsere Couch fallen...
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