Mittwoch
Die Steinhauser Marie hebt ihre Hand und winkt mir zu. Ich tu so, als hätte ich nur zufällig durch das geöffnete Seitenfenster in ihre Richtung geschaut, und tippe lässig mit der Linken an meine Sonnenbrille. Vorsichtshalber nehme ich rasch noch das Anzeigenformular in die Hand, das ich vorhin mühsam mit dem Eidenpichler ausgefüllt hab.
Die Marie verschwindet wieder in ihr kleines Feinkostgeschäft gleich gegenüber vom Dorfbrunnen, vor dem ich meinen Streifenwagen wie üblich im Halteverbot abgestellt habe, kommt im nächsten Moment aber auch schon wieder heraus und zieht mit einer Hand einen Ständer mit Ansichtskarten für die Touristen hinter sich her. Sie trägt blaue Jeans und eine weiße Bluse, unter der sich ein sensationeller Busen abzeichnet. Ihre langen blonden Naturlocken hat sie wie meistens hochgesteckt, nur ein paar Strähnen fallen ihr in die Stirn.
Ich beobachte sie noch verstohlen durch meine Sonnenbrille, da kommt sie auf mich zu und reicht mir freundlich lächelnd ein in Papier gewickeltes Etwas durchs offene Autofenster.
»Ein Kornspitz mit Schinken. Beamtenbestechung mal auf bio.« Sie lacht und zeigt mit ihrem langen schlanken Zeigefinger auf das Formular, das ich immer noch in der Hand hab. »Also, dass ihr bei der Polizei aufs Verkehrtherumlesen trainiert seid, hab ich gar nicht gewusst.«
Ich grinse, lege das Formular, das ich dummerweise kopfüber gehalten habe, samt Kornspitz auf den Beifahrersitz und nehme lässig meine Sonnenbrille ab. Die Marie scheint bestens gelaunt zu sein.
»Tja, ich hab eben eine Amtshandlung abgeschlossen.« Übertrieben bedauernd hebe ich meine dunklen Augenbrauen, was immer Eindruck bei den Frauen macht. »Beim Eidenpichler ist schon zum vierten Mal eingebrochen worden. Jetzt hat er mir den Schlüssel in die Hand gedrückt, damit wir ab sofort auch nachts nach dem Rechten schauen können.«
»Ist etwas gestohlen worden?«, fragt sie mich neugierig.
»Nein, vermutlich handelt es sich nur um Besitzstörung. Die Kerle dürften einen Schlüssel gehabt haben, woher auch immer.« Meine Lippen verziehen sich zu meinem sympathischsten Lächeln. »In der Früh hat er immer eine ordentliche Sauerei vorgefunden, vor allem, was das Bett in der Auslage betrifft, das Modell E711, eine Luxus-Boxspring-Variante. Besonders gut geeignet für spezielle Matratzengymnastik, wenn du weißt, was ich meine«, zwinkere ich ihr eindeutig zweideutig zu.
Weil die Marie tatsächlich leicht errötet, wechsle ich rücksichtsvoll das Thema. »Sag mal, was meint eigentlich der Max zu eurem Hochzeitstermin morgen? Ein Wochentag ist nicht eben üblich für eine kirchliche Trauung bei uns am Land, oder? Wobei, wenn ich es recht bedenke, wird es der Max genießen, dass der ganze Ort wegen seiner Hochzeit quasi einen Feiertag einlegt. Oder hat ihm der Pepperl eins auswischen wollen, weil doch morgen Abend Red Bull spielt?« Unser Pfarrer heißt eigentlich Josef Samhuber, aber im Ort nennt ihn jeder nur »den Pepperl«. Der Pepperl kann dem Fußball überhaupt nichts abgewinnen, schon gar nicht den Bundesliga-Spielen. Ganz im Gegensatz zu Maries Bräutigam, dessen Fußballerherz, wie jeder im Ort weiß, nur für Red Bull Salzburg schlägt.
Die Marie hört schlagartig auf zu lächeln, und ihr Gesicht nimmt wieder eine normale Farbe an.
»Nun ja, du kennst doch den Max. Er ist geradezu besessen von seinem Lieblingsverein. Um ehrlich zu sein, mir wäre eine kleine standesamtliche Trauung lieber gewesen, aber der Pepperl hat den Max letztendlich überzeugt. Ihm kann es nicht schnell genug gehen, außerdem wollte der Max unbedingt noch vor meinem Einzug in seine Wohnung heiraten, und der ist nächste Woche.« Sie seufzt und lehnt sich auf ihre Ellenbogen gestützt durchs offene Wagenfenster. Ich frage mich sowieso, warum die Marie überhaupt noch mal heiratet. Nachdem schon ihr erster Ehemann nicht unbedingt ein Volltreffer gewesen ist, hätte ich ihr keinen zweiten Fehlgriff mehr zugetraut. Aber eigentlich geht mich das alles ja gar nichts an; soll sie machen, was sie will.
»Der mischt sich überall gerne ein, der Pepperl. Ich glaube, ich muss mal ein ernstes Wort mit der Gabi reden«, grinse ich spitzbübisch.
Die Gabi ist meine Schwester. Und heißt eigentlich Gabriele. Mein erzkatholischer Vater hat schon immer eine besondere Vorliebe für Erzengel gehabt. Nachdem es bei der ersten Schwangerschaft mit dem erhofften Gabriel nicht geklappt hat und nur eine Gabi daraus geworden ist, hat er mich mit dem Namen Raphael beglückt. Aber da ich, katholisch betrachtet, trotzdem ein kompletter Reinfall bin, zählt für ihn die Gabi heute mindestens so viel wie drei Erzengel zusammen. Er ist unheimlich stolz auf sie, weil sie es bis zur Pfarramtssekretärin gebracht hat. Ich dagegen hab bloß auf Lehramt studiert und zum Verdruss meines Vaters dann auch noch auf Kriminalbeamter am LKA umgesattelt. Ein paar Wochen als Lehrer am Gymnasium haben meinen ursprünglichen Berufswunsch schnell zunichtegemacht. Anschließend erschien mir die Aussicht darauf, Verbrecher zu fangen, anstatt Jugendlichen Englisch und Sport schmackhaft zu machen, ungleich attraktiver.
Und jetzt bin ich auch noch zum Inspektionskommandanten von Koppelried degradiert worden. Und das nur aus dem Grund, weil ich die Gabi brauche. Sie ist nämlich die perfekte Tante und eine Art Ersatzmutter für meinen inzwischen sechs Jahre alten Buben, den Felix. Aber auch ich verdanke meiner Schwester den Großteil dessen, was ich so an Erziehung in meinem Leben genießen durfte. Weil unsere Mutter den Vater samt uns Kindern sitzen gelassen hat, als ich noch keine zwei war, musste die Gabi nämlich auch bei mir erziehungstechnisch einspringen.
»Und dann war eben nur mehr der Termin am Donnerstag frei. Am Samstag ist Pfarrwandertag und Sonntagnachmittag das Freundschaftsspiel FC Koppelried gegen den FC Hallein. Da steht der Max im Tor, und das lässt er auf keinen Fall sausen«, holt mich die Marie aus meinen abschweifenden Gedanken zurück. »Ich bin schon gespannt, wie er es morgen überhaupt ohne Fußball aushält.«
Bevor ich mich jetzt wieder mal fragen kann, was die Marie eigentlich am Riegler Max findet, werde ich angefunkt. Es ist meine junge Kollegin, Revierinspektorin Sandra Obermüller.
»Cheeef?« Die Sandra ist nicht nur beim Reden die Langsamste. Wer das Pech hat, bei ihr eine Anzeige erstatten zu müssen, muss Zeit mitbringen. Sehr viel Zeit.
»Cheeef, kommst du mal auf die Inspektion? Der Haubner .«, fängt sie an, hält dann aber inne.
»Was ist schon wieder mit dem Alten?«
Sie holt tief Luft. »Der macht Stress . Aber ich blick da nicht durch.«
»Bin gleich da«, geb ich ihr knapp Bescheid.
»Du kommst doch morgen, oder? Trotz Fußball und obwohl es unter der Woche ist?«, fragt die Marie noch rasch, während sie sich wieder aufrichtet und mir dabei einen beinahe flehenden Blick schenkt.
»Aber natürlich. Einen Riegler Max im Anzug lass ich mir bestimmt nicht entgehen«, grinse ich spöttisch.
Die Marie weicht etwas erschrocken zurück und lässt ihre Mundwinkel traurig nach unten hängen. Schuldbewusst denke ich mir, dass ich wohl kein angenehmes Bild vor ihrem inneren Auge heraufbeschworen habe. Der Max ist nämlich noch um einiges gewichtiger als meine Schwester, und trotzdem ist sein beinahe quadratischer Kopf zu seinem Körper noch immer überproportional groß. Und als Draufgabe hat der liebe Gott ihn äußerst kurz geraten lassen, ihm schütteres schwarzes Haar, rosige Haut und ewig gerötete Wangen verpasst. Die beeindruckende Bierwampe auf seinen zwei dünnen Beinen hat er sich allerdings ausschließlich selbst zu verdanken. Und als wäre das noch nicht genug, kann der Max neben seiner nicht eben ansprechenden äußeren Erscheinung auch einen bemerkenswert unangenehmen Charakter vorweisen - finde ich jedenfalls. Ich hab den Kerl noch nie gemocht. Cholerisch, laut und rüpelhaft sind die schmeichelhaftesten Eigenschaften, die mir auf Anhieb zu ihm einfallen. Es hilft alles nichts: Er ist ein Prolet, wie er im Buche steht. Das einzig Positive, was ich mit dem Max in Zusammenhang bringen kann, ist sein Bier. Sein Brauwirtshaus produziert das beste weit und breit.
Und trotzdem wundere ich mich einmal mehr darüber, wie es möglich ist, dass dieser Kerl morgen eine Frau wie die hübsche Marie vor den Traualtar führen wird.
»Ich würd mich freuen, wenn du, der Felix und die Gabi mit dabei wärt. Schon allein, weil ich die Sabine so gemocht hab.« Die Marie spricht ganz leise, aber dennoch war das jetzt bei mir das falsche Wort zur falschen Zeit. Über die Sabine will ich nämlich auf keinen Fall reden, schon gar nicht mit der Marie.
Also lasse ich rasch den Motor an, bevor sie noch sentimentaler werden kann. »Dann bis morgen, Marie. Der Felix freut sich schon drauf, sich am Spielplatz vom Rieglerbräu auszutoben.«
Ich fahre los und beobachte, wie die Marie, die jetzt gar nicht mehr fröhlich wirkt, im Rückspiegel immer kleiner wird. Kein Wunder, ich wäre auch nicht glücklich, wenn ich einen wie den Max heiraten müsste. Warum diese Frau das wohl tut? Quasi über Nacht hat sie sich entschieden, den Brauwirt-Zwerg zu ehelichen. Niemand im Ort hat auch nur andeutungsweise etwas von einer Romanze zwischen den beiden mitbekommen, was bei uns in Koppelried an und für sich völlig unmöglich ist. Trotz stolzen sechstausend Einwohnern weiß bei uns jeder alles über jeden. Aber die Marie war schon immer eigenartig, denke ich mir. Ich kenne sie schon fast mein ganzes Leben lang, da sie als kleines Mädchen zu ihrer Tante nach Koppelried gezogen ist. Schon in der Schule hat sie sich immer abgesondert, war eine Streberin, die kaum Freunde...